Die 15 Jahre im Ensemble des Burgtheaters nennt Joachim Meyerhoff seine glücklichsten. Da begann er seinen autobiografischen Romanzyklus „Alle Toten fliegen hoch“. Die Zeit an der Burg endete mit einem Schlaganfall und der Direktion Kusej. Im furiosen sechsten Teil hat er seiner Erinnerungen verarbeitet und kehrt an die Burg zurück
Wiener Theaterfreunde berichteten in den vergangenen fünf Jahren oft von Ausflügen nach Berlin und München, um „ihren Schauspieler“ wiederzusehen. Dass Joachim Meyerhoff an die Burg zurückkehrt, war zuerst in News nachzulesen und wurde jetzt konkret: Vor dem ausverkauften großen Haus las das Mehrfachtalent aus dem Brillanzstück „Man kann auch in die Höhe fallen“, Band sechs der millionenfach verkauften autobiografischen Reihe „Alle Toten fliegen hoch“. Am 1. März folgt dann die Premiere des Konversationsstücks „Der Fall McNeal“. Nun wird allseits gehofft, dass es ihn dauerhaft zurückzieht in die Stadt, deren Theaterleben er 14 Jahre augenhoch mit Giganten wie Gert Voss, Ignaz Kirchner, Kirsten Dene, Peter Simonischek und auch Christoph Schlingensief geprägt hat.
2017 vollzog er mit Thomas Melles Dreistundenmonolog „Welt im Rücken“ ein bis dahin kaum erlebtes Maß an Selbstentäußerung. Ein Jahr später warf ihn ein Schlaganfall nieder, Martin Kusej übernahm die Burg, und Meyerhoff nahm ein Angebot aus Berlin an.
Das eben erschienene Buch erzählt von der Überwindung der Existenzkrise nach dem Schlaganfall: Die alte Mutter nahm den Sohn für ein paar Wochen auf und half ihm resolut ins Leben zurück.
Herr Meyerhoff, im Buch schildern Sie, wie Sie sich aus einer tiefen Krise ins Haus Ihrer Mutter an der Ostsee retteten. Was hat es damit auf sich?
Das Haus gibt es seit meiner Kindheit. Das ist nichts Spektakuläres, nur ein kleines, reetgedecktes Bauernhaus. Es ist so wichtig, dass es Orte gibt, die eine Stabilität mit sich bringen. Ich war früher immer unterwegs. Und dann da hinzukommen, wo Kontinuität stattfindet, wo man jede Ecke kennt, wo man etwas anpflanzt, was mitwächst, das hat mir immer viel Halt gegeben. Im Buch beschreibe ich das so, man weiß gar nicht genau, wo die Landschaft aufhört und die Mutter anfängt. Oder wo die Mutter aufhört und die Landschaft anfängt. Das ist so ein Gemeinsames. Ich habe das Gefühl, wenn meine Mutter irgendwann nicht mehr sein sollte, dass dann auch diese Landschaft, dieser Ort nicht mehr existieren wird. In meiner Vorstellung ist das nicht zu trennen.
Wie geht es Ihrer Mutter?
Sie wird 87 und hat diesen Vorwärtsdrang, eine unerschöpfliche Freude. Deswegen auch der Titel des Buches, „Man kann auch in die Höhe fallen“. Sie sagt mit ihren 86 Jahren, ich bin so glücklich wie noch nie.
War Ihre Mutter schon in Marokko, wie sie im Buch ankündigt?
Nein, aber in Ägypten. Sie wollte unbedingt die Pyramiden sehen. Wenn sie verreist, bekomme ich immer SMS von ihr, so wie jetzt gerade: Melde mich später, bin in der Wüste.
Im Buch bezeichnen Sie Ihre frühere Wiener Wohnadresse als das Haus, in dem Sie die glücklichste Zeit Ihres Lebens verbracht haben. Jetzt lesen Sie nach fünf Jahren Abwesenheit aus dem Buch, und das Burgtheater ist ausverkauft. Wie gefällt Ihnen denn das?
Ich habe auch geschrieben „Wien war hoffnungslos nostalgisch und überschaubar, politisch verkommen und durch und durch verlogen, aber immerhin amüsant“, und jetzt habe ich eine riesige Freude. Wenn mir vor vielen Jahren jemand gesagt hätte, dass ich, aus einer Kleinstadt in Norddeutschland kommend, eine ausverkaufte Lesung im Burgtheater habe! Das ist schon ein schöner und weiter Weg. Wien war für mich die Zeit, in der man als Schauspieler die meiste Kraft hat. Ich kam mit Ende 30 her und blieb bis Anfang 50. Das ist die Mitte des schauspielerischen Daseins. Die Jugendjahre, wo viele schon durchstarten, waren ja nie meins.
Aber warum sind Sie denn weggegangen? Man hörte, Kusej habe Sie vertrieben.
