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"Ich bin für die Schließung der Theater. Aus Solidarität"

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Der Kabarettist und Autor Michael Niavarani leitet zwei Theater. Im Interview spricht er über die Situation der Branche und über den Lebensbegleiter Nestroy, dem er ein Buch gewidmet hat.

Man kann es nicht oft genug betonen: Die Staatsoper, das Burgtheater, das Konzerthaus und der Musikverein hatten im Herbst ihren Spielbetrieb je nach Möglichkeit für 1.000 Besucher geöffnet. Die Salzburger Festspiele hatten im Sommer ein vorbildliches Präventionskonzept vorgelegt. An keinem dieser Häuser wurde auch nur eine einzige Ansteckung im Publikum verbucht. Dennoch wurde vor vier Wochen wieder alles zugesperrt. "Man hätte sagen können, die Wirtshäuser, Cafés, Bars und die Theater bleiben offen, aber alles andere wird geschlossen, denn im Theater ist man am sichersten. Aber das wäre von einer Kulturnation zu viel verlangt", sagt Michael Niavarani, als er zum Gespräch ins leere Simpl, Wiens legendäre Kabarettbühne, lädt, um sein jüngstes Buch vorzustellen. Sein Nestroy Brevier mit dem Titel, "Es glaubt kein Mensch, was ein jeder Mensch glaubt, was er für ein Mensch ist" erscheint am 11. Dezember bei Schultz &Schirm. Den Anstoß gab der Nestroy Preis, in dessen Rahmen das Publikum den Großhumoristen zum beliebtesten Schauspieler gewählt hat.

Hilfe als staatliche Pflicht

Seit neun Monaten aber ist das Publikum aus der Wollzeile Nummer 36 im ersten Bezirk ausgeschlossen das Virus hat den Betrieb im Simpl, zum Erliegen gebracht. Als im Herbst wieder gespielt werden durfte, hatte Hausherr Niavarani die Vorstellungen nach St. Marx, in sein wesentlich geräumigeres Globe Theater, verlegt. Und auch dort wurde kein Fall nachgewiesen.

Was nun? Schlag nach bei Nestroy, denn der hat für fast alles ein passendes Zitat parat, wie man in Niavaranis Buch erfährt. Darin liest man: "Der einzige Trost, der mir bleibt, ist die Verzweiflung." Träfe das nicht auf den heute 52 jährigen Autor, Kabarettisten und Theatermann zu, der seine Häuser schließen musste? "Hinter diesem Witz steckt natürlich der Satiriker, der weiß, so groß kann die Verzweiflung gar nicht sein, wenn sie einen tröstet", erklärt Niavarani.

Es ist die Pflicht des Staates, genau darauf zu schauen, dass jeder durchkommt


Aber was tröstet über die finanzielle Depression? Die empfinde er nicht, denn das Finanzielle sei stets irgendwie lösbar. Dass aber bald jeder jemanden kennen wird, der nicht weiß, wie er durch den nächsten Monat kommt? "Es ist die Pflicht des Staates, genau darauf zu schauen, dassjeder durchkommt. Wenn diese Regierung das nicht schafft, haben wir die Möglichkeit, sie nach dem Ende der Legislaturperiode abzuwählen", wird Nivarani deutlich. Für ihn sei das Problem eher, dass er jetzt staatliche Hilfe in Anspruch nehmen müsse, die er zuvor nicht gebraucht und nicht gewollt habe.

Bis Mai gesichert

Die Stadt Wien stützt neun Kabarettstandorte mit drei Millionen Euro. Auch der Bund hat seine Hilfe zugesagt. Der Verlust im November wird zu 80 Prozent ersetzt. Das Globe und das Simpl könne er bis Maiweiterführen, ohne jemanden entlassen zu müssen. Dann werde er seine Vorstellungen aus dem Simpl, wie schon in diesem Jahr, zum neu gegründeten "Theater im Park" beim Belvedere ins Freie verlegen. Das Programm steht schon, namhafte Künstler aus allen Sparten haben zugesagt: Birgit Minichmayr, Harald Schmidt, Michael Köhlmeier und der Philosoph Konrad Paul Liessmann, der Opernsänger Günther Groissböck und Solisten der Wiener Philharmoniker treten auf.

