Aktivisten der Umweltschutzbewegung "Letzte Generation" waren zuerst im Hungerstreik, nun kleben sie sich auf Straßen fest, um den Verkehr zu blockieren, schütten Farbe auf Kunstwerke und kleben sich an deren Rahmen fest. Sie kritisieren diese Aktionen als nicht zielführend.
Ich empfinde den Protest der Klimaaktivisten vor allem als nervig, wie offenbar über 80 Prozent aller Bundesbürger in Deutschland. Wir alle sollen "wachgerüttelt" werden? Wahrscheinlich gibt es sehr viele Menschen in unserer Gesellschaft, die mehr von Klima, gesellschaftlichen Mechanismen, Energiepolitik oder dem Wirtschaftskreislauf, von dem wir alle leben, wissen, als ausgerechnet ein paar Klimaaktivisten, die ohne sichtbare Kompetenz wie fast hörige Sprachrohre des "Klimarates" auftreten, den sie selbst nicht hinterfragen.
Darüber hinaus erachten Sie die "Letzte Generation" als gefährlich. Warum?
Ganz so friedlich und demokratisch, wie sie sich selbst darstellen, sind sie nicht: Wenn man erleben muss, wie im Museum plötzlich herumgeschrien und Farbe geschüttet wird, ist alleine das Erschrecken von Museumsbesuchern schon eine Form von Gewalt. Man weiß ja in dem Moment nicht, was von den Aktivisten sonst noch zu erwarten ist. Und jetzt hat der Unfalltod der Radfahrerin in Berlin gezeigt, welche Gefahr es birgt, den Verkehr zu blockieren. Es ist nicht nur unverschämt und nötigend, es ist auch gefährlich, sich auf die Straße zu kleben. Übrigens auch für die Klimaaktivisten selbst.
Wenn die Klimaaktivisten betonen, dass die Kunstwerke hinter Glas sind und alle Aktionen so angelegt sind, dass weder Dinge noch Menschen dadurch Schaden nehmen, zeugen die Aktionen dann von Verantwortungsbewusstsein?
Was ist das für eine Anmaßung, wenn eine Klimaaktivistin in einer Talkshow sagt, dass die "Letzte Generation" eine eingeschränkte Sachbeschädigung in Kauf nimmt und dabei betont, dass die Bewegung keine Toten will. Von was für einem völlig abgehobenen Standpunkt aus wird da geredet und gedacht? Zwischen Sachbeschädigung und Mord oder Totschlag liegt der gesamte Kosmos des Strafrechts. Ebenso daneben ist es, wenn sich ein Mitglied der "Letzten Generation" im Fernsehen mit größter Unschuldsmiene rühmt, dass sie als Klimakleber immer eine "Rettungsgasse" parat hielten, sprich zwei Aktivisten nur vortäuschten, angeklebt zu sein, aber jederzeit beiseitespringen könnten. Fakt ist, dass 18 Rettungseinsätze durch die Klimaaktivisten behindert wurden. Und Fakt ist, dass eine Truppe von Festgeklebten gar keinen Einfluss darauf hat, was in einem kilometerlangen Stau an Informationen durchdringt. Und dass sie auch selbst keine Informationen darüber haben, wer im Stau vor ihnen feststeckt und in Not ist. Wie dumm ist die Behauptung dieser selbst ernannten "Verkehrspolizisten", dass sie das Staugeschehen im Griff hätten.
Das Problem beginnt mit einem nach Ihrer Ansicht falschen Selbstbild der Klimaaktivisten?
