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Karl Nehammer, sind Sie mehr Parteichef oder mehr Nachlassverwalter?

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Karl Nehammer
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Bundeskanzler Karl Nehammer über seinen Umgang mit dem Sideletter der Koalition, die Korruptionsvorwürfe gegen die ÖVP und sein Verständnis von Politik. Neben Corona ganz oben auf der To-do-Liste: die Pflegereform.

In den letzten Tagen wurden die Sideletters der letzten beiden Koalitionen bekannt. Wussten Sie, bevor Sie Bundeskanzler wurden, von den Vereinbarungen?
Ich habe natürlich gewusst, dass es Sideletters gibt. Der Vizekanzler hat es am besten beschrieben: Sie sind wichtig, um das Handeln der Koalition gut und effizient möglich zu machen. Aber im Detail kannte ich sie nicht. Meine Aufgabe war es, Themen zu verhandeln. Danach wird finalisiert, wie die Regierung miteinander umgeht.

Dass diese jetzt bekannt werden, macht es ja auch für Sie nicht leichter. Gibt es Kräfte in der ÖVP, die gegen Sie arbeiten?
Ich sehe kein Problem darin, dass die Sideletters jetzt öffentlich sind. Es ist ja vollkommen legitim, dass es sie gibt. Wenn Sie mich fragen, was ich als nächster Koalitionsverhandler anders machen würde: Ich würde es wie in Salzburg machen. Da ist der Sideletter gleich Teil des Regierungsprogramms, transparent und einsehbar. Ich halte Transparenz gerade in diesen Zeiten für notwendig und richtig. Damit würde man diese Sideletters auch entmystifizieren.

Wie darf man sich das vorstellen: Als Sie Anfang Dezember das Amt des Bundeskanzlers übernommen haben, lag da eine diskrete Mappe mit dem Sideletter?
Alleine der Begriff "diskrete Mappe" - das würde ja bedeuten, dass ihr Inhalt nicht legitim ist. Werner Kogler hat immer gesagt, dass es Sideletters gibt. Als ich Bundeskanzler geworden bin, bin ich von meinem Kabinettschef eingewiesen worden. Ich hatte ein Vieraugengespräch mit Kogler und ein Achtaugengespräch mit Sigi Maurer und Gust Wöginger. Natürlich spricht man über die Dinge, die wir uns vorgenommen haben. Für die Grünen war schon relevant, ob ich bereit bin, das, was ausgemacht war, auch fortzusetzen.

Im März beginnt der U-Ausschuss, der der ÖVP gewidmet ist. Schon jetzt ist die Nachrichtenlage für sie nicht gut. In einer "Standard"-Umfrage sagen 47 Prozent der Befragten, die ÖVP-Regierungsbeteiligung schade Österreichs Ansehen im Ausland, ebenso viele sagen, Ihre Partei solle nicht in der nächsten Regierung sein. Haben Sie sich schon gefragt, ob Sie mehr Parteichef oder mehr Masseverwalter sind?
Zum einen: der Umgang mit Umfragen. Was mich ausmacht und woraus ich mein Politikverständnis ableite, ist, dass es notwendig ist, Linie zu halten. Ich habe in der Politik gelernt, dass der Summenstrich immer noch von den Wählerinnen und Wählern gezogen wird -und nicht von den Medien und veröffentlichten Umfragen. Allein der Name des Untersuchungsausschusses ist durchsichtig. Ein U-Ausschuss ist ein wichtiges Gremium des Parlaments. Darin vertreten sind alle politischen Parteien, die haben alle ihre eigene Agenda. Der U-Ausschuss soll politische Verantwortung klären. So wie Sie es darstellen, bedeutet das, dass sich sechs Landeshauptleute, über 1.500 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, über 20.000 Gemeinderätinnen und -räte und viele Funktionäre und ehrenamtliche Helfer der ÖVP mit einem Vorwurf, der hier konstruiert wird, auseinandersetzen müssen. Das müssen sie nicht. Die historische Rolle der ÖVP bei der Gründung und der Gestaltung der Republik zu beurteilen, ist das eine. Ein Pauschalurteil zu fällen, das andere. Dagegen spreche ich mich aus. Wenn Verfehlungen stattgefunden haben, dann sind diese zu ahnden. Aber was hier gemacht wird, auch vom politischen Mitbewerber, das nur als Problem der ÖVP darzustellen, ist schon sehr durchsichtig.

