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Piefke-Saga mit großem Orchester

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Im September übernimmt der Deutsche Jan Philipp Gloger das niedergefahrene Wiener Volkstheater. An der Volksoper inszeniert er die Operettendevotionalie „Im weißen Rössl“ mit Annette Dasch, Robert Palfrader und Harald Schmidt. Premiere ist am 7. 12.

Was für ein hinterhältiges, teuflisch gutgelauntes Stück das ist! Deutsch-österreichisches Fein- und Feindgefühl verharren da im labilen Gleichgewicht. Liebenswerte Gestalten wird man vergebens suchen, das Personal scheint die „Piefke-Saga“ zu antizipieren: Ein deutscher Kapitalist missbraucht den Urlaub im bekanntesten Beherbergungsbetrieb des oberösterreichischen Seengebiets, um seine Tochter gewinnbringend an den Sohn eines Konkurrenten zu verschachern. Die dilettantische Kopie habsburgischer Heiratspolitik scheitert kläglich, zumal sich das Original, nämlich Kaiser Franz Joseph, ordnend in die Ereignisse einbringt.

Am Ende bleiben die einander in Todfreundschaft verbundenen Ethnien unter sich: Zweimal zwei Deutsche, unter ihnen der halbdebile Sigismund und das lispelnde Klärchen, heiraten. Und das Hotel bleibt trotz anderer Ambitionen in österreichischer Hand, welche die Inhaberin ihrem Oberkellner reicht.

Der Regisseur Jan Philipp Gloger hat mit Ralph Benatzkys Operette „Im weißen Rössl“ seine Karriere begonnen, als sechzehnjähriger Hospitant in der Heimatstadt Hagen im Ruhrpott. Heute ist er 43 und der Benjamin unter den hiesigen Theaterleitern, ein umgänglicher, beredsamer Mann, vor dem sich weder sein Ensemble noch sein Publikum erschrecken muss.

Und der Kreis schließt sich im denkbar sensibelsten Moment: Gloger, derzeit Schauspielchef in Nürnberg, übernimmt im September das niedergefahrene Wiener Volkstheater. Vorgänger Kay Voges entweicht Richtung Köln.

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Wieder gemeinsam: Annette Dasch und Harad Schmidt traten schon 20222 in Millöckers "Dubarry" an der Volksoper auf. Gloger führte Regie.

 © Barbara Palffy/Volksoper

Da gleicht das „Weiße Rössl“ schon beinahe einem Bekenntnis. „Ich muss mich die ganze Zeit mit diesen beiden Kulturkreisen beschäftigen“, sagt Gloger, der schon zum Einstand der amtierenden Volksoperndirektion Millöckers Operette „Die Dubarry“ inszeniert hat. „Es gibt ja das Missverständnis, dass wir ein und dieselben sind, weil wir eine ähnliche Sprache benutzen. Aber das stimmt nicht im Geringsten.“ Noch im Endstadium der Proben arbeite er sich an der österreichischen Traditionsküche ab, per Google unter dem Tisch.

Das 1930 in Berlin uraufgeführte „Weiße Rössl“ glänzt da als Lehrmaterial: Der Altösterreicher Benatzky, der später aus Abscheu vor den Nazis in die Schweiz und dann nach Hollywood emigrierte, hat es mit je einem jüdischen Librettisten aus Österreich und Deutschland geschrieben. Es spielt in Österreich, ist aber eine Berliner Operette und wurde nach dem Verbot durch die Nazis 651-mal en suite in London und 223-mal am Broadway gezeigt. Musikalisch ressortiert es mitten in der wilden, lebenssüchtigen Atmosphäre der Berliner Zwischenkriegszeit, Foxtrott, Slowfox und Jazz wechseln mit selbstironischen Walzerpassagen.

„Das ,Rössl‘“, sagt Gloger, „ist eigentlich für Berliner geschrieben, die über sich selbst lachen können. Ich habe in der Schweiz studiert. Da wird man immer sehr freundlich behandelt, aber was die Leute hinter dem Rücken über einen sagen, weiß man nicht. Mit meinen österreichischen Freunden ist es immer möglich, sich auf liebevolle Weise gegenseitig in die Pfanne zu hauen, das liegt möglicherweise an einem ausgeprägten Sinn für Selbstironie“, unterbreitet der Volkstheater-Designatus der Stadt ein bilaterales Friedensangebot.

Seine „Dubarry“ an der Volksoper erregte durch ein überdimensionales Solo des gastierenden Harald Schmidt Aufsehen. Schmidt ist jetzt wieder am Werk, an den großteils improvisierten Umständen wird noch gearbeitet.

Als Kaiser wurde Robert Palfrader verpflichtet, und das ist eine kluge Maßnahme: Klar wird das „Rössl“ in die Gegenwart geholt, mit allen seinen versteckten klassenkämpferischen Spitzen und seinen degenerierten narzisstischen Kapitalisten. „Aber“, sagt Gloger, „es knirscht in Produktionen, die das ‚Rössl‘ in die Gegenwart holen, immer dann, wenn der Kaiser kommt, weil heute eben kein Kaiser kommen kann. Aber was ist, wenn ein Palfrader kommt und eigentlich nur Urlaub machen will, aber zum Kaiser gemacht wird?“

Und dann das Volkstheater! Jeden Tag hänge er sich hart in die Vorbereitungsarbeiten, versichert er. Mit dem Vorgänger, der sich kommod in der deutschen Blase eingerichtet hat, darf man ihn nicht vergleichen: Gloger ist ein namhafter internationaler Regisseur, der in London, Amsterdam, Zürich und Bayreuth („Der fliegende Holländer“, 2012) Opern inszeniert hat. Nächstens bringt er in Berlin mit Christian Thielemann Richard Strauss’ „Schweigsame Frau“ heraus. Seine Theaterengagements haben ihn nach München und Berlin geführt, in Düsseldorf beförderte er 2017 Elfriede Jelineks „Das Licht im Kasten“ zur Uraufführung, die erfolgreichste seiner sechs Auseinandersetzungen mit der Nobelpreisträgerin. Ein Szenenfoto hing bis zur Auflösung des Münchner Wohnsitzes über dem Küchentisch der Verfasserin.

