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Medikamente

©Nicholas Eveleigh/Getty Images
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Rund 350 Arzneimittel sind in Österreich zur Zeit nicht oder nur eingeschränkt lieferbar. Manche dieser Medikamente lassen sich leicht ersetzen, bei anderen sorgt der Mangel für Ängste bei den Patienten und Patientinnen. Schuld an der Misere seien brüchige Lieferketten und knapp kalkulierte Preise, sagen Experten.

Naghme Kamaleyan-Schmied ist praktische Ärztin in Wien-Floridsdorf. Sie berichtet von Patientinnen und Patienten mit "panischer Angst". Angst, weil das Schmerzmedikament, das sie benötigen, bisweilen nicht oder nicht in der richtigen Dosierung lieferbar ist "und dass sie auf einmal ohne Medikamente dastehen". Die Menschen, die sich davor fürchten, leiden unter chronischen starken Schmerzen, die sie nur mit ihren gewohnten Arzneimitteln unter Kontrolle halten können. Oder sie haben Krebs in einem terminalen Stadium. Ersatzprodukte? "Vertragen diese Patienten und Patientinnen oft nicht so gut", sagt die Allgemeinmedizinerin.

Weitere Medikamente, die ihr in der täglichen Praxis fehlen oder nur schwer zu bekommen sind: Schilddrüsenhormone müssen zeitweise aus Deutschland importiert werden, das kostet jedes Mal 22 Euro für die Einfuhr und Zeit, weil man den Import organisieren und genehmigen lassen muss. Ähnliche Probleme gab es mit einem Lungenspray, das auch bei Post-Covid-Symptomen verordnet wird, zwei Blutdruckmedikamenten, Substitol, das Suchtkranke benötigen, einem Osteoporose-Medikament und einem Antiallergikum. "Wir sind schon Profis im Ersatz-Suchen", beschreibt die Ärztin ihren Berufsalltag. Aber: "Jede Umstellung der Medikamente, auch wenn der Wirkstoff identisch ist, stellt für viele Patientinnen und Patienten eine Herausforderung dar. Plötzlich ist die blaue Tablette rot und die längliche rund. Ich bin überzeugt davon, dass dies mehrfach zur falschen Einnahme der Medikation führt."

"Nicht bei der Gesundheit sparen"

Als Grund für diesen Mangel nennt Kamaleyan-Schmied "das Totsparen. Der Dachverband der Sozialversicherungen drückt die Preise und die Gewinnspannen, daher liefern Pharmakonzerne in andere Länder, wo mehr gezahlt wird." Dieses Problem gebe es seit Jahren. Immer wieder gibt es Mängel, z. B. auch bei Impfstoffen. Aber: "Ganz ehrlich, wenn wir während der Pandemie eines gelernt haben sollten, dann das: Gesundheit ist wichtig. Da ist einfach nicht zu sparen. Machen wir es inzwischen besser? Nein."

Noch immer werde im Gesundheitssystem zu sehr gespart: Die Probleme machen sich überall bemerkbar, von fehlendem Pflegepersonal bis zum Ärztemangel bis zur Prävention. Und eben bis zur Medikamentenversorgung, meint die Medizinerin, die auch stellvertretende Kurienobfrau der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Ärztekammer Wien ist. Preisdruck auf die Hersteller, der Druck, billige Generika zu verschreiben - "Wer macht da noch Forschung?", nennt Kamaleyan-Schmied ein weiteres Problem. Dazu kommen in Krisenzeiten Probleme mit Lieferketten, wenn die Produktion etwa in Indien oder China angesiedelt ist. Ein Lockdown wegen Corona, blockierte Seewege, weil ein Schiff auf Grund läuft, und schon sind Handelswege, die über Jahre funktioniert haben, die Schwachstelle in der Lieferkette.

Wenn es im Lager knapp wird

Für die Verteilung von Arzneimitteln an die Apotheken ist in den allermeisten Fällen der Pharmagroßhandel zuständig. Fünf Großhändler gibt es in Österreich, sie betreiben 23 Standorte mit 2.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und werben damit, binnen zwei Stunden jeden Ort in Österreich mit benötigten Medikamenten beliefern zu können - wenn sie erhältlich sind. "Im Grunde genommen ist die Versorgung in Österreich, auch im europäischen Vergleich, sehr gut", sagt der Präsident des Verbandes Österreichischer Arzneimittel-Vollgroßhändler (Phago) und CEO von Herba Chemosan, Andreas Windischbauer. "Man muss aber feststellen, dass die gesamte Lieferkette anfälliger geworden ist."

