Viel Gutes gibt es zur nationalen und internationalen Lage nicht festzustellen. Aber an der Burg geht es aufwärts, seit der Schweizer Stefan Bachmann das Haus übernommen hat. Doch er warnt vor Finanzproblemen, die in zwei Jahren bedrohlich werden können
Solch einen gehobelten Burgtheaterdirektor hätte man sich während der vergangenen fünf Jahre gewünscht, solch ansprechende Resultate ebenfalls. Nach der Eröffnungsoffensive von elf Premieren in zwei Monaten kommen mehr Leute, und die Kritiken sind mehrheitlich erfreulich. Das Gespräch im Café Landtmann findet in entsprechend gelöster Atmosphäre statt.
Herr Direktor, sind Sie schon akklimatisiert? Und wie geht es vor allem dem Fotoautomaten, den Sie im Museumsquartier betreiben?
Den Fotoautomaten betreibt meine Frau, da bin ich nicht involviert. Ansonsten sind wir privat ganz gut akklimatisiert, aber es braucht natürlich immer Zeit, bis man das Leben neu aufgebaut hat, vom Kinderarzt bis zur Bankfiliale.
Und haben Sie das alles gefunden?
Wir arbeiten dran. Es war ja doch relativ viel los im Theater, mit elf Premieren inklusive Sonntag. Da war eine große Kraftanstrengung des ganzen Betriebs vonnöten. Ich bin tatsächlich sehr gerührt, wie professionell und gut gelaunt das gelaufen ist.
Wie war denn die Auslastung in den ersten eineinhalb Monaten?
Sie ist im Vergleich zum Jahr davor im gleichen Zeitraum um circa zehn Prozent gestiegen. Wir haben schon erlebt, dass jemand mit dem Schild „Suche Karten“ vor dem ausverkauften Haus steht, und da rede ich nicht von der Premiere. Es gibt ein paar Sachen, die sind innerhalb von wenigen Minuten ausverkauft, „Holzfällen“ mit Niki Ofczarek und „Schachnovelle“ mit Nils Strunk. „Orlando“ läuft fantastisch.
Andere Direktoren würden für ihren Einstand die Publikumsmagneten um sich sammeln. Sie haben sich mit den Übernahmen Ihrer eigenen Produktionen aus Köln keinen leichten Start gemacht. „Johann Holtrop“ läuft zum Beispiel schlecht.
Ja, die Kritiken waren allerdings ziemlich gut, und ich habe die Hoffnung, dass sich das noch positiv herumspricht. Der Abend hat es gleich dreifach schwer: Der Autor, für mich einer der brillantesten, ist aber in Österreich noch nicht wirklich durchgesetzt. Dann das Thema, die Geschichte des Pleitier Thomas Middelhoff, ist vermeintlich deutsch, dabei gibt es hier in Österreich genügend Äquivalente. Und die Schauspielerinnen sind hier noch eher unbekannt.
„Holzfällen“ und „Schachnovelle“ sind Einpersonenprogramme, extrem text- und schauspielerzentriert. Ist das nicht ein Zeichen, was das Publikum wieder vom Theater erwartet?
Richtig, und unser Akzent liegt genau auf diesen beiden Größen. Mehr Narration als Dekonstruktion, dazu auch die Konfrontation mit neuen Texten, die sich mit der Welt und unserer Gegenwart auseinandersetzen. Es ist interessant, dass sich jetzt, wo sich die Zeiten so verdüstern, das auch in alten Texten spiegelt. „Schachnovelle“ hatten wir genau am Wahltag. Das hat vielleicht dazu beigetragen, dass die Menschen so berührt waren.
Mit Ferdinand Schmalz verbindet Sie einiges ...
Wir sind vorgestern hier im Landtmann zusammengesessen, es kommt von ihm etwas Neues, das aus der Historie in die Gegenwart geht. Ich habe ja viel mit österreichischen Autorinnen und Autoren gemacht, Wolfgang Bauer, Kathrin Röggla, Jelinek fünf Mal.
Ihr „Manhattan Project“ über den Bau der ersten amerikanischen Atombombe ...
... ist wegen der weltweiten Ereignisse auf eine unliebe Weise aktuell geworden. Ich habe am Morgen nach der Wahl in Amerika angeschaut, wie sich Trump als Sieger präsentiert hat. Da steht einer auf der Bühne, und man hat das Gefühl, es gibt keine Zeit und keinen Raum mehr, nur noch dieses wirre Hirn, das vor sich hin salbadert. Und um ihn herum lauter Ganoven, eine Theaterinszenierung, auf die ich neidisch bin. Die machen uns unseren Beruf streitig. Sie spielen Theater, statt Politik zu machen, aber was bedeutet das wiederum für uns?
Nämlich?
Es darf nicht bedeuten, dass wir deswegen die Vernünftigen werden müssen. Wir sind die Spieler, Lügner, Gaukler und Verdreher, nicht die anderen!
Und jetzt? Ihr Vorgänger hat SS-Fahnen gehisst. Wie gehen Sie denn mit der politischen Lage um?
Sicher nicht belehrend. Man muss einfach etwas dagegensetzen. Wir halten an einer differenzierten Sprache und einem komplexen Denken fest im Gegensatz zur Simplifizierung und Hetze. Das ist vielleicht schon Politisches.
Dem Burgtheater geht es aber insgesamt gut?
