Vor 40 Jahren betrat der Wiener Alfred Dorfer erstmals eine halbwegs professionelle Bühne. Er wurde einer der großen Kabarettisten des Landes, schrieb mit Josef Hader auch Theatergeschichte und hat im Jubiläumsprogramm „GLEICH“ zu undogmatischer Klarheit und Hellsicht gefunden
Der Kollege Hader schafft es zwar auf 20 Jahre, aber sieben Jahre bestausgelastet mit einem Kabarettprogramm unterwegs zu sein, ist auch nicht schlecht. Damit ist es im Fall des Fast-schon-Altmeisters Alfred Dorfer, 63, jetzt allerdings vorbei: Das fabrikneue Jubiläumsprogramm „GLEICH“ ist auf der Piste.
Vierzig Jahre auf der Bühne, ist das nicht eines dieser Jubiläen, die einem eher Unbehagen als Freude bereiten?
Erstens ist das unser gemeinsames Jubiläum, weil Heinz Sichrovsky einer meiner Begleiter der ersten Stunde war, damals noch für die AZ, mit Datum 29. Februar 1984. Schon deshalb kann mich das Jubiläum nicht bedrücken. Aber vor allem deshalb nicht, weil man zu Zahlen auch einen abstrakten Zugang haben kann.
Also sehen wir 40 beide als abstrakte Zahl. Im aktuellen Programm stellen Sie Großmütter, Bären und Karpfen dar. Darf man daraus auf eine gewisse Altersmilde schließen?
In dem Programm stelle ich mir eher die Frage, wie kann man als Satiriker gewisse Dinge beleuchten, ohne ganz klar Partei zu ergreifen? Denn ich habe festgestellt, dass angesichts der politischen Entwicklung so manche Kommentare, auch aus der Kunst, unbrauchbar sind. Sie erinnern mich sehr an das Konzept von 1999, und wenn Kunst so tut, als wäre die Zeit stehen geblieben, ist das ein reflektorisches Dilemma.
Nach 1999 kam die Schüssel-Riess-Passer-Regierung von Haiders Gnaden.
Jetzt hat das aber eine andere Dimension. Damals gab es noch die Keule namens „was wird das Ausland sagen?“ Aber jetzt im Süden Meloni, im Osten Orban, im Westen Wilders und zusätzlich noch Frau Wagenknecht und die AfD in Deutschland, ist das Argument stark entkräftet.
Damals schickte uns die EU die drei Weisen und verhängte Sanktionen ...
Niemand hätte sich damals getraut, nach Italien drei Weise zu schicken. Wenn das Thema Sicherheit in den Vordergrund rückt, Migration, Kriminalität, die Kriege in der Ukraine und den in Nahost, dann haben die Rechten im Volksgefühl immer die besseren Karten.
Die Frage ist, ob die Linken nicht dieses Volksgefühl durch ein Generalversagen mächtig unterstützt haben.
Das ist das andere Kapitel. Ich erkenne bei den Linken keine Selbstkritik. Wenn man sich das Personal anschaut, hat man eher das Gefühl, da ist eine Naturkatastrophe namens FPÖ über uns hereingebrochen. So wie alle überrascht waren, dass das Klima sich verändert, als das Hochwasser kam. Niemals habe ich gehört, dass der sogenannte Rechtsruck in Wirklichkeit ein linkes, hausgemachtes Phänomen ist. Frau Lemke von den deutschen Grünen hat jetzt den sensationellen Satz gesagt: „Wir haben offenbar nicht verstanden, was die Leute da draußen bewegt.“ Offenbar sind die Grünen in Deutschland eine Bunkerpartei, die überrascht ist, dass es da draußen Menschen gibt, die anders denken. Auf der Mobilisierungsebene haben die Blauen seit längerer Zeit eine zeitgemäße Schiene. Da kann einer sagen, ich gehe nicht zu einem Interview zu Puls4, weil ich habe mein eigenes TV und ich bespiele die sozialen Medien, mit denen ich dann natürlich auch die Jungen abholen kann. Bemerkenswert war, dass viele Frauen und viele Junge zum ersten Mal die Blauen gewählt haben. Die Frauen haben den Kickl aber sicher nicht gewählt, weil er so sexy ist. Und die Jungen nicht, weil sie lauter alte Nazis sind.