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 © Ricardo Herrgott

Welche Strategie wird die ÖVP nun in den nächsten Monaten verfolgen? Flucht nach vorne und zum Beispiel so scharfe Transparenz-und Informationsfreiheitsgesetze vorlegen, dass sogar die Opposition nichts daran zu verbessern findet?
Flucht würde heißen, ich laufe vor etwas davon. Ich habe mich zeit meines Lebens Herausforderungen gestellt. Ich laufe nicht davon. Was einem Rechtsstaat und einer Demokratie immer gut ansteht, ist Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Sie werden in mir immer einen Verbündeten finden, wenn es um Transparenz und Informationsfreiheit geht. Aber ich werde immer auch darauf hinweisen, dass eine Demokratie von Verhältnismäßigkeit und Ausgleich lebt. Verwaltung und öffentliches Leben müssen auch in der Lage sein, den Auftrag zu mehr Transparenz und Information zu vollziehen. Ich muss auch an neun Bundesländer und die Gemeinden denken. Wie vollziehen die denn die Gesetze, die wir auf Bundesebene beschließen? Wir sind in Verhandlungen mit den Grünen. Es wird ein neues Parteienfinanzierungsgesetz geben. Das ist schon sehr weit gediehen. Informationsfreiheit und Transparenz sind ebenfalls in Verhandlung.

Bis wann sollen die Gesetzesvorschläge fertig sein?
Das Parteienfinanzierungsgesetz nimmt einen guten Fortschritt. Und zu den anderen: Es ist mir lieber, wir beschließen ein qualitativ gutes Gesetz und keine Husch-Pfusch-Aktion, nur damit wir einem Zeitdruck nachgeben. Daher will ich hier keine Zeitangabe machen.

Wird es die vom Rechnungshof geforderten strengeren Einschaumöglichkeiten in Parteikassen geben?
Das ist alles mit drin. Nochmals: Wir müssen raus aus diesen Mystifizierungen. Denn diese werden in Krisensituationen rasch von Verschwörungstheoretikern genützt, um Politik oder Demokratie zu skandalisieren. Daher: so viel Transparenz wir möglich. Weil es nichts zu verbergen gibt.

Wann wird der Rechenschaftsbericht der ÖVP auf der Homepage des Rechnungshofs zu finden sein?
Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben. Zudem ist die Volkspartei ja schon sehr transparent. Ich erinnere daran, dass wir gehackt wurden und unsere Finanzen veröffentlicht wurden.

Worin sehen Sie ein Korruptionsproblem der ÖVP? Ich lehne solche Pauschalverdächtigungen ab.

Bleiben Sie bei Ihrer Aussage: Die ÖVP habe kein Korruptionsproblem?
Worin sehen Sie ein Korruptionsproblem der ÖVP? Ich lehne solche Pauschalverdächtigungen ab. Sie sind nicht zutreffend.

Verstehen Sie Menschen, die sagen: "Das kann alles nicht normal sein"?
Die Chats und deren Inhalte sind auch nicht normal. Sie sind inakzeptabel. Wir rechtfertigen oder verteidigen das nicht. Wogegen ich mich verwahre, ist, über die Volkspartei ein Werturteil zu fällen, das man auch auf andere Parteien ausrollen könnte. Wenn es darum geht, dass gegen Menschen in irgendeiner Partei ermittelt wird oder wurde, werden Sie in der FPÖ etliche Fälle finden, aktuell auch bei den Grünen, bei der SPÖ. Hier wird Gleiches ungleich beurteilt. Ich bin stolz darauf, dass ich Bundeskanzler der Republik Österreich sein und den Menschen dienen darf. Ein Grund dafür ist, dass wir eine tragfähige Verfassung haben und unsere Rechtsstaatlichkeit in hohem Maß entwickelt ist. Die einzige Institution, die in Österreich über Schuld oder Unschuld entscheidet, ist die unabhängige und weisungsfreie Gerichtsbarkeit. Es steht uns allen gut an, das als Maßstab für unsere Bewertungen zu geben. Wenn es da eine Schieflage gibt, werde ich mich immer dafür einsetzen, diese zu korrigieren.