Wir sind wegen der Konzentration der Erzeugung in Asien pessimistisch, dass es besser wird

Andreas WindischbauerPräsident der Phago

Ein Blick ins Lager: Bei Herba Chemosan in Wien-Simmering fahren kleine blaue Plastikboxen auf Fließbändern durch die großen Hallen. Jede Apothekenbestellung wird von den im Lager Beschäftigten nach einem ausgeklügelten System abgearbeitet. 20 Minuten dauert es im Schnitt, bis eine Bestellung verpackt ist. In den Regalgängen sind rund 50.000 Artikel - Arzneimittel, Nahrungsergänzungspräparate, Tees etc. - gestapelt, nach einem System, dessen Logik sich für Außenstehende nicht gleich erschließt. Es geht nicht nach Krankheiten oder Alphabet, sondern stark nachgefragte Produkte -das ändert sich nach Jahreszeit -liegen knapp beieinander. Die Mitarbeiter sollen beim Packen möglichst geringe Entfernungen zurücklegen - nur so lässt sich das nötige Tempo halten. Eine Praktikantin ist mit ihrem Schrittzähler dennoch einmal auf 24 Kilometer an einem Tag gekommen, erzählt der Chef. Zu Spitzenzeiten wird der Job im Lager stressig.

Rund ein Viertel des Tagesumsatzes wird zwischen 11.30 und 13 Uhr gemacht, da trudeln die meisten Bestellungen aus den Apotheken ein. Am Tag vor dem ersten Corona-Lockdown gab es zwei-bis dreimal so viele Bestellungen wie zu normalen Zeiten, erzählt Windischbauer - obwohl die Apotheken die ganze Zeit geöffnet waren. Pro Jahr werden 120 Millionen Packungen der verschiedenen Produkte verkauft.

Brüchige Lieferketten

Vor allem die Coronakrise habe sichtbar gemacht, wie sehr die österreichischen Patienten von Herstellern in Asien abhängig geworden sind. Wenn ein Werk, das Grundstoffe oder Medikamente für den Weltmarkt produziert, aus irgendeinem Grund ausfällt, etwa durch beschädigte Maschinen, Verunreinigungen etc., kann es zu Engpässen kommen. Ein weiteres Problem sei, dass große Pharmafirmen oft nur noch einige wenige Zentrallager in Europa betreiben. Als die Grenzen wegen Corona geschlossen waren, steckten auch Lkw mit Arzneimitteln fest. "Der einzige Vorrat, den wir haben, ist das, was gerade in unseren Lagern sowie in den Apotheken und Krankenhäusern liegt", beschreibt Thomas Brosch, Phago-Vorstandsmitglied und Geschäftsführer von Kwizda Pharmagroßhandel. "Es ist zum Glück zu keinem Ausfall gekommen, aber es war verdammt knapp", sagt Windischbauer. Fällt ein Medikament aus, könne es zwar oft durch ein anderes Mittel substituiert werden, dann drohe allerdings oft dieses Ersatzprodukt aufgrund der plötzlich erhöhten Nachfrage knapp zu werden. Das Management solcher Mängel "ist mittlerweile ein enormer Arbeitsaufwand geworden", sagt Windischbauer, "und wir sind, ehrlich gesagt, wegen der Konzentration der Erzeugung in Asien pessimistisch, dass das besser wird."

Die Pharmagroßhändler plädieren daher dafür, einen nationalen Medikamentenvorrat anzulegen, der an den Standorten ihrer Unternehmen betreut wird. Experten sollten festlegen, welche Arzneimittel unter diesen Vorrat fallen, dieser Bestand würde dann rollierend gelagert - soll heißen, die Medikamente können nicht ablaufen, da sie ständig in Umlauf gebracht und dadurch ausgewechselt werden. Hierzu sei man im Gespräch u. a. mit dem Gesundheitsministerium und den Gesundheitskassen. Die Kosten für ein solches Notlager könne man aber erst abschätzen, wenn festgelegt sei, welche Medikamente darin enthalten sein sollen.

Was Medikamente kosten dürfen

Und das Argument, in Österreich seien Arzneimittel zu billig, der Markt hier sei für Unternehmen weniger attraktiv als in anderen Ländern? "Von den 150 Millionen Arzneimittel-Packungen, die in Österreich pro Jahr auf Rechnung der Krankenkasse abgegeben werden, kosten 100 Millionen weniger als die Rezeptgebühr von 6,30 Euro", erklärt Windischbauer. "Die niedrigen Preise sind definitiv ein Problem", ergänzt Brosch, "bei neuen Präparaten ist Österreich sicher nicht das Land, das die ersten Chargen bekommt, wenn es andere Länder gibt, in denen die Preise höher sind. Und auch nach einem Produktionsausfall kommen die ersten Mengen, die hergestellt werden, wahrscheinlich nicht nach Österreich." Wobei allerdings schon produzierte Waren nur in jenes Land geliefert werden dürfen, für das sie registriert sind. Auch wenn die Packungen identisch aussehen, ist an der Chargennummer ersichtlich, für wen sie produziert wurden.

