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Kaufmann und Buchbinder: Chefsessel im Olymp

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Sie verkörpern Weltformat in ihrem Fach und leiten maßgebliche Festivals: Der Pianist Rudolf Buchbinder verlässt 2026 seine Gründung Grafenegg. Der Tenor Jonas Kaufmann ist soeben in Hans Peter Haselsteiners Imperium Erl angetreten. Beide heben die Vorzüge von Künstler-Intendanzen hervor, beider Misstrauen gegen die unkontrolliert überschnappende Opernregie steigt ständig

Der gemeinsame Auftritt war eine Rarität und ein Ausnahme­ereignis des Wiener Konzert­lebens: Jonas Kaufmann und Rudolf Buchbinder gestalteten im Musikverein gemeinsam Schuberts „Schöne Müllerin“. Zu dieser Gelegenheit brachten wir beide auch außerkünstlerisch zueinander: den scheidenden und den eben angetretenen Festspielintendanten aus der Champions League der Kunst.

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Ostern 2025: Jonas Kaufmann, 55, singt in Erl den „Parsifal“, ein Schritt in die Welt­klasse für das Tiroler Festival

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Jonas Kaufmann zum Überhandnehmen der Regie in der Oper

Wenn man die Hälfte seiner Partie knietief im Wasser watend spielt, fragt man sich schon, warum

man den Job macht

Wie fühlt sich eine Intendanz für einen Künstler an? Wie weit muss man die eigene Karriere zurückfahren? Und wie dominant werden außerkünstlerische Sorgen, etwa ums Budget?

Kaufmann: Mit dem Zurückfahren habe ich schon vorher begonnen, aber man kann aus seiner Haut nicht raus, wenn man gern aktiv ist. Als Intendant werde ich zum ersten Mal die Probleme der Last-Minute-Absagen erleben, aber was das Finanzielle betrifft, steht ja die aktuelle Spielzeit, wenn nicht gravierende Dinge passieren. Natürlich macht man sich immer wieder Gedanken, was die Zukunft bringt. Ich muss aber aktuell nicht Klinken putzen, und wenn sich die Situation bei den Fördermitteln gravierend ändert, muss ich mich halt nach Unterstützung umsehen. Denn es darf nicht einfach heißen: Ich kann ruhig schlafen, der Haselsteiner zahlt ja.

Würde Ihr Hauptsponsor Hans Peter Haselsteiner im Notfall zahlen?

Kaufmann: In der Vergangenheit hat er das immer getan. Aber ich glaube nicht, dass es ihm Spaß macht, immer die leeren Kassen zu füllen.

Er hat doch schon genug durch Benko verloren. Wirkt sich das aus?

Kaufmann: Gottseidank hat sich an der Gesamtfinanzierung trotz dieses Verlusts nichts geändert. Ich bin sehr froh, dass die Festspiele Erl Fördermittel von Land und Republik erhalten und bin mir auch der Verantwortung bewusst, öffentliche Gelder sinnvoll auszugeben. Trotzdem wird die Situation bei steigenden Personal- und Energiekosten nicht leichter, wenn sich immer mehr Kulturinstitutionen nach der gleichen oder gar reduzierten Gesamtförderung strecken müssen.

Buchbinder: Sie haben zwei Fragen in einer gestellt: ob man die Karriere zurückstecken muss und die Sorge ums Budget. Ich habe in keinster Weise zurückgeschaltet. Aber man muss immer beim Geld dahinter sein. Die Reitschule wird jetzt zum Rudolf-Buchbinder-Saal umgebaut, sie wird zum Foyer und der Saal ist einen Stock höher mit Ausblick auf den Park mit dem Wolkenturm. Das wird zum Großteil vom Land und Privatsponsoren finanziert.

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Trotz Intendanz ständig durch die Kontinente unterwegs: Rudolf Buchbinder, 77

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Rudolf Buchbinder zu seinen Prinzipien als Festspielleiter

Das Publikum hat das Recht, auch Leute zu hören, die ich persönlich und künstlerisch nicht mag

Hatten Sie jemals finanzielle Probleme in Grafenegg?

