Angst, Isolation, Unsicherheit ... die Coronakrise geht an niemandem spurlos vorüber. Gesundheitsexperten der Vereinten Nationen befürchten einen massiven Anstieg psychischer Erkrankungen. Was macht den Menschen besonders zu schaffen? Und wie lange wird es dauern, bis wir uns psychisch von der Krise erholen?
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Experten des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen schlagen Alarm: In den nächsten Monaten, speziell im Herbst, wird der Bedarf an psychischen Behandlungen aller Voraussicht nach deutlich ansteigen. Besonders gefährdet sind Personen, die ohnehin schon psychisch instabil sind. Menschen etwa, die von Haus aus an einer Angststörung leiden, macht die unsichtbare Bedrohung durch das Coronavirus besonders zu schaffen. Dasselbe gilt für Zwangspatienten oder Personen, deren Gedanken auch ohne Corona permanent um die vermeintlich allgegenwärtige Gefahr durch Keime kreisen. Doch auch Menschen, die ihr Leben bisher fest im Griff hatten, sind vor den psychischen Folgen der Krise nicht gefeit.
Die Gefahr macht vor niemandem halt
"Wenn plötzlich der Job weg ist und ich keine finanziellen Reserven habe, kann ich schnell in ein Loch stürzen", gibt der Psychologe Dr. Christian Gutschi zu bedenken. Schließlich geht es hier um nichts Geringeres als die eigene Existenz. So kann die Krise auch jene kalt erwischen, die nicht damit gerechnet haben. "Existenzielle Probleme sind keine Lappalie." Hier geht es nicht darum, ob ich mir den Besuch im Theater oder einen After-Work-Drink leisten kann. "Wenn ich zuhause sitze und nicht weiß, wie ich die Miete zahlen oder die Kinder ernähren soll, wird das schnell zu einem großen Problem", veranschaulicht der Experte. Mit der Krise einher geht eine reale Bedrohung. "Das kann auch psychisch Gesunden ordentlich zusetzen."
Schließlich braucht der Mensch einen gewissen Grundsicherheitsfaktor. Für viele bricht dieser nun aber weg. Gleichzeitig fehlt die Perspektive. Es ist nicht absehbar, wann die Krise zu Ende ist, es finanziell wieder bergauf geht. In einer Situation wie dieser kommen die Menschen schnell an ihre Grenzen. "Mit der Krise verknüpft ist eine ganze Reihe an psychischen Problemfaktoren, ausgelöst durch Existenzängste oder latente psychische Probleme, die aufgrund der Belastung nun tatsächlich ausbrechen", so Gutschi. Bei vielen Menschen dürfte es zu Ängsten oder Depressionen kommen. In weiterer Folge möglicherweise auch zu Drogen- oder Alkoholmissbrauch. "Um die Verzweiflung nicht so zu spüren."
Ängste, Depressionen, Suchtverhalten
Was viele dagegen derzeit nicht spüren, aber so dringend bräuchten, sind Berührungen. "Für manche Menschen sind sie sehr, sehr wichtig", weiß der Psychologe. Insofern macht das von der Regierung empfohlene Social Distancing vor allem Menschen, die alleine leben, zu schaffen. "Denen geht's oft gar nicht gut." Dasselbe gilt für ältere Menschen. "Der fehlende Körperkontakt zählt sicher zu den gröberen Problemen." Ebenso wie das Gefühl, mit jenen Menschen, die ansonsten Teil des eigenen Lebens sind, nicht mehr in gewohnter Weise verbunden zu sein. "Auch das ist ein existenzielles Thema." Mit dem Verlust der sozialen Kontakte kann ein Grundpfeiler der psychischen Stabilität verloren gehen.
Passend dazu:
Verloren gegangen ist in den letzten Wochen zum Teil auch unsere Selbstbestimmung. "Wir leben in einer stark individualisierten Gesellschaft, die auf die Bedürfnisbefriedigung des Einzelnen abzielt", so Gutschi. Wie diese geschieht, entscheidet jeder für sich. Zumindest war das bisher so. Nun wird uns von der Regierung vorgegeben, was wir zu tun haben, um uns und andere vor dem Coronavirus zu schützen. Abstand halten, Maske tragen, das Lokal um spätestens 23.00 Uhr verlassen ... Viele Menschen fühlen sich durch die Maßnahmen eingeschränkt. "Hat man längere Zeit nicht die Möglichkeit, frei zu entscheiden, kann es zur erlernten Hilflosigkeit kommen", erklärt der Therapeut.
Hilfsangebot jetzt wichtiger denn je
Der Betroffene verfällt in weiterer Folge in eine Art Depression. Mit anderen Worten: Es würde genau das eintreten, was die Experten derzeit befürchten. Verliert man den Glauben daran, durch eigene Kraft eine Veränderung der Situation herbeiführen zu können, kommt einem früher oder später auch die Motivation abhanden. Man wird lethargisch, der eine oder andere stellt sich möglicherweise auch die Frage nach dem Sinn des Lebens. Experten befürchten einen Anstieg der Zahl an Suiziden. "Man hat immer Handlungsmöglichkeiten, aber wenn man sie nicht mehr erkennen kann, dann wird es eng", weiß der Therapeut. Umso wichtiger ist demnach die Ausweitung des psychologischen Hilfsangebots.
Der Berufsverband der PsychologInnen betont die Notwendigkeit, dass der Staat mehr Geld für die Behandlung psychischer Erkrankungen zur Verfügung gestellt. Die kostenlosen Kassenplätze sind rar, und die rund 20 Euro, die man bei der Behandlung auf Krankenschein von der Kassa pro Sitzung rückerstattet bekommt, machen das Kraut nicht fett. Mit der steigenden psychischen Belastung müsse man sich, so Gutschi, überlegen, wie man den Menschen die notwendige Unterstützung zukommen lassen kann. Denn viele werden diese Folgen der Krise nicht ohne professionelle Hilfe bewältigen können. Mehr denn je müsse jetzt transparent kommuniziert werden, wo man sich im Falle des Falles hinwenden kann.
Das Hilfsangebot müsse niederschwellig, anonym und im Moment verfügbar sein. Stichwort Hotlines. In vielen Fällen sei zudem gar keine jahrelange Therapie vonnöten. Viel mehr gehe es jetzt darum, den Betroffenen aufzufangen, ihm zuzuhören und mit Rat zur Seite zu stehen, wenn er selbst nicht mehr weiter weiß. "Das hilft oft schon über das Gröbste hinweg." Gleichzeitig verweist der Psychologe auf die Notwendigkeit, leicht erreich- und finanzierbare Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, deren Zweck es ist, den Betroffenen psychisch zu stabilisieren. "Hier ist die Gesundheitspolitik gefordert. Denn wenn das nicht vorhanden ist, kann es schon sehr bedrohlich werden."
Tipps für den Umgang mit Ängsten
Und was können wir selbst tun, um die Krise auf emotionaler Ebene besser zu bewältigen? "Mit Menschen, die man schätzt und denen man vertraut, in Kontakt treten und seinen Ängsten Ausdruck verleihen", rät der Therapeut. "Das ist das Mittel der Wahl." Sodann gilt es, negative Denkschleifen zu durchbrechen, indem man aufs Hier und Jetzt fokussiert. Dies gelingt durch den bewussten Einsatz der Sinne. Konzentrieren Sie sich darauf, was Sie hören, schmecken, fühlen oder riechen. Tun Sie etwas, das Ihnen Freude bereitet. Lenken Sie sich ab oder holen Sie schöne Erinnerungen hervor. Und wenn Sie merken, dass es gedanklich zu eng wird, dann führen Sie eine Veränderung der Situation herbei.
Positiv denken: So nutzen Sie die Kraft der Gedanken
Eine Prognose, wie lange es dauern wird, bis wir uns psychisch von der Krise erholt haben, lässt sich schwer stellen. "Wenn im Herbst da und dort nach wie vor kein Job und kein Geld da ist, kann es schon noch einmal enger werden", warnt Gutschi. Viele bekommen die wirtschaftlichen Folgen der Krise erst mit der Zeit so richtig zu spüren. Doch dürfe man eines nicht vergessen: Was wir jetzt durchleben, ist eine Phase. Eine sehr, sehr schwierige, keine Frage. Aber auch eine, die vorübergehen wird. Und schließlich hat der Mensch im Laufe seiner Geschichte immer wieder bewiesen, dass er selbst die scheinbar aussichtslosesten Zeiten zu überwinden vermag. "Das wird uns auch jetzt gelingen."
Hilfe im Krisenfall: Berichte über Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/31330 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall. Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sich um jemanden sorgen oder jemanden durch Suizid verloren haben, finden Sie Hilfsangebote aus ganz Österreich unter:
www.suizid-praevention.gv.at
www.bittelebe.at
Zur Person
Steckbrief
Dr. Christian Gutschi
Dr. Christian Gutschi ist Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe. Sein beruflicher Schwerpunkt liegt auf der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Familien und Paaren. Darüber hinaus ist er als Lektor an der FH Kärnten für Gesundheitsmanagement tätig. Hier geht es zu seiner Homepage.