Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre - zwei Charismatiker der Literatur - im News-Interview über ihr zweites Dialogbuch „Kein Grund, gleich so rumzuschreien“, über „Fabulierlust", „einsilbige Meisterschaft“, Trump, Musk, Moral und Trauer
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An einem Ostseestrand standen sich Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre zum ersten Mal gegenüber. Der Schweizer Gentleman und der deutsche Repräsentant der Popliteratur wurden Freunde.
Sie trafen einander zu Gesprächen, zeichneten sie auf und erkannten bald das literarische Potenzial ihrer Doppelconférencen. Jetzt erscheint bei Diogenes ihr zweites Dialogbuch, „Kein Grund, gleich so rumzuschreien“.
"Kein Grund, gleich so rumzuschreien“ ist schon Ihr zweiter Gesprächsband. Gab es einen Auslöser dafür?
Stuckrad-Barre: Freundschaft.
Suter: Wir haben einfach weitergeredet, und jetzt gibt es einen zweiten Band.
Herr Suter, Sie sprechen von der Fabulierlust Ihres Gesprächspartners, sich selbst attestieren Sie „einsilbige Meisterschaft“. Wie arbeiten zwei so unterschiedliche Schriftsteller zusammen?
Stuckrad-Barre: Das sind natürlich ironische Selbstbezichtigungen – einfach um anderen diese Mühe zu ersparen. Und ein bisschen ist es auch eine programmatische Setzung, somit zu signalisieren, wir spotten gerne über alles mögliche, beginnen damit aber zumeist bei uns selbst und haben da auch erst mal gut zu tun.
Lassen Sie es zu, dass einer den anderen korrigiert?
Suter: Ja, klar, denn wir betrachten beide diesen kreativen Prozess nicht als Heiligtum, sondern als Arbeit.
Stuckrad-Barre: Und als eine Form des Spielens. Gedankliches Pingpong. Die transkribierten Gespräche sind ja nur die erste Rohfassung, das Ausgangsmaterial. Die schriftstellerische Arbeit beginnt ja danach erst, wir schreiben beide daran herum, schicken es einander zigfach hin und her. Dann wird aus dem Pingpong eben Fernschach.
Sehen Sie sich selbst als Kunstfiguren?
Stuckrad-Barre: Im Schreiben sowieso. Auch sonst sind wir natürlich ein klassisches „Odd Couple“ – und im gemeinsamen Schreiben und bei gemeinsamen Auftritten kaschieren wir natürlich unsere jeweiligen Seltsamkeiten und spinösen Eigenheiten nicht, die Unterschiede auch in Wesen und Auftreten, sondern extrapolieren sie noch. Das ist der Komik zuträglich.
Im Buch ist vom Wagnis der Kunst die Rede.
Suter: Ich habe eine gewisse Distanz zum Begriff „Kunst“ und benutze ihn mehr im Zusammenhang mit Künstlichkeit. Das meine ich aber nicht abschätzig, eher als technischen Ausdruck. Ich habe dieses schweizerische Hemmnis, zu sagen, ich mache Kunst.
Stuckrad-Barre: Ich sehe Kunst nicht als parfümierenden Begriff, sondern als Umgang mit den Werkzeugen unseres Berufs, mit Sprache, Rhythmus, Melodie. Und in dieser Dialogform ist es eben ein Wagnis, sich in die Absichtslosigkeit hineinzuplaudern. Irgendwann erreicht man den Punkt, da spricht etwas aus einem heraus, was man gar nicht geplant, vielleicht niemals zuvor gedacht und formuliert hatte. Da beginnt das Unterbewusstsein zu sprechen, das Vorbewusste, da kann es lustig werden oder erschütternd. Und beides ist unbedingt brauchbar.
Das klingt nach Leonard Cohen, der in „Happens to the Heart“ singt: „I was always working steady, but I never called it art.“ Wappnet Sie das gegen Kritiker?
