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Franzobel: „Die aktuelle Lage macht mir Angst vor meinen Ängsten“

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Franzobel

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Schon vor mehr als zehn Jahren wollte Franzobel einen Roman über einen gebürtigen Grönländer schreiben. Dass sich einmal ein amerikanischer Präsident für diese Insel im arktischen Atlantik interessieren könnte, hatte der oberösterreichische Autor nicht gedacht. Ein Gespräch über seinen Roman „Hundert Wörter für Schnee“, den Begriff „Eskimo“ und seine Skepsis gegenüber allen Parteien in Österreich.

Jahre bevor Donald Trump sich für Grönland interessierte, hatte der oberösterreichische Schriftsteller Franzobel das literarische Potenzial der größten Insel im arktischen Atlantik entdeckt. Konkret in Gestalt eines jungen Grönländers namens Minik. Im Jahr 2023 reiste Franzobel nach Grönland, um mehr über den Ursprungsort seines Helden zur erfahren. Der war ein Bub von sieben Jahren, als ihn der Polarforscher Robert Edwin ­Peary 1897 mit sechs anderen Bewohnern aus seinem Dorf nach New York brachte. Diese Inuit wurden im Keller eines Privatmuseums festgehalten und als menschliche Attraktion zur Schau gestellt. Fast alle starben an Tuberku­lose. Minik überlebte, wurde vom Museumsbesitzer großgezogen und in die Schule geschickt. Er starb 1918 in New Hampshire.

Mit seinem Roman „Hundert Wörter für Schnee“ lässt Franzobel Miniks ­Leben zur Literatur werden. Anlass für ein Gespräch.

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 © Bild: Privat

Wie kamen Sie auf Grönland?

Polargeschichten haben mich schon immer fasziniert. Dann habe ich in einem Museum in Norwegen das Bild von ­Minik gesehen, und das hat mich geflasht. Das war vor über zehn Jahren. Seine Geschichte und Grönland sind ein abwegiges Thema, aber ich wusste, ich werde darüber einmal schreiben. Als ich dann vor drei Jahren in Kanada war, woll­te ich sein Grab in New Hampshire besuchen. Von Montreal nach ­Clarksville ist eine komplizierte, lange Autofahrt. Als ich dann auf diesem Indian Stream Cemetery stand, war der komplett verschneit und ich konnte das Grab nicht finden. Da dachte ich, der Minik will nicht, dass ein Österreicher über ihn schreibt. Kurz darauf lernte ich aber die Grönland-Expertin Verena Traeger kennen, und plötzlich gingen alle Türen auf.

Im Roman liest man, dass Grönland seit Erik dem Roten keine Bedeutung hatte. Ausgerechnet jetzt, als Trump sich dafür interessiert, erscheint Ihr Roman. Als Sie über „Einsteins Hirn“ schrieben, kamen die ersten Debatten über KI auf. Haben Sie ein besonderes Sensorium?

Ich habe Angst vor meiner eigenen Prophetie. Es war jetzt schon mehrmals der Fall, dass es solche Koinzidenzen gegeben hat. Als der Krimi „Rechtswalzer“ herausgekommen ist, war der Ibiza-­Skandal. Auch beim „Floß der Medusa“ gab es Parallelen zur Wirklichkeit.

Darin erzählen Sie von Schiffbrüchigen der Fregatte „Méduse“ im Jahr 1816. Der Kapitän hatte sich wie sein Kollege vom Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ 200 Jahre später in Sicherheit gebracht.

Irgendwie erschreckend. Dieses Sensorium ängstigt mich selbst. Wenn ich mir die aktuelle Lage anschaue, das gegenwärtige Zerschlagen der Demokratie und die Kriegsbegeisterung, habe ich Angst vor meinen Ängsten.

Im Nachwort zum aktuellen Roman schildern Sie, wie Sie mit einem Nachkommen des Forschers Robert Peary im Polarmeer unterwegs waren. Der Mann litt an Parkinson und musste auf offenem Meer den Motor des Boots wieder in Gang bringen. Hatten Sie da keine Angst?

