Seine Rolle als Auftragsmörder und Analphabet Léon verschaffte dem Franzosen Jean Reno vor mehr als 30 Jahren den cineastischen Durchbruch. Jetzt legt er seinen ersten Spionageroman vor. „Emma“ ist ein Pageturner mit Sogwirkung. Ein Gespräch über Inspiration und die Freiheiten des Schauspielers
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Der französische Geheimdienst hat sofort erkannt, dass die 28-jährige Physiotherapeutin Emma Morvan alles mitbringt, was eine Agentin braucht: Mut, Verstand, Entschlossenheit und Sinn für Ironie. Ihr besonderer Trumpf ist ihre Attraktivität. „Blond, schwarze Augen, außergewöhnliche Erscheinung. Hervorragende Reputation. Für nachrichtendienstliche Zusammenarbeit geeignet“, lautet die Personenbeschreibung in einem „vertraulichen Bericht“ der Regierung.
Eine Heldin wie geschaffen für großes Action-Kino, eine der Kernkompetenzen ihres Schöpfers. Denn der ist der französische Schauspieler Jean Reno. Als Auftragsmörder in Luc Bessons Thriller „Léon – Der Profi“ wurde der heute 76-Jährige selbst zur cineastischen Ikone dieses Genres. Das ist mehr als 30 Jahre her. Jetzt hat Reno seinen ersten Spionageroman veröffentlicht. „Emma“ ist eine Geschichte mit Sogwirkung. Im Zentrum steht eine junge Physiotherapeutin, die im Oman Wellness-Trainer ausbilden soll, die deutsche Übersetzung erscheint in diesen Tagen bei Lübbe. Für News steht Reno in New York per Video-Call zur Verfügung. Der Herr mit Nickelbrille wirkt wie ein Literaturprofessor. Man kann sich kaum vorstellen, dass derselbe Mann einst im Film überzeugend einen mordenden Analphabeten verkörpert hat.
Action und Sinn für Romantik
Denn Schreiben ist eine Lebenspassion des Schauspielers Reno. Schon seit Langem, sagt er, habe er einen Roman über eine junge Frau schreiben wollen. Doch die Arbeit als Schauspieler habe ihm keine Zeit dafür gelassen. „Dann kam Corona“, blickt er auf den beklemmenden Stillstand vor fünf Jahren zurück. Reno zog sich in sein Landhaus bei Avignon in der Provence zurück und suchte Zuflucht bei der klassischen Literatur. Dann fiel ihm ein, dass er doch selbst einmal etwas schreiben könnte.
„Zunächst dachte ich an eine romantische Geschichte mit einer jungen Frau im Zentrum, denn im Grunde bin ich ein romantischer Mensch“, gibt er Einblick in seine Schreibwerkstatt. Ob ihn Flauberts Emma Bovary zu seiner Emma inspiriert hat? Der ursprüngliche Titel seines Romans sei „Laras Hände“ gewesen, erklärt Reno. Doch sein Verleger habe ihm davon abgeraten, denn Laras gäbe es in der Spannungsliteratur mehr als genug. Da er aber gerade dabei war, Flauberts ,Madame Bovary‘ zu lesen, sei es für ihn naheliegend gewesen, seine Figur nach ihr zu benennen. „Aber die beiden Emmas haben nichts miteinander zu tun“, stellt er klar.
Heldin mit Schuldgefühlen
In der Tat ist Renos Emma das genaue Gegenteil ihrer literarischen Namensschwester. Sie ist unabhängig und hat einen Beruf, der sie ausfüllt. Als Physiotherapeutin mit magischen Händen ist sie die Gefragteste im Thalasso-Zentrum im bretonischen Quiberon. Ihr Ruf reicht bis in den Nahen Osten. Tariq Khan, ein junger, charismatischer Unternehmer aus dem Oman, holt sie nach Maskat. Dort soll sie Therapeuten für ein Wellness-Zentrum einschulen. Reno erzählt mit Rasanz, ein veritabler Pageturner. Aber er beeindruckt auch mit eindrücklichen Landschaftsschilderungen. Eine Produktionsfirma hat das Potenzial von Renos Geschichte entdeckt und um die Filmrechte angefragt.
Dass Emma auf den ersten Blick an eine Figur aus einer klassischen Marvel-Superhelden-Reihe erinnert, will Reno nicht gelten lassen. Auch Ähnlichkeiten mit James Bond weist er zurück. Seine Emma sei kein Produkt, sondern ein Mensch. Sie hat Schlimmes erlebt, saß am Steuer, als ihr Auto angefahren wurde. Ihre Mutter auf dem Beifahrersitz überlebte den Zusammenstoß nicht. Geblieben sind Schuldgefühle, auch Jahre danach.
