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Benjamin Bernheim: "Diese Rolle ist die Quintessenz meines Künstlerlebens"

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Benjamin Bernheim

©CHRISTOPHE ARCHAMBAULT / AFP / picturedesk.com
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Der französische Tenor Benjamin Bernheim ist einer der Gefragtesten seines Fachs. Ab 13. August ist er in "Hoffmanns Erzählungen" in Salzburg zu erleben. Ein Gespräch über die Neuproduktion, Opernregie und die unbekannten Seiten eines Sängerlebens

Zehn Jahre ist das her, da ließ ein junger Tenor namens Benjamin Bernheim bei den Salzburger Festspielen aufhorchen. Kraft, Ausdruck, ein silbrig hell gleißendes Timbre leuchteten aus Franz Schuberts Ritter-Oper "Fierrabras". Heute ist der 39-jährige Franzose einer der Gefragtesten seines Fachs. In Salzburg tritt er diesen Sommer in der fordernden Titelrolle von Jacques Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" an, begibt sich damit in die Nachfolge von Placido Domingo und Neil Shicoff. Premiere ist am 13. August.

Dass er stimmlich für diese mörderische Partie gerüstet ist, demonstrierte er bereits in Hamburg und in Paris an der Bastille Oper. Radio France nannte ihn gar die "Inkarnation von Hoffmann".

Gebrochene Künstlerseele

Schon als Teenager habe er gewusst, dass er diese Partie einmal singen werde, sagt er beim News-Interview in einer Pause der herausfordernden Proben. Der Sohn einer Musikerfamilie hatte im elterlichen Haushalt eine Videokassette mit der Einspielung von Offenbachs Künstleroper entdeckt, Domingo sang den Dichter E. T. A. Hoffmann, der sich in eine Welt des Wahns und der erotischen Begierden fantasiert. Das Dokument begleitete den jungen Bernheim auch, als der Beruf des Opernsängers für ihn zur Option wurde. "Hoffmann ist Künstler, aber auch ein Mann mit vielen Eigenschaften, die man bei jedem finden kann. Er hat diese gebrochene Seele eines Künstlers. Wenn er seine Lieder vorträgt und seine Geschichten erzählt, wird er geliebt. Aber gleichzeitig wird er bemitleidet. Er ist eine Attraktion, ein Clown, aber er ist auch jemand, der die Menschen zum Weinen bringt", beschreibt er seine Figur. "Für mich ist Hoffmann die Quintessenz meines Künstlerlebens. Denn auch wir Künstler machen schwierige Zeiten durch", kommt er auf die der Öffentlichkeit unsichtbaren Seiten seines Berufs zu sprechen.

Das wahre Sängerleben

Wie ist das zu verstehen? Von Fotos entspannter Aufenthalte in Fünfsternhotels, die manche seiner Kollegen über soziale Medien veröffentlichen, möge man sich nicht täuschen lassen, empfiehlt Bernheim: "Da glauben dann die Leute, dass das Leben eines Sängers so entspannt sei. Aber das ist nicht unser wahres Leben, wir arbeiten oft mindestens sechs Tage die Woche und haben wenig Zeit für unsere Familien, für unsere Freunde. Ich will uns Künstler aber auch nicht zu Opfern stempeln. Denn das sind wir nicht. Wir haben unseren Beruf doch frei gewählt. Aber der Sängerberuf verlangt uns sehr viel ab, das bedenken die meisten Menschen nicht."

Meint er damit die oft wochenlangen Probenzeiten? Oder dass an vielen Häusern die Regisseure wichtiger genommen werden als die Sänger? Könnte er womöglich zu diesen Entwicklungen umfängliche Klagegesänge anstimmen? Etwa als er in Paris in Claus Guths "Bohème"-Inszenierung auftrat? Die Tragödie der Näherin und des Dichters war in ein Raumschiff verlegt. Konservative Opernbesucher mochten das gar nicht und haben den Sänger auf der Straße für seine Mitwirkung scharf zur Rechenschaft gezogen. "Ich denke, diese Reaktionen sind normal", gibt er zu bedenken, "denn Kunst soll zum Nachdenken und zum Protest anregen. Ich freue mich sehr, wenn ich sehe, dass die Leute eine Inszenierung lieben oder hassen. Ähnlich verhält es sich mit dem Besuch einer Kunstausstellung, wo man Gemälde von Picasso, Matisse oder Rothko sieht. Man mag einige davon lieben, bei anderen fühlt man sich unsicher oder sogar unwohl. Kunst ist ein Angebot."