Suter: Ich bin ein großer Bewunderer von Cohen und das denke ich auch. Gegen Kritiker bin ich sowieso gewappnet. Von der Heiligsprechung des kreativen Prozesses halte ich nichts. Dass die, die Talent haben, das dann so mystifizieren, ist eine Form der Überheblichkeit, die ich verachte. Deswegen sage ich immer, Schriftsteller ist ein Beruf wie jeder andere. Das ist ein Handwerk. Manchmal sage ich mir aber auch augenzwinkernd: „Diesen Satz macht dir so schnell niemand nach.“ Aber das bleibt unter uns.
Als Ihr erstes Gesprächsbuch erschien, endete Trumps Präsidentschaft, jetzt erscheint das zweite und er kommt wieder ins Amt. Namentlich kommt er nicht vor, aber gibt es da eine versteckte Verbindung?
Stuckrad-Barre: Möglicherweise schon im Titel des Buches, also gar nicht mal so gut versteckt.
„Kein Grund, gleich so rumzuschreien“, ist das auch Ihre Antwort auf das in X verwandelte Twitter?
Suter: Ich spielte über Twitter mit meinen Lesern ein Poesie-Pingpong. Die besten Verse like ich, und die erscheinen dann animiert auf meiner Website. Jetzt wird nur noch auf meiner Homepage gespielt, nicht mehr mit dem Umweg über Trump und Musk.
Stuckrad-Barre: Als du bemerktest, dass viele deiner zuvor dort poetisch sehr aktiven Mitdichter in deinem Gefolge verstummten oder sich gar ganz von dieser Plattform verabschiedet zu haben schienen, war das nur ein weiterer Beweis für das, was ich nicht müde werde, zu betonen: Nazis können nicht dichten. Poesie ist nix für Nazis. Eigentlich ein schönes Ausschlusskriterium. Den Menschenfeind erkennt man an seiner Poesielosigkeit. Und natürlich will man an keinem Ort, auch keinem virtuellen Ort sich aufhalten, wo diese Leute sich allzu wohl fühlen.
Die Poesielosigkeit wird immer mehr in der Welt, erschreckend, nicht?
Stuckrad-Barre: Obacht vor so großen Thesen, speziell solchen, die vom Weltverfall handeln. Alles, was man tun kann, ist, in seinem eigenen Umfeld darauf zu achten, dass es da recht poetisch zugeht.
Schriftsteller, die Ihre Meinung auf Podien zur Weltpolitik äußern, nennen Sie Debatten-Muppets. Soll ein Autor zur Weltpolitik schweigen?
Suter: Ich betrachte es einfach nicht als Aufgabe des Schriftstellers, das zu tun. Aber wenn jemand etwas dazu sagen möchte, bitte. Ich verstehe zu wenig davon.
Stuckrad-Barre: Die Mittel der Literatur taugen doch zu viel interessanteren Äußerungen als zu solcherlei Eindeutigkeitsorgien auf dem O-Ton-Strich. Das hat immer einen starken Hau ins Lächerliche, und wenn sich Künstler so meinungsspuckend vor ihr Werk schieben und sich ergehen in politischem Rechtgehabe, beschädigt das automatisch deren Kunst. Es ist immer eine ästhetische Bankrotterklärung. Hau’s doch in deine Kunst rein! In marktwirtschaftlicher Hinsicht jedoch heiße ich es natürlich gut, wenn die Konkurrenz sich dergestalt selbst erledigt. Und ich verfolge es als Komödienzuschauer mit Begeisterung, wenn eine Schriftstellerdelegation aus einer Mehrzweckhalle verlautbaren lässt, dass sie der Nato jetzt mal Folgendes mit auf den Weg geben will. Ernste Gesichter, offener Brief, danach noch gemeinsam zum Griechen. Ich staune über den Mut dieser Leute, sich so dar- beziehungsweise bloßzustellen.