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Pro Jahr werden 120 Millionen Packungen aus dem Lager des Pharmagroßhändlers Herba Chemosan ausgeliefert

 © Ricardo Herrgott

Als Pharmagroßhändler haben Windischbauer und Brosch natürlich selbst ein Interesse an höheren Preisen: Sie verdienen an jedem Medikament einen festgelegten Betrag. Bei den billigsten Präparaten sind das 15 Prozent des Fabrikabgabepreises. Oft sind das nur einige wenige Cent. Bei Arzneimitteln, die über 336 Euro kosten, dürfen sie einen Fixaufschlag von 23,74 Euro verrechnen, "egal, ob sie 500 oder 20.000 Euro kosten". Dabei gebe es allerdings das Problem, dass gerade diese teuren Arzneimitteln von den Herstellern lieber direkt an die Apotheken geliefert werden.

"Diese Preisgestaltung ist seit 2004 unverändert, und wir haben damit in der Tat ein Problem", sagt Windischbauer. Denn in dieser Zeit seien Löhne und Nebenkosten gestiegen, ganz zu schweigen von der derzeitigen Inflation. "Wenn ein Produkt nur einen Euro kostet und wir davon 15 Prozent bekommen, dürfte ich das eigentlich gar nicht mehr führen, weil es betriebswirtschaftlich unmöglich ist."

Pillen werden billiger

"Unser Land zählt im Arzneimittelbereich zu den Niedrigpreisländern in der Europäischen Union. Das schafft den Anreiz für einzelne Händler, die für den österreichischen Markt bestimmten und hierher gelieferten Medikamente in andere Länder zu verbringen, wo ein höherer Preis erzielt werden kann. Das ist eine der Hauptursachen dafür, weshalb diese Produkte dann für die heimische Versorgung fehlen", sagt hingegen Alexander Herzog, der Generalsekretär der Pharmig (Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs) zur Preisproblematik. Allerdings muss dazu auch angemerkt werden: Auf der Website des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (basg.gv.at) findet man eine Liste jener Präparate, die derzeit nicht oder nur eingeschränkt verfügbar sind. Was auf dieser Liste steht, darf nicht exportiert werden.

Wir sind schon Profis im Ersatz-Suchen

Naghme Kamaleyan-SchmiedÄrztin für Allgemeinmedizin

In einer eigenen Studie, die sich auf den niedergelassenen Bereich bezieht, habe die Gesundheit Österreich GmbH das Niveau der Preise ausgewählter kostenintensiver Arzneimittel im Vergleich der 27 EU-Länder untersucht, heißt es seitens der Pharmig. "Dabei liegen für die 60 Arzneispezialitäten des niedergelassenen Sektors die österreichischen Fabriksabgabepreise durchschnittlich 1,7 Prozent unter dem Mittelwert der Preise in den untersuchten Ländern", sagt Herzog. Und weiter: "Angesichts der derzeitigen hohen Inflation wäre es umso notwendiger, dass endlich auch die Arzneimittelpreise an diese angepasst werden dürfen. Man muss sich nur vorstellen, dass eine Arzneimittelpackung, die 1996 noch zehn Euro kostete, heute um 6,17 Euro erhältlich ist. Im Gegensatz dazu sind in allen anderen Bereichen, egal, ob Lebensmittel, Bekleidung, Autos oder sonstige Produkte, die Preise kontinuierlich gestiegen."

Lieferschwierigkeiten bei einzelnen Produkten könnten durch eine Verkürzung der Lieferketten behoben werden, sagt der Pharmig-Generalsekretär. "Damit einher ginge der stärkere Ausbau der Arzneimittelproduktion in Österreich bzw. Europa. Allerdings darf man sich hier nicht der Illusion hingeben, dass dies bei allen Arzneimitteln realisiert werden könnte. Denn schließlich hat sich ja wie in vielen anderen Branchen aufgrund eines immer stärker werdenden Kostendrucks die Produktion über viele Jahre in den asiatischen Raum verlagert."

Gibt es den Preisdruck?

