News Logo
ABO

"Erzherzog Ludwig Viktor wäre heute gerne Tom"

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
16 min
Tom Neuwirth und Ruth Brauer-Kvam

©Matt Observe/News
  1. home
  2. Aktuell
  3. Menschen

Zehn Jahre nach seinem Sieg beim Song Contest als Conchita Wurst erfindet sich Tom Neuwirth als Schauspieler neu. Regisseurin Ruth Brauer-Kvam holt ihn als Erzherzog Ludwig Viktor auf die Bühne. Der schrillste aller Habsburger hatte viele Feinde, Neuwirth liebt die Figur trotzdem

Er galt als charmant und witzig, als scharfzüngig und intrigant. Seine Klugheit und sein Kunstsinn waren bekannt, ebenso seine ausschweifenden Feste und die queere, sexuelle Freiheit, die er lebte. Im Schutz seines adeligen Status führte der jüngste Bruder von Kaiser Franz Joseph, Erzherzog Ludwig Viktor, um die Jahrhundertwende ein Leben, das mit spektakulär nur unzureichend beschrieben ist. "Er hat damals in seinem Palais Feste gefeiert, die pompöser waren als der Life Ball", bringt es Schauspieler Florian Carove auf den Punkt. Dennoch, oder gerade deshalb?, fand Erzherzog Ludwig Viktor in der Geschichtsschreibung kaum Platz.

Mangels politischem oder militärischem Engagement waren keine Siege festzuhalten. Der Schöngeist hinterließ aber kulturell nachhaltige Spuren. Das Neorenaissance-Palais Erzherzog Ludwig Viktor am Schwarzenbergplatz ist ihm zu verdanken, dazu beträchtliche Kunstförderung in Salzburg und die mit mehr als 7.000 Lots umfangreichste Auktion in der Geschichte des Dorotheum dank seines Nachlasses.

Geblieben sind der prägnante Spitzname von Erzherzog Ludwig Viktor, Luziwuzi, und sein Ruf als ebenso beliebter wie gehasster queerer Bonvivant sowie Zitate, die davon zeugen. "Man müsst' ihm als Adjutant eine Ballerina geben, dann könnt' nix passieren!", soll Kaiser Franz Joseph laut Kunsthistorikerin Katrin Unterreiner über den Bruder gescherzt haben.

Verliebt in den intriganten Charmeur

Tom Neuwirth, der seit 15. Februar in der Titelrolle in "Luziwuzi" auf der Bühne des Rabenhof steht, hat sich in den umstrittenen Habsburger-Sproß schnell verliebt. "Ich weiß natürlich nicht, wie er tatsächlich war und wie wir uns heute begegnen würden, aber in meiner Fantasie wären wir schon Freundinnen", gibt der 35-jährige Sänger ein klares Sympathiebekenntnis zur Rolle ab. Neuwirth fühlt mit der Figur, die ihn das erste Mal auf eine Theaterbühne führt.

Der Gedanke, unser Leben zu leben, statt das System zu erfüllen, eint uns

"Ich habe das Gefühl, dass ich eine Art von Egoismus mit ihm teile. Diese Lebenseinstellung, dass ich als erstes für mich lebe, herausfinde, was ich brauche, und dem nachgehe - natürlich nicht rücksichtslos. Der Gedanke, der uns eint, ist, unser Leben zu leben, statt zu erfüllen, was das System verlangt." Den weniger liebenswerten Zügen des Luziwuzi begegnet Neuwirth mit Empathie. "Ich verstehe dieses Lästern und das Intrigante an ihm. Es hat viele Gründe, die wir im Stück beleuchten. Persönlich halte ich es auch für ein Vehikel herauszufinden, wie er dazugehört. Wie bin ich einer von allen, wenn mir alle sagen, dass ich das nicht bin? Es ist ein Schrei nach Aufmerksamkeit und Bestätigung und Nähe. Und wie er das ästhetisch Schöne am Leben gefeiert hat, mit seiner Porzellansammlung und Kunst und Musik, kann ich natürlich total nachvollziehen."

Ein Schmähgedicht von Kaiserin Sisi

Florian Carove vertieft die Ambivalenz des Luziwuzi, wenn er von den Intrigen erzählt, die der Erzherzog unter anderem gegen Kaiserin Elisabeth spann. Ein Schmähgedicht der Kaiserin erzählt davon.

So wie ich sie spiele, ist Kaiserin Sisi keine sympathische Person

"In dem kränklich schlaffen Leib herrscht ein äffisch Wesen. Lügen ist stets Zeitvertreib ihm und Pflicht gewesen", schrieb "Sisi" über Ludwig Viktor von Österreich. Carove bringt solche Zeilen in seiner Rolle als Kaiserin Sisi auf die Bühne und bürstet die romantisierte Figur gegen den Strich. "So wie ich sie spiele, ist sie keine sympathische Person. Eher ein Horror", beschreibt er. Carove steht auch als Ludwig Viktors Mutter, Erzherzogin Sophie, auf der Bühne. Die gerne als strenge Autorität porträtierte Frau zeigt er dafür "eher liebend und zugewandt". Regisseurin Ruth Brauer-Kvam weiß, wie man Spannung erzeugt.

