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Leon de Winter: „Die Juden werden Europa verlassen“

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13 min
©Uwe Zucchi / dpa / picturedesk.com
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In seinem jüngsten Roman „Stadt der Hunde“ schildert der Schriftsteller Leon de Winter, wie der Friede zwischen Juden und Arabern Wirklichkeit werden könnte. Dann kam der 7. Oktober. Ein Gespräch über Antisemitismus, rechte Judenfreunde und linke Judenfeinde.

 

Der Amsterdamer Gehirnchirurg Jaap Hollander ist besessen von seinem Beruf. Sein virtuoser Umgang mit dem Skalpell verschafft ihm weltweite Reputation. Als Sohn jüdischer Eltern in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hat er es weit gebracht. Doch das bedeutet ihm nichts mehr, als seine 18-jährige Tochter Lea von einer Israel-Reise nicht zurückkehrt. Sie wollte Jüdin werden wie er.

Als die Behörden Lea für tot erklären, will sich Hollander nicht damit abfinden. Jahr für Jahr reist er nach Israel, um sein Kind zu suchen. Bis er im nächtlichen Tel Aviv die holländischen Worte „Meneer? Meneer?“, was so viel heißt wie „Mein Herr, mein Herr“, vernimmt. Hollander glaubt zu halluzinieren. Denn plötzlich steht ein Hund vor ihm. Höflich bittet ihn der um Wasser, stellt sich als Ibrahim vor und verspricht ihm, ihn zu seiner Tochter zu führen.

Rasant wie eine Netflix-Serie

Eine Szene wie aus einer surrealen Netflix-Serie. Doch Jaap und der Hund Ibrahim sind Geschöpfe des holländischen Bestseller-Autors Leon de Winter und zentrale Gestalten in seinem jüngsten Roman „Stadt der Hunde“.

Mit seinen 70 Jahren zählt de Winter zu den meistgelesenen Schriftstellern der Niederlande. Von seinen Romanen werden Millionen Exemplare verkauft. Das wundert nicht, denn de Winter erzählt mit fulminantem Furor Geschichten von extremer Sogwirkung. Die tritt auch ein, wenn er schildert, wie seine Geschichten entstehen. Das bewahrheitet sich gleich, als News ihn in seinem holländischen Domizil erreicht. Niemand anderer als die Hunde in Tel Aviv hätten ihn zu Jaap Hollanders Geschichte inspiriert, erklärt er. „Die Hunde dort benehmen sich besser als Menschen, da gibt es keine Aggressionen. Ich wusste, über diese Wesen werde ich einmal schreiben. Doch es dauerte Jahre, bis ich so weit war, dieses Märchen zu erzählen.“

Friede trotz Terror

Im Sommer 2023 während eines Israel-Aufenthalts sei er dann dazu bereit gewesen. „Sie haben keine Ahnung, wie glücklich mich das gemacht hat. Ich lebte wie ein Mönch, stand morgens um sechs Uhr auf, nahm zwei Kaffee zu mir.“ Nach einem Spaziergang oder einer Radtour legte er los. Wie in einem Rausch habe er geschrieben. Zwei Monate lang. So intensiv habe er das noch bei keinem Roman erlebt.

Am 25. September 2023, zu Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, fehlte ihm nur noch das Ende. Normalerweise halte er keine Feiertage ein, erinnert er sich, aber diesmal wollte er einmal ruhen. Allerdings holte ihn der Roman dann doch an den Schreibtisch zurück. „Ich schrieb das Ende und wurde gleich am nächsten Tag dafür bestraft.“ Auf dem Weg zu einem Café in Jaffa wurde er von einem E-Roller angefahren. Die Folgen: Beinbruch. Sein Aufenthalt in Israel endete jäh. „Mit einem Gips, der sich zentnerschwer anfühlte, flog ich zurück nach Holland.“ Wenige Tage später geschah dann das Unfassbare, der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober. War damit auch für ihn nicht alles anders? Im Roman behandelt sein Gehirnchirurg eine saudische Prinzessin, die dafür Frieden zwischen Juden und Arabern schaffen soll. „So ein Märchen hätte ich nach dem 7. Oktober nicht mehr geschrieben“, sagt de Winter. Dennoch gibt er die Hoffnung nicht auf, hält einen Frieden zwischen Saudi-Arabien und Israel für möglich. „Nicht, dass man den Islam liberalisieren kann“, schränkt er ein. „Aber die Beziehungen zwischen Israel und den Golfstaaten sind auch jetzt, nach allem, was da in Gaza passiert ist, stark und offen. Beide Seiten sind davon überzeugt, dass man weitergehen sollte. Es gibt eine Synagoge in Abu Dhabi, einen Supermarkt mit koscheren Waren. Das bedeutet etwas, und das will die Hamas verhindern. Aber ich sehe, dass die Kräfte der Versöhnung stärker sind.“

