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Osterfestspiele Salzburg: „Chowanschtschina“ – als denkwürdiges Abbild der Gegenwart

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4 min

Vitalij Kowaljow als Fürst Iwan Chowanskij

©Ines Bacher/Osterfestspiele

Regisseur Simon McBurney setzt Mussorgskis gigantisches Opernfragment wie einen Thriller in Szene.

Seltsame, nahezu unheimliche Geräusche dringen von allen Seiten in den Saal. Auf der Bühne erscheint die Projektion eines Eisenreliefs. Ein Szenario wie man es sonst nur aus dem Kino kennt, wenn sich der Held in Gefahr begibt. Durch den Sound fühlt man sich selbst mitten im Geschehen. So beginnt Modest Mussorgskis Opernfragment „Chowanschtschina“ bei den Osterfestspielen Salzburg. Ursprünglich hätte diese Produktion in Zusammenarbeit mit dem Moskauer Bolschoi entstehen sollen, doch dann kam der Krieg in der Ukraine. Die New Yorker Metropolitan Oper wurde als neuer Partner gefunden.

Mussorgski erlag seiner Alkoholsucht, bevor er die Oper fertigstellen konnte. Die Orchestrierung übernahmen zuerst Rimsky-Korsakow und dann Schostakowitsch, Strawinsky komponierte das Finale. Für die Salzburger Aufführung fertigte Gerard McBurney, der Bruder des Regisseur der Produktion, eine Art Brücke zwischen Schostakowitsch und Strawinsky.

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Matthew White und Nadezhda Karyazina

 © Ines Bacher/Osterfestspiele

Alles ist bei dieser Produktion präzise auf die Musik abgestimmt. Die illustriert zu Beginn einen Sonnenaufgang auf dem Roten Platz in Moskau. Auf einer schrägen Fläche treten die ersten Bewaffneten auf. Sie tragen Maschinengewehre, Munitionsgürtel, Pannenjacken. Regisseur Simon McBurney verlegt das Geschehen aus dem 17. Jahrhundert in die Gegenwart.

Sein Konzept geht auf. Denn Mussorgski erzählt von sich ständig wiederholenden Gräueln. Ausgangspunkt seiner Oper ist der Strelitzen-Aufstand im Jahr 1682. Konservative Fürsten wollen gegen Zar Peter, der später der Große genannt wird, aufbegehren. Andere wollen das verhindern. Eine Sekte, die Altgläubigen genannt, unterstützt die Konservativen. Ein anderer Fürst will engere Verbindungen zwischen Russland und Europa herstellen. Alle wollen Macht, egal, wie viele Menschenleben das kostet. Wie einen Thriller zeigt McBurney das vertrackte Jeder-gegen-Jeden. Bereits 2007 bei den Wiener Festwochen verblüffte der gebürtige Brite mit außerordentlichen Produktionen wie „The diappearing number“.

Oper inszeniert er nur sehr selten. Das merkt man dieser Arbeit aber nicht an. Jede Szene folgt präzise der Partitur. Akkurat ist die Personenführung. Im titelgebenden Chowanski sind mehrere Figuren der Gegenwart zu erkennen. Er ist russischer Oligarch, tritt wie der ukrainische Präsident auf, wenn er sich seinen Anhängern zeigt. Die nennen ihn Chef und Boss. Sein Bodyguard trägt eine Kappe mit Hörnern, wie man sie bei den rechten Kapitol-Stürmern in Washington gesehen hat.

„Chowantschina“ ist schwer zu übersetzen, etwas wie die „Sache Chowanski“ wäre adäquat. Eine der zentralen Figuren ist Marfa. Sie gehört der Sekte der Altgläubigen an, die sich am Ende selbst verbrennen, weil sie unter dem Zaren um die Existenz ihrer Glaubensgemeinschaft bangen. McBurney lässt sie wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt immer wieder auftauchen und verschwinden.

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Daniel Okulitch als Schaklowityi

 © Tim Visser Design

Dirigent Esa-Pekka Salonen führt das Finnish Radio Orchestra an seine Grenzen, das Prächtige dieser Musik wird nicht überbordend entfaltet. Aber das gleicht er mit Genauigkeit aus. Er versteht es, das Besondere aus dieser Partitur hören zu lassen. Manches klingt wie Wagner, andere Passagen wie Filmmusik und Lieder, die Sänger einladen, sich zu präsentieren. Vitalij Kowaljow beeindruckt als expressiver Chowanski. Thomas Atkins überzeugt darstellerisch und vokal mit seiner hell timbrierten Tenorstimme. Matthew White ergänzt als Golizyn. Daniel Okulitch hält sich auch bei seinem Monolog als Schaklowityi zuürck. Nadezhda Karyazinas ist eine hingebungsvolle Marfa. Ain Anger ist ein routnierter Dosifej. Natalia Tanasii ergänzt tapfer als Emma. Das Premierenpublikum akklamierte zurecht diese denkwürdige Aufführung.

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