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Unser Leben wird immer stressiger

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Ein Mann sieht auf seine Uhr.

©Elke Mayr
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Ist unser Leben wirklich stressiger als früher? Ja, sagen einige Experten. Und sie erklären, was uns heutzutage so viel Stress bereitet.

Stress ist überlebensnotwendig. Greift ein Gegner uns an, werden Stresshormone ausgeschüttet. Der Puls beschleunigt sich, der Blutdruck steigt, für kurze Zeit befindet sich der Körper in einem Alarmzustand, er ist leistungsfähiger. Ist die Stresssituation vorbei, schaltet der Körper wieder in Normalzustand um und erholt sich. Ohne diese Entspannung, kann Stress jedoch chronisch werden und uns schaden.

Jung und schon ausgepowert

Eine Stress-Studie des Versicherungskonzerns Allianz aus dem Jahr 2017 hat ergeben, dass 39 Prozent aller Österreicher sich durch Stress im Beruf erheblich beeinträchtigt fühlen, 25 Prozent durch Stress in der Freizeit. Interessant ist auch: Über zu viel Stress klagen nicht vorwiegend ältere Menschen, sondern die Jungen: Das Marktforschungsinstituts "Market" fragte 2018 nach, wie stark sich die Österreicher durch Stress belastet fühlen. 58 Prozent gaben an, sich mittelstark bis stark gestresst zu fühlen, darunter vor allem die Alterskategorien der 16 bis 49-jährigen sowie die Gruppe der Berufstätigen (gegenüber den nicht Berufstätigen).

Stressfaktor Beruf

Laut Arbeiterkammer (AK) spielen folgende Faktoren bei beruflichem Stress eine wesentliche Rolle: eine hohe Arbeitsmenge und zu wenig Zeit, unklare Informationen und Arbeitsunterbrechungen. Wichtig sind weiters die berufliche Anerkennung und sozialer Rückhalt (beispielsweise durch Kollegen). 2012 hat die AK beim Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) und der Donau-Universität Krems eine Studie in Auftrag gegeben, die für das Jahr 2009 die Kosten psychischer Erkrankungen mit 3,3 Milliarden Euro bezifferte.

Als Ursachen für die Belastung der psychischen Gesundheit liegen die Themen Arbeitsplatz, Finanzsorgen und Beziehungsprobleme an der Spitze, wie die Market-Studie feststellt. Außerdem habe die Befragung gezeigt, dass die belastende Wirkung der "abgefragten Faktoren 2018 generell stärker eingeschätzt wird, als noch 2016." Besonders hätten sich seit 2016 die Stressfaktoren "hoher Zeitdruck" und "ständige Erreichbarkeit (Telefon, Internet, Social Media)" entwickelt. 2018 sahen 82 Prozent (2016: 69 Prozent)den Zeitdruck und 67 Prozent (2016: 53 Prozent)die ständige Erreichbarkeit als starke Belastungsfaktoren an.

Zumindest gefühlt nimmt der Stresslevel in unserer Gesellschaft also zu. Dem tragen Arbeitnehmervertreter in Österreich Rechnung.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) fordert schon seit längerem eine Woche zusätzlichen Urlaub, also insgesamt 6 Wochen pro Jahr. Seit 1986 wurde der Urlaubsanspruch nicht mehr erhöht. Aktuell tritt der ÖGB für eine Verkürzung der Arbeitszeiten ein. Das sei aus beschäftigungs-, gesundheits- und sozialpolitischen Gründen erforderlich, heißt es auf der Homepage. Ständig müssen Arbeitnehmer digital erreichbar sein, das schränkt die Freizeit zusätzlich ein. Die Wirtschaft wehrt sich: Die "geforderte Arbeitszeitverkürzung löst Herausforderungen durch die Digitalisierung nicht, sondern schwächt nur den Wirtschaftsstandort und damit auch die soziale Sicherheit in Österreich", sagt Rolf Gleißner, Arbeitsmarktexperte der Wirtschaftskammer (WKÖ).

Doch sind wir in Zeiten der Digitalisierung und anderer technologischer Fortschritte tatsächlich so viel gestresster als früher?

Technostress und seine Folgen

Experten warnen schon seit längerem vor einer Überforderung durch Informationsflut und Digitalisierung. Der deutsche Wissenschaftler Christian Maier von der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg hat sich intensiv mit dem Thema Technostress beschäftigt. In seiner Dissertation kommt er zu dem Schluss, dass die IT-Nutzung zu Stress führen kann, in der Arbeitswelt wie im privaten Bereich.

