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Stefanie Reinsperger: „Ich möchte mich herschenken“

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16 min

Stefanie Reinsperger

©Hilde van Mas

Vor zehn Jahren hat Stefanie Reinsperger das Burgtheater nach einer Spielzeit verlassen. Dabei hatte sie dort markante Erfolge gefeiert. Über die Salzburger Buhlschaft kam sie nach Berlin und wurde dort zum Publikumsliebling. Jetzt ist sie zurück an der Burg. Nach ihrem furiosen Liliom verkörpert sie in Mareike Fallwickls „Elisabeth!“ die zur Projektionsfläche gewordene Kaiserin.

So eine Heimkehr, nach so vielen Abgängen! Wo immer sie angetreten war, hatte die Schauspielerin Stefanie Reinsperger Preise über Preise und Außerordentlichkeitsbekundungen seitens der Kritik abgefangen. Aber 2014 reichte ihr ein Jahr Burgtheater, obwohl sie für ihre dortigen Leistungen zur Schauspielerin und Nachwuchsschauspielerin des Jahres gewählt wurde und zweimal zum Berliner Theatertreffen fuhr. Der Wechsel ans Volkstheater erwies sich als wenig ergiebig, und 2017 fing sie für die Salzburger Buhlschaft debile Hassbekundungen wegen ihres Äußeren ab. Von diesen und vergleichbaren Erfahrungen befreite sie sich 2022 mit dem Buch „Ganz schön wütend“. Da war sie schon fünf Jahre am Berliner Ensemble. Und wie sie dort gefeiert wurde!

Da fragte der große Heimholer Stefan Bachmann an, und deshalb spielt Stefanie Reinsperger, 37, seit Saisonbeginn wieder an der Burg. Die Anspannung im Dezember war enorm: Der Liliom, dieser unwiderstehlich verführende Unhold, in den Händen einer Frau? Stefanie Reinsperger spielte sich bis zur Selbstentstellung die Seele aus dem Leib, keiner, der dies seelenzarte Monstrum gesehen hat, wird es aus dem Kopf bekommen. Als dann das Premierenpublikum mitzuatmen und mitzufiebern begann und Ovationen spendete, die bis heute in glänzend besuchten Vorstellungen nach­klingen: Da war sie glücklich.

Die Karriere rast

Die Karriere rast jetzt dahin, das Pendeln ist Routine: In Berlin sind noch sieben Produktionen fertigzuspielen, im Dortmunder „Tatort“ ist sie ständige Ermittlerin, in Berlin die „Großstadtförsterin“, der ZDF-Mehrteiler „Die ­Affäre Cum-Ex“ läuft, David Schalko setzt „Braunschlag“ fort, und Mareike Fallwickls Roman „Die Wut, die bleibt“ soll mit Glück zum Film werden. Das Projekt liegt ihr am Herzen. Denn mit Premierendatum 11. April verkörpert Stefanie Reinsperger solistisch Fallwickls feministische „Elisabeth“. Sie selbst dachte zunächst daran, sich damit aus dem Vestibül langsam ins Akademietheater vorzuarbeiten. Aber die Direktion legt wegen Überbuchung des großen Hauses Zusatzvorstellungen ein.

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Stefanie Reinsperger

wurde am 30. Jänner 1988 in Baden bei Wien geboren und wuchs teilweise in Belgrad und London auf, da ihr Vater beim Außenministerium arbeitet. Nach der Ausbildung am Reinhardt-Seminar spielte sie drei Jahre in Düsseldorf, ehe sie 2014 ans Burgtheater kam. 2015 wechselte sie ans Volkstheater, 2017 ans Berliner Ensemble. Seit 2021 ermittelt sie als „Tatort“-Kommissarin Rosa Herzog. 2024 kehrte sie als Liliom ins Ensemble des Burgtheaters zurück.

 © Hilde van Mas

Wie empfinden Sie die Rückkehr ans Burgtheater?

Ich war sehr glücklich am Berliner Ensemble, das bin ich immer noch. Ich hatte da jetzt erst eben noch meine letzte Premiere, Brechts „Johanna“, die sehr emotional war, und ich darf meine Stücke weiterspielen. Aber nach neun Jahren hat man Lust auf andere künstlerische Zusammenhänge.

Gab es auch so etwas wie Heimweh?

Tatsächlich, sehr befördert durch Covid. Da habe ich gemerkt, mein Beruf, mein Leben, mein Pensum, das hat so ein hohes Tempo und so viele Wechsel. Da spürte ich schon Sehnsucht nach meinem Zuhause, nach meinen Strukturen, wo man anders zur Ruhe kommen kann.

Ist es hier jetzt einfach schöner?