Trump – ein Oberkomiker

Was aber, wenn nicht alle Geiseln frei kommen und Trump tatsächlich im -Nahen Osten die Hölle entfacht? Der sei doch ein Oberkomiker, beruhigt de -Winter. „Und“, fügt er hinzu, „vergessen Sie nicht, Trump ist auch Geschäftsmann. Er wird immer zu viel versprechen und zu viel verlangen. Stellen Sie sich ihn doch einmal als Autoverkäufer vor. Er wird Ihnen die Garantie geben, dass nichts mit dem Auto passieren wird. Und selbst dann, wenn es bereits an der nächsten Ecke kaputtgeht, hat er Sie beim Verkauf überzeugt. Wenn er jetzt ernsthaft davon spricht, Kanada in den 51. Staat der USA zu verwandeln, nehmen Sie das nicht ernst. Er übt doch nur Druck auf den Handel aus. Das Gleiche gilt für Grönland, womit er versucht, Druck auf die EU auszuüben, und das gilt auch für Mexiko. Er ist ein Meister in solchen Dingen. Wenn man sich das vor Augen hält, kann man mit ihm -umgehen. Außerdem“, fügt de Winter hinzu, „gefällt mir die Art, wie er tanzt. Können Sie sich vorstellen, dass der die mächtigste Person der Welt ist? Ist das nicht wirklich lustig? Und ganz ehrlich, was kann er denn tun, wenn er im -Nahen Osten die Hölle losbrechen will? Nichts, außer Druck ausüben. Man sollte ihm zuhören, als wäre er ein Dichter, aber ein sehr einfacher.“

Europa ohne Juden

Wie aber erlebt der Sohn jüdischer Eltern, die den Holocaust in einem Versteck überlebten, den linken Antisemitismus? „Den gab es schon bei der RAF. Aber er ist heute stärker geworden“, konstatiert er. Die Rechtsradikalen wiederum hätten gelernt, sich ein bisschen nuancierter auszudrücken. Er vertraue noch immer auf die Vernunft der meisten Menschen.

„Ich kenne viele Politiker hier in -Holland und weiß, wie sie reden, wenn keine Journalisten in der Nähe sind. Sie interessieren sich für die Situation der Juden. Ich denke auch, dass die meisten Politiker in Europa keine Antisemiten sind, ob wir sie mögen oder nicht. Und wahrscheinlich auch nicht die neuen Leute da in Österreich. Ich habe noch nichts Judenfeindliches von ihnen gelesen.“

Dass Rechte wie Marine Le Pen sich jetzt als Freunde der Juden präsentieren, sieht er gelassen, selbst wenn das Strategie sein sollte. Man kann es sich nicht leisten, sich seine Freunde auszusuchen. Als Jude muss man lernen, zur richtigen Zeit ruhig zu sein. Und was Le Pen betrifft, ihr Vater war Antisemit, da hat sie gesehen, dass das nichts bringt.“

Neu seien in Europa die großen Gruppen junger Muslime. „Das ist das eigentliche Problem. Das macht Angst. Wenn wir diesen kulturellen, religiösen Trend in Europa nicht stoppen können, wird es in Europa bald keine Juden mehr geben.“ Das muss erklärt werden. „Die Juden werden Europa verlassen, denn es wird unmöglich sein, hier ein unschuldiges Leben als erkennbarer Jude zu führen. Nicht wegen der Menschen hier, sondern wegen des wilden Verhaltens zu vieler junger männlicher Muslime in Europa. Und zusammen mit der radikalen Linken wird es schwierig sein, das zu verhindern, aber das ist keine jüdische Angelegenheit, sondern unser aller Problem.“

Pommes frites im Flugzeug

Junge muslimische Männer sähen nichtmuslimische Mädchen oft als Beute. „Ich bin mir der Bedeutung dieser Worte bewusst. Aber viele akzeptieren unsere offene Gesellschaft nicht. Die wichtigste Frage heute ist die nach Toleranz. Ich bin immer noch ein großer Verfechter einer offenen, liberalen Gesellschaft. Aber wir sehen uns Bedrohungen ausgesetzt. Wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen. 2015 dachten wir, wir sind gastfreundlich, und diese Leute brauchen einen sicheren Ort. Die wurden geschaffen.“

In sehr vielen Fällen könnte man mit diesen jungen Männern auskommen, aber oft sei das nicht möglich. „Das Ergebnis sehen wir in einer Art von Hass, der in der modernen europäischen Gesellschaft ein Tabu ist. Damit konnten wir unter der Oberfläche noch lange -leben, aber nach dem 7. Oktober nicht mehr.“ Womit das Gespräch sich wieder dem Ausgangspunkt nähert.

Hat auch er Opfer des Terrorangriffs zu beklagen? Er selbst habe niemanden verloren, sagt de Winter, aber er sei kurz davor in einem dieser Kibbuzim an der Grenze zu Gaza gewesen. Denn er wollte dort den Mann treffen, der in Israel die Kartoffelindustrie gegründet hat. Sogar ein Kartoffelmuseum hat dieser Mann eingerichtet.

Das klingt nach Stoff für einen Roman. „Den gibt es wirklich“, stellt de Winter klar. Als er entdeckt hat, dass man in Flugzeugen keine Pommes frites bekommt, hat er beschlossen, das zu ändern, und gründete die Firma Fritessa. „Wie ist es möglich, dass Sie noch nie davon gehört haben?“, fragt er entsetzt. Da er sich schon lange für Kartoffeln -interessiere, setzt er fort, wisse er genau, wie man diese am besten zubereitet. Jetzt hat er Pommes frites kreiert, die man in Flugzeugen herstellen kann.  Mit einer speziellen Fritteuse könne man in zwei, höchstens drei Minuten einen vollen Korb mit Pommes frites fertigen, berichtet er stolz und fügt nachdrücklich hinzu: „Fries in the Skies heißen meine Pommes. Ist das nicht ein guter Name?“

 

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