Im steuerschonenden Fürstentum an der Côte d'Azur tummeln sich Formel-1-Fahrer wie bei einem Rennstart. Ferraris Held Charles Leclerc ist tatsächlich in Monaco auf die Welt gekommen. Und hat es, obwohl keineswegs aus begütertem Haus, in die Königsklasse des Motorsports geschafft
Peinlich, wenn man in einem geborgten Auto einen Unfall baut und dabei einen Kotflügel verbiegt oder gar die Scheinwerfer zersplittert. Das ist aber im Vergleich zu dem, was Charles Leclerc im Frühjahr 2022 passiert ist, vernachlässigbar. Der aufstrebende Formel-1-Held in Diensten der Scuderia Ferrari hatte an einem freien Wochenende am traditionsreichen Grand Prix Historique de Monaco, der praktisch auf seiner Hausstrecke stattfindet, teilgenommen und war bei einer Demo-Runde mit dem Heck in die Streckenbegrenzung gekracht. Das Fatale an dem Unfall, der bei der Anfahrt zur Rascasse-Kurve passierte: Es handelte sich bei dem Fahrzeug um jenen Ferrari 312 B3-74r, in dem Formel-1-Ikone Niki Lauda anno 1974 die Scuderia nach jahrelanger Misere wieder an die Weltspitze führte.
Ein Anruf bei Mathias Lauda, dem jüngeren Sohn des dreifachen Weltmeisters, soll klären, ob er auf den Crash-Piloten Leclerc sauer ist, weil er Papas Ferrari zerdepscht hatte. "Nein, überhaupt nicht", sagt Mathias, Ex-Rennfahrer und heute Servus-TV-Experte, spontan und ergänzt: "Ich finde es toll, dass er mit dem alten Boliden gefahren ist. Am Unfall trägt er keine Schuld, es war ein Bremsproblem an der Hinterachse. Den Schaden kann man reparieren." Was allerdings nicht billig wird. Der Wert des Rennwagens wird in Expertenkreisen aktuell auf acht bis zehn Millionen Euro geschätzt. Dann rückt Mathias Lauda mit einem Geheimnis heraus: "Ich selbst werde Vaters alten Ferrari beim Legends Race vor dem Österreich-Grand-Prix auf dem Red-BullRing fahren." Schmunzelnder Nachsatz: "Na hoffentlich passiert mir nicht dasselbe Missgeschick wie dem Charles."
Charles Leclerc, ein echter Monegasse
Charles Leclerc wohnt übrigens keine fünf Gehminuten von der berüchtigten Rascasse entfernt im Stadtteil La Condamine. Er ist einer von rund 7.800 echten Monegassen unter etwa 38.000 Bewohnern des steuerschonenden Zwergstaats an der Riviera. Vor allem Sportler, und hier wiederum Rennfahrer, zog und zieht es magisch in das kleine Fürstentum. Auch Alex Wurz, Präsident der Grand Prix Drivers' Association und ORF-Formel-1-Experte, residiert mit Familie in Monte Carlo. Er erinnert sich im News-Talk, wie er in den feinen Kreisen der Stadt Leclerc kennengelernt hat: "Es war bei einer Nachmittagsveranstaltung der Art, die ich normalerweise nicht besuche. Aber ich war dort, weil die Gastgeber gute Freunde von mir sind. Plötzlich steuert ein junger Mann von vielleicht 15 oder 16 Jahren auf mich zu, stellt sich höflich vor, erwähnt dabei, dass er weiß, wer ich bin, und ob ich ihm helfen kann, Leute kennenzulernen, die ihn finanziell unterstützen, denn er steigt jetzt aus dem Kart-Sport um in den Formel-Sport. Natürlich hab ich ihm Tipps gegeben. Ich hab sein zielstrebiges Auftreten als sehr cool und reif empfunden."