Anders. Ich habe mich ja auch verändert. Ich bin älter geworden. Als ich hier zum ersten Mal gespielt habe, war ich noch ein Baby. Ich habe Erfahrungen sammeln dürfen und kann mich jetzt auch zu Wien und zu diesem Theater in ein anderes Verhältnis setzen. Ich war vor dem Liliom sehr aufgeregt. Ich hatte seit neun Jahren nicht mehr mit Kolleginnen geprobt, die ich nicht kenne, und mit niemandem, mit dem ich jetzt auf der Bühne stehe, je gespielt. Aber dieses Ensemble war das Beste, was mir zum Einstieg hätte passieren können.

Karlheinz Hackl war als Liliom einer Ihrer Vorgänger.

Der war mein Schauspiellehrer, und Franziska Hackl, seine Tochter, ist eine fantastische Kollegin. Es ist für mich ein kostbarer Schatz, mit ihr zu arbeiten, weil wir ein so ähnliches Verständnis haben, uns auszuliefern.

Wieso ist Ihr Liliom so ungeheuer brutal in seiner Zartheit?

Er kann aufgrund seiner Biografie, seiner Geschichte nicht liebenswürdig sein. Was er kann, ist das Brutale und das Laute. Und auf einmal steht da aber Julie vor ihm, ein Mensch, der sagt: Ich gehe aber nicht. Ich mag dich so, wie du bist. Das macht ihm Angst. Die Brutalität in dem Stück ist eben, dass das Zeitfenster fürs Glück ein sehr kleines ist. Das Glück ist ein Vogerl. Und dann hat er den Vogel nicht weggescheucht, er hat ihn halt abgeschossen, der Trottel.

Gibt es bei Ihnen ein Glückszeitfenster im Moment auch privat?

Für ein Privatleben habe ich generell wenig Zeit. Mein Glücksfenster ist, wenn ich kurz vor zehn hier bin, und dann höre ich schon die Technik wuseln. Es ist ein großes Glück, zu merken, wie viel Lust man im Haus auf diesen Abend hat. Wenn wir schon von Glücksfenstern sprechen, Mareike Fallwickl hat einen herrlichen, komischen, wütenden, traurigen, sehr klugen Text für mich geschrieben. Darüber bin ich glücklich.

Wer ist denn nun Ihre Elisabeth?

Gute Frage. Meine Zeit im Moment heißt Searching for Sisi. Aber wir benutzen Sisi auch. Wenn du dich als Sisi auf die Bühne stellst, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass dir ein paar mehr Leute zuhören als den vielen anderen Frauen, die auch vorkommen. Wir haben eine Sisi, die weiß, dass sie 127 Jahre tot ist und plötzlich im Burgtheater steht. Sie fragt sich, sind jetzt alle da, um mich anzuschauen? Ja, okay. Ich habe ein bisschen was beobachtet in der Zeit, in der ich im Orkus war. Über dieses Verfertigen der Gedanken beim Reden, um mit Kleist zu sprechen, stellt sie Dinge in ihrem Leben infrage. Es geht primär um Geschichtsschreibung und wie wir auf Geschichte zurückblicken, wie wir Geschichte schreiben und umschreiben. Heute, wo man einmal ein Wort weglässt und gleich die Schlagzeile eine andere ist. Das hat Mareike Fallwickl extrem fein und klug beobachtet und mir da eine ­gigantische Spielwiese geschrieben.

Dass man sich nach der Vorstellung nicht als Erstes denkt: Wo ist mein Auto? Das wäre mein Wunsch

Stefanie ReinspergerSchauspielerin
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Liliom. In Philipp Stölzls hoch emotionaler Regie fuhr Stefanie Reinsperger einen Triumph ein. Die Produktion läuft noch.

 © Tommy Hetzel/Burgtheater

Blickt Elisabeth auf ihr Leben oder auf die Geschichte des Feminismus?

Sie blickt auf ihr Leben zurück und kommt so immer wieder auf Geschichten von Frauen im Heute, aber auch Frauen in der Vergangenheit wie Karoline von Perin, die den ersten demokratischen Wiener Frauenverein gegründet hat. Mareike Fallwickls Bruder ist Historiker und hat sie mit reichlich Material für uns gefüttert.

Haben Sie Mareike Fallwickl zu diesem Stück inspiriert? Es ist Ihnen doch gewidmet, nicht?

Ich habe Arbeiten von Fritzi Wartenberg in Berlin gesehen, da haben wir uns angefreundet. Als es dann darum ging, ob ich ans Burgtheater komme, wurde ich gefragt, mit wem ich denn gerne arbeiten würde. Da habe ich ihren Namen genannt. Aber die Idee für Elisabeth hatten wir schon länger, da wussten wir noch gar nichts vom Burgtheater, da wusste noch gar niemand, dass Stefan Bachmann an die Burg geht. Das Schöne ist ja, dass wir in einer Zeit angelangt sind, wo tatsächlich wir Frauen Räume öffnen können. Das ist jetzt hier passiert, auch mit der Entscheidung, das auf den Spielplan zu setzen. Man kann der Direktion seine Ideen sagen, und es wird einem zugehört und auch Raum dafür gegeben. Dann ging es darum, wer das schreiben könnte. Ich bin schon länger in Kontakt mit Mareike, weil ich mit all meiner Inbrunst daran arbeite, dass ihr Buch „Die Wut, die bleibt“ verfilmt wird. Mögen die Fördergelder mit uns sein. So habe ich sie vorgeschlagen.

