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Raphaël Pichon: Auf Bachs Spuren

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Raphaël Pichon

©Julia Wesely

Charisma und Mut attestiert Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele, dem Franzosen Raphaël Pichon. Das Konzerthaus widmet dem Dirigenten eine eigene Reihe. Ein Gespräch über die Botschaft der Musik und die Sorge um die jüngste Generation.

Für Markus Hinterhäuser, den Intendanten der Salzburger Festspiele, ist Raphaël Pichon eine der großen Entdeckungen der vergangenen Jahre. „Es gibt wenige, wenige Musiker, die mit solchem Charisma gesegnet sind, aber er trägt das nicht aufdringlich vor sich her. Er vermittelt Musik auf eine ganz natürliche Weise. Intelligenz, Wissen, Mut und ein starker musiktheatralischer Instinkt zeichnen Pichon als großen Interpreten aus“, beschreibt Hinterhäuser den 40-jährigen französischen Dirigenten. In diesem Sommer hat er Pichon und sein Originalklangensemble Pygmalion mit Mozarts fragmentarischer Oper „Zaide“ betraut.

Das Wiener Konzerthaus widmet dem gebürtigen Pariser in dieser Spielzeit eine eigene Konzertreihe. Den Auftakt gibt Pichon am 10. April 2025 mit Bachs „Johannespassion“, einem Werk, das sein Leben verändert hat, wie er im Gespräch mit News erklärt. Er war neun, als er in einem Knabenchor die Mysterien von Bachs Werk leibhaftig erlebte. Zunächst durch die Entdeckung der Bach’schen Mehrstimmigkeit.

Bach als Schock

Dass er zu einem kleinen Glied dieser Polyfonie wurde, empfand der Bub, der bereits Geige und Klavier lernte, als veritablen Schock. Dann war es die Art, wie in der „Johannespassion“ vom Leiden Christi erzählt wird, nämlich gleichsam als Augenzeugenbericht. „Johannes will, dass wir diese Geschichte in unseren Eingeweiden spüren. Man ist zugleich Opfer und in dieser Menschenmenge, die Jesus verurteilt, auch Henker. Ich habe das als Kind alles noch nicht so verstanden, aber ich fühlte den Schock, den es in mir ausgelöst hat“, sagt Pichon. Der Eindruck ließ ihn nicht mehr los. Als Teenager beschloss er dann, selbst Musiker zu werden.

2006, noch während seines Studiums am Pariser Konservatorium, gründet er das Ensemble Pygmalion, ein Originalklangorchester samt Chor. Dabei geht es ihm nicht darum, den Klang vergangener Zeiten authentisch nachzuahmen, sondern mit seiner Interpretation möglichst nahe an die ursprüngliche Botschaft eines Werks zu gelangen. „Man darf nicht glauben, dass historische Instrumente ein Konzert besser machen. Aber die Instrumente heute fügen dem Klang etwas hinzu. Die historischen begehen keinen Verrat. Das ist so, als würde man eine andere Sprache sprechen. Mir geht es um das Wiederfinden der wahren Sprache, der Grammatik, des wahren Vokabulars“, beschreibt Pichon den Vorgang.

Der Mut von Harnoncourt

Dieses Fahnden nach Wahrheit erinnert an Nikolaus Harnoncourt, den bedeutendsten Wegbereiter dessen, was heute unter dem Begriff Originalklang firmiert. Natürlich habe er dessen Aufnahmen studiert, so Pichon. „Ich bin fasziniert von dem, was er gemacht hat. Aber es gibt einen grundlegenden Unterschied. Harnoncourt gehört einer Generation an, die einen außergewöhnlichen Mut hatte. Der bestand darin, alles aufzugeben und von vorne anzufangen, selbst auf die Gefahr hin, am Ende am Rand der Gesellschaft zu stehen. Der Erfolg kam, aber erst später. Diesen großen Moment des Umbruchs haben wir nicht erlebt. Menschen wie Harnoncourt haben uns den Weg geebnet. Deshalb haben wir ihnen gegenüber eine Verantwortung.“

Ihn interessiere es, herauszufinden, was die Musik und die Noten auf unseren Partituren über die heutige Zeit aus-sagen. Die „Johannespassion“, kommt er auf den Ausgangspunkt des Gesprächs zurück, sei eine universelle Geschichte von Verrat, Vergebung, Mitgefühl und Versöhnung. „Dieses lodernde Licht, diese triumphale Musik, die uns Johann Sebastian Bach bietet, ist ganz und gar einzigartig.“

In logischer Konsequenz widmet er auch das 20-jährige Bestehen seiner Formation dem Komponisten. Das aber sollte mit etwas Außergewöhnlichem geschehen. Die 20 Jahre sollten in Relation zum Komponisten stehen. Also recherchierte er, was der 20-jährige Bach gemacht hat. Der hatte seine erste Stelle als Organist im thüringischen Arnstedt angetreten, war aber mit sich selbst nicht zufrieden. Bach erbat sich Urlaub, um den großen Meister Dieterich Buxtehude in Lübeck aufzusuchen. „Mitten im Winter war er von Arnstedt nach Lübeck aufgebrochen.“ Diesen Weg will Pichon mit seinen Musikern und seinem Chor zum Jubiläum verfolgen. Er ersann das Projekt „Les Chemins de Bach“ („Die Wege von Bach“). Heißt: Er verfolgt mit seiner Truppe Bachs Weg von Arnstedt nach Lübeck. Man bewegt sich wie der Meister zu Fuß fort, manche Strecken legt man auch auf dem Fahrrad zurück. Aus pragmatischen Gründen geschieht dies jedoch im Sommer. Die ersten 160 Kilo-meter durch Thüringen wurden bereits im Vorjahr absolviert. Nach Gastspielen in Städten wie Moldsdorf oder Dornheim begleiteten sogar Konzertbesucher die musikalischen Wanderer. Fortsetzung folgt im Jubiläumsjahr 2026. Der Fernsehsender Arte und der Radiosender France musique dokumentieren die Unternehmung.

Ein anderes, kleineres Jubiläum steht im Juni an. Vor fünf Jahren, mitten in der Pandemie, gründete Pichon in Bordeaux das Sommerfestival mit dem Titel „Pulsations“. In der aktuellen Ausgabe wird er die französische Fassung von Bohuslav Martinůs Oper „Griechische Passion“ szenisch aufführen.

Sorge um die Jüngsten

Bevor sich das Gespräch dem Ende zuneigt, ein Wort noch zur immer beklemmender werdenden Lage in Zeiten immer geringer werdender Subventionen, gar eines drohenden Börsenkrachs. Seine Sorgen betreffen eher die jüngsten Generationen. „Was mich beunruhigt, ist, dass es heute wahrscheinlich unmöglich geworden ist, ein Projekt wie Pygmalion zu beginnen. Es fehlen in der Politik Visionen. Heute geht es nur noch ums Überleben. Das geht auf Kosten der Kultur, der die Möglichkeiten geraubt werden, sich zu regenerieren. Das wird dazu führen, dass unsere jungen Generationen Schwierigkeiten haben, unsere Welt lesen zu können. Ich habe kein Wundermittel, aber eines wäre, dass auch die Politik an die Kraft der Musik, an die Kraft der Kunst glaubt. Und dann muss sie Entscheidungen treffen, um die Entwicklung der jungen Generationen zu fördern.“

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 © Julia Wesely
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/25 erschienen.

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