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Herbert Fritsch: Entfesselte Spiellust ohne Belehrungsqual

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Herbert Fritsch
©Bild: NEWS/Matt Observe
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Beim radikalen Theatergenius Frank Castorf lernte Herbert Fritsch das multimediale Handwerk in Höchstkonsequenz. Am Burgtheater inszeniert er mit größtmöglicher Freiheit Raimund

Steckbrief Herbert Fritsch

  • Name: Herbert Fritsch

  • Geboren am: 20. Jänner 1951 in Augsburg, Deutschland

  • Wohnt in: Berlin

  • Ausbildung: Schauspielausbildung an der Münchner Otto-Falkenberg-Schule

  • Beruf: Schauspieler, Regisseur, Bühnenbildner; früher Medienkünstler

  • Familienstand:

Einen wilderen Hund wird man in der jüngeren deutschen Theatergeschichte lang suchen müssen. Herbert Fritsch, geboren am 20. Jänner 1951 in Augsburg, wo 53 Jahre zuvor auch der Bürgersohn Bert Brecht das Licht der Welt erblickt hatte, war schon fast alles. Zumindest im Kosmos des Theaters war er das. Als prägender Schauspieler der schon historischen Ära Frank Castorf an der Berliner Volksbühne war er ein Haupttäter, arbeitete auch viel mit Christoph Schlingensief: Das Theater, wie wir es kannten, wurde da in die Luft geworfen und zersprang, als es auf dem Boden aufkam, in 1.000 Stücke, die sich wie von Zauberhand zu etwas Kühnem, Neuem, noch nie Dagewesenem fügten. Hoch politisch war das, aber das Gegenteil von banal, dazu fordernd bis zur Erschöpfung, wenn die Live-Kamera den Schauspieler bis auf die Hinterbühne und in die Garderobe hetzte. So war auch der Schauspieler Herbert Fritsch ein Unzuordenbarer, Unzufriedener. Nach seriöser Ausbildung an der Münchner Falkenberg-Schule hatte er eine beachtliche Karriere an guten deutschen Häusern begonnen und zeitgleich ein fototechnisches 3-D-Verfahren zum Patent angemeldet. Unter seinen Händen verschmolzen die Medien, 2009 wurde ihm eine Retrospektive bei den Kurzfilmtagen von Oberhausen zugedacht.

Bei Herbert Fritsch ist alles präzises Chaos

Kurz zuvor hatte er sich von der Schaubühne verabschiedet und seine Bestimmung als Regisseur gefunden. Der Abschied aus dem hoch intellektuellen Multimedia-Kosmos hätte sich markanter nicht gestalten können, wie sich exemplarisch an seinem Staatsoperndebüt anno 2021 mit Rossinis "Barbier" nachweisen lässt: Die pure, entfesselte und doch hoch präzise Spiellust tobt da, italienische Commedia dell'arte in Höchstkonsequenz. Die Bühne ist leer bis auf farbige, durchsichtige Folien, den Sängern bleibt nicht einmal ein Requisit zum Anhalten. Alles ist Pantomime, Imagination, detailscharfes Chaos.

Jetzt kehrt er nach mehreren Jahren Absenz an die "Burg" zurück, und das mit Verzug: Ferdinand Raimunds Zaubermärchen "Die gefesselte Phantasie" hätte längst zur Premiere gelangen sollen, da legte ein Infektions-Tsunami die Endproben still. Am 29. März will man nun endlich auf die Bühne.

Herbert Fritsch: "Entgleiten ist mein Konzept"

Gleich ging das Gerede um, die Arbeit sei kurz vor ihrer termingemäßen Vollendung schlicht ins Chaos entgleist. "Das war auch der Fall", sagt der listige Mann mit dem gut kalkulierten süddeutschen Zungenschlag, muss allerdings gleich enttäuschen. "Es hatte aber nichts mit der Verschiebung zu tun. Entgleiten tut's mir immer, das ist mein Konzept, ich suche die Entgleisung. Ich hatte mich mit diesen tollen Schauspielern schon sehr hochgepusht und hoffe, dass es jetzt nicht zu lange gelegen ist."

Aber wie hat es ihn just zum Raimund'schen B-Repertoire verschlagen? Das Stück ist simpel und kompliziert in einem: Auf einer Blumeninsel voll klassizistisch ihrer Wege stelzender Dichter wird von einer übelwollenden Fee die Phantasie gekidnapped. Worauf die Kreativität versiegt und ein grottenschlechter Wiener Bänkelsänger als poetischer Monopolist abräumt.

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UNGREIFBAR. Vom Pionier der Multimedialistik zum Meister der puren Komödie: Herbert Fritsch