Charles Leclerc ist nicht aus reichem Elternhaus
Obwohl im Mekka der Schönen und Reichen zu Hause, kommt Charles Leclerc aus einfachen Verhältnissen. Vater Hervé Leclerc, der sich einst selbst als Rennfahrer versuchte, über die Formel 3 aber nicht hinauskam, infizierte seine Kinder (Bruder Arthur, fährt heute wie einst der Vater in der Formel 3) mit dem Rennfieber, versuchte, zu helfen, wo er konnte, war aber alles andere als reich. So sprangen Charles' Großeltern ein. Deren Plastik-Produktionsbetrieb schlittert jedoch 2011 in finanzielle Probleme. Der kleine Charles hätte all seine Motorsport-Träume begraben müssen, wäre da nicht die helfende Hand der Familie seines Konkurrenten Jules Bianchi gewesen. Vater Philippe rettete die Karriere Leclercs, indem er half, 250.000 Euro aufzustellen, um ihn in einer weiteren internationalen Kart-Liga zu halten. Den Hauptwettbewerb der International Karting Commission gewann Leclerc dann als Dankeschön. Ein Triumph, der Ayrton Senna nie gelang.
Dann ging die Kart-Karriere von Leclerc weiter. 2012 und 2013 waren Jahre des Lernens und der Vizemeister-Titel bei Europa-und Weltmeisterschaften - jeweils hinter einem holländischen Konkurrenten namens Max Verstappen. Seine Karriere nahm dennoch ungebremst Fahrt auf. 2014 ging es zu den Monopostos, im Alpencup der Formel Renault 2.0 wurde er Gesamtzweiter. Im selben Jahr verunglückte sein Freund Jules Bianchi beim Großen Preis von Japan schwer und verstarb ein Jahr später an den Folgen des Unfalls.
Vater am Sterbebett angeflunkert
In Kontakt mit der Königsklasse des Motorsports kam der Monegasse Anfang 2016 durch die Aufnahme in Ferraris Nachwuchsprogramm. Die Scuderia verfrachtete ihn für Freitag-Kurzeinsätze an den Rennwochenenden zunächst ins Haas-Team (wo heute Mick Schumacher aufzeigt), später ins schweizerische Sauber-Team, das mit einem Ferrari-Motor fährt. Nur Vertrag für die Formel 1 hatte er noch keinen. Aber genau das flunkerte er im Juni 2017 seinem schwerkranken Vater Hervé am Sterbebett vor, um ihm gewissermaßen einen letzten Wunsch zu erfüllen: "Papa, ich werde 2018 in der Formel 1 fahren." Allerdings wurde Leclerc erst im Dezember 2017 von Sauber offiziell bestätigt. "Es war ein bisschen früher, als ich eigentlich unterschieben habe", gestand er damals in einem BBC-Interview und ergänzte: "Letztendlich habe ich nicht gelogen, denn jetzt bin ich ja wirklich in der Formel 1."
"Ich habe Charles beobachtet, als er noch in den Junior-Kategorien gegen Max fuhr, und damals war schon klar, dass er ein Talent ist. Die Frage ist nur: Wie schlägt sich so ein Talent, wenn es dann wirklich in einem Formel-1-Auto sitzt?", fragt Wurz und gibt gleich die Antwort: "Natürlich gut, aber er hat auch viel Glück gehabt, auch das des Tüchtigen. Denn das Sauber-Team ist plötzlich durchgestartet, hat viel besser als im Jahr davor performt. Das ergab einen Überraschungseffekt, der ihm extrem geholfen hat, und dann ist er zur rechten Zeit und von Nicolas Todt perfekt gemanagt bei Ferrari untergekommen."
Charles Leclerc, allseits geschätzt und geachtet
Der Sohn des ehemaligen Ferrari-Teamchefs und Ex-FIA-Präsidenten Jean Todt weiß, welchen Goldfisch er mit Leclerc an der Angel hat. "Ich bin der einzige Manager, der Geld in seine Fahrer investiert. Auch in Leclerc. Damit hast du einen ganz anderen Zugang zu deinen Klienten." Leclerc genießt einen tollen Ruf in Experten-Kreisen. Mathias Lauda gefällt, "dass er auch happy ist, wenn er am Podium steht und nicht gewonnen hat." Und Alex Wurz hebt seine akribische Arbeitsweise plus seine im Team geschätzte, lockere Art hervor. "Das macht den Charles zweifelsohne zu einem ernsthaften World-Champion-Kandidaten."
Nicht nur im Ferrari-Team hat er dank seiner gewinnenden Art einen guten Stand. Auch die Damenwelt in Monaco weiß, welch lässiger Typ er ist. Vor allem seine Freundin Charlotte Siné, eine dunkelhaarige Beauty aus prominentem Haus. Ihr Vater ist General Manager der Betreibergesellschaft des Casinos von Monte Carlo.