Wer ist denn nun diese Elisabeth?

Unsere ist eine Elisabeth, auf die Mareike Fallwickl schaut. Die Abgründe sind tief. Rein schriftstellerisch ist es auch eine große Hassliebe. Sie ist ja je nach Zeitgeist immer das, was wir gerade brauchen. Es wäre cool, wenn wir es so hinbiegen könnten, dass Elisabeth eine feministische Galionsfigur ist. Das geht sich aber nicht immer ganz aus.

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Mareike Fallwickl

Geboren 1983 in Hallein, studierte sie im Salzburg Sprachwissenschaft, arbeitete u. a. als Korrektorin und debütierte 2012 mit dem erotischen Frauenroman „Auf Touren“. Die Romane „Dunkelgrün“ und „Das Licht ist hier viel heller“ begründeten ihren Ruf als feministische Autorin. Ihr Roman „Die Wut, die bleibt“ (2022) wurde stark rezipiert, „Und alle so still“ (2024) blieb bei dem Thema.

Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Hof bei Salzburg.

 © Gyöngyi Tasi

Warum? Wegen ihrer Obsession, schön zu sein?

Das macht es ja so kompliziert mit ihr, aber andererseits macht es auch wütend. Man fragt sich, warum hast du dieses Schönheitsideal so hochgehalten für andere Frauen? Das ist das Antifeministische, das mich immer so aufregt. Sie ist Opfer und Täterin, herrlich kompliziert und alles andere als eindimen­sional. Und sie ist eine Projektions­fläche. Wir haben auch eine WhatsApp-­Gruppe, wo wir uns immer, wenn wir irgendwelche Souvenirs sehen, was schicken. Das Absurdeste bisher ist die Sisi-Feile, die man kaufen kann.

Viele projizieren wohl Ihre eigenen Wünsche, aus dem Leben auszu­brechen, auf Elisabeth, die immer wieder auf Reisen ging.

Das fand ich in meiner Kindheit toll. Heute denke ich, mit einem Gefolge von 30 Leuten und vier Millionen Euro Etat kannst du auch total leicht ausbrechen. Auch das Bild einer Mutter, die sich nicht um ihre Kinder gekümmert hat, ist so ein Bild, das auf sie projiziert wird. Aber sie war mit 15 verlobt und 17, als sie ihr erstes Kind ­bekam. In der Zeit, in der sie gelebt hat, war das völlig normal, dass man die ­Kinder abgegeben hat. Dabei wird oft ausgeblendet, dass sie selbst auch noch ein Kind war, als die ganze Hoffnung einer Nation auf sie projiziert ­wurde. Also da würde ich auch ausbrechen wollen.

Stimmt es, dass Sie als Kind die Sissi-Filme von Ernst Marischka geliebt haben?

Ich war Romy-Schneider- und Karl-Heinz-Böhm-Fan. Dann habe ich ein ­Sisi-Buch bekommen und war total enttäuscht, dass sie dort ganz anders aussah. Man konnte sich an dieser Geschichte nie satt erzählen. Aber Mareike geht es nicht darum, was Neues auf sie draufzupappen, sondern Schichten und Geschichten abzutragen.

Kommen wir auf die Gegenwart zurück. Wird sie gefährlich?

Wir leben in sehr düsteren Zeiten. Aber wir sind natürlich an diesem Theater in einer extrem privilegierten Position. In Berlin sieht es jetzt schon anders aus. Das Berliner Ensemble muss um vier Premieren kürzen und ist trotzdem immer noch ein sehr gesichertes Theater. Aber andere, wie das Rambazamba-Theater, wo Menschen mit Down-Syndrom arbeiten, sind am Ende.

Muss Theater politisch verkünderisch sein?

Theater ist an sich eine politische Veranstaltung, wir sind politische Menschen, politische Körper, die auf eine Bühne gehen. Aber interessanterweise werde ich das in Interviews zu einem Film nie gefragt. Was ich mir am meisten wünsche, ist, dass man nach einer Vorstellung nicht als Erstes denkt, wo steht mein Auto? Sondern dass man mit seinem Sitznachbarn ins Gespräch oder in eine heiße Diskussion gerät. Und dass man sich am Theater nicht anbiedert und nur gefallen will, sondern unangepasst bleibt und wütend.

Täusche ich mich oder verabschiedet sich die Postdramatik? Ihr Liliom spielt sich ja die Seele aus dem Leib.

Ich habe immer nur so gespielt, ich kenne das gar nicht anders. Das Unterkühlte, Distanzierte hat mich schon beim Zuschauen nie berührt. Als ich noch im Studium war und Niki Ofczarek und Birgit Minichmayr sah, dachte ich, genau das möchte ich mit jeder Faser machen. Ich möchte mich herschenken.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/25 erschienen.

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