Ein unvorhergesehenes Ereignis, eine einschneidende Veränderung - und plötzlich hat man das Gefühl, das Leben nicht mehr im Griff zu haben. Was passiert bei einer Anpassungsstörung? Wie erkennt man sie? Und welcher Weg führt aus der Erkrankung wieder heraus? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was ist eine Anpassungsstörung?
Eine Anpassungsstörung ist eine individuelle Reaktion auf ein Ereignis, das einschneidende Veränderungen nach sich zieht. Dies kann beispielsweise eine Trennung, ein Umzug in eine neue Umgebung, ein Arbeitsplatzwechsel oder auch -verlust, die Geburt eines Kindes, eine Hochzeit ebenso wie der Verlust eines geliebten Menschen sein. Die mit der neuen Situation verbundenen Ereignisse führen dann oft zu Veränderungen auf affektiver wie auch auf sozialer Ebene.
Ob es zu einer Anpassungsstörung kommt bzw. wie stark diese ausgeprägt ist, hängt vom individuell zugrundeliegenden Vulnerabilitäts-Stressmodell ab. Dieses gibt Aufschluss über die genetisch, sozial und entwicklungspsychologisch bedingte Anfälligkeit eines Menschen, an einer psychischen Störung wie etwa der Anpassungsstörung zu erkranken, die in weiterer Folge auch in eine physische Erkrankung münden kann. Je vulnerabler, sprich verletzlicher man ist, desto größer das Risiko, eine Anpassungsstörung zu erleiden.
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Im Zuge einer Anpassungs- und auch Trauerphase durchläuft man in der Regel vier Phasen, deren Ausprägung ebenfalls vom jeweils zugrundeliegenden Vulnerabilitäts-Stressmodell abhängt. Auf eine Person, die bereits in der Kindheit einschneidende negative Erfahrungen gesammelt hat, wirken sich neue Verletzungen anders aus als auf Menschen, die auf eine unbeschwerte Kindheit zurückblicken.
In der ersten Phase des Umstellungsprozesses kommt es in vielen Fällen zur Verleugnung des Geschehenen. Man spricht auch von der "Nicht-Wahrhaben-Wollen-Phase". Nach einer anfänglichen Schockstarre tritt in der Regel eine selbstschützende Abwehrhaltung ein, welche das Akzeptieren der neuen Situation (noch) verhindert.
In der zweiten Phase beginnen die Emotionen langsam auf- und auszubrechen. Abhängig davon, welches Ereignis im Hintergrund passiert ist, kommt es zu unterschiedlichen Reaktionen - von Trauer über Zorn bis hin zu aggressiven Verhaltensweisen.
In der dritten Phase beginnt man, sich von Dingen, insbesondere auch von Erinnerungen zu lösen. Ab hier besteht die Möglichkeit, sich neu zu orientieren, das Geschehene nach und nach kognitiv zu verarbeiten und sich sukzessive wieder für ein Leben danach zu öffnen.
In der vierten Phase geht es um die Neupositionierung des eigenen Selbst. Der bzw. die Betroffene ist nun bereit, sich auf die neuen Umstände einzulassen und sich an ebendiese anzupassen.
Welche Symptome können auftreten?
Die Anpassungsstörung geht meist mit psychischen Auffälligkeiten wie Angst und Sorge, aber auch Depressivität, Ärger und Verzweiflung einher. Werden die Symptome nicht angemessen verarbeitet, so besteht die Gefahr, dass die emotionale Verwirrtheit in eine chronische Verbitterung mündet. In weiterer Folge kann es zur sozialen Isolationen und einer allgemeinen Überforderung kommen. Das Gefühl, dem eigenen Leben nicht mehr gewachsen zu sein, drängt sich in den Vordergrund.
Die betreffende Person ist meist sehr angespannt. Sie ärgert sich häufig über sich und andere. Ein weiteres Merkmal sind ausgeprägte Ängste, wie sie zuvor noch nicht vorhanden waren. Oftmals treten auch körperliche Schmerzen auf. Eine organische Ursache lässt sich dabei in der Regel nicht ausmachen. Ebenfalls auf eine Anpassungsstörung hindeuten können schnelle Erschöpfung schon bei geringer Anstrengung, emotionale Verhaltensauffälligkeiten und ungewohnt hohe Aggressivität sich selbst und anderen gegenüber.
