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Kirill Serebrennikov: "Die Situation hier – wie ein Déjà-vu von dem, was in Russland passiert ist"

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Kirill Serebrennikov

©Lukas Beck
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Der Regisseur Kirill Serebrennikov wurde in Russland erst gefeiert, dann verfolgt. Über Zoom inszenierte er in Haft den Wiener „Parsifal“, jetzt folgt analog Verdis „Don Carlo“. Premiere ist am 26. 9. Ein Gespräch über gefährliche Traditionalisten, kriegstreibendes Canceln und totales Theater

Was der Regisseur Kirill Serebrennikov vor drei Jahren an der Wiener Staatsoper bewältigt hat, steht heute schon im Ruf der Legende. Das Haus war unter dem Zugriff der Coronapandemie geschlossen, doch die Direktion bestand darauf, Wagners „Parsifal“ zum regulären Termin zur Premiere zu bringen. Und das nur einem Dutzend Journalisten zugängliche Resultat war noch unter ganz anderen Erschwernissen entstanden: Serebrennikov hatte das herausfordernde Werk per Zoom, quasi aus dem unfreiwilligen Homeoffice, inszeniert, denn er war vom Putin-Regime unter Hausarrest gestellt worden. Kunst und Leben wurden da eins: Wagners Gralsburg ist jetzt ein Gefängnis.

Heute ist das Virus Geschichte, der 55-Jährige lebt im Westen und bereitet per Premierendatum 26. September an der Staatsoper Verdis „Don Carlo“ in der italienischen Fassung vor. Gleich zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine hat Serebrennikov sein Land verlassen. „Es sieht so aus, als wäre das für eine lange Zeit, denn man kann nicht Teil eines Landes sein, das einen blutigen Krieg gegen den Nachbarn begonnen hat“, blickt er auf bewegte Jahre zurück. Seinen 92-jährigen Vater musste er zurücklassen, sei aber fast täglich mit ihm über Zoom verbunden. „Er ist ein sehr tapferer Mann. Ich organisiere von hier sein Leben. Aber er hofft immer noch, dass wir uns physisch sehen können.“ Wann das sein wird? An eine Rückkehr sei unter diesem Regime nicht zu denken. „Danach werden wir sehen, aber es sieht so aus, als ob danach nicht alles anders sein wird“, beschreibt er die Zustände in seiner russischen Heimat. Und der Krieg?

„Dieser Krieg ist nur Blut und Hass, er hat unser Leben zerstört. Ich halte diesen schrecklichen Krieg für den Selbstmord Russlands.“

Schreckliche Folgen werde der Krieg für sein Land haben, setzt Serebrennikov fort. Denn „der Krieg wird auf verschiedene Weise zurückkommen, durch das posttraumatische Syndrom, durch schwere politische Repressionen, durch Depression und Verzweiflung. Und der heutige Krieg findet bereits auf dem Territorium Russlands statt. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist Russland besetzt, das ist unglaublich. Dieser Krieg wird nicht so einfach aufhören. Wie Sie wissen, ist Krieg ein großes Geschäft, und viele Leute sind daran interessiert, damit Geld zu verdienen, und was ein großes Geschäft ist, könnte länger dauern.“

Vergangenheit als Werkzeug

Wie sieht er vor diesem Hintergrund Verdis hochpolitisches Drama über einen totalitär regierten Staat? König Philipp II. herrscht wie ein Diktator über Spanien, an seiner Seite zieht der Großinquisitor die Fäden der Macht. Dem naiven Prinzen Carlos wird vom Vater die Braut weggenommen, und er lässt sich vom Rebellen Marquis Posa zur Verteidigung des unterdrückten Flanderns einspannen. Als Carlos dann gegen den Vater aufbegehrt, wird er inhaftiert.

Kommen da nicht Erinnerungen an die eigene Zeit in Russland auf? An die Unterdrückung, die Gefangenschaft? „Das ist vorbei. Jetzt bin ich hier und froh, in Europa zu arbeiten. Ich habe das Gefühl, dass ich hier dazugehöre. Aber meine Vergangenheit ist mein Erbe, mein Werkzeug, also lasse ich sie nie ganz beiseite“, beschreibt er seine Haltung. Fühlt er sich jetzt auch sicher? „So, wie Sie sich sicher fühlen. Solange der Klimawandel droht, wenn man nicht weiß, was morgen passieren wird …“

