Der Jurist und Kunsthistoriker Jonathan Fine schätzte schon als New Yorker Teenager das Kunsthistorische Museum. Wegen der Saliera reiste er einst sogar nach Wien. Zu Jahresbeginn folgte er Sabine Haag in die Direktion.
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Ausgerechnet die Saliera war es, die den 1969 geborenen New Yorker Jonathan David MacLachlan Fine einst das Wiener Kunsthistorische Museum aufsuchen ließ. Das war in den 1980er-Jahren, und nur wenige Österreicher wussten um die Existenz des ikonischen Salzfasses von Benvenuto Cellini. Das änderte sich am 11. Mai 2003, als das Meisterwerk aus dem Museum entwendet wurde.
Der Raub der Saliera sei für ihn, den Amerikaner, damals ein Schock gewesen, sagt Fine. Denn er kannte und schätzte das Objekt seit seiner Kindheit. In den USA habe es, übertrieben ausgedrückt, fast kein Schulbuch über europäische Kunstgeschichte gegeben, in dem es nicht abgebildet war. Als er dann im Teenageralter zum Schüleraustausch nach Deutschland gelangte, nützte er die Osterferien, um mit dem Nachtzug von der Nordsee nach Wien zu fahren und die bewunderte Saliera selbst zu betrachten.
Dass er 2021, ein halbes Leben später, nach Wien übersiedelte, um hier das dem Kunsthistorischen angeschlossene Weltmuseum zu leiten, hatte also schon etwas Schicksalhaftes. Nun wechselte er per 1. Jänner die Seiten des Rings und folgte Sabine Haag in die Direktion des weltrenommierten Haupthauses.
Am 11. März zeigt er die erste Großausstellung, „Arcimboldo – Bassano – Bruegel. Die Zeiten der Natur“. Anhand von 140 Kunstwerken ergründet man die Wahrnehmung der Natur in der Renaissance und deren Weltanschauung. Die titelgebenden Künstler, Giuseppe Arcimboldo (1526–1593), Jacopo Bassano (1510–1592) und Pieter Bruegel d. Ä. (1525–1569), haben ikonische Werke für diese Epoche geschaffen. Die Konzeption sei eine Mischung aus Haags Planung und eigenem Impuls. Er habe sich lediglich etwas zum Thema „Zeit und Natur“ gewünscht, sagt Fine, dessen volle Handschrift im Herbst bei der Ausstellung der Barockmalerin Michaelina Woutiers zu begutachten sein wird.
Der Moment des Spektakulären
Eines der Glanzstücke, lenkt er das Gespräch auf die aktuelle Schau zurück, stamme aus der nahen Albertina, nämlich Dürers „Tote Blauracke“. „Dass wir die zeigen können, ist phänomenal. So etwas Schönes von Dürer sieht man fast nie! Ralph Gleis hat uns damit wirklich ein Geschenk gemacht“, stimmt Fine das Lob auf seinen Kollegen an, der zur selben Zeit wie er sein Amt angetreten hat. „Ralph Gleis hat ein sehr gutes Gespür für Werke und Themen und dafür, wie man spannende Ausstellungen macht. Es wird für uns anregend sein, in seiner Nähe zu arbeiten.“ Das klingt ungewohnt nach Zusammenarbeit. Er werde in den nächsten Jahren Brücken zu den anderen Bundesmuseen bauen, skizziert er seine Pläne. „Ich glaube, dass die Wiener Sammlungen zusammengehören. Sie sind ja einst zum Großteil gemeinsam konzipiert worden. Die Museumspolitik in den letzten Jahrhunderten hat dazu geführt, dass man aus den Augen verloren hat, wie diese Sammlungen ineinandergreifen.“
Über konkrete Auswirkungen könne er erst nach Abschluss seines ersten Baugroßprojekts berichten. Er nennt es „Remastering KHM“, und es soll bessere Zugänglichkeit zum Haus schaffen. „Wenn man das Haus betritt, soll man sich ganz diesem Moment des absolut Spektakulären hingeben können.“ Davon ist derzeit nicht die Rede, denn den Blick zu Canovas „Theseusgruppe“ am Ende der Feststiege und empor zur Kuppel stört ein Stand für Audiogeräte und anderes. Das soll sich nun ändern. Zudem sind ein neues, barrierefreies Foyer, mehr Toiletten, eine Schülergarderobe und ein Kinderatelier geplant. Aufzüge sollen den Zugang zu den Ausstellungsräumen in höheren Etagen erleichtern. „Denn der zweite Stock ist derzeit nur über viele Stiegenaufgänge, die noch dazu verschachtelt sind, zu erreichen. Das bedeutet, dass wir mehr als 1.200 Quadratmeter Ausstellungsflächen haben, die wir nicht bespielen.“




Arcimboldos Köpfe. „Vier Jahreszeiten“ und „Sommer“, ab 11. März im KHM
© KHM-Museumsverband, Kunsthistorisches Museum WienDer Wahlösterreicher
Gleich fällt auf, wie akzentfrei der gebürtige Amerikaner auf Deutsch parliert und immer wieder den einen oder anderen österreichischen Begriff einstreut. Er hat einen amerikanischen und einen österreichischen Pass, wichtig, um das Haus im Ausland zu repräsentieren.