"Das Stück braucht Tom!"

Brauer-Kvam, die gemeinsam mit Fabian Pfleger auch für das Buch verantwortlich zeichnet, entdeckte den vielschichtigen Stoff um Luziwuzi vor fünf Jahren während Recherchen für ihre Version von "Der Reigen" am Bronski & Grünberg Theater. Ein Foto des Erzherzogs in Frauenkleidern fesselte ihre Aufmerksamkeit. Sie vertiefte sich in dessen Geschichte, die von Ausgrenzung, Doppelmoral, elterlicher Prägung und ausgelebtem Freiheitsdrang gegen alle Konventionen erzählt.

Blurred image background

"Ich bin ausgeflippt", sagt Regisseurin Ruth Brauer-Kvam, 52, über den Moment, als Tom Neuwirth, 35, für die Titelrolle zusagte

 © Matt Observe/News

Die Idee, Tom Neuwirth, alias Conchita, in der Titelrolle zu besetzen, kam von Rabenhof- Direktor Thomas Gratzer. "Als er die Idee hatte, bin ich ausgeflippt", erzählt Brauer-Kvam, 52. "Da ich nicht queer bin, wusste ich, dieses Stück braucht jemand, der aus dieser Welt kommt. Ich konnte mir lange nicht vorstellen, wer das spielen kann. Das Stück braucht Tom! Würde Erzherzog Ludwig Viktor heute leben, wäre er sehr gerne Tom."

Das Leben des unangepassten Erzherzogs erzählt Brauer-Kvam in vier Kapiteln als eine Art Rückschau des demenzkranken Hochadeligen während seiner letzten Wochen im Salzburger Exil. Sein Bruder Kaiser Franz Joseph verbannte ihn nach einem Skandal zuletzt dorthin. Die verschiedenen Blickwinkel auf Luziwuzi, vom bewunderten Traumtänzer bis zum verabscheuten "tänzelnden Mann", wie ihn Fürstin Nora Fugger nannte, waren der Regisseurin wichtig. "Wir wissen nicht, wie dieser Mensch, oder auch die anderen, Sisi, Sophie, wirklich waren. Wir stellen eine Möglichkeit dar", so Brauer-Kvam. Die Regisseurin will auch zeigen, "dass es ein Mensch in dieser biederen, repressiven, streng katholischen Zeit geschafft hat, gegen den Strom zu schwimmen und zu leben, wie er ist".

Fürstin Fuggers Tiraden ganz aktuell

Die Aktualität des Themas zeigt sich beim Blick nach Russland oder auch Ungarn, wo ein LGBTQ-feindliches Gesetz anonyme Meldungen gegen gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern erlaubt. "Heute wird dieselbe schreckliche Sprache verwendet wie von Fürstin Fugger, die den Erzherzog 1870 eine Gefahr für die Monarchie genannt hat", so Brauer-Kvam. Schaudernd erinnert sie sich auch an die rechtsextreme Demo gegen die Kinderbuchlesung einer Dragqueen in Wien vor einem Jahr.

Es gibt Minderheiten, die ständig gegen das System ankämpfen müssen. Das hat sich über die Jahrhunderte nicht geändert

"Es gibt Minderheiten, die ständig gegen das System ankämpfen müssen. Das hat sich über die Jahrhunderte nicht geändert", schärft Neuwirth den aktuellen Bezug seines Theaterdebüts. "Diesen Anti-Fortschritt immer wieder aufzuzeigen und zu verbildlichen in sozialpolitischer Hinsicht, ist für mich eine Realität dieses Stücks. Wieso updaten wir unsere Handys die ganze Zeit aber nicht unsere eigenen Einstellungen?"

Gesellschaftlich habe sich viel verändert seit er vor zehn Jahren als Conchita den Sieg beim Eurovision Song Contest holte, räumt er ein. Das sei an der Sichtbarkeit der LGTBQ-Community in Film, Werbung oder Bühne abzulesen. Dennoch sieht er Handlungsbedarf. "Ich glaube, eine Mehrheit hat verstanden, was Rassismus und Antirassismus bedeuten. Aber gerade weil sich in diese Richtung viel intensiviert hat, triggert es diejenigen, die damit nicht klarkommen. Deswegen haben sich die Fronten verhärtet", so Neuwirth.

