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Wegscheider am Wendepunkt

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ServusTV-Chef Ferdinand Wegscheider freut sich über einen Etappenerfolg vor Gericht und eine Jahresrekordquote im Juni. Doch der Sender beendet in Deutschland die lineare Ausstrahlung und sein Nachrichtenformat hat vorerst den Zenit überschritten.

Der Reihe nach: Ferdinand Wegscheider ist Intendant von ServusTV, also sein Programmchef. Neben diesem Stand leistet er sich das Spielbein eines Wochenkommentars, in dem er heftig gegen Politik, Medien, Journalismus und Wissenschaft polemisiert. Zur prophylaktischen Selbstentlastung trägt er deshalb ein Zepter mit dem Kopf von Till Eulenspiegel, in dessen Körper er schon im gezeichneten Vorspann der Sendung schlüpft. Alles halb so ernst? Das Insert „Dr. Ferdinand Wegscheider“ zum Start jeder Tirade deutet wieder in die Gegenrichtung. Der Titel fordert Respekt. Hier spricht der Chef. Was er dabei von sich gibt, veranlasste den Presseclub Concordia zu einer Sachverhaltsdarstellung bei der KommAustria. Diese Medienbehörde hat nach einer Prüfung Verletzungen des gesetzlichen Objektivitätsgebots festgestellt. ServusTV berief dagegen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hob den Bescheid auf. „Der Wegscheider“ wäre demnach Satire und unterliege somit nicht den Anforderungen an Informationssendungen. Dagegen wiederum wird nun die Komm Austria laut ihrem Sprecher Andreas Kunigk berufen. Das BVwG selbst muss dann befinden, ob es den Fall an die nächste – und letzte – Instanz, den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zur Entscheidung weitergibt.

Unterdessen jubeln ServusTV und Wegscheider, dass es sich bei der Sendung nicht um Nachrichten handle, feiern die BVwG-Aufhebung aber ausgerechnet als „Erfolg für unabhängigen Journalismus“. So unschlüssig der Zusammenhang, so konsequent ist das Doppelspiel der Fernsehmacher: In ihrer Aussendung schreiben sie dreimal von Satire, auf der Website fehlt aber weiterhin dieses Wort in der Erläuterung des Sendungsformats, bei dem unverzagt der Ehrfurcht heischende „Dr.“ eingeblendet wird.

Spekulative Hinterfotzigkeit lässt sich durch kein Gericht verhindern. Deshalb hat der Presseclub es bei einer Sachverhaltsdarstellung belassen und wartet in Ruhe alle Gerichtsentscheidungen ab. Concordia-Generalsekretärin Daniela Kraus geht es um möglichst breite Bewusstseinsbildung. Das Publikum von „Der Wegscheider“ ist dafür allerdings die falsche Zielgruppe. Zusammengezählt erreichen Erstausstrahlung und Wiederholung weiterhin stabil fast eine Viertelmillion Zuseher im linearen Fernsehen. Dazu noch sechsstellige Archiv- und Facebook-Video-Abrufe.

Doch die Doppelrolle des Intendanten, dessen Gegner ihn eher mit Münchhausen statt Eulenspiegel als seelenverwandt sehen, dürfte mittlerweile dem Gesamtprogramm schaden. In den sieben Jahren, seit Wegscheider ServusTV inhaltlich leitet, hat es beständig Marktanteile gewonnen. Von 2016 noch 1,8 auf im Vorjahr schon 4,3 Prozent. Seit dem Pandemiejahr 2020 ist es der stärkste österreichische Privatsender. Die Chefpolemiken erst gegen Migration, dann kontra Corona-Maßnahmen waren ein Turbo für die Quotenjagd des Gesamtprogramms. „Servus Nachrichten“ um 19.20 Uhr sind bereits das drittstärkste News-Format hinter den ORF-Lokomotiven „ZIB 1“ und „ZIB 2“ am Haupt- und Spätabend.

Doch ausgerechnet der unaufhaltsam wirkende Aufstieg der zeitlich geschickt zwischen „Bundesland heute“ und „Zeit im Bild“ platzierten Info-Sendung scheint mittlerweile gestoppt. Statt heuer die 200.000-Marke beim Livepublikumsschnitt zu knacken, lag sie bisher in jedem Monat hinter dem Vorjahr mit 186.000. Diese Zenitüberschreitung ist ein besonders bitterer Wermutstropfen angesichts des Rekordmonats Juni mit 4,8 Prozent Marktanteil. Parallel dazu wurde bekannt, dass ServusTV den linearen Sendebetrieb in Deutschland einstellt. Ob dies der Anfang vom Ende des Fernsehsteckenpferds von Dietrich Mateschitz ist, wagt aktuell niemand zu beantworten. Doch es wirkt als Rute im Fenster für den Sender, der insgesamt eine wichtige Bereicherung der Medienvielfalt in Österreich war und ist. Das kann er am ehesten auch künftig bleiben, wenn vor allem bei Wegscheider jene Bewusstseinsbildung einsetzt, auf die Kraus setzt. Mehr als Gerichtsurteile könnten für eine solche Veränderung aber Quotenrückgänge sorgen. Noch hinken 2023 die Marktanteile trotz enormer Sportreichweiten knapp hinter dem Vorjahr zurück. Doch Stillstand ist bei der Servus-Konzernmutter Red Bull keine Kategorie.

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