Der deutsche Bestseller-Autor über seinen Roman "Helden", die Zukunft als „Angstort“, Elon Musk und den persönlichen Gebrauch der KI
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Herr Schätzing, Sie kehren in Ihrem Roman „Helden“ fast 30 Jahre nach „Tod und Teufel“ ins Mittelalter zurück. Verblüffend für Kenner Ihrer visionären Geschichten. Wie kam es dazu?
Ehrlich gesagt, ich war selbst verblüfft.
Wollen Sie in Zeiten von Kriegen und Kriegen ihren Lesern einen Zufluchtsort in der Vergangenheit bieten oder gar sich selbst?
Nein. Man darf der Gegenwart nicht entfliehen, sie ist der Ort, an dem wir die Zukunft gestalten. Nur, das letzte Jahrhundert war die Zeit der Utopien. In den 1970ern war man überzeugt, alles werde immer besser. Jetzt haben wir keine Utopien mehr, nur Dystopien. Die Zukunft ist ein Angstort geworden, also suchen Menschen ihre Zukunft in der Vergangenheit, ob Artus oder AfD. „Helden“ ist keine Einladung zum Eskapismus, sondern ein Abenteuertrip in eine Vergangenheit, wo wir erleben, wie Zukunft gemacht wird in einem Klima der Zuversicht und der Erneuerung. „Helden“ ist gewissermaßen Science-Fiction in umgekehrter Zeitrichtung.
Ihr Gereon verkörpert den Kapitalisten, wie wir ihn heute haben. Hat sich die Menschheit in 700 Jahren nicht geändert?
Wenig. Im 13. Jahrhundert wurde der Kapitalismus erfunden. Da löste die Geldwirtschaft die Naturalienwirtschaft ab. Eine neue Zeit. Geld brachte den Welthandel auf eine Weise in Schwung, wie man das zuvor nicht gekannt hatte. Man hatte getauscht: Schwein gegen Schwert, Wein gegen Wolle. Dann explodierte der Überseehandel mit den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens. Die hatten etliches, was Europas Luxusmärkte ersehnten, kostbare Stoffe, Gewürze – unsere Waren und Naturalien interessierten die weniger. Also bezahlten wir sie in geprägtem Silber. Mit dem Geldmarkt entstanden die Bankhäuser. Ende des 13. Jahrhunderts sehen wir einen Kapitalmarkt, der Vergleiche mit dem heutigen nicht zu scheuen braucht.
Sie gehen in Ihrem Roman sogar noch weiter. Da liest man, die Leute geben Geld aus, das es nicht gibt. Womit man bei Bitcoins und Kryptwährungen ist. Das ist doch wie heute, oder?
Es entstanden Finanzmärkte, die crashen konnten. Waren-Termingeschäfte, praktisch alle Arten von Spekulationsgeschäften. Man beginnt, Kapital einzusetzen, das es nicht gibt, aber irgendwann geben könnte, eben weil man dieses virtuelle Kapital eingesetzt hat. Die Self-Fulfilling Prophecy: Ich bezahle dir einen Preis, den ich de facto jetzt noch nicht bezahlen kann, für einen Gegenwert, den du noch nicht leisten kannst. Wir wetten darauf, dass alles gut geht. Klappt es, machen alle enorme Gewinne. Geht es schief, reißen wir Tausende mit in den Abgrund.
Da sind wir aber heute nicht viel weiter gekommen.
Eigentlich nur in den Dimensionen. Verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und Vermögen gab es früher auch und gibt es immer noch. Dem gegenüber traten bald Raubtierkapitalismus, Gier, Zockerei und Betrug. All die negativen Begleiterscheinungen entwickelten sich relativ schnell, insofern hat sich wenig geändert. Was die heutige Zeit von der damaligen unterscheidet, ist die Geschwindigkeit der Kommunikation. Jede Form von Geschäft basiert ja auf Information. Die war schon im 13. Jahrhundert ein hohes Gut, verbreitete sich aber vergleichsweise langsam.
Sie geben ein Beispiel dafür mit der Übermittlung einer Bulle vom Papst.
Genau, man handelte nach dem Diktum eines Papstes, der tatsächlich schon drei Monate tot war. Und irgendwann kam dann ein reitender Bote von Italien nach England und sagte, der Papst ist tot. Heute weiß man alles in Echtzeit. Damals hatte man längere Reaktionszeiten, konnte aber auch mehr abwägen, bevor man handelte. Insgesamt gibt es etliche Parallelen zwischen damals und heute. Man muss gar nicht nach ihnen suchen. Sie drängen sich auf.
Ist der Fuchs eine Art Alter Ego von Ihnen? Etwa, wenn er sagt, Schreiben kann man nur durch Schreiben lernen?
