Als Karl Lagerfeld den sympathischen deutschen Jungen aus dem Film „Good bye, Lenin!“ traf, lud er ihn zum Fotoshooting ein. Heute ist Daniel Brühl einer von Hollywoods Vielgefragten, und das einstige Modell porträtiert gekonnt den Meister
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Dichtes, dunkles Haar, Vollbart, stark umrandete Brille – wer würde vermuten, dass aus diesem jungen Mann eine der charismatischsten Gestalten des Fashion-Business würde? Die Rede ist von Karl Lagerfeld.
Mit seinem weißen Haar, das er gepudert zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, seiner dunklen Sonnenbrille und engen Hosen kreierte der Schöpfer von Haute Couture und Prêt-à-porter auch einen Mythos um seine Person.
Disney+ zeigt ab 7. Juni in der sechs Episoden umfassenden, opulent ausgestatteten Serie, „Becoming Karl Lagerfeld“, wie ein junger Deutscher aus gutem Hause, stets umsorgt von seiner Mutter, zu jenem Mann wurde, den nicht nur die eigene Zunft als Kaiser Karl und Modezar verehrte. Der nicht minder charismatische deutsche Schauspieler Daniel Brühl, 45, verkörpert diesen Ausnahmeexzentriker. News erreichte ihn in Cannes, wo er den Film vorstellte.
Zur Person
Daniel Brühl wurde am 16. Juni 1978 in Barcelona als Sohn des deutschen Regisseurs Hanno Brühl und der spanischen Lehrerin Marisa González Domingo geboren. Er wuchs in Berlin auf. Die Rolle des Alexander Kerner in Wolfgang Beckers Film „Good Bye, Lenin“ über die deutsche Wiedervereinigung verschaffte ihm internationale Bekanntheit. Quentin Tarantino engagierte ihn für „Inglourious Basterds“. Seither ist Brühl Deutschlands gefragtester Schauspieler in Hollywood. Er ist mit der Psychologin Felicitas Rombold verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne.
Herr Brühl, was war Ihre erste Reaktion, als Sie das Angebot bekamen, Karl Lagerfeld zu spielen?
Ich liebe dieses Gefühl mittlerweile, wenn man diesen Nervenkitzel verspürt, dass man sich auf der einen Seite total geehrt fühlt und freut und auf der anderen Seite sich sofort danach die Frage stellt, wie zur Hölle soll ich das jetzt machen? Also wenn man so eine aufgeladene Figur verkörpert, von der so viele Leute eine eigene Vorstellung haben. Auch zu wissen, dass man sich da auch vielleicht auf dünnes Eis begeben könnte, macht Spaß. Ich habe einmal von David Bowie gelesen, dass es das schönste Gefühl sei, sich als Künstler auch einmal außerhalb der Komfortzone zu bewegen. Irgendeine Stimme sagt einem dann, irgendwie wird man schon einen Weg finden.
Ist es eine Last, eine so bekannte Persönlichkeit wie Karl Lagerfeld zu spielen?
Ich bin mir sicher, dass genug Leute dann auch in Deutschland sagen werden, ach nee, so war er doch nicht. Aber ganz wie Karl mit seinem Selbstbewusstsein würde ich darauf antworten, das ist mir egal. Die spannende Frage ist doch bei so berühmten Personen, was übernimmt man und was findet man für sich selbst, damit diese Figur eben nicht zur Kopie oder zur Karikatur wird. Das war ein langer Weg. Ich musste bestimmte Wege für mich einfach einschlagen, weil sich so viel widersprochen hat. Ich habe drei Bücher über ihn gelesen. Er hat ja selber so viel geflunkert, dass ich dann gar nicht wusste, was denn jetzt die Wahrheit ist. Ich habe viele Leute getroffen, die ihn sehr gut kannten. Alle haben mir von einer Sache verschiedene Versionen erzählt. Das heißt, ich musste meiner Intuition folgen und meinen eigenen Weg einschlagen.
Ist es bei jemandem wie Karl Lagerfeld, der sein wahres Ich selbst nie preisgeben wollte, wirklich wichtig, die Wahrheit über ihn zu kennen? Sein Leben wäre doch per se schon eine aufregende Geschichte.