Er musste mit seinen zitternden Händen die Zündkerze wechseln, mitten im ­Eismeer auf einem kleinen Schinakel mit Außenbordmotor. Da ist man, wenn man ins Wasser fällt, verloren. Nach wie vor sterben dort Jäger auf dem Meer. Aber wahrscheinlich habe ich doch ­etwas Todesverachtung in mir. Wenn es um Recherche geht, bin ich fast mutig. Sonst weniger.

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Grönland aus der Sicht des Schriftstellers: Reiseeindrücke, fotografisch festgehalten von Franzobel

Ich sah den Begriff ,Eskimo‘ nie negativ. Meine Generation verband das mit lustigen Menschen in Fellen oder mit Eislutschern

Wie haben Sie Grönland erlebt?

Unglaublich ruhig. Selbst auf einem Hügel haben wir das Atmen der Walrösser in der Bucht gehört. Die Landschaft ist so mächtig, so großartig. Man fühlt die Winzigkeit der eigenen Existenz. In der Wüste ist es mir ähnlich gegangen, aber in der Sahara ist mehr Zivilisation als in Nordgrönland.

Warum will Trump Grönland?

Touristisch wird es sich nicht groß ausbeuten lassen. Da leben so viele Leute wie in St. Pölten, nämlich 60.000, und es ist 25-mal so groß wie Österreich. Im Norden, wo ich war, wohnen 300 Menschen, und die ernähren sich größtenteils von dem, was sie aus dem Meer rausziehen, also von Meeressäugern. Aber Grönland hat enorm viele Bodenschätze. Es ist als Handelsroute interessant und militärisch, weil man von dort aus viel schneller in Moskau oder Peking ist als von ­jedem Stützpunk in Amerika. Ich weiß nicht, was Trump da vorhat, aber für die Leute dort schwant mir nichts Gutes.

Die Dänen waren alles andere als gut zu den Grönländern. Haben Sie davon gehört, dass man den Eltern ihre Kinder weggenommen und nach Dänemark gebracht hat, wo sie zu Dänen umerzogen worden sind?

Es gab sogar Zwangssterilisierungen. Man hat ihnen ihre Sprache verboten, ihre Fetische, den Schamanismus. Es gab eine Christianisierung, aber ob die sich durchgesetzt hat, ist schwer zu sagen. Ich habe eine Messe besucht, da waren drei, vier Leute in der Kirche. Allerdings sind bei mir zu Hause in Pichlwang, Oberösterreich, meist auch nicht viel mehr.

Wenn von Kolonialismus die Rede ist, dann meistens von Südamerika, Afrika, Ländern in der Karibik. Aber was mit Grönland geschehen ist, ist doch auch Kolonialismus, nicht?

Natürlich. Aber die Nordgrönländer ­haben sich ihre traditionelle Lebensweise teilweise bewahrt. Es ist ihnen wichtig, dass sie erhalten bleibt. Als ich dort war, gab es zum Beispiel gerade eine ­Kajak-Meisterschaft mit Wettfahrten, Harpunenwerfen, Eskimorollen. Aber die Zivilisation kennt keine Grenzen. Auch grönländische Kinder haben mittlerweile Handys und kriegen mit, was in der Welt passiert. Der Alkoholkonsum ist stark verbreitet. Deshalb wird im Norden kein harter Alkohol verkauft, weil sie sich sonst niederkübeln würden. Die Suizidrate ist hoch. Die Leute fühlen sich zerrissen. Sie wollen unabhängig werden, wissen aber um ihre Abhängigkeit von Dänemark. Sie bekommen relativ viel Geld, ich glaube, 500 Millionen Euro pro Jahr, und militärischen Schutz. Trotzdem fühlen sie sich als Menschen zweiter Klasse. Sie dürfen etwa nur alle zwei Jahre ins Ausland reisen.