Sie sind stolz darauf, Bundeskanzler sein zu dürfen. Wohin wollen Sie mit diesem Amt und diesem Land? Was soll am Ende Ihrer Amtszeit als Ihre Handschrift erkennbar sein?
Ich bin ein großer Freund eines gesamtheitlichen Ansatzes. Die Menschen brauchen in ihrer jeweiligen Lebenslage Antworten der Politik auf ihre Herausforderungen. Das beginnt mit der Kinderbetreuung und was es da braucht, um tatsächlich Gleichheit in der Gesellschaft herzustellen. Bildung ist ein riesengroßes Thema. Wir haben eine Digitalisierungsoffensive, haben Laptops an Schüler ausgeliefert, aber das ist nur die Hardware. Wir müssen mit den Phänomenen unserer Zeit zurechtkommen. Was gibt die Kompetenz, auf Falschinformationen im Internet aufmerksam zu werden? Die Bildung. Das ist auch eine Frage der Demokratie. Wenn es möglich ist, über Echokammern in den sozialen Medien Menschen so weit zu bringen, falsche Medikamente zu nehmen und ihr Leben zu gefährden, stelle ich mir die Frage, was das für die Zukunft bedeutet, ob das auch die Demokratie gefährden kann. Was heißt das, wenn Menschen in der Lage sind, die Demokratie in Zweifel zu ziehen und andere Systeme anzubieten?

Auf die Frage "Was soll von Karl Nehammer politisch überbleiben, was hat der eigentlich gemacht?" soll die Antwort sein: "Er hat sich mit dem alltäglichen Leben der Menschen auseinandergesetzt."

Also die Frage ist: Lernen wir noch das Richtige?
Bildung und Wissenschaft sind ein zentrales Element, um Menschen in ihren nächsten Abschnitt zu nehmen, die Arbeitswelt. Auch diese muss sich durch Digitalisierung und Globalisierung ständig neu ausrichten. Das heißt: Auf die Frage "Was soll von Karl Nehammer politisch überbleiben, was hat der eigentlich gemacht?" soll die Antwort sein: "Er hat sich mit dem alltäglichen Leben der Menschen auseinandergesetzt." Das beginnt mit Kinderbetreuung und Bildung, geht weiter mit der Arbeitswelt bis hin zur Frage: "Was passiert, wenn ich nicht mehr arbeite?" Da sind wir gleich beim Themenkomplex Pflege. Man muss als Bundeskanzler diesen Bogen spannen, sich nicht nur auf ein Thema fokussieren. Und selbst dann gibt es keine fixen Antworten, weil sich das Leben, wie wir in den letzten beiden Jahren gesehen haben, schnell ändern kann.

Heruntergebrochen auf das Regierungsprogramm, das Sie vorgefunden haben: Was hat jetzt Priorität?
Auch da muss man wieder differenzieren. Wo muss ich pragmatisch sein und was ist unmittelbar das Wichtigste? Das Wichtigste ist jetzt einmal, die Pandemie zu überwinden. Wir haben ein 42-Milliarden-Euro-Hilfspaket geschnürt, die Menschen mit der ökosozialen Steuerreform entlastet, und trotzdem war das Budgetdefizit im letzten Jahr um zwölf Milliarden Euro niedriger als vorhergesagt. Das muss uns einmal jemand nachmachen. Wir haben zudem ein Antiteuerungspaket wegen der steigenden Energiepreise beschlossen und ein Corona-Hilfspaket für die Gemeinden. Neben der Krisenbewältigung müssen wir auch das Regierungsprogramm umsetzen. Ein großer Teil dieses Programms findet sich bereits in der Steuerreform wieder, etwa die CO2-Bepreisung, bei der wir die Menschen mitnehmen wollen, indem wir beim Klimabonus zwischen Stadt und Land differenzieren. Wenn Sie mich fragen, was ich derzeit für am dringendsten aus dem Regierungsprogramm halte: Aus meiner Sicht ist das die Pflege. Es kann aber auch sein, dass sich in der wärmeren Jahreszeit das Thema Asyl und Migration in den Vordergrund schiebt. Die Frage ist immer: Was braucht es akut und was ist langfristig wichtig?

