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Terrorangst: Warum religiöser Extremismus auch in Österreich zum Problem wird

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Militärpolizei in Österreich

Militärpolizei in Österreich

©Matthias Schrader / AP / picturedesk.com
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Drei Jahre nach dem Wiener Terroranschlag herrscht wieder akute Gefahr: Es gilt Terrorwarnstufe 4. Im Gespräch mit News erklärt der Terrorexperte Nicolas Stockhammer, warum religiöser Extremismus in Österreich zunimmt - und wie der Strafvollzug aus Kleinkriminellen Hardcore-Jihadisten macht.

Der Nahostkonflikt eskaliert, es droht ein Flächenbrand. Das hat schon jetzt den jihadistischen Terror in Europa beflügelt -in Österreich gilt Terrorwarnstufe vier. Wie ist das zu bewerten?
Stufe vier ist die zweithöchste Warnstufe. Das heißt, zur Eskalation fehlt nicht mehr viel - Stufe fünf tritt in Kraft, wenn es sehr konkrete Drohungen gibt. Jetzt gilt es, Gebäude von kritischer Infrastruktur und Personen, die im Fokus terroristischer Gewalt stehen könnten, rigide abzusichern. Im konkreten Fall betrifft das vorwiegend jüdische und israelitische Einrichtungen und Personen. Man muss stärker absichern, mehr uniformierte Kräfte im öffentlichen Raum platzieren. Es geht um Präsenz, die Signalwirkung von Langwaffen und das subjektive Sicherheitsgefühl von Menschen.

Muss man Angst haben, sollte man öffentliche Orte meiden?
Angst ist die falsche Antwort. Ich spreche lieber von Vorsicht. Das heißt, einfach mit gesundem Menschenverstand darauf achten, ob etwas Auffälliges oder Sonderbares auf ein erhöhtes Sicherheitsrisiko hindeutet. Meinen Alltag würde ich normal fortführen. Aber bei empfindlichen Orten wie israelitischen Einrichtungen ist derzeit durchaus Vorsicht angemessen. Als Tourist würde ich diese jetzt nicht besuchen.

Schon vor der Eskalation im Nahen Osten sind jihadistische Ideologien wieder massiv bedeutsamer geworden. Was sind die Gründe?
Erstens hat die Pandemie Radikalisierung in sämtlichen Phänomenbereichen stark vorangetrieben. Beim Jihadismus hat es zwischen 2018 und 2020 einen kurzen Popularitätseinbruch gegeben. Mit Beginn der Pandemie wurde wieder verstärkt Propaganda in den sozialen Medien gebracht -bei Jugendlichen sind Influencerpreacher ein Thema. Zweitens darf man nicht vergessen, dass der Abzug der Nato und US-Truppen aus Afghanistan ebenfalls in diesen Zeitraum fällt. Dort hat der IS jetzt einen relativ starken, mächtigen Flügel aufbauen können -gerade in Österreich verhaftete Verdächtige und Verurteilte haben sich zum Großteil zum IS-K, dem afghanischen Ableger des IS, bekannt. Jetzt tut der Nahostkonflikt als zusätzlicher Faktor sein Übriges. Es ist ein Komplex, den man schwer auf einzelne Gründe beschränken kann.

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Terrorexperte Nicolas Stockhammer

© News/Matt Observe

In Österreich gibt es einen harten Kern von rund 70 extrem gewaltbereiten und 200 potenziell gewaltbereiten islamistischen Gefährdern. Das ist im Vergleich zu Deutschland proportional zur Bevölkerung sehr viel. Woran liegt das?
Wir haben in Österreich einfach eine relativ ausgeprägte islamistische Szene. Das hat mit unserer geografischen Lage zu tun: Wir sind eine Art Einfallstor zum Balkan. Gleichzeitig steht Österreich im Verhältnis zur Bevölkerungszahl an vierter Stelle der "Beitragssteller" zu den foreign terrorist fighters -das ist die Bezeichnung für Personen, die ausreisten, um sich dem IS anzuschließen.

Man darf aber nicht vergessen, dass von den 330 Österreicherinnen und Österreichern, die nach Syrien in den Jihad gezogen sind, circa 60 Prozent russischer, das heißt tschetschenischer Herkunft waren. Das heißt, wir haben gewisse Communities, die auch überproportional Islamisten produzierten und dies vielleicht noch tun. Warum das so ist, ist eine andere Frage.