Das Schlimme im Roman gehe auf eigene Erfahrungen zurück, sagt Reno. Er war 17, als seine Mutter an Krebs starb „Man lebt sein ganzes Leben lang mit dieser Wunde, wenn man einen Elternteil verliert. Aber Sie wissen, was der Heilige Augustinus sagt: Die Toten sind unsichtbar, aber sie sind nicht weg. Ist das nicht schön? Wir sind so immer von ihnen umgeben. Das ist etwas ganz Besonderes“, sagt Reno.
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Das Buch
„Emma“ – eine Physiotherapeutin aus der Bretagne soll im Oman für den französischen Staat spionieren. Erstklassige Spannung von Jean Reno.
Lübbe, € 25,50
Geerbtes Heldentum
Renos Eltern mussten vor Francos faschistischem Regime aus Spanien fliehen. Das Paar fand in Casablanca, Marokko, eine neue Heimat. Dort wurde Jean Reno geboren. Im Roman lässt er einen Antifaschisten auftreten, Emmas Großvater, der in der Résistance war. Will er mit dieser Figur vor heutigen rechten Gefahren warnen? „Ich dachte gar nicht an aktuelle politische Umstände beim Schreiben. Emmas Vater führt als Beamter ein ruhiges Leben. Aber sie braucht einen Helden in ihrer Familie. Der Großvater füllt diese Lücke. Sein Mut und seine Fähigkeiten haben sich auf Emma übertragen. Wir tragen viel von unseren Vorfahren in uns weiter.“
Dass er einen Teil seines Romans im Oman spielen lässt, geht auf seine Kindheit in Casablanca zurück. In Marokko hat er vom Lebensgefühl, von der Einstellungen zu Frauen in arabischen Ländern viel mitbekommen. Seine eigene Lebensgeschichte hat ihn zu einem Bühnenstück inspiriert, das er demnächst in Japan auf die Bühne bringt. Sein Sohn hat dazu die Musik komponiert.
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Der Schauspieler
Jean Reno, geboren am 30. Juli 1948 in Casablanca, spielte in einer Unzahl an Filmen, u. a. „Im Rausch der Tiefe“, „Da Vinci Code“ und „Ein Sommer in der Provence“. Das Bild zeigt ihn mit der 12-jährigen Natalie Portman in „Léon – Der Profi“.
© Everett Collection / picturedesk.comKeine Angst vor KI
Dass sein berufliches Leben auch sein Schreiben inspiriert habe, wehrt Reno indes ab. Mit seinen Filmrollen schließt er ab, wenn die letzte Klappe gefallen ist. „Vom Zurückblicken bekommt man doch nur Nackenschmerzen. Das gilt für alle Menschen, für mich genauso wie für Sie. Wenn die Arbeit einmal getan ist, ist sie getan. Viele Filme, in denen ich gespielt habe, haben funktioniert, manche nicht. An manche Figuren erinnern sich die Leute gern, andere werden vergessen. Ich nehme meine Figuren nie mit ins Bett. Das wären zu viele“, blickt Reno auf seine Arbeit als Schauspieler zurück. Woran er sich aber immer gern erinnere, seien die Begegnungen mit Kollegen wie Gary Oldman oder die Arbeit mit der kaum zwölfjährigen Natalie Portman. „Luc Besson hatte die Idee, dass sie mir im Film die Haare schneidet. Sie hat mir dann kleine Löcher in die Frisur geschnitten. So etwas vergesse ich bei einem Film nicht“.
Fehlen ihm diese Begegnungen mit Menschen beim Schreiben nicht oder ist die Freiheit als Autor ein adäquater Ersatz? „Auch als Schauspieler hat man viele Freiheiten. Wenn er klug ist, lässt er einen Schauspieler zuerst agieren. Wenn das nicht funktioniert, kann man das immer noch korrigieren. Ein Regisseur ist entweder ein Feind oder ein Freund.“
Bevor sich das Gespräch dem Ende zuneigt, noch ein Blick auf das Filmbiz in Zeiten von Künstlicher Intelligenz.
Mit KI könne man Stimmen und Schauspieler kopieren und mit dem Material sogar ganze Filme produzieren, aber er hoffe, dass man immer erkennen werde, was echt ist. „Allerdings“, stellt er mit Nachdruck fest, glaube ich fest daran, dass eine Live-Performance mit echten Clowns, Sängern und Zauberern, die uns seit den Griechen in der Antike begleitet, niemals von einer KI ersetzt werden kann. Darstellende Kunst bleibt etwas Einzigartiges, sie wird niemals sterben.“
Eins noch: Hatte er nie Bedenken, dass man die schriftstellerische Arbeit eines Schauspielers nicht fair bewerten würde? „Natürlich. Man hat immer eine gewisse Angst. Aber ich wünsche mir, dass die Leute mein Buch mögen und Spaß beim Lesen haben.“ So wie er beim Schreiben.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.09/2025 erschienen.