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Langeweile: Das unterschätzte Gefühl

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Langeweile

Langeweile

©Getty Images/Westend61
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Langeweile mache nicht kreativ, sagt die Soziologin Silke Ohlmeier, sondern sei ein Risikofaktor für Essstörungen und Süchte. Wie wir mit Langeweile umgehen sollten und wer besonders betroffen ist

Silke Ohlmeier kennt das Gefühl aus eigener Erfahrung nur zu gut: Als sie 19 Jahre alt war, begann sie eine Lehre zur Industriekauffrau. Es folgten drei Jahre "das Hirn komplett vernebelnder Langeweile". Doch damals konnte sie das Gefühl noch nicht richtig zuordnen. Sie begann sich abzulenken, damit die Arbeitszeit schneller verging.

Ohlmeier hielt dennoch drei Jahre lang durch. Aus heutiger Sicht kann sie das nicht mehr nachvollziehen. Denn mittlerweile ist sie Soziologin und hat sich auf das Thema Langeweile spezialisiert. Gerade bringt sie ihre Dissertation zu den Themen "Mütterliche Langeweile" und "Langeweile in der Quarantäne" zu Ende, verfasste zusätzlich das Buch "Langeweile ist politisch" und weiß: "Langeweile ist das unangenehme Gefühl, einer befriedigenden Tätigkeit nachgehen zu wollen, aber nicht zu können." Zudem sei Langeweile kein rein persönliches Phänomen, sondern habe viel mit gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Ungleichheiten zu tun, erklärt die Wissenschaftlerin.

Langeweile erhöht das Sterberisiko

Als Langeweileforscherin werde sie von Kolleginnen und Kollegen oft belächelt, schreibt Ohlmeier in ihrem Buch. Das Thema werde von vielen für zu wenig relevant empfunden. Dabei ist die Soziologin überzeugt, dass diese Gefühl, wenn es über einen längeren Zeitraum auftritt, einen negativen Einfluss auf unser Leben haben kann.

So fanden die Epidemiologen Annie Britton und Martin Shipley in einer Langzeitstudie mit 7.524 Teilnehmerinnen und Teilnehmern heraus, dass jene Menschen, die sich häufig langweilen, ein überdurchschnittlich hohes Mortalitätsrisiko haben.

Natürlich sei es nicht die Langeweile selbst, die zu einem verfrühten Tod führe, so Ohlmeier. Aus der Studie gehe vielmehr hervor, dass es die Lebensumstände dieser Menschen seien, die gleichzeitig zu vermehrter Langeweile führen. So werden jene, die ihre Gesundheit negativ einschätzen, die beruflich wenig qualifiziert sind, die schlecht bezahlte Jobs haben und sich wenig körperlich betätigen, besonders von Langeweile geplagt. Das seien oft jene Bevölkerungsschichten mit geringer Bildung und in monotonen Jobs. Oft betroffen sind auch chronisch kranke Menschen, die nicht in vollem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Ebenso kann es aber Menschen, die jahrzehntelang nur für ihre Arbeit gelebt haben und in Pension gehen, treffen.

Andere Studien zeigen zudem, dass chronische Langeweile Essstörungen, Alkoholsucht und Drogenabhängigkeit begünstigen und sogar das Risiko von Unfällen erhöhen kann. Weiters steht Langeweile immer wieder in Verbindung mit Depressionen.

Langeweile ist das unangenehme Gefühl, einer befriedigenden Tätigkeit nachgehen zu wollen, aber nicht zu können

Silke OhlmeierSoziologin
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Silke Ohlmeier, Langeweileforscherin und Autorin

 © Beigestellt

Der Weg aus der Langeweile

Doch jeder von uns kennt das Gefühl, gelangweilt zu sein. So kann etwa eine Tätigkeit in der Arbeit oder im Haushalt genauso wie ein Film im Fernsehen der Auslöser für Langeweile sein. "Diese kurze Langeweile ist nicht so problematisch", beruhigt Ohlmeier. Es sei die chronische Langeweile, die mit Auswirkungen auf Körper und Psyche korreliere und negative Emotionen wie Angst, Einsamkeit, Wut und Aggression hervorrufe.