Trotzdem wurde Österreich bis 2020 nicht als relevantes Zielland für jihadistischen Terror eingestuft. Woher kam diese Fehleinschätzung?
Die hiesigen Sicherheitsbehörden haben es sich damals recht bequem gemacht. Man hat sich gedacht: Bei uns wird schon nichts sein, auch wenn in ganz Europa bis an unsere Landesgrenze immer wieder Anschläge passieren. Österreich wurde wegen seiner Neutralität nicht als jihadistisches Zielland wahrgenommen. Das war auch nach damaligen Gesichtspunkten eine falsche Schlussfolgerung. Gerade weil die Sicherheitsvorkehrungen in Österreich wesentlich lockerer als in anderen EU-Ländern waren, war der Wiener Schwedenplatz für den Attentäter ein attraktives, weil "weiches" Ziel.

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Erst im Strafvollzug ist der Attentäter zum Hardcore-Jihadisten geworden

Wie ist es passiert, dass sich der Attentäter, ein 20-jähriger Wiener mit nordmazedonischen Wurzeln, radikalisieren konnte?
Begonnen hat es mit einem Kleinfeld Fußballverein, wo er mit gleichgesinnten, jungen muslimischen Männern gespielt hat. Einer dieser Kollegen war ein Jugendfreund, der den späteren Attentäter inspiriert hat und mit ihm dann auf die falsche Spur gekommen ist. Gemeinsam haben die jungen Männer eine problematische Moschee besucht und radikale Botschaften im Internet konsumiert. Dann hat Kujtim F. versucht, nach Syrien auszureisen. Dazu kam es aber nicht: Der damals 18-Jährige wurde in der Türkei aufgegriffen. Er wurde an Österreich ausgeliefert und kam hier in den Strafvollzug. Das ist für mich der Schlüssel zu seiner Vita - im Gefängnis hat sich der junge Mann erst den letzten Schliff bei seiner Radikalisierung geholt. Dort ist er in Wirklichkeit erst zum Hardcore-Jihadisten geworden: Schon im Strafvollzug hat er sich dazu bekannt, dass er einen Terroranschlag in Wien verüben möchte.

Sind extremistische Prediger in österreichischen Moscheen ein flächendeckendes Problem?
Nach dem Anschlag wurde dieses Thema angegangen. Es gibt noch einige, wenige Einzelfälle von Predigern, die als radikal gelten -in den meisten Fällen hat man aber versucht, gewisse hardcore-islamistische Prediger seitens des Verfassungsschutzes oder mit Mitteln des Rechtsstaates aus den Moscheen zu entfernen. Aber es ist ein strukturelles Problem: Der Staat hat nur begrenzte Einflussmöglichkeiten. In Österreich entscheidet die islamische Glaubensgemeinschaft, wer Prediger sein darf. Aus meiner Sicht deuten die Versäumnisse der Vergangenheit darauf hin, dass man entweder nicht genau darauf geachtet hat, ob ein Prediger extremistische Positionen vertritt - oder dass es egal gewesen ist.

Warum war der Strafvollzug so ein Nährboden für die Radikalisierung?
Es gibt Berichte von jungen Männern, die behaupten, sie seien als Kleinkriminelle ins Gefängnis gegangen und als Extremisten wieder herausgekommen. Sie argwöhnen, der Strafvollzug sei ein Turbobooster für ihre Radikalisierung gewesen. Das kann gut sein: Dort sitzen testosterongeladene, junge Männer auf engstem Raum. Sie bestärken sich gegenseitig in ihrem radikalen Gedankengut. Extremismus ist im Umfeld des Strafvollzugs aufgrund problematischer Männlichkeitsmythen sehr populär. Je härter man ist, desto besser - es gibt genug psychologische und vor allem soziologische Gründe. Ein Angebot an Resozialisierungs- und Deradikalisierungsprogrammen ist zwar vorhanden -dieses greift aber nicht immer, obwohl sie gute Arbeit machen. Die bestehenden Ressourcen reichen einfach nicht aus.

Der Wiener Terroranschlag hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt. War das kontraproduktiv? Sollten Medien anders über terroristische Attacken berichten?
Ja, die Medien sind leider oft Erfüllungsgehilfen. Noch am Tag des zweiten Novembers haben Boulevardmedien Fotos aus der Ferne von den Leichen der Opfer und Videos vom Tatvollzug online gestellt. Das hat in einer seriösen Berichterstattung nichts zu suchen. Gleichzeitig gibt es einen legitimen Anspruch der Öffentlichkeit, seriös und detailgetreu informiert zu werden. Wenn das nicht passiert, informieren sich die Menschen über unseriöse Quellen, die dann wahrscheinlich ein anderes Narrativ propagieren. Ja, Medien sollen berichten - aber sie sollen es richtig tun und den Tätern nicht zu viel Platz bieten. Auch, wenn das die Menschen perverserweise am meisten interessiert. Man muss eine Grenze der Pietät und des guten Geschmacks ziehen.

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AUSNAHMEZUSTAND. Am zweiten November 2020 versetzt ein Terroranschlag in der Wiener Innenstadt ganz Österreich in einen Schockzustand. Die Gefahr ist aktuell realer denn je: Es gilt Terrorwarnstufe 4

© ALEX HALADA / picturedesk.com

Sie schreiben, dass kleine Anschläge genauso viel Aufmerksamkeit erregen - und damit gleich viel Angst und Schrecken verbreiten.
Ja, mittlerweile ist das der Fall. Das war nicht immer so. In der Generation Al-Qaida/Nine Eleven ging man davon aus, dass ein Mega-Szenario weltweiten Schock bewirken kann. Mit dem Aufkommen des IS hat sich eine andere Strategie durchgesetzt: viele kleine Attacken statt großen Hyper-Szenarien, die den Behörden viel Angriffsfläche bieten, schon im Vorhinein einzuschreiten. Deshalb ist man auf simple, Low-Level-Szenarien übergegangen. Ein Beispiel: der Attentäter von Dresden. Ein islamistischer Einzeltäter hat im Oktober 2020 zwei homosexuelle Männer mit einem Messer attackiert, einer von beiden wurde tödlich verletzt. Auch dieser Fall war tagelang in den Medien. Selbst kleinere Attacken reichen mittlerweile für das, was Islamisten für ihre Propagandazwecke wollen: Schock, Angst und Schrecken. Dieser Anschlag ist dem sogenannten jihadistischen "Herbststurm" von 2020 zuzurechnen -eine Serie an kleineren Gelegenheitsanschlägen in ganz Europa, die auch auf den Wiener Attentäter inspirativ gewirkt hat.

Nach dem Wiener Terroranschlag ist in Österreich ein regelrechtes Systemversagen des Verfassungsschutzes publik geworden. An welchen Stellen hätte man intervenieren können? Warum ist das nicht passiert?
Oh, an vielen Stellen. Betont wurde immer wieder der versuchte Munitionskauf in der Slowakei, kurz vor dem Attentat. Dazu muss ich basierend auf meiner Erfahrung mit den Notwendigkeiten der Terrorismusbekämpfung aber sagen: Solche Nachrichten kommen öfter. Außerdem hat der Fall im Verfassungsschutz sicher für Fragezeichen gesorgt. Auf eine solche Art: Wer wäre bitte so ungeschickt, im Ausland legal für eine Kalaschnikow Munition kaufen zu wollen? Man hat den Fall deshalb wohl nicht ernst genug genommen. Nichtsdestotrotz hätte man überprüfen müssen, ob etwas im Busch ist.

Zweitens gab es im Vorfeld mehrere Jihadistentreffen, in die der spätere Attentäter involviert war. Dazu gab es, wie auch beim Munitionskauf in Slowenien, Tipps von ausländischen Geheimdiensten. Auch hier hätte man eindeutig intervenieren können und müssen.

Um die Schwachstellen des BVT auszugleichen, wurde im Nachgang der Verfassungsschutz reformiert. Ist Österreich jetzt noch immer so stark auf ausländische Geheimdienste angewiesen?
Ja. Wir sind mehr denn je auf Hinweise von außen angewiesen. Der Unterschied zur Zeit rund um 2020 ist, dass wir jetzt wieder mehr Tipps bekommen. Österreich war sozusagen auf einer Art No-go-Liste, weil Informationen von ausländischen Diensten abgeflossen sind oder in Gerichtsverfahren verwendet wurden - was natürlich hanebüchen ist. Deshalb hat man nach dem Anschlag eine Trennung des Nachrichtendienstes und der Ermittlungsbehörde vollzogen - damit Informationen des Nachrichtendienstes nicht sofort ermittlungsrelevant sind. Es gab damals immer wieder Gerüchte, dass das BVT von pro-russischen Akteuren "durchsiebt" gewesen sein könnte. Die Causa rund um den weltweit gesuchten Jan Maršalek ist ein guter Indikator für mögliche Verstrickungen von ehemaligen BVT Mitarbeitern. Der Rauswurf des BVT aus dem Berner Club im Jahr 2018 hat das Ende der Zusammenarbeit auf internationaler Ebene bedeutet. Österreich hat damals kaum mehr Infos bekommen - nur, wenn es wirklich fünf vor zwölf war.