Bei einer Anpassungsstörung kann es sich um eine kurze oder aber auch um eine längere depressive Reaktion mit einer Dauer von bis zu zwei Jahren handeln. Häufig lässt sich auch ein kombiniertes Krankheitsbild, begleitet von Angst und depressiven Reaktionen, beobachten. Nicht selten zieht die Anpassungsstörung private wie berufliche Krisen und Konflikte nach sich, welche langfristig eine psychische Erschöpfung und damit ein Burnout bedingen können.
Wie erfolgt die Diagnose der Anpassungsstörung?
Da es sich bei der Anpassungsstörung um eine psychische Störung handelt, erfolgt die Diagnose durch einen Arzt oder Psychologen. Hierfür wird das Klassifikationssystem ICD-10 herangezogen. Durch den expliziten Bezug zu einem vorausgegangenen belastenden Ereignis oder einer einschneidenden individuellen Veränderung unterscheidet sich die Anpassungsstörung von den meisten anderen in der ICD-10 gelisteten psychischen Erkrankungen.
Ab wann ist professionelle Hilfe notwendig?
Bemerkt man, dass es zu einer emotionalen Stagnation kommt und man in einer der ersten beiden der insgesamt vier Anpassungsphasen stecken geblieben ist, sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Hält das Gefühl der emotionalen Hilflosigkeit oder gar Verzweiflung selbst nach vier bis sechs Monaten nach dem Ereignis an, ist umgehendes Handeln angesagt.
Wie behandelt man eine Anpassungsstörung?
Eine Anpassungsstörung wird in der Regel verhaltenstherapeutisch behandelt. Im Zuge der Therapie werden individuelle Strategien zur Bewältigung der neuen Situation sowie klassischer Alltagssituationen entwickelt. Negative Gedanken werden umstrukturiert und durch positive ersetzt, sozusagen "überschrieben". Zudem werden neue Verhaltensweisen eingeübt, die dysfunktionale Gedankenmuster und Gewohnheiten langfristig ersetzen sollen.
Durch die kognitive Verhaltenstherapie verbessert sich der Zustand des bzw. der Betroffenen zusehends. Die neu erlernten Gedanken und Gewohnheiten tragen langfristig zu einem auf positive Weise veränderten Umgang mit schwierigen Situationen bei.
Wie kann man als Patient:in zur Genesung beitragen?
Als Betroffene:r muss man das Geschehene realisieren, zulassen und verarbeiten. Und das braucht Zeit. Insofern ist es wichtig, sich die notwendige Zeit zu geben, die Gefühle nicht beiseite zu schieben und der Trauer den notwendigen Raum zu geben. Wenig zielführend ist es dagegen zu versuchen, sich durch Arbeit, soziale Ablenkung oder den Konsum von Alkohol oder anderen Drogen zu betäuben.
Handelt es sich bei dem Auslöser der Anpassungsstörung um ein schambehaftetes Ereignis wie etwa den Verlust des Arbeitsplatzes oder finanzielle Schwierigkeiten, müsse man sich stets vor Augen halten, dass niemand vor derart einschneidenden Erlebnissen gefeit ist. Gerade in einer Situation wie dieser dürfe man sich nicht zurückziehen und vereinsamen, sondern müsse man Hilfe von außen annehmen.
Wie kann man als Angehörige:r helfen?
Wenn Sie den Verdacht hegen, dass eine Person in Ihrem Umfeld an einer Anpassungsstörung leidet, achten Sie darauf, dass sie die Hilfe bekommt, die sie braucht. Abgesehen davon können Sie sie unterstützen, indem Sie ihr zuhören und das Gefühl vermitteln, für sie da zu sein. Von einer Anpassungsstörung Betroffene brauchen besonders viel emotionale Aufmerksamkeit und Geborgenheit. Geben Sie dem bzw. der Betroffenen die Möglichkeit, über die belastende Veränderung und die damit verbundenen Ängste und Sorgen zu sprechen, die Gewissheit, dass er bzw. sie Ihnen nicht zur Last fällt, und die Zeit, das Erlebte zu verarbeiten.