"Man muss sich durchkämpfen"

Viele aus der ersten Liga beklagen zu lange Probenzeiten. Noch heute wird in Salzburg davon gesprochen, wie bedeutende Sänger den Regie-Giganten Peter Stein verärgerten, weil sie den wochenlangen Proben fernblieben. "Vermutlich könnte ich das heute auch so machen, möchte ich aber nicht, ich erschaffe gern etwas mit meinen Kollegen. Das ist mir ganz wichtig", stellt Bernheim klar. Für die kleinere Partie in "Fierrabras" habe er sich auch mehrere Wochen in Salzburg ansiedeln müssen. "Ich verstehe, dass man für eine Neuproduktion einer so langen Oper wie 'Hoffmann' viel proben muss, das hat seine Berechtigung. Aber andernorts werden für eine Oper, die nur zweieinhalb Stunden dauert, sechs Wochen eingeplant." Auch von den Sängern kleinerer Rollen werden sehr viele Proben verlangt. "Aber", fügt er nachdrücklich hinzu, "Man darf nicht vergessen, dass Salzburg eine Riesenchance ist! Da muss man sich durchkämpfen. Für junge Sänger sind das schon Herausforderungen."

Neuproduktionen in der Oper werden immer mehr zum Blind Date

Das Hauptproblem sei aber die Desinformation: "Wenn ein Sänger vorab etwas über die Inszenierung erfahren will, wenn er etwa wissen möchte, wie die Kostüme aussehen, bekommt er häufig keine Auskunft. So werden Neuproduktionen immer mehr zum Blind Date. Wenn wir Glück haben, werden wir positiv überrascht", beschreibt Bernheim den Betrieb. Deshalb setzt er sich seit Jahren dafür ein, dass Sänger das Recht bekommen, Details über eine Neuproduktion zu erfahren. "Heute muss man fünf Jahre im Voraus einen Vertrag unterschreiben. Dann versteht sich einer nicht mit dem Regisseur, dann steigt der eine da aus und der andere dort. Man könnte das alles mit ein bisschen mehr Kommunikation und ein paar Zoom-Gesprächen leicht vorher lösen."

"Ich bin Feminist"

Wie war das beim Salzburger "Hoffmann"? Konnte er mit der Regisseurin Mariame Clément das Konzept vorweg besprechen? Das Wiener Publikum konnte sie mit ihrer eigenwilligen Deutung der "Lustigen Witwe" an der Volksoper nicht einstimmig überzeugen. "'Hoffmann' wird eine sehr besondere und intelligente Produktion. Mariame Clément hat die Fähigkeit, Künstler in ihre Welt einzuladen. Man will daran teilhaben. Man will sie verteidigen. Clément schreibt nichts um, sie zeigt die Oper so, wie sie geschrieben ist. Sie kennt die Partitur bis ins Detail und weiß ganz genau, wovon sie spricht. Das ist eine enorme Bereicherung für die Produktion", zerstreut Bernheim mögliche Bedenken. Wäre Hoffmann mit seinen extremen Frauengestalten nicht eine Spielwiese für alle jene, die den Woke-Zensurstift ansetzen wollen? "In dieser Zeit von #Metoo und Diversität reizen viele Extreme aus. Clément macht das nicht. Sie ist keine extreme Feministin. Ich bin selbst Feminist und unterstütze die Anliegen von Frauen."

Das Gespräch schließt mit freundlichen Aussichten: Die Staatsoper ruft per Mai 2025, für Salzburg ist er mit dem Intendanten Markus Hinterhäuser im Gespräch. Aber zuvor wird ihn sein neues Album mit französischen Liedern bis nach Japan führen.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/2024 erschienen.

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