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"Jedes Konzert ist wie eine neue Welt"

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Lang Lang

©Lukas Beck
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Der chinesische Starpianist Lang Lang über sein neues Album mit Werken von Camille Saint-Saens, sein neues Leben als Ehemann und Vater eines Sohnes, künstliche Intelligenz und was er in der Pandemie gelernt hat.

So dicht besetzt erlebt man den großen Saal im Wiener Konzerthaus selten. Zusätzliche Sessel sind auf dem Podium platziert, das ist nichts Ungewöhnliches bei Solo-Konzerten von gefragten Pianisten. Doch an diesem Abend ist nur wenig Platz zwischen den Sitzreihen und dem Klavier. Denn an den Tasten agiert Lang Lang. Mit seinen 42 Jahren ist der gebürtige Chinese der gefragteste Pianist unserer Tage. Millionen folgen ihm auf Youtube und anderen Kanälen, wo er Kindern Klavierstunden gibt.

Triumph im Wiener Konzerthaus

Naheliegend, dass da nicht wenige Konzertbesucher mit ihren Kindern gekommen sind. Einige der Jüngsten sind höchstens im Volksschulalter, und man kann nicht genug darüber staunen, wie die Kleinen aufmerksam Robert Schumanns Klavierzyklus "Kreisleriana" verfolgen. Kein Wunder, denn so verstörend hört man die Extreme dieses Werks selten. Lang malträtiert das Klavier mit seinen Attacken und hebt mit seinem wüsten Spiel das Bizarre des Werks hervor. Schumann vertonte darin E. T. A. Hoffmanns Erzählungen über den Kapellmeisters Kreisler und bildete auch sich selbst in seiner Musik ab.

Dann folgt der Triumph mit dem Kernrepertoire Chopin. Kaum ist der letzte Ton der Polonaise in fis-Moll verklungen, erheben sich wie auf Kommando alle im Saal von den Sitzen, grölen Bravo-Rufe, manche drücken ihre Begeisterung gar mit schrillen Pfiffen aus. Alle beklatschen ihren Star.

Wenige Stunden vor dem Konzert trifft Lang Lang News zum Gespräch. Anlass ist sein neues Album, das er dem französischen Komponisten Camille Saint-Saens gewidmet hat. Dessen "Karneval der Tiere" und dessen 2. Klavierkonzert spielte er mit Gewandhausorchester unter dem nuancierten Dirigat Andris Nelsons ein. Bereits als Teenager habe er dieses Konzert geliebt, blickt Lang zurück. "Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich es zum ersten Mal hörte. Das war mit Yefim Bronfman als Solisten in Philadelphia. Natürlich hörte ich auch Arthur Rubinsteins Interpretation. Ich wusste, dass ich dieses Stück einmal selbst aufnehmen werde. Denn das ist ein echtes Meisterwerk. Aber ich habe schon länger darüber nachgedacht, ein Album ausschließlich mit französischer Musik einzuspielen. Das ist eine große Herausforderung, denn das meiste dieser Musik ist impressionistisch", führt Lang Lang aus. Der französische Impressionismus sei der Musik seines Landes nicht unähnlich, fährt Lang Lang fort. Die Musik sei so transparent wie Wasserfarben. Überhaupt sei es interessant, wie die Kultur des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in Europa von China beeinflusst war. "Denken Sie an Mahler, Puccini und in der Malerei an Monet", führt er aus.

Mit Ravel auf Tournee

Wenn Lang Lang über Musik spricht, ist er ganz in seinem Element. Auch bei seinem nächsten Auftritt in Wien werde er etwas Französisches spielen, sagt er und verweist auf sein Konzert mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden am 28. Mai im Musikverein. Christian Thielemann hat ihn eingeladen, ihn auf seiner Abschiedstournee mit seinem Orchester zu begleiten, Thielemann schlug ihm Maurice Ravels 2. Klavierkonzert in G-Dur vor. "Ich hatte zunächst gedacht, dass für eine Abschiedstournee ein Konzert von Mozart oder Beethoven vielleicht passender gewesen wäre. Aber Thielemann wollte Ravel. Ich habe dieses Stück seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gespielt und begann es neu einzustudieren. Vieles fühlt sich heute anders an", sagt Lang Lang.

Dass Thielemann die Tournee aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, ahnte man zur Zeit des Gesprächs noch nicht. Das Konzert findet trotzdem statt. Die litauische Dirigentin Myrga Grazinyte-Tyla übernimmt.

"Vor 20 Jahren wäre man noch darauf aufmerksam geworden, wenn eine Frau dirigiert. Heute ist das anders. Ich habe bereits mit einigen Dirigentinnen gearbeitet. Heute hat sich die Einstellung gegenüber Frauen in der Musik verbessert", erklärt Lang Lang.

