Als cineastisches Genie verehrt, als Hitlers Freundin verachtet. Die deutsche Regisseur Andres Veiel wirft in seiner Dokumentation „Riefenstahl“ einen neuen Blick auf die Propagandafilmerin der Nazis und erklärt in News, warum sie heute viele Arbeitgeber hätte (ab 31. Oktober im Kino)
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Der Trupp der Kameramänner folgt den strengen Anweisungen der jungen Frau. Jede Einstellung ist von ihr akribisch festgelegt. Tausende Uniformierte sollen ins rechte Licht gerückt werden. Sowie ihr Auftraggeber, ihr „Führer“ Adolf Hitler. Mit ihm hat die Filmemacherin Helene Bertha Amalie Leni Riefenstahl (1902–2003) die Aufmarschpläne der Truppen für „Triumph des Willens“, ihre Dokumentation des Reichsparteitags in Nürnberg 1934, abgesprochen. Die Totale zeigt Hunderte strammstehende Soldaten. Nahaufnahmen zoomen Insignien wie den Reichsadler heran. Setzen sich die Truppen im Stechschritt in Bewegung, geschieht das akkurat im Takt der Marschmusik.
Dachau – ein Lager für Spione?
1936 dokumentiert Riefenstahl die olympischen Spiele in Berlin. Die Schönheit der sportlichen Körper habe sie fasziniert, wird sie später die Aufnahmen des vierfachen Olympiasiegers aus den USA, Jesse Owens, des ersten Schwarzen, den sie gesehen habe, kommentieren. Für ihre Vorführungen von „Olympia“ wird Riefenstahl 1938 in Italien mit der Coppa Mussolini ausgezeichnet, in Frankreich heftig akklamiert. In den USA jedoch von den meisten Studios boykottiert. Lediglich Disney öffnet ihr die Pforten. Zeit ihres Lebens beteuerte Riefenstahl, dass sie einzig von der Kunst eingenommen worden sei, das habe ihr für Politik keine Zeit gelassen. Vom Holocaust habe sie nichts gewusst. Das einzige Konzentrationslager von dem ihr erzählt wurde, sei Dachau gewesen als Lager für Spione, nicht für Juden.
„Meisterhafte Doku“
„Verehrt als cineastisches Genie, verachtet als Hitlers Freundin“, beschrieb die „New York Times“ Leni Riefenstahls Leben, als diese 2003 im Alter von 101 Jahren im bayerischen Pöcking verstarb. Der deutsche Regisseur Andres Veiel lässt Riefenstahl nun selbst zu Wort kommen: 2018 wurde der Nachlass zugänglich, den Veiel mit seinem Team mehrere Jahre lang aufarbeitete. Mit der deutschen Moderatorin Sandra Maischberger als Produzentin entstand die Dokumentation mit dem Titel „Riefenstahl“. Für die britische „Times“ eine „meisterhafte Doku, ernüchternd und zutiefst unheimlich“.700 Kisten, 50.000 Fotos, 300 Aktenordner, private Super-8-Filme, unveröffentlichte Ausschnitte aus Interviews und Kassetten, auf denen sie Telefonate mit ihren Anhängern aufzeichnete, hat Veiel in 115 kompakten Minuten komprimiert.
Affären mit Goebbels
„Auch wenn ich mich dadurch angreifbar mache, betrachte ich die Biografie dieser Frau ergebnisoffen, ohne zu moralisieren. Es wäre zu billig, sie einfach nur vor ein Tribunal zu stellen und zu sagen, alles Lüge, Legende“, kommentiert Veiel gegenüber News seine Arbeit. Er überlässt die Schlussfolgerungen den Betrachtern.
Erstaunlich jedoch, was Veiel ans Licht der Leinwand bringt, wenn er Riefenstahls Aussagen gegen ihre eigenen Aussagen stellt, oder gegen ihr Schweigen. Joseph Goebbels habe sie mit Gewalt haben wollen, sein Leben hätte er für sie riskiert. „Wenn Hitler von diesen Affären gewusst hätte!“, mit diesen Worten blickt Riefenstahl auf ihr Leben zurück. Warum sie dann jäh abbricht? War alles nur erfunden, zu privat?