Es gibt ein Thema, das mir Sorgen macht: Wir drohen durch die Inflation in ein strukturelles Defizit zu geraten. Die Subvention bleibt immer gleich. Aber die Lohnkosten passen sich an die Inflation an. Wenn wir jetzt einen Gap von 10 Prozent haben, sind wir als Bundestheater in zwei Jahren nicht mehr in der Lage, genügend neue Produktionen zu machen. Selbst die schmerzhaftesten Sparmaßnahmen würden das nicht aufhalten. Wir brauchen nicht mehr Geld, der Wert unserer Subvention muss erhalten bleiben. Das muss im Moment jedes Mal neu verhandelt werden und jedes Mal ist die Unsicherheit groß.
Sind die erfolgreichen Einpersonenstücke womöglich der Hinweis auf ein notgedrungen zu reduzierendes Ensemble?
Nein, um Gottes willen, wir brauchen das große Ensemble und es wird auch in dieser Spielzeit komplett zum Einsatz kommen.
Nun hat Ihr Vorvorgänger Matthias Hartmann, bei dem Sie Hausregisseur waren, soeben ein Buch geschrieben ...
... das ich nicht gelesen habe.
Er meint, das Theater fährt in den Abgrund, weil es das Publikum ignoriert und sich in einer Blase isoliert. Was sagen Sie denn dazu?
Dass wir angetreten sind, den Gegenbeweis zu liefern. Es ist klar, dass hier wieder Publikum gewonnen werden muss und dass das Theater eine positive Ausstrahlung haben soll. Deshalb investiere ich viel, dass die Stimmung im Haus gut ist. Ich glaube sehr daran, dass ein Haus von innen nach außen strahlen kann.
Und das gut erzählte klassische Stück, der pure Shakespeare zum Beispiel?
Den haben Sie seit Sonntag mit „Lear“ im Programm.
Wo bleibt eigentlich Hartmann, der auch als Regisseur sehr erfolgreich war und in der Burgtheater-Finanzaffäre komplett rehabilitiert ist? Weshalb inszeniert er jetzt an der Josefstadt und nicht bei Ihnen?
Dazu kann ich im Moment nichts sagen.
War Joachim Meyerhoff leicht aus Berlin zurückzuholen?
Er hatte Lust, aber um ganz zurückzukommen, braucht er noch ein bisschen Zeit. Er sucht auch ein Stück Freiheit, aber wenn er jetzt einmal pro Jahr hier ein Stück machen würde, fände ich das schon toll.
Große Schauspieler wie Niki Ofczarek drehen immer mehr. Macht Ihnen das zu schaffen?
Man muss einen Weg finden, der beiden nützt. Ich verbaue grundsätzlich niemandem etwas. Aber gerade mit Niki Ofczarek habe ich die Verabredung, dass er zwei Sachen im Jahr macht.
Was kommt denn da noch?
Ich weiß gar nicht, ob ich das schon sagen darf. Also, es wäre dann vielleicht ein Stück, das ein bisschen so heißt wie dieses Theater.
Jelineks „Burgtheater“!
Wo gibt es das denn, ein Stück, das so heißt wie das Theater? Außerdem ist der Zeitpunkt gekommen, um das Stück aus der Kiste zu holen, wo es unerlöst vor sich hin gammelt. Es setzt sich mit der Rolle des Burgtheaters während des Nationalsozialismus auseinander. Milo Rau setzt an unterschiedlichen Ebenen an, er geht bis Afrika, beleuchtet aber auch die Entstehungszeit des Stückes, die Achtziger.
Gibt es einen Grund, aus dem Sie ständig Männerrollen mit Frauen besetzen? Sogar den Macho Liliom mit Stefanie Reinsperger?
Mir wird gleichzeitig vorgeworfen, dass in „Manhattan Project“ nur Männer spielen. Beim anderen geht es zunächst darum, dass Frauen aus einem ähnlichen Fundus schöpfen können wie Männer. Und wenn man eine Spielerin wie Steffi Reinsperger hat, und der Regisseur wünscht sie sich in dieser Titelrolle, macht mich das sehr neugierig.
Kann man mit den heutigen Kräften eigentlich noch Schnitzler spielen?
Wir haben doch das „Weite Land“ von Barbara Frey noch im Repertoire, da war ich sehr berührt.
Nestroy? Raimund? Grillparzer? Horvath?
Horvath war hier zuletzt relativ viel zu sehen. Das andere, ja wir lesen, diskutieren im Kreis, schlagen vor ... wir sind ja noch ganz am Anfang.
Ein großer Kleist fehlt auch.
Kleist ist natürlich wahnsinnig deutsch, man müsste sehen, ob das am Burgtheater noch funktioniert. Ich habe in Köln das „Käthchen von Heilbronn“ gemacht, die Leute haben uns alleingelassen. Dabei bin ich ein großer Fan von Kleist, ich habe „Amphitryon“ gemacht, eine meiner ersten Arbeiten war die „Penthesilea“. Heute weiß ich nicht einmal, ob das in der Germanistik noch drangenommen wird.
Zur Person
Stefan Bachmann
Geboren am 1. Juli 1966 in Zürich, studierte er dort Germanistik und Theaterwissenschaft und debütierte erfolgreich in der freien Berliner Szene. Über Bonn, Zürich und abermals Berlin gelangte er als Schauspieldirektor nach Basel und fuhr dort spektakuläre Erfolge ein. Am Burgtheater war er Matthias Hartmanns Hausregisseur und wurde 2013 Intendant in Köln. Mit Beginn der laufenden Saison folgte er Martin Kusej an die Burg. Er ist mit der Schauspielerin Melanie Kretschmann (derzeit in „Johannn Holtrop“ zu sehen) verheiratet, hat drei Söhne und eine Tochter.