Wieso denn das?

Das verstehe ich auch nicht. Die Dänen selbst haben zu Grönland keine Beziehung. Die wenigsten waren dort, abge­sehen von ein paar Eisberg-Touristen. Es gibt ein paar Grönländer in Dänemark. Das Grönlandzentrum in Kopenhagen sieht aus wie ein Obdachlosen-Asyl. Klar ist aber, dass die Grönländer ­unabhängig werden wollen. Wie das funktionieren kann, ist eine andere Frage.

Haben Sie Bedenken, dass man Ihnen Vorwürfe macht, weil Sie den Begriff „Eskimo“ verwenden?

Ich habe den Begriff nie negativ gesehen. Meine Generation hat das mit lustigen Menschen in Fellen verbunden oder mit Eislutschern. Die Grönländer selbst haben mit dem Begriff überhaupt kein Problem, bezeichnen sich auch selbst so. Wenn ich wissen wollte, ob man sie ­Eskimos nennen darf, haben sie gelacht und gemeint, das sei überhaupt kein Problem. In Kanada ist das völlig anders. Auch in Alaska, wo Inuit ihre traditionelle Lebensweise überhaupt nicht mehr ­pflegen, ist „Eskimo“ ein No-Go, fast so schlimm wie das N-Wort. Mir kommt das aufgesetzt vor. In Alaska ­leben die Inuit westlich, fahren Motorschlitten und veranstalten Schlittenhunderennen nur für Touristen. Aber Eskimo darf man nicht sagen. Das ist eine lächerliche Zweischneidigkeit.

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Franzobel

wurde am 1. März 1967 als Franz Stefan Griebl in Vöcklabruck, OÖ, geboren. Sein Autorenname setzt sich aus dem Vornamen seines Vaters und dem Nachnamen seiner Mutter zusammen. Seinen Durchbruch als Schriftsteller verschaffte ihm sein Sieg beim Bachmannpreis 1995. Franzobel lebt in Wien.

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Wir sollten uns die Schweiz zum Vorbild nehmen, Berufspolitiker abschaffen

Das N-Wort verwenden Sie im Roman aber auch.

Im historischen Kontext und in der ­direkten Rede. Ich halte den Leser schon für so reif, dass er das richtig einzuordnen versteht.

Wird Kunst durch ständiges Rücksichtnehmen eingeschränkt?

Dieses übertriebene Woke-Sein, wobei vom Grundgedanken vieles richtig ist, ­artet dermaßen aus, dass ein Mensch, der sich nicht intensiv damit beschäftigt, überhaupt nicht mehr weiß, wie er was sagen soll und darf. Leute wie meine ­Eltern sind total verunsichert. Aber im Grunde geht es nur um den Respekt, mit dem man anderen Gruppen begegnet. Das ist nicht nur die Sprache. Sobald es zu viele Verbote gibt, bekommt das etwas Diktatorisches, ja fast Faschistoides und wird zur Denkverhinderung. Respekt ist wichtig. Aber wenn Boulevardmedien nur generalisieren, wird es schwierig mit Toleranz und Ausgewogenheit.

Wie ist das für Sie, wenn Sie von einer langen Reise nach Hause kommen? Verschafft Ihnen das einen anderen Blick auf Österreich?

Österreich verblüfft mich immer wieder. Zuletzt war ich erstaunt, weil es so viele Pleiten gab. Ständig ist irgendeine große Firma in Konkurs gegangen oder in die Insolvenz geschlittert. Gleichzeitig kann man kaum noch in ein Kaffeehaus gehen, ohne reserviert zu haben, weil die Leute das letzte Geld auf den Kopf hauen. Die Leute leben so, als gäbe es kein Morgen. Aber vielleicht ist das so.

Inwiefern?