Zusperren aus Solidarität

Aber was ist jetzt mit den geschlossenen Häusern? Schmerzen die den Theatermann nicht? "Der eine sagt, es ist unvernünftig, die Lokale und Theater zu sperren, wo nur vier Prozent der Ansteckungen zu verbuchen sind. Das ist, wie wenn ich mir den Schädel anhaue und das Pflaster aufs Knie klebe", zieht Niavarani einen Vergleich. Dass dann im November, als nur noch die Geschäfte offen hatten, die Infektionszahlen rasant anstiegen, überraschte ihn nicht. "Ich dachte sofort, die Zahlensteigen über 10.000. Ich hätte wetten sollen, da wäre ich jetzt reich", scherzt er.

Alle haben Probleme. Läppisch, mich über Theaterschließungen aufzuregen

Gleich aber waltet der Ernst. "Auf der anderen Seite haben alle dieselben Probleme: jedes Geschäft, jeder Frisiersalon, da kommt es mir wahnsinnig läppisch vor, wenn ich mich über die Schließungen aufrege", und er legt nach: "Ich bin für die Schließung der Theater, weil ich mich mit den anderen solidarisch erkläre, die auch schließen müssen. Und aus Vernunft und Solidarität muss man sagen, irgendwann hätte sich wahrscheinlich auch in einem Theatersaal jemand anstecken können."

Und was ist mit den Waffengeschäften? "Dort können wir uns wenigstens treffen", sagt er, womit sich das Gespräch dem Eigentlichen, nämlich Nestroy, zuwendet. Der inspirierte ihn schon zur Schulzeit, als die Klasse "Die schlimmen Buben in der Schule" las. Nestroy sei der Grund gewesen, aus dem er das Gymnasium verlassen und sich gegen eine bürgerliche Existenz entschieden habe. Der Erfolg hat ihm recht gegeben: 2014 wurde ihm der Nestroy-Ring verliehen, nun auch der gleichnamige Preis.

Zensoren von heute

Trotz allem Pandemie bedingten Ungemach hat es Niavarani leichter als sein Kollege vor 200 Jahren. Dass er wie Nestroy für seine Scherze in den Arrest muss, braucht er heute nicht zu befürchten. Denn der kam zwei Tage lang ins Gefängnis, als er den Einakter "Zwölf Mädchen in Uniform" von Louis Angely bearbeitete und aufführte: Der Text war für damalige Verhältnisse nicht jugendfrei. Heute, nach #Metoo, würde man ihm eher die Reduktion der Frauenrollen auf ihre Weiblichkeit übelnehmen. Scherze gegen Frauen würde man heute unterlassen, stellt Niavarani fest, erklärt sich aber mit Korrektheitsexzessen nicht einverstanden: Mancher warte nur darauf, sich beleidigt fühlen zu können. Und weil man schon beim Thema ist, erzählt er einen Witz, den er und sein britischer Kollege John Cleese schätzen: "Was ist der Unterschied zwischen den Asiaten und dem Rassismus? Der Rassismus hat viele Gesichter", zitiert Niavarani und fragt an: "Ist dieser Witz rassistisch? Ja und nein, denn er richtet sich gegen den Rassismus." Und im komischen Genre sei es wie unter Freunden: "Man neckt sich."

Ist Kabarett schwieriger oder einfacher in dieser Zeit? Gute Zeiten für das Genre seien dann, wenn vielen begabten Kabarettisten viel einfalle. "Wir sind Gaukler und wir gaukeln immer, egal, was passiert, ob es die Pest gibt oder Corona, ob wir in einer Krise leben, in einer Diktatur oder in einer Demokratie. Aber es ist auf jeden Fall besser, wir leben in einer Demokratie und es gibt keine Pandemie, selbst wenn es so wäre, dass durch Corona das Kabarett eine Blütezeit erlebt."

Bleibt die Frage, wo Sätze von solch geschliffener Umwundenheit noch fallen sollen, wenn alle Häuser geschlossen sind.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (49/2020) erschienen.

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