Ums Leben gedrillt
Die Vernebelung von Fakten ist ihre Methode, auch, wenn es um ihre Kindheit geht. So schreibt sie in ihren über 600 Seiten starken Memoiren kein einziges Wort, wie sie vom Vater gedrillt wurde. Als sie schwimmen lernen sollte, warf der Vater das Kind mit einer Schwimmweste aus Schilfrohr in einen See. Dass sie dabei fast ertrunken wäre, kommentiert sie in einem Interview lakonisch: So sei sie eine gute Schwimmerin geworden. Für Veiel ist das die Kernerzählung dieses Lebens. „Dieses Siegreiche, Heroische ist ihr im wahrsten Sinne des Wortes in dieser preußischen Erziehung reingeprügelt worden.“
In knappen Sequenzen verfolgt Veiel das junge Leben der stramm Erzogenen, blendet Fotos der Tänzerin Riefenstahl ein und zeigt Szenen aus dem Film „Das blaue Licht“, der ihr 1932 zum Durchbruch als Regisseurin verhalf. Sie selbst spielt eine Frau namens Junta, die einen mystischen Kristall in den Bergen bewacht, von dem ein seltsames Licht ausgeht. Ein Maler verrät den Dorfbewohnern, was er gesehen hat. Der Kristall wird abgebaut und Junta stürzt in den Tod, weil sie nicht fassen kann, dass ihr Schatz verschwunden ist.
Riefenstahl scheut dafür kein Risiko, klettert barfuß über Steilwände, erledigt jede Stuntszene selbst. Jahrzehnte später behauptet sie in einem Interview, sie hätte damals nicht geahnt, dass sie damit die Nationalsozialisten beeindrucken könne. Veiel forscht nach, findet im Nachlass einen Hinweis auf ein Interview, das sie dem britischen „Daily Express“ 1934 gab. Das Blatt fehlt, er beschafft sich das Original. Der britischen Zeitung verrät Riefenstahl, sie habe 1931 „Mein Kampf“ gelesen und sei bereits nach Seite eins eine begeisterte Nationalsozialistin gewesen. Pure Überzeugung oder Opportunismus? Hätte das Nazi-Regime ohne Riefenstahl weniger Macht ausüben können? „Ich glaube schon, dass sie einen gewissen Anteil daran hatte, dass sich dieses Regime so entwickeln konnte“, sagte Veiel.
1965 relativiert sie ihre Begeisterung für Hitler im kanadischen Fernsehen: „Ich würde nie sagen, dass ich das für Hitler gemacht habe, ich habe den Auftrag bekommen, das zu machen, und habe meine Pflicht erfüllt, so gut ich konnte, wenn mir Roosevelt den Auftrag gegeben hätte oder Stalin, hätte ich das auch gemacht.“
Veiel sieht das nicht so. „Ihr Begriff von Schönheit, von der Reinheit der Rasse und der Überlegenheit der einen über die anderen, das ist die Ideologie des NS-Regimes, das ist ,Mein Kampf‘. Deshalb würde ich es infrage stellen, ob sie wirklich für Roosevelt oder Stalin auch so gearbeitet hätte, weil sie überzeugte Nationalsozialistin war und das auch nach dem Krieg noch war.“ Noch dazu hätte ihr Roosevelt nicht das Pathos geliefert, das sie für ihre Arbeit brauchte.
Der Film zur US-Wahl
Sie sei zwar eine gute Regisseurin gewesen und habe Filme gekonnt geschnitten. Aber, betont Veiel, „sie war eine schlechte Autorin. Ich habe 25 Drehbücher gelesen. Sie holte sich ihr Geld mit Heulkrämpfen. Wenn Hitler sie so gesehen hat, hat er gleich noch einmal 500.000 Reichsmark aus der braunen Schatulle geholt und noch einmal. Hätte sie das bei einem anderen Produzenten versucht, vielleicht später bei einem aus Italien, hätte der sie als hysterisch gesehen und weggeschickt.“
„Heute hätte sie sehr viele Arbeitgeber weltweit“, sagt Veiel und zählt Machthaber wie Xi Jinping, Putin, Kim in Nordkorea und Trump auf.
Übrigens, beim Festival Telluride in Colorado, sei „Riefenstahl“ von vielen als idealer Film vor der Wahl in den USA gesehen worden. Das Publikum zog Parallelen zu Trumps Selbstpropaganda. „Was daran faschistisch ist, versteht man, wenn man den Film über Leni Riefenstrahl sieht. Die Feier der eigenen Herkunft, die Überlegenheit, das Siegreiche. Sie steht für eine Haltung wie: Was uns nicht schwach macht, was uns nicht kaputt macht, macht uns stark. Man kann wunderbare Sportaufnahmen machen, aber mit der Verachtung des anderen, der nicht dazugehört, also des Schwachen, werden diese immer faschistisch.“