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Lars Eidinger: „Wir leben im Zeitalter des Narzissmus“

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Lars Eidinger

©Jens Koch/Berlinale
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Als Lars Eidinger den Jedermann in Salzburg übernahm, war in News zum ersten Mal davon zu lesen. Auf Hofmannsthals Prasser blickt der deutsche Charismatiker liebevoll zurück. Mit dem Festspielintendanten Markus Hinterhäuser prüft er Pläne für eine Zusammenarbeit. In Wien stellte er Tom Tykwers Film „Das Licht“ vor und sprach über Entfremdung, die Aufgabe der Kunst und Extreme.

Schauspiel ist die Kunst des Augenblicks, des rasch Vergänglichen. Manchmal aber kommt es vor, dass sich so ein flüchtiger Moment tief ins Gedächtnis einbrennt. Lars Eidingers Lebensrolle Hamlet zum Beispiel mit dem zentralen Monolog: Die Zeit bleibt da stehen, und Eidinger ist mit seinen 49 Jahren ein junger, naiver Mann, der sich gegen eine ganze feindliche Welt stellt.

Zwei Sommer verkörperte er auf dem Salzburger Domplatz Hofmannsthals Jedermann nicht weniger überzeugend als derzeit auf der Leinwand einen scheiternden Familienvater namens Tim Engels in Tom Tykwers Film „Das Licht“.

Edinger ist nach Wien gekommen, um das fast dreistündige Epos zu bewerben, das von Menschen auf der Flucht über die Quotenregeln bis zu den Klimaprotesten nichts auslässt, worüber man sich heute mehr oder weniger ­seriös entzweit.

Herr Eidinger, Tom Tykwers Film „Das Licht“ bildet auf umfassende Weise unsere Zeit ab. Er zeigt, wie sich eine Familie auseinandergelebt hat, er erzählt von Menschen, die auf der Flucht im Meer umkommen. Bei allen geht es auf eine gewisse Weise um Sein oder Nichtsein.

Es geht vielleicht sogar mehr um die ­Frage: „Wer da?“ Das ist der erste Satz in „Hamlet“. Den kann man als Überschrift für Theater, für Kunst, für das Dasein verstehen. Dann betritt der Mensch die Bühne und stellt sich die essenziellste Frage, Sein oder Nichtsein. In diesem Film geht es ja auch darum, dass diese Familie sich fremd geworden ist. Das ist ein zentrales Thema unserer Zeit. Wir leben ja im Grunde im Zeitalter des Narzissmus, nur dass Narzissmus ein Begriff ist, der oft missverstanden wird, weil man Leute als Narzissten bezeichnet, die selbstverliebt und eitel um sich selbst kreisen. Ich würde aber behaupten, dass das Phänomen des Narzissmus eigentlich etwas anderes beschreibt, vielleicht sogar das Gegenteil. Narziss stirbt an gebrochenem Herzen, weil er sich selbst im Spiegel, im Gegenüber nicht erkennt und daher nicht lieben kann.

Wie nähern Sie sich einer Figur an, die sich selbst nicht lieben kann?

In diesem Fall ist es Tom Tykwer, der seine Geschichte erzählt. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel. Als ich angefangen habe, Theater zu spielen, hatte ich mein erstes Engagement am Deutschen Theater in Berlin. Das war 1996. Da haben die älteren Kollegen, tatsächlich nur Kollegen, also keine Kolleginnen, zu mir gesagt: „Dein privater Scheiß interessiert hier nicht.“ Mittlerweile weiß ich, dass das Gegenteil der Fall ist. Wenn irgendetwas interessant ist, dann mein privater Scheiß. Wenn man sich traut, das zur Disposition zu stellen, und den Leuten die Möglichkeit gibt, sich darin wiederzuerkennen, dann haben wir als Gesellschaft tatsächlich die Chance, als Veränderte hervorzugehen. Im Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt habe ich einen Satz von Ludwig Wittgenstein gelesen. „Alle Erklärung muss fort und nur Beschreibung an ihre Stelle treten.“ Das ist mittlerweile für mich ein sehr wichtiger Gedanke geworden, weil ich glaube, dass unsere Zeit auch daran krankt, dass wir alles Bewertungskriterien unterwerfen und immer den Anspruch haben, die Welt zu erklären. Aber daran werden wir immer scheitern. Auch Tom Tykwer beschreibt ja seine Welt, indem er sich zeigt.