„Don Carlo“, kommt das Gespräch wieder auf seinen Anlass, sei nicht nur politisch. Er sehe darin eine Art Kodex der Menschheit. „Das beinhaltet fast alle Fragen, die sich der Mensch stellen muss. Es geht um Liebe und Leidenschaft, um Gesellschaft und Charakter, um Macht und den Protest dagegen, um Rache und Vergessen, um Hybris und Altruismus. Diese Oper ist in gewisser Weise totales Theater.“

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Der weite Blick. Kirill Serebrennikov ist einer der gefragtesten Opernregisseure der Welt

Wie Stanley Kubrick

Wer Serebrennikovs Inszenierungen der Wagner-Opern „Parsifal“ in Wien und „Lohengrin“ an der Pariser Bastille-Oper gesehen hat, kann eine ähnlich düstere Ästhetik feststellen. Die Geschichte des Schwanenritters verlegte er in ein Sanatorium und generierte einen verstörenden Kommentar zum Krieg in der Ukraine.

Und „Don Carlo“? Der werde anders aussehen, beruhigt er alarmistische Kritiker. „Ich wiederhole mich nicht gerne, ich erschaffe lieber Neues. Es gibt Regisseure, die ihr ganzes Leben lang denselben Film machen, und es gibt solche Künstler wie Stanley Kubrick, der seine eigenen Arbeiten nicht wiederholt und dessen nächster Film völlig anders ist als der vorherige. Ich schätze diesen zweiten Typus sehr viel mehr als den ersten.“

Sein „Don Carlo“ werde in der Gegenwart und in der Vergangenheit spielen, eine einfache Übertragung des Geschehens in eine andere Epoche halte er für wenig überzeugend. „Man kann nicht so tun, als seien die Hauptfiguren keine Könige und Königinnen“, erklärt er. Deshalb habe er die Kostüme präzise nach den Kleidern der originalen historischen Personen schneidern lassen. „Es ist faszinierend, was die Werkstätten der Wiener Staatsoper geleistet haben. Denn wir wollten die Kostüme so herstellen lassen wie im 16. Jahrhundert. Die Stickereien, alles wurde von Hand gefertigt. Sie sind sehr wertvoll. Deshalb gibt es nur vier Kostüme.“ Fast ein Jahr habe deren Herstellung in Anspruch genommen.

Lassen sich nun im historischen Kostüm Parallelen zum heutigen Russland ziehen? Welche Rolle spielt die Kirche, die bei Verdi vom Großinquisitor repräsentiert wird?

„Die Kirche ist immer ein Teil der staatlichen Blase. In Russland zum Beispiel ist sie eine Abteilung dieses Mafiastaates, sie ist Teil des Systems und sie arbeitet für das System“, sagt Serebrennikov. Doch gehe es in seinem „Don Carlo“ nicht um die Kirche per se, sondern um das Bewahren von Traditionen. Dass Leute für konservative, traditionelle Werte kämpfen, das gebe es heute überall und sei viel gefährlicher, als sich nur auf die Kirche zu konzentrieren, resümiert Serebrennikov und kommt auf das aktuelle politische Geschehen in Deutschland.

„Wenn die Leute beginnen, über traditionelle Werte zu sprechen, dauert es nicht lange, bis sie Bücher verbrennen. Im nächsten Schritt verbrennen sie Menschen.“

„Alles wiederholt sich. Die Leute lernen nichts aus ihrer eigenen Geschichte, wie man jetzt sieht. Ich kann nicht viel über die Politik in Deutschland sagen, weil ich nicht aus diesem Land bin, aber ich sehe diesen Trend nach rechts. Es wird auf jeden Fall gefährlich. Diese Situation erinnert mich sehr daran, was in Russland passiert ist.“

Wunsch nach einer starken Hand

Dass viele heute rechts wählen, sei die Reaktion auf das politische Chaos. „Es wurden viele Fehler gemacht. Die Folge davon ist der Wunsch nach einer starken Hand. Die Menschen stimmen natürlich nicht für Konzentrationslager, sondern für Ordnung, weil sie genug davon haben, dass ihnen zu Hause etwas passieren kann. Ich verstehe das, aber es ist die Frage, was man tun kann, damit sich all das Schreckliche nicht wiederholt?“ Die Situation hier und jetzt erinnere ihn an Russland. „Das ist wie ein Déjà-vu, ich bin mir aber nicht sicher, ob Europa ein Ort ist, an dem eine Diktatur wie in Russland etabliert werden kann, weil die hat Russland in der DNA durch den Zaren, durch Stalin. Aber wer weiß, in Spanien hatten sie Franco, was in Deutschland einmal war, wissen Sie. Ich habe gerade das Wien Museum besucht, ein tolles Haus. Die zeigen Bilder von den Leuten, die den Anschluss gefeiert haben. Wie die glücklich auf den Bildern strahlen, das erinnert mich daran, was heute passiert.“

