Morgenbesprechung in der sogenannten Lais-Schule in Klagenfurt. Ein bunt zusammengewürfeltes Publikum ist vor einem Flipchart andächtig um einen alten Holztisch versammelt, um den Tagesplan zu besprechen. Ein rothaariger Punk, mehrere junge, bärtige Männer in Leinenhemden, Frauen mit kleinen Kindern am Schoß. Die meisten sind „Lernbegleiter“, vielfach ohne pädagogische Ausbildung, aber mit akademischen Titeln. Vom herkömmlichen Schulsystem enttäuscht, überzeugt von einer scheinbar neuen Methode: „Lais“. Das Wort kommt aus dem Gotischen und bedeutet „dem Wissen nachzuspüren“.
Ein altes Schloss beherbergt die Zentrale einer Bewegung, die den einen als die Erfüllung all ihrer Bildungswünsche gilt, den anderen als esoterischer Hort allerlei verbotenen Gedankengutes. Geheimnisvolle Mythen ranken sich um die Entstehung der Schule, deren Gründerin Alexandra Liehmann, vom Quellberuf Psychotherapeutin, Wunderdinge verspricht. „Mathematik bis zur Matura in vier Wochen“ war lange Zeit auf der Homepage zu lesen, „Lesen und Schreiben lernen an einem Tag“ an einer anderen. Alexandra Liehmann lächelt ein breites, naives Lächeln, als sie der Interviewer fragt, wie um alles in der Welt das möglich sein soll. „Die Kinder lernen auf natürliche Art und Weise voneinander. Auch altersübergreifend. Nach vier Tagen verstehen sie den ganzen Maturastoff, dann wollen sie immer mehr wissen. Denn mit der Matura ist der Stoff ja nicht zu Ende.“
Dem Kärntner Landesschulrat Rudolf Altersberger ringen solche Erzählungen ein müdes Lächeln ab. Die Lais-Schulen fallen unter häuslichen Unterricht, gelten nicht als Schulen im herkömmlichen Sinne. Das ist ein Unterschied zu anderen alternativen Modellen wie Montessori- oder Waldorf-Schulen. Die Schüler, die nach dem Prinzip des häuslichen Unterrichts ihrer Schulpflicht nachkommen, müssen jedes Jahr eine sogenannte „Externistenprüfung“ ablegen, um weiter im häuslichen Unterricht verbleiben zu dürfen. Die Prüfung muss in regulären Volksschulen oder Hauptschulen, je nach Altersstufe, abgelegt werden.
Negativer Rekord
Das Prinzip des häuslichen Unterrichts ist in Österreich gesetzlich reglementiert. Externistenprüfungen sind Pflicht. „In meiner langjährigen Karriere als Landesschulrat habe ich es nie erlebt, dass nach einem Jahr im häuslichen Unterricht die Prüfung nicht zu schaffen war“, sagt Altersberger. „Bei Kindern aus der Lais-Gruppe gab es aber unter den Volksschülern eine Vielzahl, die an der Externistenprüfung gescheitert sind. Das war für mich ein negativer Rekord.“ Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, entgegnet Alexandra Liehmann, dass das verständlich sei. Schließlich seien die Kinder nicht gewohnt, für Prüfungen zu lernen, sondern „natürlich“ das Wissen zu erforschen. Dass das beim Prüfungslernen mitunter noch Probleme verursacht, gibt Liehmann unumwunden zu. Das zu ändern sei allerdings nicht die Hauptaufgabe, schließlich gehe es um „Lernen in Begeisterung“. Das Wort Begeisterung fällt oft. Neben „Freude“, „wissen wollen“ und „erforschen“. Die Kinder, heißt es, wollen hier freudig Wissen erforschen, wollen Lernen mit Begeisterung. Nur wie das funktionieren soll, ist schwer zu durchschauen.
Rückzug aus der Welt
Überhaupt kommt in diesem alten Schloss am Rande Klagenfurts eher das Gefühl auf, sich in dem Versuch der Konstruktion einer besseren, einer romantischen Welt zu befinden. Gekocht wird gemeinsam, der Koch holt die Zutaten aus einem eigenen Gemüsegarten, den die Kinder mitbewirtschaften. Die Eltern sind oft gleichzeitig Lernbegleiter und arbeiten nebenan im „Lais Business Center“, wo „Mentoringprogramme“ angeboten werden. Jeder kennt hier jeden, jeder ist begeistert über alles, was der andere macht. Ein bisschen entsteht der Eindruck eines Rückzugs aus der Welt.
Ein Eindruck, den Ulrike Schiesser von der Sektenberatungsstelle in Wien teilt. Sie wirft den Lais-Schulen eine Verbindung zur russischen „Anastasia-Bewegung“ vor, die einen rechtsesoterischen Hintergrund hat und auf einem Roman des russischen Autors Wladimir Megre beruht. „Die klingenden Zedern Russlands“, so der Titel des zehnbändigen Werkes, handelt von Anastasia, einer Fee, die in einem Wald lebt und das gesamte Wissen der Welt in sich tragen soll. Neben antisemitischen und nationalistischen Inhalten handeln die Bücher auch von einer Schule, in der Kinder bereits mit 14 Jahren studieren und viele Stoffgebiete nach wenigen Tagen beherrschen sollen: der Schetinin-Schule, gelegen in Tekos am Schwarzen Meer.
Alexandra Liehmann war dort, nennt die Schule einen „zentralen Einfluss“. Richard Kandlin, ein 16-jähriger Absolvent der Schetinin-Schule, hielt auch Vorträge in Klagenfurt. Weitere Zusammenhänge zur Anastasia-Bewegung verneint Liehmann vehement. Ein Homepage-Eintrag von 2013 zeigt sie allerdings als Organisatorin einer Anastasia-Gruppe in Klagenfurt. „Ziel dieser Anastasia-Bewegung ist es, sich auf eigene Landsitze zurückzuziehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ganz wichtig ist auch der Gedanke, die Kinder von schlechten Einflüssen aus der Gesellschaft rein zu halten. Es ist grundsätzlich ein nationalistisches und staatsfeindliches Konzept“, so Ulrike Schiesser. „Die Schetinin-Schule ist ein Teil von diesem Anastasia-Mythos.“
Wunderdinge
Und zumindest ein Einfluss dieser Schule lässt sich schwer leugnen: Das „natürliche Lernen“ in den Lais-Schulen erfolgt nämlich unter anderem mittels „Schaubildtechnik“, eines zentralen Handwerks der Schetinin-Schule: Die Kinder sammeln dabei zu einem bestimmten Themenkreis gemeinsam und altersübergreifend Wissen. Alle Gedanken und Ideen werden auf einem Flipchart zusammengetragen. Was gemeinhin als Brainstorming bekannt
ist, soll im Lais-System, von der Schetinin-Schule inspiriert, eine neue Lernerfahrung ermöglichen. Und regelrechte Wunderdinge bewirken. Durch das Schaubildlernen für die Biologieprüfung hätte etwa die 17-jährige Jana, so Alexandra Liehmann, innerhalb kürzester Zeit das gesamte Wissen für die Medizin-Aufnahmeprüfung erlernt und an die Jüngeren weitergegeben. Jeder nenne sie schon „Frau Doktor Jana“.
Was von vielen kritisiert wird und schwer zu glauben scheint, ist für Eltern, die der Lais-Methode vertrauen, das Bildungsideal schlechthin. Begeisterung zu entfachen, so hören wir von allen Eltern, die wir fragen, sei immerhin besser, als einem starren Lehrplan zu folgen. Kritik könne man an allem anbringen, vor allem an neuen und mutigen Ideen.