Wie ist das für Sie, wenn Sie jemanden spielen, den Sie im wirklichen Leben kennen?

Tom ist dieser Tim, und er ist es auch nicht. Es ist ein Prinzip von Fiktion, sich in Figuren wiederzuentdecken. Letztendlich spiele ich genauso mich, wie ich Tom Tykwer spiele. Vor einem Jahr machte ich mit Matthias Glasner ­einen Film. Ich habe Tom, seine Referenzfigur, gespielt. Er sagte, er habe ­versucht, die Geschichte so persönlich wie möglich zu erzählen, damit sie so universell wie möglich wird. Es geht also eigentlich darum, etwas sehr Persönliches von sich zu erzählen, um den Leuten die Möglichkeit zu geben, sich darin zu finden. Jede Figur in „Das Licht“ ist Tom Tykwer, und jede Figur kann der Betrachter oder die Betrachtende sein. Man kann das mit einem Traum ver­gleichen, in dem diverse Charaktere in ­Erscheinung treten. Im Traum zeigt sich immer nur meine Sicht auf diese Menschen und meine Beziehung zu ihnen. So ist es beim Film auch.

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 © Frederic Batier © X Verleih AG

Der Film zeigt, wie sich vieles, das gut gemeint ist, gegen uns wendet. Tim etwa wird als Chef einer ­Werbeagentur von zwei asiatischen Kolleginnen ersetzt. Was machen wir denn falsch?

Das ist aber jetzt eine rhetorische Frage. Da muss man doch nur die Zeitung ­aufschlagen. Aber ich verweise auf das Wittgenstein-Zitat, dass man beschreiben und nicht erklären soll. Was ich ­problematisch finde, ist diese Art von Schwarz-Weiß-Denken, die ja in der Psychologie als Borderline diagnostiziert wird. Das Denken in Extremen führt letztendlich dazu, dass man sich als Gesellschaft entzweit und vielleicht sogar im schlimmsten Fall zu kriegerischen Auseinandersetzungen. In der Endphase der Bundestagswahl in Deutschland ging es eigentlich nur noch um links und rechts.

Im Film heißt es einmal, ich kann das jetzt nur sinngemäß wiedergeben, an solchen dysfunktionalen Familien wie den Engels geht die Welt zugrunde. Erinnere ich mich richtig?

Tims Tochter sagt: „Wir sind der Grund, warum die Welt am Abgrund steht, nicht die anderen, auf die wir immer ­alles schieben wollen.“ Tim ist Chef ­einer Werbeagentur und verwendet das dann als Claim für seine Kunden.

Das heißt doch, dass wir etwas oder uns selbst verändern müssen, nicht?

Das heißt, man muss sich dazu selber ins Verhältnis setzen und sich nicht ­davon distanzieren.

Können wir denn gar nichts ­verändern?

Das Lied „Ändere die Welt, sie braucht es“ von Bertolt Brecht hört mit der Frage auf: „Wer bist du?“ Das heißt, es scheint da einen direkten Zusammenhang zu geben zwischen der Möglichkeit, die Welt zu verändern, und der Frage nachzugehen: Wer bin ich? Und das ist es, was ich in der Kultur vermute, dass man sich mit dieser Frage auseinandersetzt. Ich bin der Meinung, dass, wenn sich die Gesellschaft wirklich zeigt, es eine Veränderung geben kann. Der Zustand der Welt rührt doch daher, dass sich die Menschen fremd geworden sind. Des­wegen hänge ich so an der Kultur und nicht, weil es irgendwie schön ist, sich was Schönes anzuziehen, sich auf den Domplatz zu setzen und Theater anzugucken, sondern weil es interessant ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen unter einem analytischen, selbst­referenziellen, selbstreflektierten Anspruch von Selbsterkenntnis. Deswegen habe ich mich auch immer gewundert, dass es in Salzburg Plakate gibt, wo draufsteht: „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes, gesponsert von Rolex.“

Wenn man das so hört, klingt das wie ein Scherz.

Diese Plakate gibt es. Aber ich erkläre Ihnen, warum Sie das amüsiert.

Weil es absurd ist, dass sich ein reicher Mann von Rolex sponsern lässt.