Da muss ich sofort im Ansatz widersprechen. Ich hatte nach 14 Jahren das Gefühl von einer gewissen Leere. Dann kam dieser Schlaganfall. Das war wie eine Aufforderung für einen Neubeginn. Ich finde es seltsam, so lange an einem Ort zu bleiben. Sie fahren immer mit demselben O-Wagen ins Theater und dann wieder zurück, tagein, tagaus. Irgendwann denkt man schon, man braucht eine andere Herausforderung. Meine Frau kommt aus Wien und wollte gern einmal weg. Da bot sich Berlin an, als das aktuelle Angebot der Schaubühne kam.
Bleiben Sie jetzt da?
Das kann ich wirklich nicht sagen. Das Zurückkommen ist nicht so einfach, weil die Zeit am Burgtheater für mich die wichtigste meines Theaterlebens war. Ich habe mich mit dem Haus so identifiziert wie mit keinem anderen davor und danach. Diese 15 Jahre waren meine Theaterzeit. Als ich hergekommen bin, waren da noch viele aus der Peymann-Zeit, auch von davor. Das vermisse ich in der Schaubühne, da ist das Ensemble viel kleiner, viel jugendlicher. Ich habe das Wiener Ensemble geliebt, das so durch die Generationen ging. Die vielen verschiedenen Herkünfte, die Energie zwischen den aus Deutschland gekommenen Schauspielern und den Österreichern, die Frage, was das Österreichische ist. Da waren so viele schöne Kraftfelder. Ich habe das Burgtheater geliebt.
Bachmann hofft, dass Sie zumindest ein Stück im Jahr machen. Ist das keine Option?
So etwas kann ich mir natürlich schon vorstellen, ich tariere das jetzt gerade aus. Ich bin in einer sehr schönen, für mich vollkommen neuen Lebensphase. Ich habe an der Schaubühne gekündigt und bin frei. Jetzt habe ich vom 21. Dezember bis 6. Januar frei und freue mich wie ein Schulkind. Ich kann es gar nicht glauben. Ich war immer so ein richtiges Theatertier, habe immer Theater gespielt, habe die Spielzeiten total verinnerlicht. Das jetzt zu durchbrechen, ist eine richtige Herausforderung. In den Weihnachtsferien mache ich eine spektakuläre Reise. Ich fahre ins Waldviertel ins Haus meiner Schwiegereltern.
Was war denn das Beste, das Sie in Wien gespielt haben?
Thomas Melles „Welt im Rücken“. Da kam alles zusammen, was meine Biografie ausmacht. Aber auch „Professor Bernhardi“ war eine sehr wichtige Arbeit für mich, weil das mal eine andere Art des Spielens für mich war. Es gab so viele wichtige Sachen, „Robinson Crusoe“ mit meinem wundervollen lieben Ignaz Kirchner, dessen Grab ich gerade besucht habe, als ich in Bremen auf einer Talkshow war.
Auch Gert Voss und Johann Adam Oest sind nicht mehr da, mittlerweile sind Peter Matic und Peter Simonischek gestorben ...
Auch das war ein Grund für mich wegzugehen. Mit Ignaz war ich wirklich befreundet, mit Adam auch, Gert war ich sehr nah. Mit dem Abschied dieser Männer, die ich alle so bewundert habe, mit denen ich so gerne gespielt habe, ging für mich etwas zu Ende. „Tartuffe“ mit Gert Voss in seiner letzten Rolle, das war eine unglaubliche Begegnung. Christoph Schlingensief lebte dann auch nicht mehr. Wie man in diesem Roman auch merkt, beschäftige ich mich viel mit Toten. Irgendwas hatte sich angehäuft, was mir ein bisschen viel wurde.
Sie haben sich auf der Bühne total verausgabt. Wenn man an Thomas Melles stundenlangen Monolog denkt, wundert man sich nicht, dass es Sie derart bedrohlich umgeworfen hat.
Mich im Nachhinein auch nicht. Ich hatte zu der Zeit zwei Familien, von einer trennte ich mich gerade, mit insgesamt drei Kindern und zwei Berufen. Morgens schreiben, dann Theater spielen. Ich war da wirklich unter Strom, aber im Guten. Ich habe es auch geliebt und genossen, aber es stellt einem natürlich schon Fragen. Beim Platonow in Tschechows „Die Vaterlosen“, den ich jetzt in in München spiele, habe ich mir gesagt, das gehst du jetzt mal langsamer an. Und dann reißt einen doch die Energie wieder mit. Ich bin leider immer noch nicht so gut in der Selbstfürsorge. Die Figur wird so mächtig und ich gebe mich ihr hin, und dann ist es wieder ein Irrsinnsabend von vier-einhalb Stunden.
Als Sie damals erkrankten, war Ihr wichtigstes Ziel, auf die Bühne zurückzukehren?
Im Krankenwagen habe ich Texte vor mich hingesprochen, um zu testen, ob ich noch sprechen kann. Irgendwelche Goethe-Texte sind plötzlich aus mir rausgeschossen. Aber dann gab es auch einen Moment, wo ich plötzlich entlastet war, weil ich vollkommen in Ruhe gelassen wurde. Aber ich will das nicht kleinreden. Klar bedeutet mir dieses Spielen irre viel. Und ich will natürlich Theater spielen.