Das ist auch an seinem Album zu erkennen. Denn Lang Lang spielte Werke von Komponistinnen ein. "Ich spiele diese Werke sehr gern. Sie sind so poetisch. Frauen sind oft viel einfühlsamer. Spielt man Louise Farrenc, kann man sich vorstellen, dass man schon in Paris ist."

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Lang Lang, 42, ist der gefragteste Musiker der Klassikbranche

© Andrea Humer

Krise und ein neues Leben

Aber was ist mit Ravel? Denkt er bei diesem Komponisten denn gar nicht mehr an seine dunkelste Zeit? 2017 war es, als das Unglück bei Ravel geschah. Konkret bei dessen "Konzert für die linke Hand", ein Stück, das zur Linderung eines Unheils geschrieben worden war. Denn Ravel hatte das fordernde Werk für den Pianisten Paul Wittgenstein geschrieben, den eine Verwundung im Ersten Weltkrieg den rechten Arm kostete und der mit dem Werk ins Konzertleben zurückkehrte. Heute klingt es wie eine Ironie der Geschichte, dass es den weltweit gefragtesten Pianisten beinahe aus dem Konzertleben gerissen hätte: Lang Lang hatte sich beim Üben des Soloparts eine schwere Sehnenscheidenentzündung zugezogen, was für einen Pianisten das Ende bedeuten könnte. Doch die Verletzung an der linken Hand zwang Lang Lang nur glimpfliche acht lange Monate zur Pause. Statt im Wiener Musikverein oder in der New Yorker Carnegie Hall gastierte er in einer Münchner Klinik. Seine Rückkehr nahm die Klassikwelt mit größter Erleichterung auf. Denn Lang Lang zieht die Massen an.

Ein Milliardenpublikum verfolgte seinen Auftritt bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking. Als er 2019 mit Billy Joel in Madison Square bei einer Jam-Session auftrat, schrieb die "New York Times", für die Lang Lang stets "the hottest artist in the classical music planet" war, es sei gut, dass "Mr. Lang, einer der berühmtesten und gewinnbringendsten Pianisten" wieder zurück sei. Der Dirigent Franz Welser-Möst kommentierte Lang Langs Rückkehr ins Konzertleben damals so: "Wir alle machen gewisse Phasen durch, und ich glaube, es gab eine Zeit, in der der Erfolg einen negativen Einfluss auf ihn hatte. Dann war er aus gesundheitlichen Gründen für einige Zeit aus dem Geschäft, was für ihn ein Schock war. Seitdem hat er sich als Musiker verändert. Früher war er eher ein Virtuose – er suchte in der Musik nach der virtuosen Seite vieler dieser Stücke. Jetzt ist er reifer geworden. Und das ordentlich."

In der Tat. Noch heute haftet ein Interview in Paris im Journalistengedächtnis: Er werde jetzt ein neues Leben beginnen, sagte der Genesene. Das war 2019. Kaum zu glauben, dass das alles schon so lange her ist. Doch Lang Lang hielt sich an seinen Vorsatz. Auch außerkünstlerisch. Er heiratete die deutsch-koreanische Pianistin Gina Alice Redlinger, die auf dem Saint-Saens-Album das zweite Klavier im "Karneval der Tiere" spielt.

Das Paar hat einen dreijährigen Sohn. "Er versteht schon Chinesisch und Deutsch, weil seine Mutter ja Deutsche ist. Jetzt lernt er auch noch Französisch", kehrt Lang Lang den stolzen Vater hervor.

Seine Verletzung sei Geschichte, dennoch gebe er derzeit nicht mehr als 90 Konzerte im Jahr. Seine Anziehungskraft auf das Publikum ist dennoch ungebrochen, wie jüngst im Konzerthaus zu erleben war. Daran hat sich seit 20 Jahren nichts geändert: Der chinesische Ausnahmepianist versetzt die Hörer in Euphorie und seine Kritiker in Rage. Neider und Puristen nehmen ihm übel, dass er Populäres wie die massentaugliche Musik von Disney-Filmen eingespielt hat. Doch für dergleichen hat dieser Pianist kein Ohr. Mit dem Disney-Album habe er die Jüngsten zum Klavierspielen motivieren wollen. Fertig. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen.

Wirklich geprägt habe ihn seine Aufnahme von Bachs "Goldberg-Variationen". Danach habe er viele Werke anders betrachtet. So sieht er selbst sein künstlerisches Fortkommen.

„Er macht Menschen glücklich“

Die größten Dirigenten schätzen ihn seit Beginn seiner Karriere. Zubin Mehta nannte ihn einen der talentiertesten Nachwuchskünstler, die ihm je begegnet seien, und fügte hinzu: "Er geht seinen Weg musikalisch korrekt und konzentriert." Daniel Barenboim, der ihn in jungen Jahren unter die Fittiche genommen hatte, beschrieb ihn so: "Lang Lang ist ein seriöser und bescheidener – und somit ein großer – Künstler."

Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele, beschreibt Lang Lang als exzellenten Pianisten und gibt ein Beispiel: "Ich habe ihn vor einem Jahr bei den Osterfestspielen in Salzburg gehört. Seine Kadenzen bei Beethovens 3. Klavierkonzert waren von großer pianistischer Klasse und interpretatorischem Tiefgang." Andere wiederum meinen, Lang Lang habe sich mit seinen extravaganten Auftritten etwa im weißen Anzug geschadet, wieder andere nehmen ihm die oft ausladenden Gesten übel. Aber was ein gewisses Publikum bei anderen PIanisten wie Daniil Trifonov als die Abgeklärtheit eines Künstlers schätzt, würde bei Lang Lang befremden.

Wie subjektiv das alles ist, beweist die französische Radiosendung "La Tribune des critiques de disques" auf France Musique. Drei Kritiker renommierter Musikzeitschriften wählen da jeden Sonntag blind die besten Aufnahmen eines bestimmten Werks. Sechs CDs, versehen mit den Buchstaben A-F stehen zur Auswahl. Lang Langs Aufnahme von Beethovens erstem Klavierkonzert wurde am besten bewertet. Dass Lang Lang der Interpret sei, hatte keiner vermutet. Clemens Hellsberg, der in seiner Eigenschaft als Philharmoniker-Vorstand Lang Langs Weg fast von Beginn begleitete, beschreibt ihn so: "Es wäre nicht schwer, seinen künstlerischen Weg der letzten 21 Jahre zu beschreiben. Aber wichtiger als jede Analyse ist die Tatsache, dass er trotz des unvorstellbaren Drucks, der in jedem Bereich an der Weltspitze herrscht, seine genuine Freude an der Musik bewahrt hat und damit das Größte vermittelt, das eine Künstlerpersönlichkeit geben kann: Er macht Menschen glücklich!"

Lang Lang Saint-Saëns

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200 Schulen auf der ganzen Welt

Das gilt nicht nur für das Konzertpublikum. 2008 gründete er eine Stiftung, um bedürftigen Kindern die Musikausbildung zu ermöglichen. "Heute fördern wir bereits 200 Schulen auf der ganzen der Welt im Rahmen unseres Programms namens 'Keys of Inspiration'. Dabei handelt es sich um regulären Musikunterricht, der Teil des Lehrplans der Schule ist. Wir bringen also die Musik zurück in öffentliche Schulen, in denen es vorher keinen Musikunterricht gab", skizziert Lang Lang sein Projekt. "Jede Klasse in diesen Schulen bekommt 20 bis 30 'smarte' Klaviere, das heißt, diese Instrumente verfügen über eine bestimme KI-Software, mit der die Schüler Klavier lernen können. Natürlich braucht man trotz KI Musiklehrer, die den Schülern beibringen, wie man diese Instrumente benutzt. Aber das Coole ist, dass jedes Kind, das wir jetzt ausbilden, imstande ist, selbst Klaiver zu spielen. Das heißt, wir haben in diesen Schulen nicht mehr ausschließlich Frontalunterricht. Das ist etwas ganz Besonderes, denn es ist ein sehr klavierorientierter Musikunterricht. Wenn sie wollen, können die Kids auch Komponieren und Singen lernen. Aber zuerst müssen sie Klavier lernen."

In der Pop-Musik mag künstliche Intelligenz funktionieren, aber nicht in der Klassik

Lang LangPianist

Für den Musikunterricht sei künstliche Intelligenz sehr hilfreich, fügt er hinzu. Bedenken hat er aber, wenn man eine KI zum Komponieren einsetzt. "In der Pop-Musik mag künstliche Intelligenz beim Komponieren funktionieren, aber nicht in der Klassik. Sie wissen doch, dass man mit einer KI Stimmen imitieren kann. Man könnte etwa meine so programmieren, dass ich plötzlich Suaheli spreche. Das würde aber niemand glauben, denn die Leute wissen, dass ich diese Sprache nicht spreche. Ihr in Europa sprecht doch so viele Sprachen", merkt er an.

Eins noch, was empfindet er heute, wenn er ein Konzertpodium betritt? Die Pandemie habe da viel verändert, sagt er. Es sei nicht schlecht gewesen, etwas Zeit zum Nachdenken zu haben. "Aber irgendwann begann ich mir Sorgen zu machen. Ich habe dann in halbvollen Sälen gespielt und das hat mir einen gewissen Drive gegeben. Vorher, wenn man mitten im Konzertbetrieb war, kam es schon vor, dass man sagte, schon wieder ein Konzert. Heute ist das anders. Jeder einzelne von uns Musikern schätzt Live-Konzerte wieder mehr. Heute ist jedes Konzert wie eine neue Welt."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 21/2024 erschienen.

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