Wenn die Rechtswähler tatsächlich junge Menschen seien, wie vielfach in Umfragen behauptet, sei das sicher eine Protestwahl. „Die jungen Menschen sind mit der Welt, die ihre Eltern für sie aufgebaut haben, nicht zufrieden. Die platzt aus allen Nähten. Außer einer politischen Krise, einer Klimakatastrophe, Kriegen gibt es nichts, worüber man sich freuen könnte, oder? Sie entscheiden sich für das, was ihre Eltern fürchten, nur um zu vermeiden, was sie tun.“

Das klingt, als würde er die Welt am Vorabend der Apokalypse sehen? „Die größte Gefahr heute ist nicht der Rechtsruck, nicht die Politik, sondern der Klimawandel. Das Klima wird uns nicht vorher sagen, dass es uns umbringt, es wird es einfach machen. Das kann ganz plötzlich geschehen.“

Und was ist mit jenen, die den Krieg über ihre Wokeness austragen und Zeter und Mordio schreien, wenn man sagt, dass man Dostojewski gern im Original lesen würde? Kriegsverbrechern wolle er die Kultur nicht überlassen, meint Serebrennikov.

„Dostojewski gehört doch nicht Russlands Mächtigen, ich will denen auch nicht Puschkin, Lermontov oder Tschechow überlassen. Diese Schätze gehören uns allen, Ihnen und mir, genauso wie Verdi nicht Italien gehört. Die alle gehören der gesamten Menschheit.“

Und wie sieht er die Proteste gegen Teodor Currentzis? Er selbst habe sein Gogol-Zentrum, Moskaus erste Adresse in Theateravantgarde, aufgeben müssen, weil er nicht zum Krieg schweigen wollte. „Ich würde nie jemandem sagen, was er tun soll. Ich habe mein Theater nicht gerettet, weil man im Theater nicht lügen kann. Wenn man im heutigen Russland Theater macht, steht man unter strenger Zensur und muss auch Selbstzensur üben. Wozu soll man Theater machen, wenn man nichts sagen kann? Theater ist der Kampf gegen Propaganda. Es ist Antipropaganda, weil es direkt zu den Menschen spricht. Musik ist etwas anderes. Manchmal ist sie Unterhaltung, manchmal eine Art Erlösung, manchmal auch eine Botschaft, wie die Dirigenten Petrenko oder Jurowski hören ließen.“

Würde er eine Oper inszenieren, wenn Currentzis dirigiert? Da antwortet Serebrennikov diplomatisch, aber deutlich: „Ich kenne ihn seit mehr als 20 Jahren. Ich weiß, wie begabt er ist. Ich habe meinen Standpunkt klar dargelegt. Ich kann niemanden darum bitten, manchmal kann es eine Bedrohung für das Leben sein, den Verlust der Freiheit bedeuten, wie es vielen Menschen mit antimilitärischen Positionen passiert ist. Jenia Berkovich, meine Studentin, sitzt im Gefängnis wegen Antikriegspoesie. Mit jemandem, der den Krieg unterstützt, würde ich nicht zusammenarbeiten. Das ist für mich inakzeptabel. Schweigen ist jedoch etwas anderes. Es ist eine Frage der Versöhnung.“

Abenteuer Ring

Eine Frage drängt sich noch auf, ehe wieder Verdi das Kommando führt. Wäre nach „Parsifal“ und „Lohengrin“ nicht der Wagner’sche „Ring“ eine Option? „Der wird kommen. Das ist für mich ein großes Abenteuer.“ Wo denn? Christian Thielemann hat der Staatsoper für das in einer der nächsten Saisonen anstehende Jahrzehntprojekt verbindlich zugesagt, und Lise Davidsens erster Brünnhilde blickt die Opernwelt gebannt entgegen. Wo gedenkt Serebrennikov unter diesen Umständen denn seinen ersten „Ring“ zu inszenieren? „Das“, sagt er schon im Entschwinden, „ist ein Geheimnis.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 38/2024 erschienen.

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