Dafür braucht man doch keinen Mut.
Stuckrad-Barre: Den Mut, sich lächerlich zu machen. Man erkennt den Zustand einer Demokratie doch recht gut daran, wie sie mit ihren Kritikern umgeht, mit der Freiheit von Meinungen, von Presse und Kunst. Das ist das Fieberthermometer für eine Demokratie. Und wir leben hier zum Glück in einer. Deshalb sollte man da ein bisschen behutsamer sein mit der Selbststilisierung.
Herr Suter, Sie erzählen die Geschichte eines Paters, der in einem Kloster Missbrauch aufgedeckt hat. Er wurde hinausgeworfen, der Täter konnte bleiben. Dieser Pater kommt einem als Held vor. Ist das Ihre Hommage an diesen Mann oder ein Lehrbeispiel für „der Unschuldige wird bestraft“?
Suter: Der Held war Pater Johannes, ein guter Deutschlehrer. Er fand meine Aufsätze immer so gut. Da ist man dann ziemlich schnell mal bereit, einen zum Helden zu machen, der einen selber gut findet. Aber wie in allem, was ich schreibe, ist auch das nicht allegorisch. Ich meine immer, was ich sage. Es gibt bei mir keine verpackten Lehrsätze. Meine Bücher fangen an der ersten Seite an und hören auf der letzten auf. Wenn sie weiterwirken, dann ist das nicht beabsichtigt. Ich habe diese Geschichte erzählt, weil sie mich beeindruckt hat. Klar könnte man sagen, ein typisches Weltthema, der Unschuldige wird bestraft und der Schuldige geht frei aus oder so. Aber das hier ist lediglich eine Anekdote.
Stuckrad-Barre: Und die ist in unserem Beruf der Meinungsäußerung immer vorzuziehen. Zumindest sehen wir das beide so, und diese Ähnlichkeit im Weltzugriff war es auch, die ziemlich schnell eine Nähe erzeugt hat zwischen uns. Wir haben eine ähnliche Berufsauffassung: Erzähl es gut, denk dir glaubwürdige Figuren aus mit einer ebensolchen Sprache – und lass die Leser in Ruhe mit Moral aus dem Discounter. Zumal die, die andere mit Moral behelligen und da sehr unerbittlich sind, doch zumeist die Allerschlimmsten sind. Martins Klosterschule ist ja da keine Ausnahme, sondern der Regelfall.
Absolut. Egal ob es darum geht, russische Künstler auszugrenzen oder jemanden zu maßregeln, der mit Gendersternen und Sprechpausen nicht klarkommt.
Stuckrad-Barre: Und in solchen Debatten gefällt mir keine Seite absolut. Aber da gibt es etwas Wunderbares, den Faktor Zeit. Veränderung ist gut und der Normalfall, und man muss einfach nur ein bisschen warten, wie sich die Sprache so entwickelt. Sprache lässt sich auf lange Sicht doch niemals diktieren, die ist wie Wasser, die findet immer ihren Weg.
Der Tod ist ein zentrales Thema im Buch. Herr Suter, wirkt sich die Trauer über den Verlust Ihrer Frau auf Ihr Schreiben aus?
Suter: Poetisch, meinen Sie? Nein, ich schreibe ja viele Songs für Stephan Eicher auf Schweizerdeutsch. Es kann sein, dass das eine oder andere ein bisschen melancholischer geworden ist, aber ich glaube nicht, dass der Dichter leiden muss, damit er schreiben kann. Da sind wir wieder bei der Theorie, die ich die Heiligsprechung des kreativen Prozesses nenne. Aber noch mal: Schreiben ist Handwerk.