Blurred image background

Tom Neuwirth nimmt die Rolle ernst: "Ich hackel richtig rein"

 © Matt Observe/News

"Altes stirbt, Neues entwickelt sich"

Der Sänger, Musiker, Aktivist und Moderator spricht von "einer Zeit, in der das Alte stirbt und sich Neues entwickelt". "Wir sind an einer Schnittstelle und das bedeutet Konflikt. Ich glaube, dass diejenigen, die an Demokratie und an Vielfalt glauben, die Mehrheit darstellen. Hier muss ich den wunderbaren Ricardo Simonetti zitieren, der gesagt hat, die Rechtspopulisten tun, als wären sie die Mehrheit, dabei sind sie nur die Lauteren. Wir, die an Demokratie glauben, haben lange den Luxus genossen, sie gewähren zu lassen. Jetzt müssen wir aufstehen und laut werden. Kunst stand schon immer dafür, zu inspirieren und aufmerksam zu machen auf eine Art und Weise, die nicht der erhobene Zeigefinger ist."

Neuwirth "hackelt richtig rein"

Tom Neuwirths Auftritt als bärtige, stimmgewaltige Diva Conchita Wurst vor zehn Jahren war ein Parade-Moment der Kunst ohne Zeigefinger. Rund 200 Millionen Zuseher weltweit waren via TV dabei. Bei den Abenden im Rabenhof Theater sehen knapp 300 allabendlich Tom Neuwirth als "Luziwuzi".

Trotzdem legt Neuwirth bei der Frage nach dem Mut, den sein Theaterdebüt braucht, zum ersten Mal im Gespräch eine Pause ein.

"Ich nehme das extrem ernst und ich hackel richtig rein. Es ist keine g'mahde Wies'n. Ich stehe mit der Crème de la Crème in Sachen Theater auf der Bühne und die spielen, dass mir die Kinnlade runterfällt", so Neuwirth. "Da mithalten zu können, ist eine Herausforderung." Aussprache sei etwa ein Thema, bei dem er umlernen musste, sagt Neuwirth. So werde in der Popkultur beim Singen jedes Ende wegphrasiert, während es das Theater genau anders verlange.

Was gibt man jemandem mit, der zwar Bühnenprofi, aber Theaterneuling ist? Neben dem bewussten Umgang mit Sprache betont Ruth Brauer-Kvam ihre Art, Menschen dahin zu führen, wo sie sich einlassen können. "Ich arbeite sehr körperlich und das hilft, weil Tom ein sehr körperbewusster Mensch ist. Über den Körper kommt der Text, kommt die Emotion und dann fliegt das Ganze", freut sie sich.

Blurred image background

Ruth Brauer-Kvam und Tom Neuwirth freuen sich über die Zusammenarbeit

 © Matt Observe/News

Ohnehin könne dem ganzen Ensemble nichts Besseres passieren als Brauer-Kvam, streut Carove der Regisseurin Rosen für "die Liebe und die Genauigkeit" ihrer Arbeit. Auch das mit Neuwirths "reinhackeln" bemerkt er: "Ich habe selten jemanden erlebt, der so bescheiden und unaufgeregt in der Arbeit ist und dermaßen zielstrebig."

Kein Auftritt für Conchita

Mit dem Theaterdebüt manifestiert Tom Neuwirth eine neue Facette seiner Karriere. War es zuerst die Balladen-Diva Conchita Wurst, die er nach einer Phase der Distanz "mehr liebt denn je", und danach ein Ausflug ins kühle Elektropopfach mit männlichen Attributen und Glatze unter dem Künstlernamen WURST, steht er nun als Tom Neuwirth auf der Bühne. "Wer auf Conchita wartet, tut das vergebens", sagt er, obwohl in "Luziwuzi" auch gesungen wird.

Kyrre Kvam hat für das Stück komponiert und sich an Literatur von Heinrich Heine bedient. "Tom singt für ihn sehr untypische Lieder. Ihn so zu erleben, ist spannend. Die Musik ist elektronisch und ein sehr interessanter Bruch zur Zeit, in der Luziwuzi agiert", erklärt Ruth Brauer- Kvam.

Ob es für Neuwirth der Beginn einer neuen Karriere als Schauspieler ist, lässt er offen. Er hat die Arbeit auf der Theaterbühne nicht konkret gesucht, bevor sie ihn gefunden hat. "Diese Chance war wie das Universum, das bei mir angeklopft hat, und ich habe ihm die Tür geöffnet", sagt er. Auf andere Arten der Darstellung sei er aber immer neugierig. "Ich habe immer Lust, etwas Neues zu machen und es ist ein Privileg, heute Dinge machen zu können, an die ich vor 15 Jahren nie gedacht hätte. Eine Rolle beim Theater in dieser Größenordnung! Meine Liebe gilt einfach dem kreativen Ausdruck."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 07/2024 erschienen.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER