Der Schauspieler Philipp Hochmair ist der neue Jedermann. Ein Gespräch über die meist diskutierte Rolle des deutschsprachigen Theaters und Hofmannsthals Kapitalismuskritik
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Vor mehr als zehn Jahren, 2013, war Philipp Hochmair zum ersten Mal der Jedermann in Salzburg. Für das Young Directors Project, einen Wettbewerb für junge Theatermacher, hatte er seine Fassung „Jedermann Reloaded“ ersonnen. Hochmair übernahm in seiner Solo-Performance die zentralen Rollen und wurde ausgezeichnet. Seither gastiert er damit an den bedeutendsten Häusern. Am 9. August zeigt er seine Fassung auf der Burg Clam in Oberösterreich.
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Ihren ersten Jedermann zeigten Sie in Salzburg beim Young Directors Project. 2018 dann Ihr Einspringen. Wie ist es für Sie jetzt wirklich der Jedermann zu sein?
Das Einspringen kam wie ein Faustschlag. Jetzt muss ich wirklich drei Monate hier verbringen. Diese Aufgabe muss man mit Gewissenhaftigkeit erfüllen.
Beim Einspringen hätten Sie doch nur gewinnen können?
Das sagt man im Nachhinein. Ich hätte auch so verlieren können, wie es nur so knallt. Aber ich kannte dieses Stück bereits, ich hatte es im Herzen und konnte dann einspringen, weil das niemand sonst so parat hatte. Ich hatte auch einen gewissen Welpenschutz, der ist jetzt aber weg.
Wie hat Sie der Jedermann geprägt?
Das Verhältnis zum Tod ändert sich natürlich. Dieser Jedermann ist am Höhepunkt seiner Kräfte. Er ist voller Elan. Er ist natürlich auch ein Narzisst, aber er liebt diese Frau, erlebt das größte Glück und fällt plötzlich bei seiner Geburtstagsparty einfach um. Der Gedanke, dass wir jederzeit sterben können, der war mir so vorher nicht präsent. Da denkt man, man habe noch viel Zeit vor sich und dann lehrt einen ein Jedermann, es kann in dieser Sekunde vorbei sein. Was man nur als Vorfilm wahrgenommen hatte, war schon längst der Hauptfilm.
Macht Ihnen das nicht manchmal Angst?
Die Kunst ist ja, die Angst nicht in den Vordergrund zu schieben. Aber daraus entsteht Demut und eine Dankbarkeit. Ich bin dankbar, dass ich schon so viel erleben durfte. Und wenn ich noch mehr erleben darf, bin ich noch dankbarer. Aber wenn es jetzt so weit wäre, würde ich als glücklicher Mensch von dieser Erde scheiden.
Wie würden Sie Jedermann-Kritiker von der Qualität des Stücks überzeugen?
Ich verstehe die Kritiker, aber ich würde Ihnen ein Beispiel geben. Ich habe als Kind bei einem Bauern eine Süßspeise gegessen, die hieß "Besoffener Kapuziner". Das ist ein grober Kuchen, der im Most schwimmt. Jahre später aß ich den gleichen Kuchen in einer Konditorei in Gmunden, feinstes Backwerk in Amaretto getunkt. Beide Versionen des gleichen Kuchen hatten etwas Besonderes. Ich meine damit, man kann den Jedermann 1:1 lesen, aber auch in seiner Komplexität. Es ist sicher eines der zehn wichtigsten Stücke der Weltliteratur, und diese Ansicht werde ich bis an mein Lebensende verteidigen.
Spüren Sie schon die Last dieses Amtes, wenn Sie durch Salzburg gehen?
Das Publikum liebt einen dafür, dass man dieses Amt annimmt. Ich fühle mich als eine Art Jedermann-Minister. Man ist schon eine Art Würdenträger. Diese Würde muss man auch tragen und umsetzen.
Wie ist die Arbeit mit Regisseur Robert Carsen?
Wirklich gut. Ein ganz genauer, sehr gut vorbereiteter Regisseur, der wirklich in die Tiefe der Materie rein will. Ich bin an einem neuen Punkt angekommen. Ich bin jeden Tag sechs, sieben Stunden auf der Probe. Das war für mich jetzt eine harte Schule. Dass mir jemand sagt, das hast du anzuziehen und da hast du so hinzugehen, kenne ich seit Jahren nur noch aus dem Film. Carsen hat einen sehr filmischen Ansatz. Dadurch, dass er Kanadier ist und Deutsch nicht seine Muttersprache ist, und er sich dadurch auch nicht in der Tradition der österreichischen Theatergeschichte zu „Jedermann“ einordnet, hat er einen ganz anderen Zugriff und einen frischen internationalen Blick darauf. Das gibt mir selbst auch ganz neue Impulse.
Sehen Sie „Jedermann“ heute anders als vor zehn Jahren?
„Jedermann“ ist in Krisenzeiten das Stück der Stunde. In Anbetracht des Rechtsruckes in Europa, dass Trump in den USA wieder gewählt wird, des Kriegs in der Ukraine, der Umweltkatastrophen, gibt kein besseres Stück. Sein anti-soziales Verhalten ist genau das, was Jedermann sein Leben lang angetrieben hat und was er am Ende seines Lebens als seinen großen Fehler erkennen muss. In Anbetracht der Flüchtlingsproblematik und der Umweltkatastrophen ist ein gebendes soziales Denken der einzig gültige Schlüssel, die Probleme zu lösen. Europa zu trennen und wieder auf die Einzelstaaten zu zerschlagen und nur auf sein eigenes Recht zu pochen, ist der größte Fehler, den man machen kann.
Das klingt, als sehen Sie „Jedermann“ als Kritik am Kapitalismus?
Das ist es. Den Stoff des „Jedermann“ gab es schon im Mittelalter. Die Gier, das Raffen von Eigentum, das permanente Streben nach Bigger! Better! Faster! More! ist wahrscheinlich ein Urtrieb des Menschen. Das unterscheidet ihn vom Tier. Jedermann hat in seiner Gier nach Geld und nach Ruhm seine soziale Komponente abgeschafft und muss am Ende seines Lebens erkennen, dass das sein größter Fehler war. Er ist zwar ein reicher Mann, das heißt: reich an Gütern, nicht reich an Glauben und an guten Werken, wie das da so schön heißt im Stück. Das Leitmotiv des Stückes ist nach meinem Empfinden die Motivation, Gutes zu tun, wieder wach zu rufen.
Stimmt es, dass Sie derzeit eher asketisch leben? Sind das bereits die Auswirkungen des Stücks?
Das ist eine sehr rührende Interpretation, die geht mir sehr nahe. Die Realität ist eine andere. Ich muss mich einfach physisch schützen, weil eine große körperliche und geistige Anforderung an mich gestellt wird. Jeden Tag mehrere Stunden proben, und das sechs Tage die Woche, das geht an die Substanz. Und ich muss sehr viel Text lernen, weil wir viele Streichungen wieder aufgemacht haben. Ich bin zehn Jahre lang mit meiner eigenen Fassung aufgetreten, die ich sehr gut kenne und beherrsche. Aber wenn man dieser eigenen Fassung, die zehn Jahre lang in mein Fleisch und Blut übergegangen ist, dann Text hinzufügt, ist das vielleicht schwieriger, als wenn man alles von Null auf lernen muss.
Spielen Sie Ihren „Jedermann reloaded“ trotzdem jetzt weiter?
Ja, sogar parallel. In der Burg Clam am 9. August werde ich ein großes Konzert mit Gästen geben. „Jedermann Reloaded and Friends“ nennt sich das Konzept, wo ich Musiker und Schauspieler einlade, die sich mir schenken, damit parallel zum Stück auf dem Domplatz ein großes Fest feiern. Der 9. August ist der sechste Jahrestag meines Einspringens. Das wird für mich auch physisch eine große Herausforderung. Ich werde vorher noch in Gmunden auf einem Open Air vor 2000 Leuten Schiller-Balladen aufführen.
„Jedermann reloaded“ auf der Burg Clam, OÖ: