Ab welchem Alter sollte das Kind aufs Töpfchen gehen? Und mit wie vielen Jahren sich alleine die Schuhe zubinden können? Die Kinder- und Jugendpsychologin Mag. Sabine Kainz steht Rede und Antwort.
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Jedes Kind ist ein Individuum. So ist es nicht weiter ungewöhnlich, dass die einen schon fröhlich durch die Gegend stapfen, während sich die anderen gerade einmal mit Müh' und Not an der Tischkante hochziehen. Dennoch gibt es für die einzelnen Entwicklungsschritte einen gewissen zeitlichen Rahmen. Wann also sollte mein Kind ...
... sitzen, stehen und gehen können?
"In der Regel können Kinder mit rund einem halben Jahr sitzen", erklärt Kainz. Manche etwas früher, andere später. Je nachdem, wie weit die motorische Entwicklung bereits fortgeschritten ist. Insofern müssen Sie sich auch keine Gedanken machen, wenn Ihr Kind erst mit neun Monaten zu sitzen beginnt. Das ist durchaus im Rahmen. Meist noch vor dem ersten Geburtstag, mit rund zehn Monaten, kann das Kind frei stehen. Ist es erst einmal soweit, dauert es für gewöhnlich auch nicht mehr lange, bis es selbst gehen kann. Der Zeitraum, in dem es seine ersten eigenen Schritte macht, erstreckt sich in etwa vom ersten Geburtstag bis zum 18. Lebensmonat. Kann der Sprössling nach dem 18. Monat noch nicht gehen, sollte man einen Kinderarzt aufzusuchen.
... aufs Töpfchen gehen?
"Für gewöhnlich sind die Kinder rund um den zweiten Geburtstag sauber", sagt Kainz. Bei vielen dauert es bis zum dritten Lebensjahr, bis sie auch nachts keine Windel mehr brauchen. Und keine Sorge, wenn mal etwas ins Bettchen geht. Das kann bis zu einem Alter von sechs Jahren hin und wieder passieren. Kommt es auch danach noch vor, sollten Sie der Sache allerdings auf den Grund gehen. Um das Kind beim Sauberwerden zu unterstützen, stellen Sie ihm die notwendigen Utensilien zur Verfügung. Das kann das Töpfchen, aber auch die Treppe fürs Klo sein. Und machen Sie ihm diesbezüglich keinen Druck. "Sobald die Kinder reif sind auf Klo zu gehen, fordern sie das auch ein. Sofern man sie nicht darauf hindrängt."
... seinen Schnuller loswerden?
Ebenfalls mit rund zwei Jahren sollte das Kind seinen Schnuller loswerden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass es zu Zahn- und Kieferfehlstellungen kommt. Der Schritt zum schnullerfreien Leben ist aber auch noch aus einem anderen Grund wichtig. "Der Schnuller hilft dem Kind, sich zu beruhigen." Bis zum zweiten Lebensjahr ist das auch völlig in Ordnung. Danach müsse das Kind aber lernen, wie es sich beruhigt, ohne dabei etwas im Mund zu haben. Lässt man ihm den Schnuller, so nimmt man ihm die Möglichkeit, altersadäquate Strategien für den Umgang mit negativen Gefühlen zu erlernen.
... im eigenen Bett schlafen?
"Es gibt Kinder, die mit sechs Monaten oder mit einem Jahr ins eigene Bett wandern. Andere schlafen bis zu einem Alter von neun Jahren im Bett der Eltern oder in einem im Elternschlafzimmer platzierten eigenen Bett", weiß die Psychologin. Wenn es allerdings nicht mehr für alle Beteiligten passt - etwa weil die nächtlichen Tritte des Sprösslings Mama oder Papa den Schlaf rauben oder man das Bett schlicht und einfach wieder für sich haben will -, sollte man etwas an der Situation ändern. Bei Bedarf kann man hier den Rat eines Psychologen einholen. Spätestens mit dem letzten Volksschuljahr kommt dann auch beim Kind der Wunsch nach einem eigenen Bett auf.
... sich alleine die Zähne putzen können?
Der oder die Kleine putzt seine Zähne schon mit fünf Jahren selbst? Keine besonders gute Idee! Tatsächlich sollte man das Kind nämlich erst dann alleine Zähne putzen lassen, wenn es die Schreibschrift gut beherrscht. Das kann mit sieben oder aber auch erst mit zehn Jahren der Fall sein. Der Grund: Erst ab diesem Zeitpunkt ist die Feinmotorik derart weit entwickelt, dass gründliches Putzen möglich ist. Bis es so weit ist, heißt es für die Eltern: Nachputzen. Und bitte nicht schleißig sein! Dafür sind die Zähne zu wichtig.
... sich selbst anziehen können?
Hier kommt es ganz darauf an, um welches Kleidungsstück es sich handelt. Während das Kind ein einfaches T-Shirt meist schon mit vier Jahren an- und ausziehen kann, stellt eine Strumpfhose in diesem Alter oft noch eine echte Herausforderung dar. Auch Reißverschlüsse und Knöpfe erfordern ein gewisses Maß an feinmotorischen Fähigkeiten, die Vier- bis Fünfjährige für gewöhnlich aber schon beherrschen. Wichtig ist es, das Kind in seiner Selbständigkeit zu unterstützen. Was natürlich bedeutet, morgens ein bisschen mehr Zeit fürs Anziehen einzuplanen.
... sprechen können?
Im Alter von zwei Jahren sollte der Wortschatz des Kindes rund 150 Wörter umfassen und das Kind sogenannte Mehrwortsätze bilden können. Bei Mehrwortsätzen werden mehrere Wörter ohne Anspruch auf grammatikalische Richtigkeit aneinandergereiht. Wie zum Beispiel: "Mir Puppe haben". Ist das Kind mit zwei Jahren noch nicht auf diesem Stand, gilt es, seine Sprachentwicklung genau zu beobachten und intensiv zu fördern. Etwa indem man sich mit ihm Bilderbücher anschaut, Hörgeschichten hört, Kinderlieder singt, Reime liest - und monologisiert, also erzählt, was man gerade sieht, hört oder tut.
Mit etwa vier Jahren beherrscht das Kind seine Muttersprache. Zwar kann sich jetzt noch der eine oder andere Fehler einschleichen, ab diesem Alter ist der Sprössling für gewöhnlich aber imstande, grammatikalisch richtige Sätze zu bilden. Hat man das Gefühl, dass sich das Kind sprachlich zu langsam entwickelt, sollte man unbedingt einen Kinder- oder Jugendpsychologen aufsuchen. "Das Leben geht über die Sprache", erklärt Kainz. Daher sei der sprachliche Entwicklungsbereich einer der wichtigsten.
... seine Schuhe zubinden können?
Es wäre alles halb so wild, wäre da nicht der Klettverschluss. Dieser verhindert nämlich, dass das Kind lernt, wie man eine Masche bindet. So kommt es, das viele Volksschulkinder noch nicht über besagte Fertigkeit verfügen. Tatsächlich sollte ein Kind noch vor dem Schuleintritt wissen, wie man eine Masche bindet. Also, liebe Eltern, auch wenn der Klettverschluss für alle Beteiligten die einfachste Lösung zu sein scheint: Geben Sie Ihrem Kind die Chance zu lernen, wie man eine Masche bindet.