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Stolzes Land oder Bananenrepublik?

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Kathrin Gulnerits
©Bild: News/Matt Observe
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Beim bevorstehenden Prozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz geht es um weit mehr als um Strafrecht, Befindlichkeiten und Rechthaberei.

Grund zur Freude gibt es im Leben durchaus reichlich: ein paar freie Tage, der nächste Geburtstag, die neue Wohnung, ein neuer Job. Andere wiederum bekunden gerade lautstark ihre Freude über eine zwar wahrlich große, aber eben nicht unbedingt beglückende Tatsache. Nämlich demnächst vor Gericht zu stehen. "Wir freuen uns ...", twitterte der Ex-Kanzler dieses Landes. Konkret freut sich Sebastian Kurz auf der Plattform X darüber, dass "nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt". Das ist sein gutes Recht. Ein verständlicher Zugang. Und dennoch irritiert der Tweet. In den vielen Zeilen ist nämlich bemerkenswert viel von "wir" die Rede. Doch was heißt "wir"? Wir, mein Anwalt und ich? Meine Familie? Wir, die auf der richtigen Seite des juristischen Weges stehen? Absender ist schließlich einer, der in der Vergangenheit vor allem eines praktiziert hat: "Ich! Ich! Ich!" – und dabei letztlich auch an sich selbst gescheitert ist.

Dieses "wir" hat freilich etwas. Nämlich einen Hauch von gekünstelter Belanglosigkeit: Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Dabei geht es jetzt und demnächst – der Prozess rund um die mutmaßliche Falschaussage soll am 18. Oktober beginnen – um viel. Auch um Wahrheit und Lüge. Schuldig oder nicht schuldig. Aber nicht nur. Die Begleitmusik, die dieser Prozess mit sich bringt, zeigt: Es geht um Selbstverständlichkeiten. Um den Blick auf dieses Land und den Umgang der handelnden Personen damit. Ein stolzes Land wohlgemerkt, keine Bananenrepublik.

Es geht um Moral und Anstand von einst führenden Repräsentanten dieses Landes

Wie viel dabei in der Vergangenheit ins Rutschen geraten ist, zeigt die Tatsache, dass medial nahezu bejubelt wird, dass der Rechtsstaat in Österreich funktioniert, eben weil tatsächlich vor dem Richter alle gleich sind. Das darf irritieren. Ein "ja, eh" wäre freilich die richtige Antwort. Wir leben schließlich nicht in Ungarn und schon gar nicht in einem autoritären Staat, aus dem ich beispielsweise komme. Einerseits.

Andererseits gab es Bestrebungen seitens der ÖVP, die Wahrheitspflicht im Untersuchungsausschuss abzuschaffen. Es gab den Vorstoß für ein Zitierverbot für Medien aus Strafakten. Ebenso übrigens für die Veröffentlichung von Faksimiles von Chats. Also kein "Kriegst eh alles, was du willst" und "Kann ich ein Bundesland aufhetzen". Und es gab mehr als einen ÖVP-Versuch, eben jene Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu diskreditieren ("linke Zellen") und deren Unabhängigkeit infrage zu stellen. Es ist auch ein Sittenbild, das fein säuberlich auf den Tisch gelegt wird. Und es ist gut, dass es auf den Tisch gelegt wird, wenngleich der Anlass ein beschämender ist, weil der im Land gängige, fast schon inflationäre "Geht sich schon irgendwie aus"-Zugang möglicherweise einmal zu viel überstrapaziert wurde.

Ein Freispruch wäre übrigens keine Niederlage für die Justiz. Und schon gar kein Grund für wahlweise Häme oder Freude. Die Anklage der WKStA ist auch kein "Drahtseilakt" oder ein "heikles Unterfangen", wie dieser Tage oft zu lesen war. Es ist vor allem ein normaler Vorgang in einem Rechtsstaat, dem wohl weitere folgen werden. Ermittlungen gegen den Ex-Kanzler wegen des Verdachts, öffentliche Gelder missbraucht zu haben, um mit geschönten Umfragen in Boulevard-Medien den eigenen politischen Aufstieg zu fördern, laufen. Und auch dann wird es um weit mehr gehen als um Strafrecht, Befindlichkeiten und Rechthaberei. Es geht auch um Moral, Anstand und Vorbildfunktion von einst führenden Polit-Repräsentanten dieses Landes.

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