Die Salzburger Schriftstellerin Kathrin Röggla über ihren erhellenden Essayband „Nichts sagen. Nichts hören. Nichts sehen.“, Wokeness als Kulturkampf und warum sich die Wähler der Rechten noch wundern werden.
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Nichts sei schwieriger als das Zuhören, stellt die Schriftstellerin Kathrin Röggla in ihrem Essayband „Nichts sagen. Nichts hören. Nichts sehen.“ fest. Sie selbst hat es praktiziert. Zuletzt beim größten Neonazi-Prozess Deutschlands gegen die Terroranschläge der NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“) von 2013 bis 2018. Ihre Erfahrungen ließ sie im Roman „Laufendes Verfahren“ zu Literatur werden.
Nun ergründet die 1971 geborene Salzburgerin in ihren Essays das Zuhören an sich. Ausgehend vom asiatischen Symbol der drei Affen, die sich dem Sehen, Hören und Sprechen verweigern, spannt sie den Bogen über tagesaktuelle Themen vom Klimawandel bis zu Donald Trump. Wir erreichten Röggla in Köln, wo sie mit ihrer Familie lebt.
Ist Ihr Buch „Nichts sagen. Nichts hören. Nichts sehen.“ eine Aufforderung, etwas zu sagen, hinzuhören und hinzuschauen?
Einerseits ja. Es soll aber vor allem darauf hinweisen, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, hinzusehen, hinzuhören und etwas zu sagen, weil die Kommunikationsverhältnisse unter Druck geraten sind. Denken Sie nur an all die toxischen Diskurse oder, dass man die Ohren schon verschließt, weil man mit Katastrophennachrichten, mit wiederholten Pöbeleien überrannt wird. Aber auch das Gefühl, wenig ändern zu können, dass zu wenig passiert. Darauf setzen Rechtsextreme in ihrer fortwährenden Behauptung, sie alleine würden handeln.
Nehmen die drei Affen durch ihre Verweigerungen eine Schutzfunktion ein?
Das Bild kommt aus dem Buddhismus und da geht es darum, nichts Böses zu hören, zu sagen und zu sehen. Ich habe es ein wenig gewendet, auch um provokativ zu zeigen, dass wir kommunizieren müssen. Wir müssen hinschauen, wir müssen etwas sagen, aber nicht im Sinne einer Hetze.
Der Medienwissenschafter Bernhard Pörksen hat auch über das Zuhören geschrieben. Das kann doch kein Zufall sein, nicht?
Im Unterschied zu Herrn Pörksen geht es mir nicht um das Zuhören als reine Aufforderung, das ja auch etwas von Disziplinarmaßnahme haben könnte. Wie in der Schule, oder wenn Donald Trump sagt, jetzt müssen alle zuhören, jetzt rede ich. Zuhören ist keine Einbahnstraße, es bedeutet auch immer, zu spüren, wie etwas auf mich einwirkt. Zuhören ist etwas Dialogisches, und es findet in konkreten Rahmen statt, wir haben aber leider keine bewusste Kultur des Zuhörens.
Sie schreiben, man könnte die Menschheitsgeschichte als eine Geschichte des Lärms beschreiben.
Ich denke da spontan an das Gespräch von Donald Trump und Selenskij, wo der offensichtlich leise gesprochen und wenig gesagt hat, ihm aber unterstellt wurde, dass er schon viel zu viel gesagt habe. Tatsächlich redete fast immer nur Trump. Das war so typisch. Da wird imaginiert, dass ein fast schweigendes Gegenüber dauernd reden würde. Das ist der absolute Widerspruch, dass die Leute, die am lautesten schreien, das Gefühl haben, sie dürfen am wenigsten sagen und werden nicht gehört. Das ist die Fantasie autoritärer Personen.
Sie schreiben auch von einer weiteren Fantasie, nämlich der Zensur im Zuge von Wokeness und Political Correctness. Was passiert da?
Diese angeblich so heftige Zensur wird gerne imaginiert. Das ist Teil eines Kulturkampfes, der Dämonisierung des Gegenübers. Gleichzeitig wird Sprache eine Macht zugeschrieben. Man stellt sich vor, wenn nur die Sprache inklusiv genug ist, werden die gesellschaftlichen Verhältnisse dem nachfolgen. Eigentlich sollte ich als Schriftstellerin darüber glücklich sein, aber es ist erstaunlich, dass Symbolischem so eine Bedeutung zugewiesen wird.
Warum?
Gute Frage. Das Symbolische wird tatsächlich in dieser medial aufgeheizten Stimmung so gesehen, als wäre es der einzige Ort des Handelns. Tatsächlich erscheint auf einer politisch-ökonomischen Ebene handeln weitgehend nicht mehr möglich. Der Philosoph Slavoj Žižek sagte einmal, wir können uns eher den Untergang der Welt vorstellen als den Untergang des Kapitalismus, vielleicht müsste man heute von Neo-Feudalismus sprechen. Aber wir leben in Zeiten, in denen sich gerade sehr viel verändert. Wir merken das auch am Zuwachs der Linken in Deutschland, aber auch in Österreich, bei den Kommunalwahlen in Graz und in Salzburg beim Aufstieg der KP.