Wenn man schon beim Thema ist. Was ist mit dem Mac in seinem Namen? Ein Hinweis auf schottische Vorfahren? Googelt man Fines Mittelnamen, MacLachlan, kommt man auf einen Clan aus dem 13. Jahrhundert. Da erzählt er eine andere, nachdrücklichere, nachdenklich machende Geschichte: Seine Mutter hatte ihrer Freundin, einer Jamaikanerin, sehr viel zu verdanken. „Ich vermute, ihre Vorfahren waren versklavt und haben den Namen der Familie, für die sie gearbeitet haben, übernommen.“
In Princeton studierte er Jus und Kunstgeschichte und dissertierte über ein afrikanisches Thema, “The Throne from the Grassfields: History, Gifts, and Authenticity in the Bamum Kingdom, 1880–1929”. Die Studie untersucht eine kleine Gruppe von Thronen aus dem größten Königreich in Westkamerun und zeichnet ihre Geschichte durch die vorkolonialen und kolonialen Kontexte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nach. Klar, dass es ihn später schicksalhaft ins Weltmuseum am Sehnsuchtsort Wien trug. Wird sich dieser Hintergrund auch auf seine Ausstellungstätigkeit auswirken? Will er Verbindungen zu postkolonialer und kolonialer Kunst herstellen, wie es heute allseits gepflogen wird? „Da muss man vorsichtig sein, denn einfache Gegenüberstellungen sind zu plump. Aber zeitgenössische Werke, die die Auswirkungen von Prozessen zeigen, die in der Renaissance oder im Barock begonnen haben, sind interessant, weil wir uns hier natürlich sehr stark mit unserem Verhältnis zu diesen Epochen beschäftigen. Mich interessiert, wie Kunst, Wissen und Wahrnehmung zusammenhängen. Denn Kunst ist das Ergebnis menschlichen Schaffens, genau wie Schreiben oder Dichten, nur mit anderen Medien, anderen Materialien und anderen Werkzeugen. Die Fragen, die die Menschen vor 400 Jahren beschäftigt haben, unterscheiden sich nicht wesentlich von denen, die uns heute beschäftigen.“


Und die Menschenrechte?
Seinen ersten Job versah der studierte Jurist als Anwalt für Menschenrechte. Wie würde der Jurist den Weltkünstler Gauguin betrachten, der in Polynesien mit einer Vierzehnjährigen lebte und deshalb heute posthum schwer angegriffen wird? Da setzt der Direktor klar auf Pragmatismus: „Gauguin ist ein großer Künstler, der sich persönlich völlig danebenbenommen hat. Aber das ist doch eigentlich ein bekanntes Verhalten vieler Künstler. Wir müssen endlich lernen, deren persönliche Geschichten auszublenden. Denn Menschen sind widersprüchlich. Schreckliche Menschen können großartige Kunst machen, Großartige Menschen können Kitsch machen.“
Eines von Fines Spezialgebieten ist die Restitution. Staatssekretärin Andrea Mayer ernannte ihn zum Vorsitzenden eines Gremiums, das den Umgang mit Kulturgütern untersucht, die durch Kolonialherrschaft in Museen kamen. Als Direktor des Weltmuseums hatte er selbst einen brisanten Fall in seinem Haus, die ikonische aztekische Federkrone von Montezuma. Hier wurde ihm die Entscheidung abgenommen. „Sie ist so fragil, dass sie einfach zerfallen würde, wenn man sie transportiert.“
In einer Liga mit dem Louvre
Bevor sich der Direktor wieder seinem Amtsgeschäft zuwendet, noch ein Wort zur Weltlage. Wie sieht der Doppelstaatsbürger die aktuelle Außenp0litik der Vereinigten Staaten? „Ich hoffe, dass die USA wieder den Weg zu einer stabilen Politik finden und sich bald wieder als zuverlässiger Partner anbieten werden.“ Schon in zwei Jahren stünden Kongresswahlen an. „Das kann eine große Auswirkung haben. Ich glaube aber, die Fragen, die wir uns in Europa stellen müssen, sind: Wie haben wir die Zeit in den letzten vier Jahren benutzt, um uns auf diese Situation vorzubereiten? Und was können wir jetzt tun, die europäische Sicherheit so weit wie möglich zu garantieren und uns ein stabiles wirtschaftliches Leben zu sichern?“
Noch etwas: Was würde er denn gern in seiner Amtszeit erreichen? Da kommt er wieder auf seine Kindheit zu sprechen: „Obwohl ich in New York aufgewachsen bin und für mich das Metropolitan Museum die Referenzsammlung war, war das Kunsthistorische Museum immer ein wichtiges Museum für mich, das man in einem Atemzug mit dem Louvre oder dem Prado nennt.“ Heute könne man das nicht mehr so einfach behaupten. Es solle aber wieder so werden! Und noch etwas: „Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in zehn Jahren einfach überall in Österreich präsent sind und wichtige Werke in allen Bundesländern zeigen können.“
Die Federkrone transportbedingt ausgenommen.
Jonathan Fine
wurde 1969 in New York geboren. Er studierte Jus und schloss sein Studium der Kunstgeschichte in Princeton über afrikanische Kunst ab. In Chicago studierte er Geschichte und Literaturwissenschaft Er praktizierte als Rechtsanwalt in den Bereichen Menschenrechte, internationale Handelsstreitigkeiten und Verfassungsrecht. 2014 wurde er Kurator für die Sammlungen aus Westafrika, Kamerun, Gabun und Namibia am Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin, ab 2020 Museumsleiter. Von 2021 bis 2024 war er Direktor des Wiener Weltmuseums. Am 1. Jänner 2025 löste er Sabine Haag in der Direktion des Kunsthistorischen Museums ab.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.10/2025 erschienen.