Die Soziologin sieht ein Problem darin, dass Menschen, die an chronischer Langeweile leiden, sich dies nicht zu sagen trauen: "Unsere Gesellschaft glaubt gerade, man müsste immer glücklich und aktiv sein. Langeweile wird mit Scheitern gleichgestellt", kritisiert sie. Und oft werde Langeweile fälschlicherweise als Faulheit gedeutet.

Aber wie kann man diesem Gefühl entkommen, wenn man selbst merkt, dass es im Leben überhandzunehmen beginnt?

"Das ist ein sehr individueller Weg", gibt Ohlmeier zu bedenken. Und hänge sehr von der jeweiligen Situation ab.

Viele Menschen würden sich jedoch gar nicht aktiv mit der Langeweile auseinandersetzen, sondern versuchen, sich einfach abzulenken. "Das habe ich ja selbst während meiner Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht", blickt sie zurück. Sie habe Jause für andere geholt und private E-Mails geschrieben. Das helfe ein bisschen.

Doch wenn man der Langeweile wirklich entkommen möchte, ist dies der falsche Weg.

Schwieriger Prozess: Langeweile annehmen

Ein erster Schritt ist es, "die Langeweile anzunehmen". "Danach muss ich mich hinsetzen und herausfinden, was die Quelle dafür ist", erklärt Ohlmeier. Zuletzt müssen die Möglichkeiten, daran etwas zu ändern, ausgelotet werden.

Das ist natürlich unterschiedlich und häufig auch unbequem. "Am Ende steht dann vielleicht, dass ich kündigen oder eine Beziehung beenden muss, wenn ich die Langeweile loswerden will", weiß Ohlmeier. "Das ist ein schwieriger Prozess, und man muss sich selbst fragen, ob man die Langeweile akzeptieren oder gehen möchte."

Darüber hinaus gibt es bestimmte Situationen, in denen eine Veränderung negative Auswirkungen hätte. "Eine Supermarktkassierin oder ein 55-jähriger Gutverdiener, die sich zwar langweilen, deren Einkommen jedoch eine Familie ernähren, werden diese Langeweile eher akzeptieren und weiter in diesen Jobs arbeiten", erklärt Ohlmeier. Das heiße aber nicht automatisch, dass diese Menschen dauerhaft unglücklich seien. "Wichtig ist, dass sich die Betroffenen der Situation bewusst sind und ihren Fokus auf etwas anderes als ihre Arbeit legen."

Manche Menschen könnten auch nur schwer etwas ändern. "So dürfen geflüchtete Menschen nicht arbeiten, obwohl sie sich langweilen. Auch ist es nicht so einfach, sich aus Langeweile in der Mutterrolle zu befreien", gibt Ohlmeier zu bedenken.

Nichtstun und Entspannung, nicht Langeweile

Die Soziologin ärgert sich jedenfalls darüber, dass in den vergangenen Jahren Langeweile zu etwas Gutem hochstilisiert wurde und der Mythos existiere, dieses Gefühl sei wichtig, um kreativ zu sein. "Langeweile macht nicht per se kreativ", ist Ohlmeier überzeugt. "Sie kann immerhin ein Impuls zur Kreativität sein, wenn ich es schaffe, etwas an meinem Leben zu ändern." Vielmehr würden diese Menschen nicht Langeweile, sondern Muße, Erholungszeiten und Pausen meinen, so Ohlmeier: "Wenn sich Nichtstun gut anfühlt, dann ist das meist Entspannung."

Langeweile ist zudem Übungssache: "Wenn ich in jeder freien Sekunde sofort das Smartphone zur Hand nehme, wird mir schneller langweilig, sobald die Stimulation von außen nachlässt." Mit Training, etwa mit Yoga, lasse sich diese Langeweileschwelle trainieren, und es kann endlich gelingen, sich zu entspannen - im positiven Sinne.

Buchtipp

Die Soziologin Silke Ohlmeier beschäftigt sich in ihrem Buch mit den Hintergründen der Langeweile und analysiert, was dieses Gefühl über unsere Gesellschaft verrät.
Leykam-Verlag, 23,50 Euro

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 © Silke Ohlmeier

Das Buch ist hier erhältlich*

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Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/2023.

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