Hat sich die Lage seither entspannt?
Die neue Konstellation gibt es natürlich erst seit knapp zwei Jahren. Aber aus meiner Sicht haben sich viele Dinge strukturell verbessert. Jetzt gibt es ein neues Staatsschutz-und Nachrichtendienstgesetz, es gibt eine dynamischere, junge Führungsmannschaft und wieder intakte internationale Kooperationen. Ich bin zuversichtlich.

Der Täter galt zum Tatzeitpunkt als Hochrisikotäter. Hat man aus den Fehlern von damals gelernt? Werden Rückkehrer jetzt besser überwacht?
Unter den möglichen Bedingungen, ja. Aber Ressourcen sind nicht unendlich verfügbar. Man muss klare Prioritäten setzen und genau zuteilen - nicht nur in Österreich, auch international in sämtlichen Verfassungsschutzinstitutionen.

Wäre es heute also schwieriger, einen ähnlichen Anschlag in Österreich durchzuführen?
Nein - wir haben uns zwar verbessert, aber auch die Gesamtbedrohungslage hat sich graduell verschärft. Deshalb würde ich sagen, unsere Abwehrkompetenz hat sich insgesamt gesteigert, jedoch sind ebenso die Herausforderungen größer geworden. Zu einer noch effektiveren Terrorismusbekämpfung fehlen uns wesentliche rechtliche Befugnisse - zum Beispiel der sogenannte Bundestrojaner. Ich lehne den Begriff ab. Gemeint sind technische Hilfsmittel zur Penetration von terroristischer Kommunikation auf Chatapplikationen. Es braucht einen Zugriff auf Peer-to-Peer verschlüsselte Messenger-Kommunikation, wenn ein Verdacht vorliegt. Gerne auf staatsanwaltliches Geheiß, jedenfalls aber in Begleitung strenger rechtsstaatlicher Kontrollmechanismen hinsichtlich des Datenschutzes. Das ist dringend sicherzustellen, um allfälligem Missbrauch vorzubeugen.

Warum halten Sie diese Maßnahme für entscheidend?
Dafür gibt es zahrlreiche Gründe. Erstens: Befreundete Geheimdienste, von denen wir wertvolle Tipps bekommen, generieren ihre Informationen auch auf diese Weise. Es wäre eine Lüge zu behaupten, wir tun das nicht -das ist, als würde man russisches Gas aus Kasachstan kaufen, sage ich immer. Zweitens, alle Länder um uns herum haben diese Tools und dürfen Chatnachrichten überwachen - nur wir nicht. Drittens, in Österreich dürfen wir Telefonie abhören, aber nicht Peer-to-Peer Kommunikation überwachen -das macht keinen Sinn. Selbst Deutschland, wo es einen der strengsten Verfassungsgerichtshöfe gibt, hatte datenschutzrechtliche Bedenken ausräumen können. Das möchte ich unserem Verfassungsgerichtshof als Denkansatz mitgeben.

Auch dieses Jahr war bei der Pride-Parade in Wien ein Anschlag geplant, der verhindert werden konnte. Ist das ein Beweis dafür, dass die Reformen rund um BVT und DNS greifen?
Die Verhinderung ist ein Beweis dafür, dass es wieder eine funktionierende internationale Zusammenarbeit gibt. Auch in diesem Fall sind akute Hinweise aus dem Ausland gekommen. Ich möchte trotzdem betonen, dass unser Verfassungsschutz hier schnell und richtig, mit Fingerspitzengefühl reagiert hat. Aber zu sagen: Das wurde verhindert, weil wir so gut ermittelt haben, wäre nur die halbe Wahrheit. Es gab auch hier einen Tipp von einem westlichen Nachrichtendienst.

Der jüngste dieser potenziellen Täter war erst 14 Jahre alt. Dem Trend nach werden radikalisierte Täter immer jünger. Warum?
Das liegt vorwiegend an den sozialen Medien. Wie auch Rechtsextremisten haben Islamisten verstanden, welche sozialen Medien für die jüngste Generation (X und später) relevant sind. Sie bespielen TikTok, Twitch, Youtube und so weiter - teils offen, teils subversiv. Sie locken junge Menschen auf Kanäle, wo sie dann in diese extremistische Ideologie hineingezogen werden, Influencerpreacher sind ein wichtiges Thema. Nichtsdestotrotz geht es hier um Angebot und Nachfrage -es gibt auch genug Personen, die sich nicht verleiten lassen. Aber wenn man nach extremistischen, jihadistischen Inhalten sucht, findet man sie sehr leicht.