Beim Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger verweist man auf einen Rückgang der Engpässe bei Medikamenten, die auf Kassenkosten abgegeben werden, trotzdem seien Lieferprobleme natürlich kritisch. "Für beinahe alle Produkte, die in den letzten zwei Jahren von Lieferproblemen von mehr als einem Monat betroffen waren, gibt es jedoch überwiegend therapeutisch gleichwertige Alternativen", teilt der Dachverband auf News-Anfrage mit. "Von den 7.600 Medikamenten, die auf Kassenkosten abgegeben werden, können 5.000 durch Generika ersetzt werden." Aktuell seien 350 Produkte nicht lieferbar, von diesen könnten jedoch für 260 Generika angeboten werden, "zu den Restlichen existieren überwiegend auch therapeutische Alternativen."

Auf die Frage, in welchen Bereichen es zu Engpässen komme, heißt es in der Stellungnahme des Dachverbandes: "Aufgrund der Covid-Pandemie kam es bei Immunglobulinen, welche aus menschlichem Plasma gewonnen werden, zu einer Rohstoffknappheit, da die Spenderzahlen zurückgingen." Was vom Dachverband allerdings zurückgewiesen wird, ist der Vorwurf, die niedrigen Medikamentenpreise seien die Ursache für Engpässe. Der Dachverband habe die gesetzliche Aufgabe, den Erstattungskodex - das ist die Liste aller Medikamente, die auf Kassenkosten vorordnet werden dürfen - herauszugeben. Bei der Preisgestaltung werde "zunächst der Nutzen eines Medikaments bewertet und darauf aufbauend der Preis verhandelt. Auf den Fabriksabgabepreis werden dann Aufschläge angewendet, die dann den endgültigen Preis ergeben."

Unser Land zählt im Arzneimittelbereich zu den Niedrigpreisländern in der EU

Alexander HerzogGeneralsekretär der Pharmig

Auch der Dachverband zitiert eine internationale Preisvergleichsstudie, wonach die Arzneimittelpreise im Vergleich mit 19 ausgewählten europäischen Staaten im oberen Mittelfeld bis Spitzenfeld liegen. Österreich zahle für Medikamente zweieinhalb Mal so viel wie Schweden. "Das Preisniveau kann somit keine taugliche Entschuldigung für Lieferprobleme sein."

"Nicht im Einfluss der Behörden"

Letzte Station: Gesundheitsministerium. Die Ursachen für Lieferengpässe lägen "in aller Regel außerhalb des unmittelbaren Einflusses der österreichischen Behörden", versichert man dort. Seit April 2020 gelten eine Verordnung zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung und das bereits erwähnte Exportverbot für Produkte, die nicht oder nur eingeschränkt verfügbar sind. Lieferengpässe lägen an Produktionsproblemen und Qualitätsmängeln. "Ökonomische Gründe wie niedrige Preise sind weniger Ursache für Lieferengpässe. Es besteht allerdings in der internationalen Diskussion die Sorge, dass Unternehmen den patentabgelaufenen Markt (z. B. Generika-Medikamente) verlassen, falls sehr kompetitive Ausschreibungen durchgeführt werden und das günstigste Medikament den Zuschlag für die Belieferung für längere Zeit erhält", heißt es in der schriftlichen Stellungnahme des Gesundheitsministeriums. Allerdings würde in Österreich auch für Generika mehr bezahlt als etwa in Schweden, verweist auch das Gesundheitsministerium auf die europäische Vergleichsstudie. Der Dachverband würde den Preis für diese nicht durch Ausschreibungen festlegen, sondern es gebe einen festgelegten Preisabschlag gegenüber dem Preis des Originalmedikaments.

Not macht erfinderisch

Des Weiteren heißt es seitens des Gesundheitsministeriums: "Dass Österreich tendenziell hohe Medikamentenpreise hat, schlägt sich auch in den Arzneimittelausgaben nieder: Laut OECD liegen die Pro-Kopf-Ausgaben in Österreich mit 688 US-Dollar im oberen Mittelfeld der EU-Mitgliedstaaten."

Ein Notfalllager für Medikament finden alle Befragten sinnvoll, wobei die Pharmig allerdings eine europäische Lösung gegenüber einem nationalen Lager in Österreich bevorzugen würde. Bis dahin heißt es: kreativ bleiben. Oder man nutzt die Möglichkeit, sich anderweitig zu versorgen. Doktorin Kamaleyan-Schmied sagt: "Eine türkische Patientin von mir kauft Medikamente, die uns hier fehlen, einfach in der Apotheke in der Türkei."

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 33/2022.

Psychische Gesundheit

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