Mich erinnert die Situation an die Dreißigerjahre. Als die Leute sehr schnell bereit waren, Gewalt auszuüben. Heute sind viele aus Protest FPÖ-Wähler, auch wegen der Migranten. Es gibt diese dumpfe Ausländerphobie. Ich wohne im 17. Bezirk in Wien, da ist ein hoher Migrantenanteil. Wenn ich mich mit meinem Wirten aus dem Irak oder ­einem Taxifahrer aus Syrien unterhalte, merke ich, welche Bereicherung diese Leute sind, wenn sie mir ihre Geschichten erzählen. Komischerweise gibt es in Wien weniger FPÖ-Wähler als auf dem Land, wo es kaum Ausländer gibt. Das ist ein eigenartiges Phänomen. Das ­Ausländer-Thema bringt den Rechten die Stimmen. Kein leichtes Thema. Ich kann nicht sagen, wie das zu lösen ist. Remigration ist kein Weg, aber alle ­aufnehmen geht auch nicht.

Was entgegnet man den populistischen Angriffen auf die Kultur?

Auch mich fragen die Leute, warum man so viel Geld in die Kultur stecken muss. Aber es gibt so viele Initiativen, kleine Theater, freie Radiosender wie das Radio Salzkammergut oder Radio Helsinki, die ich sehr gerne höre. Die würden zugrunde gehen. Der Österreicher schimpft auf die Kultur, ist aber im Grunde ein kultureller Mensch. Das merke ich, wenn ich aufs Land komme, auch Menschen, die keine Bücher lesen, erkennen mich. Die reden auch von der Minichmayr oder dem Schalko. Da merkt man dann schon, dass sie auf ­unsere Kultur stolz sind.

Könnten FPÖ-Wähler nicht von Amerika lernen? Millionen Beamte verlieren dort ihre Jobs. Das Sozialsystem wird noch schwächer …

Trump halte ich für sehr viel gefährlicher als Kickl oder die AfD, weil der an wirklichen Schaltknüppeln sitzt. Der kann tatsächlich das demokratische System aushebeln. Es ist tragisch, wie dieses Duo Infernale, Trump-Musk, die Welt so nebenbei kaputt macht. Klima ist ein sensibles Thema, aber wenn man sieht, wie die Welt langsam zugrunde geht, kommt einem schon das Frühstück hoch. In Thailand sehen viele Meeres­böden wie Schlachtfelder aus – übersät mit toten Korallen, weil es vor ein paar Jahren schon so warm gewesen ist. Das bedeutet, es gibt keine Fische mehr, ­keine Pflanzen, nur noch Seeigel. Oder die verheerenden Überschwemmungen. Aber der Klimawandel ist kein Thema, das Politikern Stimmen bringt. Leider.

Wie sollte es in Österreich jetzt weitergehen?

Ich stehe allen Parteien mit Skepsis gegenüber, weil ich das Gefühl habe, dass alle Blender sind. Am liebsten wäre mir wieder eine Expertenregierung wie die von Bierlein. Diese Parteipolitiker haben in ihrem Leben meist nichts anderes kennengelernt als ihre Partei. Sie führen ein Politikerleben von der Jugendorganisation bis in die Parteispitze. Solche Leute haben doch keine Ahnung vom wirklichen Leben. Ständig zeigt sich, man kann ihnen nicht glauben, nicht vertrauen. Wir sollten uns die Schweiz zum Vorbild nehmen, Berufspolitiker abschaffen.

Wir sprachen darüber, dass oft eintritt, was Sie in Ihren Roman schreiben. Wäre das nicht ein Thema für Ihren nächsten Roman?

Ich beschäftige mich gerade intensiv mit dem Nationalsozialismus. Die Parallelen zur Gegenwart sind erschreckend. Ich hoffe sehr, dass meine prophetische Begabung diesmal danebenliegt.

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Das Buch

„Hundert Wörter für Schnee“, eine auf­wühlende Geschichte über das geknechtete Volk der Inughuit von Franzobel.

Zsolnay, € 28,80

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.08/2025 erschienen.

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