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 © Ricardo Herrgott

Migration heißt auch Arbeitsmarkt. Wir werden mit den Menschen, die da sind, den Arbeitskräftemangel nicht lösen können. Also: mehr Zuwanderung?
Auch hier ist ein wichtiger Punkt: Differenzierung. Auf der einen Seite müssen wir mit den Menschen, die da sind, entsprechend umgehen. Dabei gibt es den ganzen Komplex Asyl und illegale Migration, was leider zusammenhängt, weil die rechtliche Verfasstheit der EU das leider so zulässt. Andererseits haben wir einen Arbeitsmarkt, der zu Beginn der Coronakrise gar nicht erwartbar war. Damals wurden eine Rezession und Massenarbeitslosigkeit prognostiziert und wir hatten im Innenministerium schon einen Krisenstab für den Fall, dass es zu Unruhen kommt. Was eingetreten ist, ist ein enormes Wirtschaftswachstum, wir haben weniger Arbeitslose als vor der Krise und suchen teilweise händeringend qualifizierte Arbeitskräfte. Das Instrument dafür ist die Rot-Weiß-Rot-Card. Die funktioniert aber nur bedingt, weil die Kriterien nicht praxistauglich sind. Da brauchen wir rasch eine Lösung. Das ist die Form der Zuwanderung, die positiv ist, weil wir entscheiden, wer zu uns kommt. Inakzeptabel ist die illegale Migration. Wir haben keine EU-Außengrenze, dennoch kommen Zehntausende Menschen nach Österreich, die nicht registriert sind, weil sie die Grenze nach Europa überschritten haben, ohne aufzufallen. Zuletzt wurde an der österreichischen Grenze von Schleppern auf unsere Sicherheitskräfte geschossen. Das ist ja völlig verrückt, was da passiert. Da muss die EU einsehen, dass das so nicht weitergehen kann. Wir werden hier nicht nachgeben.

Asylberechtigte haben das Recht, in Österreich zu arbeiten. Wie kann man sie für die richtigen Branchen qualifizieren?
Das hängt davon ab, aus welcher Region sie kommen, welchen Bildungsstandard sie in ihrer Heimat vorgefunden haben. Das ist beispielsweise bei Afghanen oft schlecht, bei Syrern besser, aber auch hier ist teilweise viel Zeit vergangen. Nach dem Bildungsgrad richtet sich die Möglichkeit, die Menschen rasch oder weniger rasch zu integrieren. Bei den 44.000 Asylanträgen letztes Jahr haben nicht wir, sondern großteils die organisierte Kriminalität -also Schlepper - entschieden, wer nach Österreich kommt. Wir brauchen endlich einen effizienten Außengrenzschutz, schnellere Asylverfahren und Rückführungen. Ich vertrete der EU-Kommission gegenüber daher den Standpunkt, das wir keinen nationalistischen Zugang haben, sondern einen pragmatischen. Wir haben in Österreich einen Wohlfahrtsstaat, auf den wir stolz sind. Aber wir überfordern das System, wenn wir zu viele Dinge gleichzeitig zu lösen haben. Das gilt auch bei Asyl und Migration.