Buchbinder: Nie, ich glaube an die Sicherheit des Landes Niederösterreich, dass sowohl Erwin Pröll als auch jetzt Hanna Mikl-Leitner voll dahinter stehen. Sie hat die Kultur ja auch an sich genommen. Grafenegg ist überdies ein reines Orchesterfestival. Unser Problem ist die Explosion der Cargo-Kosten. Man kann fast keine Orchestertournee mehr finanzieren. Es artet dann so aus, dass manchmal Kontrabässe oder Pauken nicht mehr mitgenommen und von der Stadt ausgeborgt werden.

Stimmt es, dass sich amerikanische Orchester keine Tourneen mehr leisten können?

Buchbinder: Nicht alle. Aber viele sind kurz vor der Schließung. Sie sind auf Privatsponsoren angewiesen und wissen nie, wann sie Geld bekommen. Dadurch verzögert sich auch die Konzert- und Tourneeplanung, was für Veranstalter immer ein Problem darstellt.

Kaufmann: Da sind wir ja wirklich im Land der Gepriesenen. Unfassbar, was im englischsprachigen Raum bei einem solchen Chefposten erwartet wird. Bei wie vielen privaten Dinners, bei wie vielen Empfängen man da ständig sein muss, um etablierte Förderer und Sponsoren zu pflegen und neue zu umgarnen. Gerade in Ländern, wo ein Sponsoring nicht steuerlich absetzbar ist, ist es doppelt schwer, die zu lukrieren.

Buchbinder: Wir in Grafenegg bekommen erst seit ganz kurzer Zeit einen geringen Zuschuss vom Bund. Tatsächlich wurde alles von Niederösterreich und Sponsoren finanziert.

Kaufmann: Aber man ist als künstlerischer Leiter in der Verantwortung, dass diese Gelder zielführend verwendet werden. Hans Peter Haselsteiner gibt das Geld sehr gern, wenn das Haus voll ist. Wenn aber nur 50 Leute im Saal sind, heißt das, dass die Kunst, die er finanziert, keinen interessiert. Das heißt aber nicht, dass die Sponsoren, wie es in Amerika üblich ist, auch den Spielplan bestimmen.

Buchbinder: Dieses Problem haben wir in Grafenegg nicht. Noch können wir das Programm bestimmen, ganz wichtig aber sind auch Solist und Dirigent. Wenigstens einer von den dreien sollte populär sein.

Was, wenn ein durchreisendes Orchester nur Raritäten spielt?

Buchbinder: Ändern. Die meisten haben mindestens zwei Programme.

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Was darf man daraus für Erl hochrechnen? In ihrer ersten Saison spielen Sie die populären Opern von Verdi konzertant, aber „Blaubarts Burg“ von Bartók und eine neue Oper von George Benjamin szenisch.

Kaufmann: Die Mischung ist das Entscheidende. „Blaubarts Burg“ ist ein Wahnsinnsstück, aber so ein richtiger Kassenreißer ist es nicht. Deshalb haben wir daneben auch „Bohème“ und „Tra­viata“ im Programm. Man muss den Leuten auch gleich im Vorfeld klarmachen, was sie erwartet. Wenn ich mir „Don Carlo“ anschauen möchte, dann erwarte ich etwas Klassisches. Wenn das auf dem Mistplatz spielt, wird’s schwierig. Aber das heißt nicht, dass man dergleichen gar nicht macht. Weil es umgekehrt auch ein Publikum gibt, das traditionelle Inszenierungen nicht mehr sehen möchte. Neulich hat mir jemand vorgeworfen, dass ich einen Regisseur engagiert habe, dessen Inszenierung mir einmal missfallen hat. Ich habe ihm geantwortet: Ich mache doch das Programm nicht nur für mich. Ich kann doch auch nicht als Kurator in einem Museum nur meine Lieblingsbilder ausstellen.

Buchbinder: So habe ich Grafenegg von Anfang an geleitet.

Heißt das, dass Sie Künstler eingeladen haben, die Sie persönlich und musikalisch nicht mochten?

Buchbinder: Ja, denn sie haben einen Stellenwert in der Musik, und das Publikum hat das Recht, diese Leute zu hören.

Was unterscheidet einen Künstler-­Intendanten von einem Manager?

Buchbinder: Ein Manager ist mein Nachfolger. Das wird sicherlich ganz anders sein. Andere Leute, andere Orchester, eine andere Aufteilung der Orchester. Es wird sich einiges ändern.

Werden Sie selbst weiter auftreten?

Buchbinder: Das hängt nicht von mir ab. Als ich Grafenegg übernommen habe, war meine ursprüngliche Bedingung, dass ich nicht spiele.