Sie sprechen im Buch von Low-Level-Terrorismus, vom Trend der selbstradikalisierten Einzeltäter. Wann ist es zur Entkoppelungen von großen Terrororganisationen gekommen?
Dieses Phänomen hat Marc Sageman als "Leaderless Jihad" - "führerloser Jihad" beschrieben. Durch den War on Terror haben die Amerikaner mit NSA-Methoden alte Islamisten-Netzwerke im Irak und in Afghanistan komplett ausgeräuchert. Der Jihadismus hat sich strategisch neu orientiert - hin zu einem System, das ich "McJihad" nenne. Das beschreibt ein loses Franchise- System von Terrorzellen, dazu gehören auch Strukturen in westlichen Staaten. Wenn überhaupt, halten potenzielle Attentäter nur lockeren Kontakt zum operativen Zentrum, zur Kernorganisation. Das funktioniert wie ein Filialnetzwerk mit regionalen Ablegern, deshalb der Franchise-Vergleich mit jenem von Fastfoodketten. Der führerlose Jihad ist schwer zu bekämpfen, er hinterlässt weniger Spuren. Es gibt keine direkten Aufträge. Wann, wo und mit welchen Mitteln ein Anschlag stattfinden soll, wird nicht von oben vorgegeben. Dies gibt den Durchführenden einen großen Ermessenspielraum in der Logistik und Planung.

Sie warnen, dass sich der "McJihad" zuspitzen wird: Europa steht vor einer Enthaftungswelle jihadistischer Extremisten. Womit müssen wir rechnen?
Es geht hier um jene, die zur Zeit von Syrien und dem Irakkonflikt wegen terroristischer Vereinigungen oder Beteiligung an strafbaren terroristischen Handlungen verurteilt worden sind. Viele dieser Personen haben ihre Haftstrafe demnächst abgesessen. Das Gefährliche: Sie sind nicht oder nicht vollends deradikalisiert. Das wird ein gesellschaftliches Problem werden -auch sicherheitspolitisch. Ebenso eine rechtsstaatliche Herausforderung: Unsere Gesetze geben es nicht her, jemanden engmaschig zu überwachen, sobald eine Strafe verbüßt ist. Es gibt eine Bewährungszeit, in der ein Ex-Häftling einmal im Monat zu Derad muss -Derad und Neustart -das sind tolle zivilgesellschaftliche Organisationen, aber sie kämpfen unter schwierigen Bedingungen gegen eine drastisch steigende Radikalisierung.

Islamistischer Terror und rechtsextremistische Gewalt befeuern sich gegenseitig

Wird durch islamistische Anschläge auch das Risiko von rechtsextremem Terror höher?
Quantitativ ist islamistischer Terror in Österreich derzeit die Hauptbedrohung. Was die Zuwachsraten betrifft, waren die letzten fünf Jahre aber auch ein extremer Booster für Rechtsextremisten -Identitäre, neue Rechte und gewisse rechtspopulistische Parteien haben das Milieu in ganz Europa beflügelt. Dazu kommt der Pool der Corona-Leugner. Da sind extrem viele Menschen durch Radikalisierung im Internet abgedriftet - wir sehen Verschwörungsmythiker und das neu aufstrebende Phänomen der Staatsleugner. Die enorme Bewaffnung im rechtsextremistischen Milieu ist schockierend: Fast im Monatsabstand werden Waffenlager mit Kriegswaffen, vollautomatischen Gewehren, Handgranaten ausgehoben. Das ist nicht zu unterschätzen.

Könnte also auch antimuslimischer Terrorismus in Österreich ein Problem werden?
Das ist immer ein gegenseitiges Aufschaukeln. Eine negative Spirale der Gewalt und Gegengewalt. Wenn islamistischer Terrorismus stärker wird, befeuert das auch rechtsextremistischen und umgekehrt. Bei vielen Terroranschlägen lässt sich ein gewisser Antwortcharakter finden: Auf Christchurch folgte Sri Lanka, darauf wieder Halle etc. Immer wieder nehmen Täter bewusst Bezug auf vorangegangene Attentate aus dem jeweils anderen Spektrum. Aber auch radikaler Klimaschutz ist mittlerweile ein Verstärker für Rechtsextremismus. Wir haben es mit einem komplexen, gefährlichen Cocktail zu tun. Letztlich ein extremistisches Gebräu.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 43/2023 erschienen. erschienen.

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