Nach der furiosen "Lohengrin"-Premiere dieser Woche ist Christian Thielemann etwas wie der Hauptdirigent der Wiener Staatsoper. Der neue „Ring“ unter seiner Leitung wäre das Maximum des Erträumbaren
In der Vorwoche habe ich mich über das Programm der neuen Burgtheaterdirektion gefreut. Diesmal kommentiere ich, annähernd so animiert, die Absichten der mittlerweile auch schon wieder alten, aber deshalb nicht altgewordenen Operndirektion. Dem Kenner blitzen da jenseits der (auch wieder nicht so wichtigen) Premieren die im Repertoire verborgenen Juwelen entgegen. Hat zum Beispiel jemand die Sensation des Staatsopernspielplans 2024/25 wahrgenommen? "Palestrina" kommt wieder, das in der Musikgeschichte vergleichslose Künstlerdrama des Richard-Strauss-Zeitgenossen Hans Pfitzner, das von der Schaffenskrise des Renaissance-Komponisten Palestrina unter dem Zugriff der katholischen Staatsgewalt erzählt. Ich habe das Werk noch zu Jugendvorzeiten in Mythenbesetzungen erlebt. Aber nie hat sich ihm in meiner persönlichen Erinnerung ein Dirigent der Höchstliga genähert. Selbst vor 25 Jahren war das so, als Herbert Wernickes nun wiederaufgenommene Inszenierung dem Könner Peter Schneider anvertraut war.
Und jetzt? Hat Christian Thielemann mit der Macht seiner Konkurrenzlosigkeit das Werk zurück erzwungen. Insgesamt grenzt es an ein Wunder, wie der mit September 2024 als Generalmusikdirektor in Berlin Antretende die Staatsoper freundlich übernommen hat: heuer "Frau ohne
Schatten" und der eben finalisierte "Lohengrin", nächste Saison "Palestrina", Strauss' "Arabella", gleichfalls auf Thielemanns Wunsch ins Repertoire zurückkehrend, und wieder "Lohengrin". Die Philharmoniker tragen ihn auf Händen, das Publikum verehrt ihn wie einst Karajan.
Noch spannender sind die Subtexte: Die Staatsoper bereitet nach dem bevorstehenden Abgang des Musikdirektors Philippe Jordan einen neuen "Ring" vor, 15 Stunden Wagner an vier Abenden, die Königsetappe jeder Operndirektion. Allseits wird gebetet, dass Thielemann diesen "Ring" dirigiert, obwohl er den Zyklus im kommenden Oktober auch in Mailand beginnt. Viel hängt davon ab: Ein "Ring" mit Thielemann steht außer Diskussion. Kommt der aber nicht zustande, könnte das ortsübliche posthume Lamentieren nach Jordan laut werden.
So lassen sich in der gesamten Spielzeit Spuren des projektierten "Rings" ausnehmen. Lise Davidsen, im Fach konkurrenzlos, wird wohl die neue Brünnhilde werden. Sie ist heuer mit "Rosenkavalier", "Tosca" und "Walküre" eingesetzt wie nie. Anna Netrebko gibt zwei Rollendebüts, ein naheliegendes in Tschaikowskis "Pique Dame" und ein sensationelles, nämlich ihre erste Strauss-Rolle überhaupt in "Ariadne auf Naxos". Sie hat bisher auch nur einen Wagner gesungen, im Dresdner "Lohengrin" unter Thielemann. Dass man sich ihre erste Sieglinde in der "Walküre" vorstellen kann, ist zugegeben ein Traum ohne Unterfütterung in der Realität.
Und die Regie? Kirill Serebrennikow, der schon einen bewunderten und bekämpften "Parsifal" gefertigt hat, inszeniert im September "Don Carlo" mit Asmik Grigorian: wie der "Ring" die Tragödie emotional abgestorbener Mächtiger. Zu Saisonende erarbeitet Lydia Steier den "Tannhäuser", eine fernere Kandidatin eventuell auch sie, mit dem hoch interessanten Heldentenor Clay Hilley.
Was das Ganze aber darüber hinaus lehrt, ist das: In unserer Exotenwelt haben sich zuletzt halbprofessionelle Erscheinungen aus der Blogger- und Shitstormszene eingerichtet. Ein paar zusehends an den Rändern des namhaften Feuilletons verkümmernde Existenzen geben ihnen noch etwas wie Relevanz durch Kumpanei.
Aber wie diese Leute, die sich durch Existenzvernichtung legitimieren, zuletzt gescheitert sind! Am Ende mit offenen Drohungen wurde gegen Markus Hinterhäusers Verbleib in Salzburg randaliert. Der Vertrag wurde soeben bis 2031 verlängert, und um das kleinlaute Protestgestänkere auch nur aufzufinden, muss man zeitraubend Google bemühen (was man nicht sollte, man muss nicht jedem, der welche braucht, Klicks zukommen lassen). Bogdan Roscic, dem serientäterhaft ans Hosenbein gewässert wurde, bleibt bis 2030. Der jetzt konkurrenzlos mächtige Thielemann, zu dessen Vertreibung aus Bayreuth man Beihilfe geleistet hatte, wurde unter Demutsbezeugungen zurückgebeten, weil sich Publikum und Mäzene in Scharen davongemacht hatten. Die gestalkte Netrebko ist überbucht. Und der gehässig bekämpfte Teodor Currentzis ist Hauptdirigent in Salzburg, ohne dass sich auch nur eine Hand dagegen rührt. Ein paar – das Konzerthaus, die Festwochen – haben sich gegen Currentzis einschüchtern lassen, es hat ihnen nichts Gutes gebracht. Aber selbst namhafte Künstler, die mit den Schreihälsen fraternisiert haben, verzeichnen erste Auswirkungen auf die Karriere. Nicht nett, aber pädagogisch wertvoll.
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