Die Lais-Schulen finanzieren sich über die Eltern, die Schulgebühr beträgt um die 200 Euro im Monat. Kurse zur Ausbildung zum „Lernbegleiter“ oder „Lerntechniker“, die teilweise mehrere Wochen dauern, bewegen sich zwischen 300 und 500 Euro. Wer die Kurse besuche und dann damit vielleicht eigene „Schulen“ gründe, werde nicht überwacht, so Alexandra Liehmann. „Das würde auch gar nichts bringen und gegen den Lais-Gedanken sprechen. Jeder kann sein Eigenes aus der Lais-Methode machen, weil jeder individuell ist. Das ist ja das Schöne an Lais.“
Problematische Verbindung
Durch diese Offenheit für Teilnehmer aller Art dürfte auch eine weitere Verbindung entstanden sein, die nicht unproblematisch erscheint. Zu einem österreichischen Verein, der sich „Gaia“ nennt und von der Sektenberatungsstelle als „Auffangbecken für Staatsverweigerer“ bezeichnet wird. Der Verein hat über Jahre versucht, ein Auftriebskraftwerk zu verkaufen, das von selbst Energie erzeugen und wie ein Perpetuum mobile funktionieren soll. „Weil der Staat uns die freie Energie vorenthält“, war lange auf der Homepage zu lesen. Das Kraftwerk wurde um 16.000 Euro angeboten, mittlerweile ist seine völlige Wirkungslosigkeit belegt. Gegen den Verein und seinen Geschäftsführer Roberto Reuter sind mehrere Klagen anhängig, wie News aus Insiderkreisen erfährt. Der Verein propagiert auf seiner Homepage unter dem Bereich „Gesundheit und Ernährung“ außerdem die „neue germanische Medizin“ Ryke Geerd Hamers, der eine wahnhafte Theorie zur Entstehung von Krebs vertrat und in den 1990er-Jahren durch den Fall Olivia Pilhar auch in österreichischen Medien zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte. Der verstorbene Guru redete den Eltern eines krebskranken Mädchens die Chemotherapie aus, da die kleine Patientin nur einen inneren Konflikt lösen müsse, damit sie genesen könne. Die Eltern flohen mit der Hilfe Hamers nach Spanien, Olivia überlebte nur knapp und durch Interventionen des damaligen Präsidenten Klestil.
Unter dem Bereich „Bildung“ ruft der Verein Gaia auf seiner Homepage zur Förderung der Lais-Schulen auf. Auf Youtube ist das Video eines Vortrags zu finden, den Liehmann 2014 bei einer großen Veranstaltung des Vereins Gaia in Zell am See hielt. „Ich habe schon mit 16 Jahren die Anastasia-Bücher gelesen“, sagt sie dabei, „und gewusst, da ist was dran.“ Die Recherchen ergeben, dass der Verein Gaia eine eigene „Gaia-Lais-Schule“ gründen wollte. Daraus, so Roberto Reuter, sei leider nichts geworden. Für förderungswürdig halte er die Lais-Schulen nach wie vor. „Wir wollen alternative Modelle anbieten“, sagt er. „Die Lais-Schulen sind die attraktivste Alternative am Bildungsmarkt.“ Hochgeladen wurde das Video auf Youtube übrigens von Günter Deutschinger, bekannt als „Roban 2.0“, zentrale Figur der Staatsverweigererszene. Gegen ihn lief im April 2016 ein Prozess, weil er sich weigerte, die Strafe für zu schnelles Autofahren zu zahlen, und einem Polizisten über den Fuß gefahren sein soll.
Auf den Verein Gaia angesprochen, entgegnet Alexandra Liehmann, dass es außer diesem einen Vortrag keine Zusammenarbeit gegeben habe. Ob Mitglieder des Vereins den Lais-Gedanken weitertragen, wisse sie nicht, und das sei ihr auch nicht wichtig. Die Vorwürfe, eine „Schule für Staatsverweigerer“ zu sein, quittiert Liehmann mit einem ungläubigen und lauten Lachen. „Das höre ich zum ersten Mal. Und das ist auch völliger Blödsinn. Wir haben ja nur Lernen erforscht.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 23 2018