Nein, es gibt kein echtes Alter Ego von mir. Da habe ich – zumindest nach meinen eigenen Maßstäben – eine Binsenweisheit verkündet. Ich habe immer danach gelebt, dass man nur besser in etwas wird, wenn man es möglichst oft tut. Darüber musste ich nie groß nachdenken. Aber sicher, Jacop trägt schon Züge von mir – seine Entdeckerfreude, seine Freiheitsliebe. Ich habe ja auch als Herumtreiber angefangen, indem ich mich in sämtlichen Genres herumgetrieben habe, ohne konkreten Plan, was daraus entstehen soll. Hauptsache, Neues ausprobieren.
Eine der zentralen Fragen des Romans ist, wie man seine Dämonen loswird. Die Antwort geben Sie selbst: indem man sie erkennt. Wie kann man das heute in die Praxis umsetzen?
Für mich einer der zentralen Sätze. Erkennen heißt verstehen, womit man es zu tun hat. Dämonen sind gleichbedeutend mit Ängsten. Ein Dämon kann beispielsweise die Angst vor Ausländern sein. Dämonen gewinnen Macht, wann immer wir uns überfordert fühlen, etwas nicht durchblicken, uns verweigern, uns abgehängt fühlen. Erkennt man das Wesen einer Bedrohung, kommt man womöglich zur Erkenntnis, dass es gar keine Bedrohung ist, und falls doch, wie man ihr begegnet. Ohnmacht entsteht aus Unkenntnis. Was wir nicht verstehen, macht uns Angst. Gerade leben wir in einer Zeit der Reizüberflutung durch multiple Krisen. Evolutionär sind wir nicht darauf vorbereitet. Die meisten Menschen, die gegen Klimaschutz sind, wissen nicht mal, was Klimawandel ist, geschweige denn menschgemachter Klimawandel.
Sie erklären das in ihrem Buch, „Was, wenn wir einfach die Welt retten“. Bereitet es Ihnen Sorgen, dass die Grünen in so einer Zeit in Deutschland und in Österreich an Stimmen verlieren?
Absolut, aber mein Herz schlägt nicht parteipolitisch grün. Ich möchte, dass wir wieder lernen, uns als Teil der Natur zu begreifen, statt ihr antagonistisch zu begegnen. Dass wir unsere Wertschöpfungsketten und Lebensweisen, die uns in die Bredouille gebracht haben, ändern. Dem Planeten ist es egal, ob wir ihn bewohnen oder nicht und wie viele Tierarten auf ihm leben, ob er eine Atmosphäre aus Sauerstoff oder Methan hat. Wir können die Welt nicht zerstören. Aber wir können unsere Welt zerstören! Wer das begriffen hat, wird automatisch grün.
In unserem letzten Interview sagten, Sie, Sie könnten sich eine KI als Mitautor vorstellen. Haben Sie das schon versucht?
Hab ich, klar! Aber ich lasse die KI nicht für mich schreiben. Das mache ich dann doch zu gerne selbst. Ich setze sie anderweitig kreativ ein, habe etwa das Buch-Cover mit KI entwickelt und die Social-Media-Trailer zum Roman.
Die Darsteller sehen total echt aus. In Hollywood gab es vor einem Jahr einen langen Streik, um derlei abzuwenden. Haben Sie keine Bedenken, dass man Ihnen das übel nimmt? Sie könnten doch so eine Serie produzieren.
Und genau das würde ich nicht machen. Mein Cover und meine Charaktere so umzusetzen, war meine persönliche Entscheidung als Künstler, die KI gewissermaßen mein Zeichenstift, mein Pinsel, mein Werkstoff, so wie ich als Musiker darüber entscheide, ob ich ein Streichquartett oder einen Synthesizer einsetze. Darüber hinaus gilt: KI muss für Künstler da sein. Ziel darf nicht sein, Künstler durch sie zu ersetzen. KI-generierte Trick-Effekte, super! Schauspieler und Schauspielerinnen aus Fleisch und Blut! Kennen Sie den Film „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“?
Der Tiger darin sieht echt aus, ist aber das Geschöpf eines Computers. Damals nannte man das noch CGI. Die beste Lösung für Tierfilme.
Ja, wenn eine Art ausgestorben ist, oder damit am Set keiner gefressen wird. Aber Menschen sind durch keine künstliche Inteligenz ersetzbar.
Frank Schätzing
wurde 1957 in Köln geboren. Der studierte Kommunikationswissenschaftler gründete eine Werbeagentur, verfasste Krimis mit Kölner Lokalkolorit. Den Durchbruch als Schriftsteller verschaffte ihm 2004 der Thriller „Der Schwarm“, von dem er 4,5 Millionen Exemplare verkaufte. Demnächst will er als Musiker einer Band auftreten. Schätzing lebt mit seiner Frau in Köln.