Genau. Deshalb bin ich auch wirklich stolz auf die Arbeit. Das haben wir alle so gesehen. Nehmen Sie meinen Geliebten Jacques de Bascher, verkörpert von Théodore Pellerin. Ich sagte zu meiner Frau, verzeih mir, aber ich bin jetzt drei Monate in einen Mann verliebt. Meine Frau hatte ihn schon kennengelernt und meinte, das sei in Ordnung, denn sie mochte ihn auch. Wir haben diese Typen sehr ernst genommen und haben uns wirklich auf alles total eingelassen. Da sind zum Teil dann auch später in der Serie sehr schöne, sehr ehrliche, sehr zarte Momente entstanden. Auch mit Arnaud Valois, der Yves Saint Laurent spielt und auch mit Alex Lütz als Pierre Berger. Das sind alles fantastische Kollegen. Es ist eben immer wichtig, dass man seine Figuren ernst nimmt. Am Ende des Tages hätte auch Karl Lagerfeld selbst nicht interessiert, was genau über ihn wahr war, weil er sich selber doch auch immer in seine eigenen Welten gestürzt hat, die er für interessanter hielt als die Wahrheit.
Wer war Lagerfeld für Sie vor dem Dreh und wer nachher?
Einfach eine irre Persönlichkeit. Ich war total froh, dass ich ihn einmal persönlich treffen durfte. Er hat vor mehr als 20 Jahren Fotos von mir gemacht. Ich habe jetzt endlich einen Kontakt ausfindig machen können, der mir diese besorgen kann – seine langjährige Assistentin. Die schönste Anekdote habe ich vor Kurzem von unserem Fotoshooting gehört. Danach hat er gesagt, ist das nicht der Junge von „Good Bye, Lenin!“? Dann hat er sein Team gebeten, ein Kino zu finden, um sich den Film anzuschauen. Und danach hat er so was wie „Ach ja, den Jungen mag ich“ gesagt. Das habe ich aber erst jetzt rausgefunden. Davon wusste ich gar nichts. Insofern möchte ich diese Fotos unbedingt haben.
Wo haben Sie denn Karl Lagerfeld getroffen?
In Berlin, auf der Berlinale. Dabei habe ich dann auch diese Persona Lagerfeld kennengelernt. Ähnlich wie Andy Warhol hat er von sich eine Figur erschaffen, die er in der Öffentlichkeit präsentiert hat. Das war der witzige, eloquente, professionelle, charmante Karl Lagerfeld. Aber für mich war es natürlich spannend, herauszufinden, wer war er denn, bevor er so berühmt wurde? Wer war er, bevor er zu dieser Persona wurde, die er in der Öffentlichkeit von sich gezeigt hat? Also wer war er, wenn er alleine für sich war? Wer hat ihn geprägt? Und was war in dem Fall die große und wirklich tatsächlich anscheinend einzige große Liebe in seinem Leben? Wer war dieser Jacques de Bascher? Und da so einzutauchen in diese Zeit, in der er gelebt hat. Auch in das Paris, das er so sehr geliebt hat. Ich wollte sogar eine Wohnung im Quartier Saint-Germain-des-Prés finden und die Gegend, jede Ecke, wo er immer unterwegs war, erleben. Das habe ich dann auch gemacht.
Wie lang hatten Sie dafür Zeit?