Aber die Leute wollen doch Buchbinder und Kaufmann erleben.

Kaufmann: Ja, sie wollen. Aber das zu erfüllen, ist eigentlich nicht unsere Aufgabe.

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Haben Künstler insgesamt mehr Gespür für das Künstlerische?

Kaufmann: Ich habe immer wieder festgestellt, dass die interessantesten Theatermacher oder Festivalleiter oftmals diejenigen sind, die selber mal mit einem Fuß auf der Bühne gestanden haben. Die haben auch das Gespür, wie das ist, seine Haut zu Markte zu tragen. Und sie wissen auch, bis wohin man gehen kann, was Inszenierungen betrifft. Wenn man die Hälfte seiner Partie knietief im Wasser watend spielt und die andere gestrichen ist, fragt sich manch Sänger schon, ob sein Vertrag noch gültig ist oder warum man diesen Job überhaupt macht, Da sollte man als Intendant entweder rechtzeitig besondere Situationen kommunizieren oder eben Grenzen aufzeigen.

Buchbinder: Ich sage immer, man sollte Opern fünf Jahre nur konzertant machen, damit man wieder in ein gesundes Verhältnis kommt. Dass die Musik wieder rauskommt. Jede Kritik ist drei Viertel von der Regie.

Kaufmann: Klar, das schreibt sich auch viel leichter.

Wie halten Sie es dem Ausgrenzen russischer Künstler?

Kaufmann: Wenn offensichtliche Nicht-Neutralität gezeigt wird, tu ich mir schwer. Aber grundsätzlich hat jeder Künstler das Recht, zu sagen: Ich habe einen Pass, aber ich lebe für die Kunst und nicht für irgendwelche Kriegstreiber. Sonst dürften wir viele Komponisten heute eigentlich nicht mehr spielen, ob das jetzt Wagner oder Pfitzner oder wer auch immer ist!

Aber was ist mit diesem plötzlichen neuen Antisemitismus, der uns da plötzlich reitet? Von allen Seiten, Linke, Rechte, Importierte.

Buchbinder: Die Linke gibt es ja nicht mehr. Es gibt ja momentan nur mehr die Rechte. Und was Israel betrifft: Die geforderte Zwei-Staaten-Politik scheitert ja nicht an Israel. Die Hamas und die Hisbollah werden nie Israel anerkennen.

Spielt in Grafenegg zum Beispiel Israel Philharmonic?

Buchbinder: Immer, wenn es sich ergibt, ich bin ja Ehrenmitglied des Orchesters. Die letzte Tournee musste ich leider aus gesundheitlichen Gründen absagen. Aber ich habe schon unter widrigen Umständen in Israel gespielt.

Haben Sie da keine Angst?

Buchbinder: In Tel Aviv wird nichts passieren.

Herr Kaufmann, wie ist es für Sie, wenn Sie in Italien auftreten? Dominique Meyer wurde an der Scala nicht verlängert, weil er kein Italiener ist.

Buchbinder: Er ist ja nicht der Erste.

Kaufmann: Das ist eine schwierige Tendenz, keine Frage. Und es ist natürlich auch nicht EU-konform. Wer weiß, wann es auch bei den Künstlern so weit ist, dass soundsoviel Prozent jener, die an der Scala auftreten, einen italienischen Pass haben müssen. Wie wird es denn dann weitergehen?

In einem Interview, das Sie und Ihr Kollege Bryn Terfel uns gegeben haben, sagte Terfel, am Ende geht es in der Oper nur um Unterhaltung. Gilt das auch für Festivals?

Kaufmann: Kein Regisseur würde bei mir unterschreiben, wenn ich sage, das muss Unterhaltung sein. Weil Unterhaltung so etwas Seichtes als Beigeschmack hat. Aber im Englischen ist Entertainment mehr als Unterhaltung, leider scheint es kein adäquates deutsches Wort dafür zu geben. Jedenfalls muss es spannend sein, es soll die Leute zum Nachdenken bewegen, aber es darf nicht nur provozieren.

Buchbinder: Wir haben mit der deutschen Sprache nicht nur das Problem bei Unterhaltung, Entertainment, sondern auch bei U- und E-Musik. Wenn es um das Thema Unterhaltung geht, haben wir in Mitteleuropa ein gestörtes Verhältnis.

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