Stuckrad-Barre: Da droht das Stoppschild Kitsch. Dass man dasitzt und sich überlegt: „Schreibe ich ein Gedicht oder ritze ich mir die Arme auf?“, ist Quatsch. Zum Schreiben muss man einen kühlen Kopf haben. Alles andere ist pseudopoetisch, zu viel Empfindung. Ich kenne klinische Depressionen, leider. Deshalb werde ich dieser Kitsch-Idee immer energisch widersprechen, man gehe als Schriftsteller lieber nicht zur Therapie, aus Sorge darum, dass man dort vielleicht die Verknotung lösen würde, die immer Motor des Schreibens war. Das ist Blödsinn. Wenn man wirklich depressiv ist, kann man tagelang nicht mal aufstehen. Das klingt bescheuert für alle, die das Glück haben, das nicht selbst erfahren zu haben. Die sagen: „Dann steh halt auf.“ Aber das geht eben nicht. Und dann ist auch nichts mit Schreiben. Also diese Idee vom leidenden Künstler, das ist ein deppertes Klischee, das ist wie in einer Werbung mit dem Surfbrett unterm Arm Kaugummi kauend und andere hübsche Menschen anlächelnd am Strand langzulaufen.
Gibt es Erfahrungen, auf die man im Alltag gern verzichten würde, von denen man jedoch als Schriftsteller profitieren kann?
Stuckrad-Barre: Aber jenseits von Depressionen, wenn einfach die Lebensfreude mal keine Purzelbäume schlägt, weiß man ja wenigstens, zum Erzählen später mal ist es gut. Stellen Sie sich vor: Sie kommen vom Einkaufen, es beginnt zu regnen, Sie schließen das Fahrrad ab, der Boden der Papiertüte reißt, die Buttermilch klatscht auf den Boden und färbt den gesamten umherkullernden Einkauf. Das ist doch die viel interessantere Ausgangslage, als wenn sie schreiben, ich schloss mein Fahrrad ab und brachte die Buttermilch in den Kühlschrank. In diesem Sinne also sind in unserem Beruf Probleme dein Freund.
Wo verläuft für Sie die Grenze des Erzählbaren?
Stuckrad-Barre: Bei der Langeweile.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2024 erschienen.
Martin Suter
wurde am 29. Februar 1948 als Sohn eines Ingenieurs in Zürich geboren. Mit 26 Jahren wurde er Creative Director der Werbeagentur GGK, gründete eine eigene Agentur und wurde Präsident des Art Directors Club in der Schweiz. In den Neunzigerjahren zog er sich aus dem Werbebusiness zurück und begann zu schreiben. Sein erster Roman, „Small World“, verschaffte ihm einen Platz auf den Bestsellerlisten. 2011 begann er eine Krimiserie mit dem Gentleman-Gauner Allmen als Ermittler. 2022 fertigte André Schäfer Die Dokumentation „Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit“. Der Autor betreibt seine eigene Website martin-suter.com.
Er lebt mit seiner Tochter in Zürich.
Benjamin von Stuckrad-Barre
Benjamin von Stuckrad-Barre
wurde am 27. Jänner 1975 in Bremen als Sohn eines evangelischen Pastors geboren. Er begann ein Studium der Germanistik, schrieb für die „FAZ“, „Die Welt“, „Stern“ und die „Berliner Zeitung“. Bis 2018 arbeitete er für Zeitungen aus dem Axel-Springer-Verlag. 1998 erschien seiner erster Roman, „Soloalbum“. Seine Auftritte als Moderator von Fernsehshows mit Künstlern wie Christoph Schlingensief verschafften ihm das Attribut des Popliteraten. 2023 erschien „Noch wach?“, ein Schlüsselroman über die „Bild“-Zeitung und deren ehemaligen Chefredakteur Julian Reichelt. Benjamin von Stuckrad-Barre ist Vater eines Sohnes und lebt in Berlin.
Das Buch
„Kein Grund, gleich so rumzuschreien“, Gespräche über Blumen, Piercings oder Rasenmähroboter, von Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre sublim, anarchistisch in Literatur gegossen.
Diogenes, € 26,80