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Khatia Buniatishvili: „Dann werde ich zum Klang“

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15 min

Khatia Buniatishvili

©Esther Haase

Als Kind hatte die georgische Pianistin Khatia Buniatishvili nur einen Wunsch: Frieden. Seit mehr als zehn Jahren spielt sie in der Weltklasse. Im Musikverein stellte sie nun ihr Soloprogramm vor, ihre erste Mozart-CD ist erschienen. Ein Gespräch über Musik in schwierigen Zeiten, ihre Kindheit im politischen Chaos, Boykott und Optimismus.

Als „unbestritten spektakulär“ beschrieb die „New York Times“ das Debüt einer jungen Pianistin aus Georgien in der Carnegie Hall. Die Rede ist von Khatia Buniatishvili, deren Debüt in der berühmten Konzerthalle mehr als zehn Jahre her ist. Heute ist sie 37 und ihre Strahlkraft ist ungebrochen, wie sie bei ihrem Kurzauftritt im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins erleben ließ. Ein Impromptu von Schubert intonierte sie mit verstörendem poetischem Gestus. Atemberaubend virtuos trug sie Liszts „Ungarische Rhapsodie“ Nr. 6 vor. Zwei Werke, Ende der Vorstellung: Anlass für ihren Kurzauftritt in Wien war die Präsentation der nächsten Spielzeit. Khatia Buniatishvili wird da mit einem Schubert und Liszt gewidmeten Programm auftreten.

Frau Buniatishvili, haben Sie eine besondere Verbindung zum Musikverein, dass Sie nur für die Aufführung von zwei kurzen Stücken anreisen?

Für jeden klassischen Musiker ist der Goldene Saal ein Traum, zunächst wegen der Akustik und auch aus historischer Sicht ist der Musikverein besonders. Denken Sie an all die Komponisten und die Interpreten, die hier schon gespielt haben! Ich habe vier Jahre in Wien studiert. Da konnte ich unglaubliche Konzerte hören. Teure Karten konnte ich mir damals nicht leisten, aber zum Glück gibt es den Stehplatz, da konnte man um wenige Euro unglaubliche Konzerte hören. Das waren so glückliche Momente in meinem Leben. Es war wirklich wie ein Traum. Über die Jahre hat sich meine Karriere entwickelt und jetzt ist dieser Traum, selbst im Musikverein aufzutreten, Realität geworden.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie sich ans Klavier setzen?

Ich muss komplett die Realität, meine Existenz und auch das Publikum vergessen. Dann passiert etwas emotional sehr Starkes. Dann gibt es keine Distanz mehr zwischen meinem Ich und den Menschen im Saal. Ich habe dann das Gefühl, dass ich selbst zum Klang oder zu einem Teil des Klangs werde. Das ist etwas ganz Besonderes, ich liebe das und deshalb liebe ich auch Konzerte.

Ihre Interpretationen sind stets von einer gewissen Poesie geprägt. Wie schaffen Sie es, diese bedrückenden Zeiten, in denen wir heute leben, auszuklammern?

Ich folge einfach dem Klang. Ich mag ­Poesie und ich versuche immer, auch in anderen Menschen das Poetische zu sehen. Musik inspiriert, sie befreit mich von dem, was ich nicht schön finde. Man vergisst in diesen Momenten, wenn man in ein Werk eintaucht, die Realität. Deshalb brauchen wir Kunst, damit wir uns vor dem, was uns in der Welt Schmerzen bereitet, schützen.

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 © Gavin Evans

Meinten Sie das, als Sie im französischen Radiosender France musique sagten, Musik kann die Welt nicht verändern, aber sie kann uns retten? Wie kann uns zum Beispiel eine Mozart-Sonate retten?

Sie vermittelt etwas Schönes. Wenn ich Schönheit sehe, höre und fühle, dann kann ich auch das Schöne in anderen und in mir selbst sehen. Solange wir das nicht verlieren, haben wir Hoffnung. Es passieren doch so viele schreckliche Dinge in der Welt. Wenn wir einander nichts mehr glauben können, dann entwickeln sich unsere schlechten Seiten immer mehr. Wenn man aber an die Liebe glaubt und wenn wir einander vertrauen, dann müssen wir keine Angst mehr haben, denn Angst macht aggressiv. Und wenn jeder einen Schritt auf den anderen zugeht, dann können wir schon einen Weg finden, wie wir besser zusammenleben können.

Aber im Klassikbetrieb passiert jetzt schon wieder das Gegenteil. Beim Ausbruch des Kriegs in der Ukraine hat man russische Künstler zur Rechenschaft gezogen. Jetzt beginnt man, sich von den USA abzuspalten. Der Geiger Christian Tetzlaff ist einer der ersten, der wegen Trump nicht mehr in den USA auftreten will. Der Pianist Leif Ove Andsnes tritt auf, rechtfertigt das aber mit einer Erklärung auf Facebook. Soll man es wirklich zulassen, dass die Politik die Kunstwelt spaltet?