Im Buch schildern Sie, dass Sie immer wieder Symptome eines Schlaganfalls spüren. Wie leben Sie denn mit der Angst, dass so etwas wieder kommt?
Wenn Sie einen Schlaganfall hatten, bekommen sie mit großer Wahrscheinlichkeit eine Post-Stroke-Depression. Aber zunächst geht es um die Frage, was Sie vom Schlaganfall zurückbehalten, da kommen Sie nicht drum rum. Ich hatte unglaubliches Glück. Dann denken Sie, Sie sind durch, aber nun fängt das eigentliche Problem an, dass Sie psychisch verunsichert sind. Mit diesem Beruf ist das eine heikle Kombination. Die ersten Male, wenn Sie meinen, die Symptome kommen zurück, ist das entsetzlich. Sie glauben, es ist wieder so weit und Sie werden nicht mehr so glücklich davonkommen. Da muss man sich erst einmal beruhigen und verstehen, dass das eher eine Panikattacke ist als das eigentliche Ereignis. Das klingt jetzt alles so furchtbar rational, aber irgendwann fangen die eigenen Ängste an, einen zu langweilen. Ich fand es irgendwann öde, mich mit diesem Ereignis zu beschäftigen. Und irgendwann verachtet man dann das ganze Ereignis. Bei mir dauerte das fast vier Jahre. Jetzt versuche ich, die Risiken abzuwägen.
Haben Sie nie daran gedacht, sich beim Spielen zurückzunehmen?
Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Wenn ich mir vorstelle, ich mache Ringelnatz-Abende am Klavier, was auch schön sein kann – da spiele ich vielleicht lieber gar nicht. Es gibt auch einen Mittelweg, ein Well-made play wie das Stück von Ayad Akhtar, das ich jetzt am Burgtheater spiele. Das ist eine Uraufführung, übersetzt von Daniel Kehlmann, da werde ich nicht nackt im Kreis auf dem Fahrrad fahren, da geht es um Dialoge. Das ist natürlich was, womit ich erstmal gut zurechtkomme.
Hatten Sie nach Ihrem Schlaganfall nie Existenzangst?
Das war nie ein Thema. Vielleicht auch, weil ich zehn Jahre durch die Provinz gegangen bin, wo man selbst gekündigt hat oder gekündigt wurde. Ich fand die Unsicherheit auch immer als Aufforderung, etwas zu verändern. Existenzängste haben mich nie wirklich beschäftigt. Ich könnte auch etwas ganz anderes machen.
Mit welchem Regisseur haben Sie denn am liebsten gearbeitet? Mit Jürgen Gosch?
Der war liebenswert! Aber das ist ja das Schöne an unserem Beruf, dass es diese Entscheidung nicht gibt. Als Regisseur müssen Sie Ihren Stil prägen, für etwas stehen. Ich war nie so kunstsicher, dass ich gesagt habe, das Theater von Frau Breth oder Herrn Castorf ist das einzige, das ich gelten lasse. Gute Regisseure können auch sehr gute und sehr schlechte Arbeiten machen. Aber wenn Sie mich fragen: Jan Bosse hat mich am längsten begleitet.
Und was empfinden Sie, wenn Sie Ihre eigenen Geschichten vorlesen?
Meine Texte sind hier auf der Bühne im Vestibül entstanden. Da fing das ganze Romanprojekt vor 15 Jahren an, als ich die ersten sechs Kapitel gelesen habe, zum Teil vor 30 Leuten. Und dann wuchs das so langsam ins Akademietheater rüber und die Geschichten in die Romane. Es war nicht umsonst, dass ich es erst auf einer Bühne gemacht habe, weil das der Ort ist, auf dem ich mich als Schauspieler besser ausgekannt habe als am Schreibtisch. Ich musste diese Texte im Kontakt mit den Leuten entwickeln. Wenn ich jetzt performe, ist es eben immer auch eine Art von Rolle. Sobald ich auf einer Bühne bin, bin ich keine reine Privatperson, sondern jemand, der einen Theaterabend gestaltet. Das gibt mir totale Freiheit.
Joachim Meyerhoff
wurde am 18. Juli in 1967 als Sohn eines Psychiaters in Homburg/Saar, geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Schleswig-Hesterberg, wo der Vater eine Klinik leitete. Er absolvierte seine Schauspielausbildung an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule. Nach Engagements in Kassel, Bielefeld, Dortmund, Köln und am Berliner Maxim-Gorki-Theater kam er 2005 ins Ensemble des Burgtheaters, wo er bis 2019 blieb und drei Mal zum Schauspieler des Jahres gewähnlt wurde. 2011 veröffentlichte er den ersten Teil des autobiografischen Romanzyklus „Alle Toten fliegen hoch“. Seine Romane wurden mit Preisen überhäuft, zuletzt 2024 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor. Meyerhoff ist Vater von drei Kindern und lebt derzeit in Berlin.