© NEWS/Matt Observe

Der schwer psychopathische, 1836 durch Suizid aus dem Leben geschiedene Raimund wurde in der verdrängungssüchtigen Nachkriegszeit als vormärzlich-österreichischer Zufriedenheitshofrat durch die Spielpläne gejagt. Heute ist ein Nischenprogramm und "Die gefesselte Phantasie" nicht das Beste, was ihm eingefallen ist. Wie kam es denn zu dieser Stückwahl? Er habe als Student in München einen nicht mehr zu benennenden, sehr eindrucksvollen Raimund gesehen und sich seither für den Dichter interessiert. Seine Stammdramaturgin Sabrina Zwach habe ihm nun die "Gefesselte Phantasie" empfohlen, kommt er auf sein kaum glaubliches Schaffensprinzip. "Ich lese ein Stück einmal und schaue dann bis Probenbeginn überhaupt nicht mehr hinein. Ich lasse mir alles von den Schauspielern erzählen, weil es für mich viel wichtiger ist, dass in das Ensemble eine Bewegung kommt. "Also", blickt er auf herausfordernde Zeiten zurück, "habe ich auch dieses Stück gelesen und zuerst überhaupt nichts verstanden. Es ist zahm und unverständlich zugleich, kommt pausbackig, mit leuchtend roten Wangen daher und will doch klassisch sein. Ich hatte vor Probenbeginn solche Angst, dass ich nicht mehr schlafen konnte. Aber bei der ersten Leseprobe hab ich mich mit den Schauspielern so amüsiert! Ich war sofort in alle verknallt. Egal, was das für ein Irrtum ist, in den ich mich womöglich hineinbegebe, ich mache es gern."

Die lästige Korrektheit

Will er uns mit dem Gleichnis von der pazifistischen Blumeninsel am Ende etwas sagen? Castorf hätte darauf gleich ein ganzes politisches Konzept errichtet. "Politisches Theater machen andere, vor allem die Politiker", grenzt er sich da scharf ab."Wir leben in einer Zeit der unfassbaren Verwirrung, was ist Fake und was die Wahrheit, und wie soll man die Wahrheit einfangen? Die Welt ist so verwirrt wie nie zuvor. Auch in der Kunst. Ist ein Kunstwerk, das ein Oligarch für 100 Millionen kauft und damit den Marktwert festsetzt, überhaupt Kunst? Darum lasse ich das Stück laufen, gebe Impulse und sehe den Schauspielern staunend zu, denn entscheidend sind die Impulse, die von ihnen kommen.

Vom politischen Deutungstheater habe er sich schon verabschiedet, als er bei Castorf seine ersten Regieversuche unternahm. "Ich wollte in keine Fußstapfen treten. Castorf und Schlingensief sind politisch enorm gebildet. Aber ich will mich nicht politisch äußern. Ich will Theater machen. Und der Zwang zum politischen Bekenntnis, wie er jetzt herrscht, widerstrebt mir. Man muss sich bekennen! Sänger müssen sich bekennen, sonst dürfen sie nicht auftreten! Allein der Begriff 'politische Korrektheit'! Der kommt aus totalitären Staaten, wo man nicht tun darf, was politisch nicht konform ist. Deshalb kann ich auch mit dem Begriff 'politisches Theater' nichts anfangen."

Herbert Fritsch: "Theater ist keine Schule"

Das nimmt sich betörend inkorrekt, um nich zu sagen konservativ aus. Stimmt er womöglich mit den immer zahlreicheren Kollegen überein, denen das Schrei-und Belehrungstheater der postdramatischen Ära aus dem Hals quillt? "Ich kann niemanden belehren, weil ich selbst merke, dass ich nichts mehr verstehe", ruft er die chaotischen Zeitläufe zu Zeugen auf. "Ich will mir nicht anmaßen, Leute, die sich mit ganz anderen Problemen beschäftigen, zu belehren, wenn sie ins Theater gehen. Theater ist keine Schule, kein Krankenhaus und keine Kirche. Sondern ein Ort der Lust. Louis Armstrong hat gesagt: 'All I want is make people happy.' Wir sind auf der Suche nach der Lust. Ich kann die Schauspieler nicht zuquatschen. Ich spiele mit ihnen mit, ich springe auf die Bühne und zeige, wie ich es machen würde. Man hat mit dem Theater alles Mögliche versucht: Es musste dokumentarisch sein, Konzepte umsetzen, alles mit Bildschirmen und Projektionen ... Was mich aber immer mehr mitnimmt, ist der Schauspieler."

Und das Schönste, das Entscheidende sei dabei die Musik. Weil man da nichts erklären müsse, "sie trifft mich, oder sie trifft mich nicht". Deshalb wird auf der Bühne des Bugtheaters auch jeder ein Instrument spielen. Erst recht diejenigen, die keines beherrschen.

Das passt insofern, als er, längst ein erfahrener Opernregisseur, zuletzt überwiegend in diesem Genre tätig war. Und das mit Schwergewichten wie "Salome", "Carmen" und "Fliegender Holländer". Das sei allerdings nicht Absicht, sondern Zufall. "Ich mache da auch keinen Unterschied. Es ist alles Theater. Auch der Tanz übrigens." Deshalb probt er gerade in Basel ein nicht alltägliches Projekt, eine Eigenkreation mit dem Titel "Vergeigt". Die moldavisch-österreichisch-schweizerische Weltviolinistin Patricia Kopatchinskaja trifft da auf Schauspieler, die ebenfalls Geige spielen, dies allerdings nicht einmal in der Kindergartenspielgruppenliga.

Ein Stück ohne Ende?

Nicht auszuschließen, dass sie sich noch bis zur Virtuosität vervollkommnen. Sie müssten bloß die lebensverändernde Entscheidung treffen, sich Fritschs Herzensprojekt anzuschließen, vorausgesetzt, es käme je zustande, worauf man nicht wetten sollte: eine Truppe aus Sängern, Schauspielern, Tänzern, die immer ein und dasselbe, somit ewige Stück weiterentwickeln. "Und wenn sie zu alt werden, übernehmen jüngere."

Zumindest in der nächsten Saison wird sich das noch nicht ausgehen, denn Herbert Fritsch kommt im Herbst an die Staatsoper und im Frühjahr an die "Burg" zurück.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 11/2023.

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