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Bogdan Volkov: "Als wäre es mein letzter Auftritt"

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13 min
Bogdan Volkov vor der Kulisse von Salzburg.

©Neumayr/Christian Leopold
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Salzburg ist ein großartiger Ort für überraschende Weltkarrieren. Nach Anna Netrebko und Asmik Grigorian etablierte sich nun der ukrainische Tenor Bogdan Volkov mit der Dostojewski-Oper "Der Idiot" von Mieczysław Weinberg quasi über Nacht im Spitzenfeld.

© Neumayr/Christian Leopold

Steckbrief

Bogdan Volkov

geboren
07.12.1989
Geburtsort
Ukraine
Beruf
Opernsänger

Bogdan Volkov wurde am 7. Dezember 1989 in Tores in der damaligen Ukrainischen SSR geboren. Er studierte Gesang am Reinhold-Glière-Institut für Musik in Kiew und schloss 2013 seine Ausbildung an der Tschaikowski-Musikakademie ab. Nach seiner Ausbildung etablierte sich Volkov von 2016 bis 2018 als regelmäßiger Künstler am Bolschoi-Theater in Moskau. Seitdem hat er sich international einen Namen gemacht und tritt regelmäßig an führenden Opernhäusern weltweit auf - darunter Teatro alla Scala in Mailand, Royal Opera House in London, Metropolitan Opera in New York oder die Wiener Staatsoper.

Zu seinen bemerkenswerten Rollen gehören Ferrando in "Così fan tutte", Nemorino in "L'elisir d'amore", Don Ottavio in "Don Giovanni" und Lenski in "Eugen Onegin".

Zumindest hinsichtlich ihrer Intensität sind die wiederkehrenden Salzburger Eruptionen vulkanologische Ausnahmeerscheinungen. 27. Juli 2002: Die nur Fachkreisen bekannte Russin Anna Netrebko, 31, ersingt sich via "Don Giovanni" schon vor der Pause einen Mythos von Callas-Dimension. 28. Juli 2018: Die Litauerin Asmik Grigorian, 37, hat gegen alle Vorbehalte besagter Kreise die mörderische Partie der Salome auf sich genommen. Keine zwei Stunden später ist sie als zweite führende Sopranistin der Gegenwart etabliert. 2. August 2024: Über den allseits geschätzten ukrainischen Tenor Bogdan Volkov, 34, ist nicht einmal dem verdrossensten Fachgreis je eine unfreundliche Kritik entwichen. Eine übertrieben freundliche allerdings auch nicht. Das ändert sich an diesem Abend: Volkov setzt sich als phänomenaler Sänger und Gestalter an die Spitze einer unvergesslichen Premiere von Mieczysław Weinbergs* Dostojewski-Oper "Der Idiot". Es dauert nicht einmal bis zur ersten Nachtkritik, und ein neuer Weltmarktführer im lyrisch-dramatischen Fach ist beglaubigt.

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Dostojewski-Oper "Der Idiot", Salzburger Festspiele 2024

 © Bernd Uhlig/Salzburger Festspiele

Schnitzler trifft Dostojewski

Auf der Presseterrasse, umbraust von hochsommerlichen Wespengesängen, erscheint in weißer Kurschatten-Couture eine Schnitzler-Gestalt, deren Kindergesicht man mit den Ekstasen der Weinberg-Oper kaum in Verbindung zu bringen vermag. Volkov verkörpert den Fürsten Myschkin, der von aller Welt für einen Idioten gehalten wird. Warum? Weil er Epileptiker, vor allem aber, weil er mit seiner überschäumenden Empathie zu gut für die Welt voller Neid und Gier ist.

In der letzten Szene des ersten Aktes stemmt Volkov mit rasender Orchesterbegleitung einen minutenlangen epileptischen Anfall, wie man ihn noch auf keiner Opernbühne gesehen hat.

Wie es sich an der Weltspitze der Reputation so anfühlt? "Ich kann es noch nicht ganz abschätzen", sagt er artig und legt eine erstaunliche Koinzidenz offen: Er hat das 1986 entstandene, aber in voller Länge erst 2013 uraufgeführte und seither kaum gespielte Werk tatsächlich schon einmal gesungen, 2017 in Kurzfassung am Moskauer Bolschoi-Theater.

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"Zum Universum gebetet"

Die auch stimmlich extrem fordernde Rolle hat ihn gleich gepackt. Nicht weniger als der Lenski in "Eugen Onegin" und der Ferrando in "Così fan tutte", mit denen er heute erfolgreich unterwegs ist. Er habe, sagt Volkov, zum Universum gebetet, den welt verlorenen Fürsten irgendwo noch einmal singen zu dürfen. Und dann kam das Angebot, aus Salzburg und für die Langfassung! Eine gute Stunde habe er zusätzlich einstudieren müssen, und auch noch mit Krzysztof Warlikowski, dem Grenzgänger in Seelenhöllen, als Regisseur! "Das ist die vom Umfang her größte Rolle, die ich in meinem Leben gespielt habe. Und ich bleibe die ganze Zeit auf der Bühne – alle zehn Szenen lang! Für die Schauspielerei habe ich mir Dinge erschlossen, die ich noch nie gemacht hatte."

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Tenor Bogdan Volkov

 © Neumayr/Christian Leopold

Andere Sänger verfluchen den Regisseur, der sie mit seinen Forderungen in vokale Bedrängnis bringt. Hat er bei Warlikowski denn nie Schonung erbeten? "Nein, ich mag es, eine Herausforderung anzunehmen, es hängt nur davon ab, ob sie sinnvoll ist. Ich bin nach unseren Proben jedes Mal ins Bett gefallen und eingeschlafen, so erschöpft war ich. In manchen Momenten", beschreibt er den Augenblick der Entäußerung, "habe ich das Gefühl, ich müsse jetzt handeln, als wäre es der letzte Auftritt meines Lebens: Jetzt müssen es 1.000 Prozent sein, und wie ich zu Ende singen soll, diese Frage stellt sich nicht. Dann kommt ein ungeheures Feedback vom Publikum, die Bühne gibt Energie. Aber nach dem ersten Teil unserer Aufführung fühle ich mich, als wäre ich tot." Und dann geht es doch weiter, und wie.

Immer verblüffender werden die Offenlegungen des jungen Gentleman, dessen Freundlichkeit im Festspielbüro als vorbildlich gerühmt wird. Noch am Premierenabend habe man der Figur etwas hinzugefügt. Und den epileptischen Anfall, den habe man fast spontan entwickelt. Er, Volkov, habe eine Dokumentation über den Veitstanz gesehen, mit dem sich die Menschen im Mittelalter zu Tode brachten, weil sie nicht innehalten konnten. "Da sagte ich: 'Krzysztof, lass uns doch noch etwas versuchen.' Und er stimmte zu, und nachher sagte er: 'Heute habe ich unsere Aufführung gesehen.'" Und nichts, gar nichts, konnte die makellose Linie, die Schönheit des Mozart-Tenors beeinträchtigen. Das war vielleicht das Erstaunlichste.

Als in Salzburg das Licht aufging

In Mozarts Namen hat er einen anderen, durchaus historisch zu nennenden Moment mitverantwortet. 2020 war das, und wieder in Salzburg. Die Welt war auf dem Höhepunkt der Corona-Panik zugesperrt, jede Art der Musikausübung verstummt. Aber die Salzburger Festspiele wollten sich ihr Hundertjahrjubiläum von keinem zweitklassigen Virus zerstören lassen. So erstellte man eine obligat pausenlose, kaum merklich gekürzte Fassung der "Così fan tutte", und über der verzweifelnden Kulturwelt ging das Licht auf.

Aus Künstlersicht liest sich das am schönsten. "Ja, das war der Anfang meiner Geschichte mit den Salzburger Festspielen. Ich konnte gar nicht glauben, dass mir so viel Glück und so viele Zufälle passieren können. Ich war im Lockdown wie jeder, und dann kam ich hierher und bin der österreichischen Regierung für immer dankbar, dass sie mir ein Visum ermöglicht hat. Die beiden ersten Flüge fielen aus, aber beim dritten Mal war ich hier und fühlte mich, als sähe uns der ganze Kosmos zu, wie wir vor Publikum auftraten, während überall alles geschlossen war. Das wird für immer in meinem Herzen bleiben, und Salzburg bleibt für mich der Ort der magischen Momente."

Ukraine–Russland, klar

Die Biografie des Bogdan Volkov war bis vor wenigen Jahren eine unauffällige: Geboren 1989 in die sowjetische Ukraine, aufgewachsen im Industriestädtchen Tores im Donbass und ungeachtet eines musikalisch inaktiven Elternhauses im frühesten Alter vom Klavierspiel verzaubert. Wenn da nicht der Chor gewesen wäre, einen Raum weiter im Kindergarten! Und dann gab es nichts als Singen, Studium, Wettbewerbe … Die Oper wurde zum Lebenstraum, befeuert vom zweiten Akt "Tosca" auf Video mit der Callas und Tito Gobbi, sogar die Großmutter, die nicht ahnte, was sich da zutrug, sah gebannt zu. Einmal auf der Bühne solch eine Urgewalt erreichen! Am Bolschoi-Theater in Moskau wuchs der junge Mann zum Protagonisten, und 2019, noch vor dem Weltuntergang, ging es in den Westen hinaus.

In ein paar Jahren werden wir uns vielleicht wiedersehen, alle Freunde aus Russland und der Ukraine

„Wir wollen in die Zukunft schauen“

Und jetzt? Droht der großartigen russischen Kultur, die für Putin nichts kann, Ächtung durch Ignoranten. Die Antwort verdient es, ungestört zu bleiben. "Salzburg hat der Welt schon 2020 gezeigt, dass es immer einen Platz für die Kunst gibt und dass es immer möglich ist, sie aufzuführen. Jetzt zeigt Salzburg in einer weiteren schweren Situation zwei große Opern, basierend auf Romanen Dostojewskis. Wir haben 2020 überstanden und leben heute in einer wieder ,normalisierten‘ Welt und führen Opern in voller Länge auf. Und auch die Geste, hier Weinberg und Prokofjew aufzuführen, weist darauf hin, dass wir nichts aus der Vergangenheit rückgängig machen müssen. Wir wollen in die Zukunft schauen und in der Gegenwart leben, und wir zeigen der Welt, dass diese symbolische Geste vielleicht etwas zum Besseren verändern wird. Und in ein paar Jahren werden wir uns vielleicht wiedersehen, alle Freunde aus Russland und der Ukraine, und gemeinsam die Kunst genießen." Ob er mit dem wegen inexistenter Putin-Nähe belästigten Teodor Currentzis arbeiten würde? Die Terminkalender sind vorerst dagegen. "Aber als neugieriger Mensch arbeite ich gern mit talentierten Dirigenten, auch, um von ihnen zu lernen."

Die Frage nach dem Wohnort sei fast die schwerste, sagt er. Die Eltern und die Schwester in der alten Heimat vermisst er sehr, den Wohnsitz in Deutschland konnte er erst wenige Wochen nutzen. Aber Salzburg und die Wiener Staatsoper geben im rastlosen Sängerleben Halt. Da, erfreut Volkov, der neue Weltstar, könne man schon von einer Art Heimkommen sprechen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 34/2024 erschienen.

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