Und die SPÖ, die andere große Oppositionspartei?
Hat ihren alten Grundsatz vergessen: Wir stehen sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch und sicherheitspolitisch rechts. Sie hat große Themen einfach aus falschen ethischen Gründen ausgespart.
Babler hatte auch keine Unterstützung von seiner Partei.
Ich glaube, dass das ganz primitive menschliche Kleinlichkeiten sind. Erinnern wir uns doch an Rendi-Wagner, den Palaststurz mit dieser unsäglichen Abstimmung. Was ist denn das für ein Image? Wie willst du einer Gruppierung zutrauen, dass sie die Rezession in den Griff bekommt, wenn sie mit sich selbst solche Probleme hat? Ich glaube, die meisten, die die Blauen wählen, erwarten sich nicht einmal, dass der Kickl das kann. Die meisten wären rückholbar. Nur nicht mit dem Personal, das die anderen jetzt haben, und nicht mit den Konzepten, die es jetzt nicht einmal gibt.
Was bringt es, dass der Kusej die Nazi-Fahne am Burgtheater gehisst hat oder dass im Volkstheater „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ gegrölt wird?
Das sind halt Biotops-Ansagen, wie man sie in der kleinen Blase so gerne hört.
Und der Antisemitismus?
Zum Fürchten, vielleicht für mich deswegen so furchtbar, weil ich selbst über den Großvater eine genealogische Verbindung zur jüdischen Kultur habe, von der ich erst sehr spät erfahren habe. Aber bei diesem Antisemitismus, der uns jetzt heimsucht, werden Dinge in einer unglaublichen Weise vermischt. Nur weil Netanjahu ein Krimineller ist und von Rechtsradikalen gestützt wird, ist das ja nicht per se eine jüdische Charaktergeschichte! Es gibt auch einen linken Antisemitismus, der mit der Imperialismusfrage zusammenhängt. Und wir haben natürlich auch einen muslimischen Antisemitismus importiert, aber der ist ganz normal, wenn du im arabischen Raum sozialisiert bist. Wir haben nur verabsäumt zu sagen, dass das hier nicht so geht. Darum sind die Verhältnisse, wie sie sind. Und wenn jetzt die steirische Wahl ein Erdbeben ist, garantiere ich weder für einen Verbleib von Nehammer noch für Babler.
Sie treten wenige Tage vor der Wahl in der Steiermark auf. Werden Sie da etwas zur politischen Lage sagen?
Das ist reiner Zufall. Mit der Nestroy’schen Methode. Der hat sich wegen der Zensur in jedem Stück Freiräume für Improvisation gelassen, worauf dann die Zensoren im Theater gesessen sind und mitgeschrieben haben. Als er dann an der Rampe die Hosen abgezogen und den Hintern gezeigt und gesagt hat, ich möchte gern, dass ich die Zensur von Angesicht zu Angesicht betrachten kann, wurde er nach der Vorstellung gleich festgenommen. Ich mache mir einen zeitlosen Rahmen, sodass ich dann in der Steiermark ebenso improvisieren kann wie in Berlin oder Zürich. Meist entscheide ich das erst kurz vor der Vorstellung.
Gefallen Ihnen die Grünen? Sie wären da der vielleicht einzige mir bekannte namhafte Künstler.
Ich glaube, dass die Affinität der Grünen zur Kunst nie besonders stark war. Ihr natürliches Grundproblem ist die von ihnen abgelehnte Exzellenz. Kunst ist eine Zuspitzung von Kultur, uns interessieren keine Redundanzen, keine Wiederholungen, keine Gleichheiten, uns interessiert einfach Exzellenz. Das passt mit der anti-elitären Attitüde nicht zusammen. Wie auch, wenn jemand glaubt, Handwerksmarkt und das Grätzelfest sind auch Kunst? Kurz gesagt: Kunst selbst ist nicht demokratisch, aber sie sollte der Demokratie dienen.