Das kommt auf die Situation an. Ich habe seit 2008, seit dem Krieg, nicht mehr in Russland gespielt. In Georgien kamen damals so viele Menschen auf tragische Weise um, ganze Gebiete wurden von den Russen okkupiert. Als Georgierin wollte ich dagegen protestieren, indem ich nicht mehr in Russland spiele. Damals war ich noch nicht so bekannt. Aber nicht in Russland aufzutreten, war für mich wie ein Ruf in die Welt, damit man auf mein Land blickt. Damals hat sich fast niemand darum gekümmert, was bei uns passiert ist. Georgien ist ein kleines Land, und viele kennen unsere Probleme nicht, manche wissen vielleicht nicht einmal, wo Georgien liegt. Ich wollte der Welt unsere Lage vermitteln. Aber die Situation in den USA heute kann man damit nicht vergleichen. Dort gibt es noch unabhängige Institutionen. Wenn man in Amerika etwas nicht will, kann man dagegen protestieren. In Russland kann man das nicht. Wenn man sagt, was einem nicht gefällt, kommt man ins Gefängnis oder verliert sogar sein Leben. In Amerika kann man seine Meinung ausdrücken, auch wenn ein gewisser Mensch das verhindern will. Denn in Amerika hat sich seit Jahrhunderten entwickelt, was man Freiheit und Demokratie nennt. Ich hoffe, dass es dabei bleiben wird. Ich denke, so leicht wird man das nicht verlieren.

Wie kam es, dass Ihr größter Wunsch als Kind Frieden war?

Meine Eltern haben alles unternommen, um uns zu beschützen. Sie waren wirklich gute Eltern. Aber die Situation in Georgien war so chaotisch. Das war unser Trauma. Es mag banal klingen, aber wir brauchen Frieden. Es sollte auch keine extreme Armut geben. Das sollte im 21. Jahrhundert normal sein. Wir leben im Zeitalter des Internets und gekämpft wird immer noch mit Waffen. Und jetzt gibt es wieder Krieg, in der Ukraine, in Gaza. Es ist auch heute mein Traum, dass es Frieden gibt. Die Diplomatie in der Welt funktioniert nicht so gut, das macht Angst. Aber auch wenn wir Angst haben, ist es wichtig, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben. Wir brauchen unseren Optimismus, um diese Albträume zu beenden.

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Bejubelt: Khatia Buniatishvili im Goldenen Saal des Musikvereins

 © Julia Wesely

Welchen Krieg gab es in Ihrer Kindheit?

Das war ein Krieg zwischen den Regionen. Aber was danach in den 1990er-Jahren kam, war das totale Chaos. Die Kriminalität war unglaublich, Verbrechen wurden nicht geahndet. Die Polizei hat nichts unternommen, um die Menschen zu schützen. Es gab keine Regierung, die sich um etwas gekümmert hätte. Wasser gab es nur zu bestimmten Zeiten. Wir hörten auf bestimmte Geräusche, dann wussten wir, dass es gleich Wasser gibt. Das konnte mitten in der Nacht sein. Dann mussten wir sofort aufstehen, damit wir uns waschen konnten. Wir waren oft tagelang ohne Strom. Wenn wir von der Schule nach Hause gekommen sind, mussten wir bei Kerzenlicht üben und Hausaufgaben machen. Aber das war alles nicht so schrecklich wie das Gefühl, dass wir uns nicht beschützt gefühlt haben. Deshalb war die Rosen­revolution für uns so wichtig. Wir dachten, jetzt wird sich endlich etwas ändern. Diese jungen Politiker haben tatsächlich etwas geändert. Das gab uns das Gefühl, dass die Kriminalität zurückgeht. Es hat sich dann tatsächlich etwas geändert. In fünf Jahren hat sich in Georgien alles so gut entwickelt und dann kam der Krieg mit Russland.

Ist das nicht wie in der Ukraine? Dort gab es auch eine Revolution und dann kam Russland?

Es ist fast so, als wären wir dafür bestraft worden, weil wir uns entwickelt haben. Heute kommen junge Menschen ins Gefängnis, weil sie ihre Meinung gesagt haben. Ich habe auf Facebook einen Brief geschrieben, damit man diese jungen Menschen, die gegen die Zustände demonstriert haben, freilässt.

Lassen Sie uns über den Klassikmarkt sprechen. Stimmt mein Eindruck, dass man in der Branche derzeit versucht, vor allem junge Pianisten aus asiatischen Ländern aufzubauen?

Ich verfolge solche Trends nicht. Aber ich arbeite selber sehr gern mit jungen Menschen, aber nicht mit kleinen Kindern. Denn auf der Bühne wären diese einem zu großen Druck ausgesetzt. Aber junge Menschen, die am Beginn ihrer Karriere stehen, lade ich gerne ein, um mit mir Konzerte zu spielen. Ich ­schreibe manchmal kleine Stücke und schaue auf YouTube, wer was spielt.

Sie komponieren?

Das ist zu viel gesagt. Komponisten sind für mich Mozart, Brahms, Beethoven, ... Ich schreibe kleine Stücke für meine Projekte. Auch Arrangements habe ich schon gemacht.

Wie kamen Sie darauf, jetzt ein Mozart-Album aufzunehmen?

Das ist etwas, was man nicht so präzise analysieren kann. Aber das meiste liegt in der Kindheit und in der Adoleszenz begründet. Damals war Mozart mein Lieblingskomponist. Ich war sieben, als ich den Film von Miloš Forman gesehen habe. Auch das Requiem habe ich gern gehört. Vielleicht wollte ich in diese Zeit zurückkehren, weil ich jetzt eine kleine Tochter habe.

Im Musikverein spielen Sie Liszt und Schubert. Ist Schubert in Wien zu spielen, nicht eine besondere Herausforderung?

Das stimmt. Ich habe meinen Professor, Oleg Maisenberg, mit Schubert gehört, das war so schön. Es ist tatsächlich eine große Verantwortung, Schubert in Wien zu spielen. Aber deswegen versuche ich, nicht zu viel an die Reaktionen von Kollegen oder Kritikern zu denken. Mir ist es wichtig, den Moment wirklich total zu erleben.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 13/25 erschienen.

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