Ein paar Monate. Ich hatte eine relativ lange Vorbereitungszeit und waren dann tatsächlich fast drei Monate, bevor es losging in Paris. Ich muss immer alleine sein, wenn ich meine ersten Experimente mit einer Rolle mache, weil es dabei doch auch manchmal Momente der Ernüchterung gibt. Etwa, wenn man denkt, ich schaff es nicht oder ich glaube mir das nicht. Meine Familie und ich verbringen jetzt sehr viel Zeit in den Bergen in Spanien. Immer, wenn meine Frau und die Kinder weg waren, bin ich mit diesen Absätzen, wie sie Lagerfeld früher getragen hat, über die Felder gegangen und habe mit mir selber Französisch gesprochen. Die Esel und Schafe dort haben mich dabei ganz stoisch angeglotzt. Ich mochte das, denn die Reaktion dieser Tiere hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Die hat mir dann irgendwie ein gutes Gefühl gegeben, dass ich dann dachte, ich werde es schon schaffen. Ich habe mich bei der Vorbereitung keine Sekunde gelangweilt, weil der Mann war ja an allem interessiert. Das ging weit über die Mode hinaus. Er war fasziniert von Literatur, Musik, Theater, Architektur, Design. Ich habe mich da mit allem Möglichen gefüttert, wo ich wusste, dass ihn das interessiert hat. So waren diese Monate der Vorbereitung auch auf persönlicher Ebene sehr bereichernd.
Gab es eine bestimmte Eigenschaft oder etwas anderes, an dem Sie sich bei der Darstellung orientiert haben?
Man will ja auch seine Haltung und bestimmte Dinge übernehmen. Das war für mich ganz wichtig. Ich hatte ganz früh ein bestimmtes Bild im Kopf: Vielleicht weil ich halber Spanier bin, hatte ich das Bild eines Stierkämpfers vor Augen. Denn ein Stierkämpfer ist nicht nur maskulin und Macho, sondern er ist auch sehr feminin und sehr grazil. Das sieht man, wenn man genau betrachtet, wie diese Männer vor einem Stierkampf in einem Korsett zugezurrt wurden, an den rosa Strümpfen, die sie tragen, an diesem Tanz, den sie in der Arena aufführen. Ich bin kein Anhänger des Stierkampfs, aber weil mein Großvater sich dafür interessiert hat, habe ich das kennengelernt. Diese Ambiguität hat mich immer schon fasziniert. Ich erzählte davon Patrick Hourcade, einem von Lagerfelds langjährigen Freunden. Er hat auch ein Buch über ihn geschrieben. Er meinte sofort, das sei ein gutes Bild. Das hat mir auch vor der Kamera eine gewisse Körperspannung gegeben und so einen gewissen Stolz. Leute wie Lagerfeld oder Pierre Berger hatten sich immer unter Kontrolle und haben sich auch nicht im Drogen- und Alkoholsumpf verloren. Er hat nicht nur etwas von Kunst, sondern auch das Geschäft verstanden. Ich wollte, dass sich auch das in der Körpersprache niederschlägt, dass er nicht nur der weiche und künstlerische Typ war, sondern auch echt anpacken konnte. Er war auch ein durchsetzungsfähiger Macher. Natürlich war es für mich auch wichtig, die emotionale Seite zu zeigen, seine Verletzbarkeit. Für einen Schauspieler ist es immer gut, wenn er wo andocken kann. Auch bestimmte Charakterzüge eines Menschen können einem Halt geben, weil man sie entweder selber kennt oder etwas damit anfangen kann. Dieses Ringen um Anerkennung, um Liebe und Respekt kenne ich als Schauspieler natürlich auch. Die Frustrationen, Enttäuschungen, Erniedrigungen, die man gerade auch als junger Mensch erlebt, wo man noch nicht so gefestigt ist.
Wie haben Sie die Figur Lagerfeld dann studiert?
Ich habe also am Anfang natürlich ganz viel gesehen. Aber es gibt so einen Moment, wo man plötzlich spürt, irgendwas hat Klick gemacht, und dann beginnt man wirklich, an sich selbst zu glauben. Das ist dann immer der Moment, wo ich alles wegschaffe, was ich von ihm vor mir hatte. Ich konnte es dann nicht mehr ertragen, das Bild von der echten Person zu sehen und habe dann alles weggeschafft.
Von Karl Lagerfeld sind viele Zitate überliefert. Gibt es eines, das sie besonders schätzen?
Es gibt so viele. Er wurde in Hamburg in einem Interview gefragt, warum es für ihn immer Paris sein musste, warum denn nicht Hamburg, das sei doch das Tor der Welt. Lagerfeld sagte, ja, das Tor, aber ich wollte die Welt.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 23/2024 erschienen.