Wie beurteilen Sie aktuelle Proteste gegen Spitzenkünstler wie Anna Netrebko aus Gründen der politischen Korrektheit?
Wenn ich sie auf der Bühne sehe, dann ist mir eigentlich relativ egal, mit wem sie privat Kaffee trinkt. Sie hat sich im Ukraine-Krieg zu einem Werkzeug machen lassen, weil sie prominent und leider unbedacht ist.
Nun kommen unter diesen Umständen Witz und Doppelbödigkeit immer mehr abhanden. Sind Sie sicher, dass Sie noch verstanden werden, oder schalten Sie intellektuell freiwillig zurück?
Nein, das kann ich gar nicht, weil ich diese Technik nicht beherrsche. Und es gibt auch Ausnahmen. Ich bin immer wieder in Leipzig und in Dresden, und selbst 35 Jahre nach dem Mauerfall merkt man, dass dort ein Publikum sitzt, das extrem auf Zwischentöne geschult ist. Das ist das Kabarettpublikum von damals, das sich über die Anstandsnummern drübergeschlafen hat und erst wieder zugehört hat, als es widerständig wurde. Das spürst du dort noch immer. Das ist der eine Aspekt. Andererseits stimmt es schon, dass dieses protestantisch Knorrige, Inflexible zugenommen hat. Du sagst, was du denkst, und aus! Das Spiel mit Ambiguität gibt es gar nicht mehr. Das hat mit Kunst nichts mehr zu tun, du bist dann in einer Predigt. Ich habe keine Antwort, was diese Entwicklung, abgesehen von den sozialen Medien, begünstigt hat. Warum wollen Menschen dieses Schwebende nicht mehr? Also das, wofür wir hier berühmt wurden, der Wiener, der jüdische Humor bis zu den Emigranten in London und den USA. Diese Art von Humorkultur weicht einer Kultur nach dem Prinzip „ich fahr dir ins Gesicht“, möglichst direkt und verletzend.
Aber wird nicht andererseits rücksichtsvolle Sprache mit Sternen und Unterstrichen gefordert? Ein Humor für Unterbelichtete, die gerade noch ein böses Wort identifizieren, aber dahinter keinen Doppelsinn mehr erkennen können? So wie beim Kasperl das Krokodil ausgebuht wird?
Ja, das ist die Re-Infantilisierung des Publikums, und wer nicht mitgeht, ist entweder ein alter Scheißer oder ein Rechter. Ich glaube allerdings, dass der Höhepunkt überschritten ist.
In Ihrem Programm lachen die Leute, wenn Sie von Kinderarbeit für Tesla-Autos sprechen. Das ist doch eigentlich nicht zum Lachen, oder?
Ja, man weiß oft nicht, warum gelacht wird. Im besten Falle fühlt sich das Publikum ertappt. Bei dieser Passage mit den Autos vermute ich zusätzlich, dass sich die Fans von Verbrennermotoren exkulpiert wähnen. Die lachen, weil sie nicht mehr die einzig Bösen sind. Eine Art Entschuldung, die bei uns im katholisch geprägten Raum sowieso dazugehört. Der purgatorische Effekt ist sicherlich ein Ziel der satirischen Arbeit.
Nun haben Sie selbst im Theater an der Wien den „Figaro“ inszeniert und mit Josef Hader „Indien“ geschrieben, ein Stück Theatergeschichte mittlerweile. Wie gefällt Ihnen denn die immer publikumsfernere Postdramatik, die gerade die Häuser leert?
Mir scheint, dass es eine Retroform von Theater gibt. Sie heißt Regietheater und ist in den 70er-Jahren entstanden, wo Theater konzeptional wurde. Das betrifft leider auch schon die Oper, wo das Regiekonzept wichtiger wird als das Fundament. Wo man sagt, ich erfahre an diesem Abend weniger über Shakespeare als über die privaten Probleme des Regisseurs. Und das ist nicht der Sinn, weder des Theaters noch der Oper.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 42/2024 erschienen.