Wenn man sich die Wahlprogramme in Deutschland ansieht, vor allem das der AfD, aber auch in Teilen der BSW, geht es hauptsächlich um den Kulturkampf, um den Kampf gegen Wokeness


Kathrin Röggla
wurde am 14. Juni 1971 in Salzburg geboren. In Berlin entstanden ihre ersten Bücher, später auch Radioarbeiten, Hörspiele und akustische Installationen. Von 2015 bis 2024 war sie dort Vizepräsidentin. Seit 2020 ist sie Professorin für Literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien in Köln, wo sie mit ihrer Familie lebt.
© Jessica SchäferUnd die behaupten, dass dann freie Rede wieder möglich ist ...
Man sieht ja in den USA, dass das massiv nicht der Fall ist, im Gegenteil. Auch bei der FPÖ mit ihren identitären Gedanken und ihrer Rückkehr zu Heimat und Familie findet sich schon der Abbau der Öffentlichkeit, so bei der Vorstellung der Abschaffung oder Einschränkung des ORF. Auf einer politökonomischen Ebene ist es nur die rasante Umverteilung von unten nach oben, da werden sich die Leute, die diese Parteien gewählt haben, noch wundern.
Wenn ich deutsche Nachrichten höre, habe ich den Eindruck, dass viele der Aufrüstung in Europa zustimmen. Hat das Diktum „Frieden schaffen ohne Waffen“ heute keine Relevanz mehr?
Angesichts des Angriffskriegs in der Ukraine ist das sehr schwer vorstellbar, aber ich wünsche es mir natürlich.
Im Buch schildern Sie, wie eine Gruppe von Linken auf Rechtsextreme in einer Berliner U-Bahnstation trifft. Die beschimpfen sich gegenseitig mit demselben Wort, nämlich „Jude“. Wie sehen Sie, dass es seit dem 7. Oktober, dem Attentat der Hamas auf Israel, der Antisemitismus von allen Seiten kommt?
Das ist schon in den 1990er-Jahren geschehen. Heute beschimpfen sie sich gegenseitig als Nazis.
Aber das war ja auch schon in unserer Schulzeit ein Schimpfwort.
Das Erstaunliche ist aber, dass es heute die Rechtsextremen ja auch verwenden. Die höhlen den Begriff komplett aus. Sie nennen alle Nazis oder Faschisten, was dann dazu führt, dass dieser Begriff als Kritik keinen Wert mehr hat.
Sie waren neun Jahre Vizepräsidentin der Akademie der Künste in Berlin. Nach dem Attentat der Hamas wurden immer Künstler, die sich pro-palästinensisch geäußert haben oder mit dem BDS sympathisieren, von Veranstaltungen ausgeschlossen. Haben Sie das auch gemacht?
Ich finde es falsch, Leute auszuladen, nur weil sie mal etwas unterschrieben haben, man sollte beobachten, was sie jetzt sagen und sie für die Sachen einladen, die sie vertreten. Zudem gilt es das Gespräch offenzuhalten, die Situation in Israel ist ja heftig. Ich würde aber Podien nicht so besetzen, dass sie auf Hetzreden rauslaufen. Was den Antisemitismus betrifft, da passieren viele Dinge gleichzeitig. Die Rechten schreiben ihn nur den postmigrantischen Gruppen zu, dabei ist er ein altes deutsches und österreichisches Problem, das wieder neu auflebt. Einfach zu sagen, die Leute, die aus arabischen Ländern kommen, sind das Problem, ist nicht richtig. Mein Sohn war kurz nach dem Terroranschlag der Hamas in Berlin und hat eine der ersten Demonstrationen gesehen. Er erzählte, das waren lauter „deutsche Rentner“, das wurde medial anders dargestellt. Im Kulturbetrieb ist eine Hysterie in Gang gekommen, auch geschuldet den politischen Vorgaben. Es ist eben kompliziert geworden.
Ist es in so einer Zeit nicht besonders schwierig, sich auf die Literatur zu konzentrieren, oder ist das eine Art Eskapismus, eine Möglichkeit, der Welt zu entkommen?
Die Art von Literatur, die mich interessiert, ist sicher kein Eskapismus, aber reine Sprachkritik ist schwierig geworden. Ich habe jetzt tatsächlich ein Stück geschrieben. Das ist eine Art Roadmovie ins Reichsbürgerland.
Haben Sie es schon dem Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann gezeigt?Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie mir, Sie kennen ihn aus Köln.
Das Stück ist am Theater an der Ruhr uraufgeführt worden von Philipp Preuss. Aber aus Wien hat sich noch niemand gemeldet.
Dann richten wir den Theatern jetzt aus, dass Sie ein neues Stück haben. Worum geht‘s?
Es geht um eine Autofahrt, eine Orientierungssuche in der Provinz, jugendliche Gespenster tauchen auf und versuchen zu verstehen, was in der Gegenwart passiert, das hat durchaus etwas mit Gaming zu tun, und mit einem Blick in die Zukunft.


Das Buch
„Nichts sagen. Nichts hören. Nichts sehen.“ – eine fulminant formulierte Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Orientierungslosigkeit, die Schwierigkeiten einander zuzuhören und miteinander zu kommunzieren von Kathrin Röggla
S. Fischer, € 29,50
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 14/2025 erschienen.