Aber ich erkläre Ihnen, warum Sie jetzt gelacht haben. Ich habe ein Buch mit dem Titel „Zwei Herren am Strand“ gelesen. Da geht es um die Freundschaft von Charlie Chaplin und Winston Churchill.

Für mich war die Auseinandersetzung

mit dem Jedermann sehr wichtig – tolle, unvergessliche Jahre

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Jedermann 2021, Salzburger Festspiele: Lars Eidinger in der Titelrolle

 © Salzburger Festspiele/Matthias Horn

Sie meinen den Roman von Michael Köhlmeier.

Chaplin und Churchill unterhalten sich über Clowns und kommen auf W. C. Fields zu sprechen. Der sagt auf der Bühne, er hasst Kinder und kleine Hunde. Und alle lachen. Warum? Das ist ein interessantes Phänomen, das ich auch oft im Theater beobachte. Die Leute ­lachen, weil es absurd ist, Kinder und kleine Hunde zu hassen, aber auch weil etwas in ihnen das auch tut. Es findet also eine Entfremdung sich selbst gegenüber statt. Man spaltet sich von seinem eigenen Ich ab und lacht schadenfroh über sich selbst.

Lassen Sie uns noch über den „Jedermann“ sprechen. Hat sich Ihre Sicht darauf nach den beiden Festspielsommern geändert oder sehen Sie Salzburgs Traditionsstück noch immer als so eine Art „Traumschiff“?

Das ist ein Missverständnis. Ich selbst habe das nie so gesehen. Ich habe lediglich die Sicht der Deutschen auf den „­Jedermann“ beschrieben. Daran hat sich nichts geändert. Für mich war, ­unabhängig davon, wie das von außen wahrgenommen wird, diese Auseinandersetzung mit dem Stoff sehr wichtig. Das waren wirklich zwei ganz tolle, ­unvergessliche, wichtige Jahre mit dem Ensemble. Ich bin sehr glücklich, es ­erlebt zu haben.

Gibt es Pläne für weitere Auftritte bei den Salzburger Festspielen?

Ich habe gerade mit Markus ­Hinterhäuser telefoniert und wir haben überlegt, was wir vielleicht in der Zukunft zusammen machen können.

Lassen Sie uns noch einmal auf „Das Licht“ zurückkommen. Was haben Sie empfunden, als Sie den Film gesehen haben?

Ich sehe das beim Film wie bei der ­Fotografie. Ich habe zwei Fotobände ­veröffentlicht. Es gab Ausstellungen in Deutschland, auch in Wien, Salzburg und Klagenfurt. Im Grunde ist es doch viel interessanter, was die Leute in ­diesen Bildern sehen, als was ich darin gesehen haben will oder was ich damit ausdrücken will. Das heißt, wenn ich Ihnen jetzt erkläre, was ich denke, steht es eigentlich eher Ihrer Interpretation im Weg. Und das möchte ich nicht. Ich möchte, dass die Leute offen da rein­gehen und nicht das rezipieren müssen, was ich damit ausdrücken will.

Ich frage das nicht in dem Sinn, was will uns der Autor damit sagen …

Darum geht es auch nicht in der Kunst. Wenn ich ein monochromes Blau von Yves Klein betrachte, finde ich eher ­interessant, was es mit mir macht. Natürlich interessiert mich auch, was sich Yves Klein dabei gedacht hat. Aber ich glaube, das Besondere ist tatsächlich, dass man damit konfrontiert ist und letztendlich auf sich selbst zurück­geworfen ist. Was haben Sie sich bei diesem Film gedacht?

Das führt uns wieder zum Beginn unseres Gesprächs zurück. Ich dachte an „Hamlets“ Monolog, den ich zuletzt von Ihnen im Konzerthaus gehört habe. Soll man sich den wüsten Schlägen des Schicksals stellen?

Im Grunde ist der Monolog „Sein oder Nichtsein“ wie das „Vaterunser“ in der Kirche. Also man kann sich sicher sein, dass jeder da völlig eigene, unabhängige Assoziationen hat. Das finde ich auch das Interessante an der Kunst, dass es nicht eine Erklärung gibt oder eine Interpretation, sondern es ist eher etwas Anregendes, das die Räume aufmacht. Und das ist eigentlich das hehre Ziel von Kunst, Menschen zu inspirieren.

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 © Jens Koch/Berlinale

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 12/25 erschienen.

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