Zur Zusammenarbeit mit den Grünen. Die ÖVP beruft sich oft auf ihre eigenen ökosozialen Inhalte. Aber man hat den Eindruck, dass es zwischen den Parteien grundsätzliche Auffassungsunterschiede gibt, was Klimapolitik bedeutet. Der frühere Kanzler Kurz sah oft Einschränkungen und sprach von einem Rückfall in die Steinzeit. Wie sehen Sie das?
Das ist komplex, weil auch Klimaschutz eine systemische Frage ist. Deswegen ist der Ansatz der ökosozialen Steuerreform so wichtig, weil er die Menschen mitnimmt. Veränderungen sind ja unter Umständen sehr einschneidend und mit hohen Kosten verbunden. Für mich ist die schlimmste Gefahr für die Politik, wenn man sich auf dem Reißbrett wunderschöne Lösungen ausdenkt, die aber gar nichts mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu tun haben. Es ist ein Unterschied, ob jemand in Wien-Neubau lebt, wo die U-Bahn vor der Tür ist, oder im nördlichen Waldviertel, wo nur zweimal am Tag ein Bus fährt. Wenn man aber die Menschen verliert, ist die ganze Reform nicht umsetzbar. Für mich sind Augenmaß und Verhältnismäßigkeit das Fundament aller Handlungen. Es ist wichtig, was Österreich im Klimaschutz leistet, aber es ist noch viel wichtiger, wie viele wir auf diesem Weg mitnehmen, denn das Klima endet nicht an unseren Grenzen. Es ist ein globales Thema, das wir systemisch angehen müssen. Wenn Strom aus Braunkohle billiger ist als Strom aus Erdgas, obwohl das klimafreundlicher ist aber noch lange keine grüne Energie Ja, schon, aber das ist gerade Realität. Wir dürfen bei diesen permanenten Veränderungen am Strom-und Energiemarkt eines nicht machen: Wir dürfen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen nicht gefährden. Wir leben in der EU, wir haben uns zu einer offenen und globalisierten Welt bekannt und ich habe als Bundeskanzler dafür Sorge zu tragen, dass österreichische Unternehmer nicht schlechter gestellt sind als in den Nachbarstaaten, denn sie sorgen für Arbeitsplätze und sozialen Wohlstand.

Ich glaube nicht, dass wir dabei immer die gleiche Sprache sprechen. Aber ob wir das gleiche Ziel verfolgen? Ja.

Sprechen Sie mit dem Koalitionspartner irgendwo eine gemeinsame Sprache?
Die gleiche Sprache zu sprechen, wäre seltsam, denn wir sind unterschiedliche Parteien. Wichtig ist, dass wir beide unsere Positionen gut kennen. Das Entscheidende ist, dass wir einen Weg definieren, wohin sich Klima-und Umweltschutz entwickeln sollen, und diesen gemeinsam zu gehen. Ich glaube nicht, dass wir dabei immer die gleiche Sprache sprechen. Aber ob wir das gleiche Ziel verfolgen? Ja.

Um Ihren Bogen über die Lebensphasen zu schließen: Werden Sie am Pensionsantrittsalter rütteln?
Nein.

Und das geht sich bei der Finanzierung aus?
Ja.

Es gibt Umfragen, wonach immer weniger Menschen glauben, dass vom Staat im Alter für sie gesorgt sein wird. Wie gehen Sie mit diesen Sorgen um?
Dafür haben wir vorgesorgt. Es gab ja schon mehrere Reformen des Pensionssystems. Das Entscheidende ist, dass diese Reformen auch einmal Platz greifen und gelebt werden. Dass es Maßnahmen gibt, damit das gesetzliche Pensionsantrittsalter auch tatsächlich erreicht wird. Es gibt ja mittlerweile ein Anreizsystem dafür. Wenn ich will, dass Menschen bis zum vorgesehenen Pensionsantrittsalter arbeiten, brauche ich Rahmenbedingungen, damit sie das auch können. Ich brauche Unternehmensphilosophien, die das auch zulassen. Und ich brauche das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein, dass Arbeit sinnstiftend sein kann. Wir sehen, zu welchen seelischen und körperlichen Problemen Langzeitarbeitslosigkeit führt. Auch hier ist die Gesamtsicht wichtig, wir brauchen Wirtschaftswachstum, eine prosperierende Gesellschaft, und mit Blick auf die demografische Beschaffenheit unseres Landes sehen wir auch, Kinder sind wichtig.

Als künftige Beitragszahler?
Für viele von uns sind Kinder und Familie die größte Erfüllung im Leben. Aber auch gesellschaftlich bedingen wir einander -Stichwort: Generationenvertrag. Wir haben in diesem Land viel zu lange nur auf isolierte Gruppen geschaut: die Familien. Die Kinder. Die Landwirte. Die Wirtschaft. Das Pflegeheim. Wir brauchen ein gesamtheitliches Denken. Das gilt auch für die Pflege. Was passiert mit den Menschen, die zu Hause Angehörige pflegen? Was bedeutet es für die Pflegerinnen und Pfleger und deren Familien? Das sind enorme Belastungen auf beiden Seiten. Darum ist mir die Pflegereform so wichtig. Sie sehen an meiner Leidenschaft, warum ich glaube, dass wir das Thema jetzt tatsächlich politisch angehen.

Dieses Interview erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 05/2022.

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