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Stephan Pauly: „Kultur ist ein Menschenrecht“

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Aktualisiert
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7 min

Stephan Pauly

©Bild: Matt Observe

Seit fünf Jahren ist Stephan Pauly Intendant des Wiener Musikvereins. Wie er das Publikum für Neue Musik interessiert und sich für das RSO einsetzt.

Von den Saiten einer E-Gitarre erhebt sich ein Flirren, steigert sich mit beharrlicher Intensität und verwandelt den Goldenen Saal in eine magische Klangwelt. Samuel Toro Pérez, gefragte Musikerpersönlichkeit bei Avantgarde-Festivals wie Wien Modern oder der Biennale von Venedig, gastiert zu vorgerückter Stunde im Musikverein.

Dass das Stammpublikum klassischer Konzerte, das zuvor die Münchner Philharmoniker für die Aufführung von Schumanns „Frühlingssymphonie“ gefeiert hat, sich in den Bann von Pérez’ Komposition „Ambient Studies II (Olivia)“ ziehen lässt, mag auf den ersten Blick verwundern. Auch dass sich die Reihen im ausverkauften Saal nach Haydns „Schöpfung“ nicht lichten, wenn Stockhausens atonales Urknallstück „Ylem“ die Besucher beschallt, wäre noch vor einigen Jahren außerhalb einschlägiger Festivals undenkbar gewesen. Szenarien wie diese sind jetzt Teil des Konzertalltags im Musikverein. Anlass für ein Gespräch mit dem Zuständigen.

 

Neue Musik für das Stammpublikum

Stephan Pauly, 53, ist seit 2020 Intendant der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, wie der Musikverein offiziell genannt wird. „Wir versuchen auch jene Menschen, die sowieso seit vielen Jahren hier zu Hause sind, auch zu Programmen einzuladen, die sie früher nicht wahrgenommen hätten“, kommentiert Pauly das neue Interesse an Außergewöhnlichem in seinem Haus. 

2020 hat der gebürtige Deutsche die Intendanz des Musikvereins von Thomas Angyan übernommen. „Mein Vorgänger hat über 30 Jahre das Haus extrem erfolgreich positioniert“, bekräftigt Pauly. „Die große Tradition, die das Haus verkörpert, wird von uns leidenschaftlich gepflegt.“ Eine der zentralen Aufgaben aber sehe er darin, den Musikverein für ein neues Publikum zu öffnen und das angestammte mit Neuem vertraut zu machen.

Keine Preiserhöhung und Podcasts

Das geschieht mit neuen Formaten. Eines davon ist die Reihe „Nachklang“. Orchestermusiker des Hauptkonzerts können danach im kleineren Rahmen ihre solistischen oder kammermusikalischen Qualitäten vorstellen. Der Besuch aller an Konzerte gekoppelten Formate ist im Kartenpreis inbegriffen. Mit speziellen Formaten erreicht man auch vom Leben Benachteiligte. Für an Demenz Erkrankte wurde eine Konzertreihe eingerichtet. Mit Siegfried Meryns Cape 10 bietet man in einem auf fünf Jahre angelegten Projekt Konzerte für Kinder in Brennpunktschulen an. „Teilnahme an Kultur, am Fortschritt der Wissenschaften ist ein Menschenrecht. Das wissen viele nicht. Wir versuchen, mit künstlerischen Projekten Hürden abzubauen, mit sozialen Projekten und mit finanziellen Maßnahmen“, erklärt Pauly.

Zum ersten Mal seit Jahren werden die Abonnementpreise nicht angehoben. Für -unter 30-Jährige werden Karten zu stark vergünstigten Preisen angeboten. Die Zuwendungen der Stadt Wien (400.000 Euro) und des Bundes (475.000 Euro) sind nur ein kleiner Teil des Gesamtbudgets. „Die Subventionen sind entscheidend und sehr wichtig, aber nur ein kleiner Teil des Gesamtbudgets: Die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ist seit über 200 Jahren eine private Institution. Das heißt, wir sind auch wesentlich getragen von unseren Mitgliedern, von den Mitgliedsbeiträgen, von zahlreichen privaten Unterstützern, Donatoren und Unternehmen.“ Mit Nachdruck betont er: „Als private Institution können wir sehr frei agieren.“

Zentral sei die Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen. „Wir sind kein Elfenbeinturm, wir verstehen uns als Institution von heute“, verweist Pauly auf seine Künstlergesprächsreihe „Auf ein Glas mit …“, in deren Verlauf Künstler ihren Blick auf die Weltlage vermitteln. Alle Gespräche sind als Podcasts über Apple und Spotify abzurufen.

76 Abonnements werden in der kommenden Spielzeit angeboten. Auf dem Programm ist die Weltelite zu finden: Dirigenten wie Riccardo Muti, Christian Thielemann, die Grandes Dames des Klaviers Martha Argerich und Mitsuko Uchida, der Anfang des Jahres die Ehrenmitgliedschaft verliehen wurde, wie die Aufregendsten der jungen Generation. Igor Levit wird mit einem Soloabend an den 50. Todestag von Dmitri Schostakowitsch erinnern. Levits Schüler Lukas Sternath, dem Gewinner des renommierten ARD-Musikwettbewerbs, ist eine -Porträtreihe gewidmet. Khatia Buniatishvili kommt mit einem Solo-Abend.

Das ständige Lamento über die Dirigentenkrise oder das übereifrige Erfüllen von Quoten weist Pauly zurück. „Wir machen keinen -Unterschied. Genauso selbstverständlich wie Männer sind bei uns auch Frauen am Pult.“ Das Entscheidende sei Qualität, und die sei in der jungen Generation zu finden: Lahav Shani, Lorenzo Viotti, Joana Mallwitz, Elim Chan, um nur einige Beispiele zu nennen. Das ist praktizierte Gleichstellung.

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 © Bild: Matt Observe

Pläne mit dem RSO

Ist die Programmierung durch Kriege und Krisen schwieriger geworden? „Nicht schwieriger, aber es verlangt nach anderen Antworten. Die Kriege im Weltgeschehen haben nur eine einzige Auswirkung gezeigt, nämlich, dass bestimmte russische Künstler, die eine Nähe zu Putin gezeigt haben, nicht mehr eingeladen werden. Zum Beispiel Valery Gergiev. Wir spielen selbstverständlich russische Musik.“

Und der griechisch-russische Dirigent -Teodor Currentzis? „Ein fantastischer Künstler. In einer freien Gesellschaft, in der Redefreiheit herrscht, gibt es doch auch die Möglichkeit, sich nicht zu äußern. Ich sehe die Problematik eher darin, dass anscheinend einige seiner musikalischen Unternehmungen von russischem Geld unterstützt werden und dort keine Abgrenzung stattfindet. Ich möchte darüber nicht richten, muss aber die Fakten sehen, und deswegen sind wir, so wie viele andere Kulturinstitutionen auch, zu dem Beschluss gekommen, dass wir ihn nicht einladen können.“

Bleibt die Sorge um das Radio-Symphonieorchester RSO. Das RSO bekleidet eine unverwechselbare und unverzichtbare Position im Musikleben in Österreich. Es ist immer ein Herzstück unseres Hauses gewesen und das ist es immer noch. Ein Orchester, das wie wenige die Spannweite zwischen moderner zeitgenössischer Musik, klassischer Moderne und dem großen Standardrepertoire der Musikgeschichte abbilden kann, darf man nicht zerstören. Wir planen mit dem Orchester ungebrochen gemeinsam in die Zukunft.“ Da plant man als Besucher gern mit.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 16/25 erschienen.

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