Und jetzt? Ein lichtes, musikaffines Volkstheater hat er angekündigt. Aber auch der neue Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann fährt seine Erfolge mit musikalisch durchkomponierten Textgebilden ein. Und in der „Josefstadt“ wurde zuletzt sogar im Namen Tschechows gegrölt bis zum Hörsturz.

Da gehe es eben um Sondierung, gibt sich Gloger zum Bevorstehenden schweigsam. Sicher ist, dass das derzeit 21-köpfige Ensemble zu einem Drittel übernommen wird. Anders als bei Voges sind da keine Grausamkeiten zu befürchten – die aus Dortmund Mitgebrachten, die hier nie heimisch wurden, werden wohl nach Köln weiterziehen. Ein weiteres Drittel kommt jetzt aus Nürnberg, die anderen sind Neuengagements.

Zentrale Regisseurin wird Rieke Süßkow, die soeben mit Werner Schwabs „Übergewicht, unwichtig: Unform“ aus Nürnberg zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Ob dieses Engagement für den früh verstorbenen Grazer Radikalanarchisten auf den künftigen Volkstheater-Spielplan verweist? Zumal Gloger selbst außer sechsmal Jelinek auch Horvath, Schnitzler und Handke inszeniert hat? „Und Thomas Köck, einen besonders politischen Autor“, verweist er auf den Verfasser des FPÖ-kritischen Prosabandes „Chronik der laufenden Entgleisungen“. Köcks Texte wurden in ein Crossover-Projekt verwoben, mit allen Möglichkeiten des Mehrspartenhauses. „Der Kanon ist wichtig, aber nicht um jeden Preis. Es ist auch gut, dass wir ihn erweitern, Stücke ausgraben oder entdecken. Oder in Länder blicken, aus denen nicht so vieles gespielt wird. Man muss nicht aus Prinzip Kleist spielen.“

 

Nestroy und Wolfgang Bauer, beide aus der Mode, beide für das Volkstheater identitätsstiftend? „Der ,Talisman‘ ist ein starkes, hochpolitisches Stück über Vorurteile. Auch ,Magic Afternoon‘ ist ein tolles Stück, und Bauer darf nicht untergehen. Aber nicht, dass Sie denken, ich verrate Ihnen hier den Spielplan.“

Die Zensur im Namen der Korrektheit, ein dumpfer Kontrast zur anarchischen Zwischenkriegszeit, in der
das „Weiße Rössl“ seinen Weg nehmen konnte? „Ein Bewusstsein für gesteigerte Diskriminierungssensibilität ist gar nicht so schlecht. Ich sehe meine Generation da als Vermittler.“ Aber: „Wenn man gut miteinander umgeht, dann sollte man auf der Bühne und auf der Probe auch über Grenzen gehen dürfen. Das Theater muss drastisch sein dürfen. Ob man das jetzt beim ,Weißen Rössl‘ sieht, weiß ich nicht.“

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 © Matt Observe/News

Dürften nun George Tabori und Gert Voss den Othello nicht mehr schwarz färben? Er sei gegen „Blackfacing“, erwidert Gloger. Den Othello könnten aber Schauspieler jeder Hautfarbe und jeden Geschlechts spielen oder fünf gleichzeitig. Aber bekäme ein schwarzer Schauspieler im Ensemble nur den Othello zu spielen – „das fände ich schade“.

Zum Beispiel hätten sich im Verlauf der Jelinek’schen Uraufführungsproduktion zwei Schauspieler in schwarzer Farbe gewälzt, allerdings um Schatten zu werden. Eine eigens konsultierte „Person of Colour“ habe den Sanktus erteilt.

Ein Blick zurück noch, zum fast schon aufgezäumten „Rössl“, das seit Peter Alexander im Genre des Heimatfilms festsitzt. Hat sich der Begriff nicht einer garstigen Bedeutung angenähert?

„Heimat muss sich nicht auf nationale Identitäten beziehen. Ich habe viele Freunde, die keine nationale Identität brauchen, um Identität zu fühlen. Und das Ruhrgebiet, aus dem ich komme, ist eine sehr diverse Gegend. Dass man Heimat jetzt wieder so stark ans Nationale knüpft“, kommt er zum Grundsätzlichen, „ist beängstigend. In allen Ländern, in denen der Rechtsruck zu beobachten ist, gilt es, die Kultur zu verteidigen, vor allem als Differenzierungsmaschine, als Ort, wo Sprachkultur, Zuhören, differenziertes Sprechen und Streiten gepflegt wird. Und wo damit so etwas wie Gemeinschaft entsteht. Im besten Fall eine Gemeinschaft der Unterschiedlichen.“

Die könnte auch das Volkstheater ums Überleben gebrauchen.

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