Soziale Netzwerke und Messenger wie WhatsApp, Facebook und Co. können Nutzer durch die Flut an Informationen schnell überfordern. Der Druck, ständig sozial zu interagieren kann belastend sein. In einer Studie seiner Dissertation hat er 130 Nutzern für zwei Wochen den Zugang zu Facebook verwehrt. Davor und während der Studie füllten die Teilnehmer Fragebögen zum Gemütszustand und dem Nutzungsverhalten aus. Und körperliche Stressindikatoren wie das Schwitzen wurden über den Hautleitwert überwacht. Für den privaten Bereich kam der Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Technostress einerseits durch Übernutzung und andererseits durch den Entzug von Facebook entstehen kann.

Im Arbeitsumfeld äußert sich der Technostress laut Maier mittels einem Anstieg an Burnout-Erkrankungen. Ändert sich in Unternehmen beim Einsatz der IT etwas, kann das zu Stress und Krankheit führen. Vor allem wenn das Verständnis für die Bedienung der neuen IT fehlt.

2018 lieferte eine deutsche Studie der Universität Augsburg unter der Leitung von Wirtschaftsingenieur Henner Gimpel ein ähnliches Ergebnis: Übermäßiger digitaler Stress mindert die Arbeitsleistung und kann gesundheitliche Folgen haben. Die Arbeitnehmer leiden dann häufig unter Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und allgemeiner Müdigkeit. Als Stressauslöser werden hier ebenfalls die Überflutung mit digitalen Technologien und fehlende Kompetenzen im Umgang mit der IT genannt.

Was Augenchirurgie damit zu tun hat

Es muss allerdings nicht immer auf die Digitalisierung als Stressfaktor hinauslaufen. Die Augenchirurgin Mithu Storoni verfolgt einen etwas anderen Ansatz. 2017 veröffentlichte sie ihr Buch "Stress Proof" ("Stressresistent"). "Stress startet nicht im Körper, er startet im Gehirn", so lautet ihre Erkenntnis aus den unzähligen wissenschaftlichen Publikationen, die sie für ihr Buch durchforstet hat. In einem Essay für den Sender "BBC" erklärte die Autorin, warum Stress und Ängste heute verstärkt eine Rolle spielen:

Moderne Augenchirurgen leiden mitunter an der sogenannten zentralen serösen Retinopathie. Dabei sammelt sich unter der Netzhaut Flüssigkeit an und die daraus resultierenden Schwellungen können zu Sehstörungen führen. Ausgelöst wird dieses Phänomen häufig durch Stress. Bereits Militärangehörige im Zweiten Weltkrieg litten darunter. Reduziert sich der Stress, gehen die Symptome zurück. Die Chirurgen sind zu dem Schluss gekommen, dass die neuen Operations-Technologien mittlerweile die physikalischen Grenzen eines Chirurgen gesprengt haben. Der Fokus liegt nun nicht mehr auf der physischen Leistung der Hände, sondern der mentalen Leistung der Analyse und Konzentration. Das ständige Arbeiten am Limit erzeugt einen enormen seelischen Druck - Stress eben.

Chronischer Stress steht laut aktuellen Studien unter dem Verdacht eine Rolle bei Bluthochdruck und Diabetes Typ 2 zu spielen, wie die Autorin schreibt. Für Mithu Storoni sind der soziale Status und die Urbanisierung zwei weitere Stressfaktoren. Soziale Interaktionen und der Erhalt des Status können zum Grübeln führen und mentalen Stress auslösen. Ebenso wenig wirkt das städtische Leben mit seinen ständigen Lichtquellen beruhigend auf unser Gehirn, vor allem nicht das berüchtigte blaue Licht. Es soll die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin unterdrücken. Und selbst das Fertigessen hat laut Storoni einen Einfluss auf unser Stressverhalten. Studien würden hoch-prozessierte Lebensmittel mit Symptomen von Depression in Verbindung bringen. Unsere Ernährungsgewohnheiten würden die Mikroorganismen, die im Verdauungstrakt leben, verändern und diese Mikroorganismen würden wiederum - durch Interaktion mit den Immunzellen und auf anderen Wegen - beeinflussen, wie unser Gehirn auf Stress reagiert.

Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass der seelische Druck ein limitierender Faktor ist, in einem Zeitalter, in dem die physische Belastung zunehmend in eine geistige umgewandelt wird.

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