Die Gefahr beginnt da, wo von selbsternannten Weltrettern ohne hinreichende Erfahrung ausgelotet wird, wie weit Protest gehen darf. Ich glaube den meisten Klimaaktivisten, dass sie friedlich agieren wollen, nur können sie gar nicht abschätzen, was sie da möglicherweise lostreten. Ähnliches wurde im Rahmen der Studentenbewegung 1968 diskutiert. Damals hieß es, Gewalt gegen Sachen ja, Gewalt gegen Menschen nein. Trotzdem sind bei den Demonstrationen in München im April 1968 zwei Menschen zu Tode gekommen, sie wurden mit einem Stein und einer Dachlatte erschlagen, wahrscheinlich versehentlich im Eifer des Gefechtes aus den eigenen Reihen. Wenn ich gesagt habe, die Klimaaktivisten befinden sich, ohne es zu wollen oder zu wissen, auf der Ziellinie der RAF, dann beziehe ich mich auf diese Entwicklung der damaligen 68er-Bewegung zwei Jahre vor Gründung der RAF und anderer Terrorgruppen, die aus der 68er-Bewegung hervorgingen. Es begann mit einer maßlosen Selbstüberschätzung, außerparlamentarischen Protesten ohne jede demokratische Legitimation und der selbstherrlichen Auslotung der Gewaltfrage. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem es "aus Versehen" Tote gibt, wie damals in München. Auf heute übertragen heißt das: Jetzt weiß man, dass das Feuerwehrauto in Berlin acht Minuten zu spät zu dem Unfallort mit der Radfahrerin, die dann gestorben ist, gekommen ist. Und ich halte es auch für denkbar, dass der Punkt kommt, wo einzelne Klimaaktivisten meinen, sie müssten zu radikaleren Mitteln greifen, weil die friedliche Protestdynamik am Ende sei. Das sagen sie ja in den aktuellen Talkshows; niemand habe in den letzten Jahren auf sie gehört, also mussten sie sich mit Gewalt Gehör verschaffen. Genauso haben die 68er vor über 50 Jahren argumentiert. Dazu kommt, dass die Klimabewegung ein beliebtes Unterwanderungsobjekt von Linksextremen, siehe Antifa, die ja immer schon Gewalt ausgeübt hat - das können wir nicht ernsthaft ausblenden - werden könnte. Siehe den Support, den die Klimaaktivisten offenbar von den linksextremistischen "Roten Hilfen" in Anspruch nehmen. Der deutsche Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang erschrickt mich mit seiner Äußerung, es sei Nonsense, die Klima-Kleber im sachlichen, historischen, ideologischen Kontext mit dem Protest von 68, also der Vorform der RAF in Zusammenhang zu bringen. Er behauptet, die RAF sei über Jahrzehnte ein Inbegriff von Terror und Mord gewesen und unterdrückt dabei die Tatsache, dass die RAF und die 68er-Bewegung jahrzehntelang ikonisiert und idealisiert wurden. Noch 2008 wurde über sie der teuerste Spielfilm, der je in Deutschland gedreht wurde, gemacht, voller Empathie für die Ziele und die eigentliche Unschuld der Protestler. Ganz so unhistorisch darf ein Verfassungsschützer nicht sein.
Halten Sie zivilen Ungehorsam als Form politischer Partizipation demnach für falsch?
Nicht per se. Wissen Sie, mir hat der Kommentar des Aktivisten zu denken gegeben, der nach dem Unfalltod der Radfahrerin schrieb: "Shit happens." Eine ähnlich zynische Kommentierung wählte Horst Mahler, der damals einer der Anführer der Außerparlamentarischen Opposition, APO, war und später Gründungsmitglied der RAF, über die beiden Toten von München 1968. Er sagte: "Wenn ich mit dem Auto fahre, kann es auch passieren, dass der Reifen platzt." Diese beiden Toten waren der erste Sündenfall der 68er-Bewegung, lange vor der Gründung der RAF. Ihre Namen kennen wir bis heute kaum, ich habe diesen Fall in München ausführlich in meinem Buch beschrieben, die beiden Toten von München wurden von der Bewegung heruntergespielt, während Rudi Dutschke und Benno Ohnesorg als Opfer des "Systems" zu historischem Grundlagenwissen wurden.
Journalistin Bettina Röhl ermöglicht in "Die RAF hat Euch lieb" (Heyne)* dank neuer Fakten und tiefgehender Recherchen eine neue Sicht auf 1968, die Entstehung der RAF und den Mythos Meinhof.
Worin liegt denn das problematische Element solcher Protestbewegungen? Ist es deren Selbstverständnis als ein "Wir gegen Ihr"?
Ich denke, die Mehrheit der Menschen ist bereit zu handeln, wenn das Klima in Gefahr ist. Das sind nicht die Ziele dieser Aktivisten, das sind hohe Ziele von allen vernünftigen Menschen. Aber da gehört mehr Fachwissen in die Debatte. Ich persönlich weigere mich, mich von Leuten belehren zu lassen, die definitiv nicht mehr wissen als ich und keine Lösungen haben. Eine Debatte über das Klima, ein Weltthema immerhin, dass vor allem auf Computersimulationen beruht, muss wissenschaftlich offen und breit erklärt und immer wieder neu diskutiert und weiterentwickelt werden. Warum gibt es nicht, wie in Coronazeiten, tägliche Podcasts im öffentlichen Fernsehen, wo die Klimaratmitglieder und andere Wissenschaftler uns täglich genau erklären und aufzeigen, was Sache ist. Warum diskutieren in den Talkshows nicht Klimaexperten und erklären uns die Lage, statt sich irgendwelcher Klimaaktivisten als Transporteure ihrer Klimabotschaft "zu bedienen".
Was meinen Sie damit?
Ein Beispiel: Forderungen nach einem Tempo 100 sind lächerlich, da es in Deutschland de facto fast überall ein Tempolimit bereits gibt und dabei wohl kaum CO2 eingespart wird. Während zum Beispiel die neuen Möglichkeiten der Atomkraft, die erheblich mehr CO2 einsparen würde, nicht mal perspektivisch in die aktuelle Diskussion aufgenommen wird. Es soll nur noch erneuerbare Energie geben. Das ist aber grüne Ideologie und kein effektiver Klimaschutz. Wenn es um Weltrettung geht, darf es keine Denkverbote geben, nur weil den Grünen und ihren grünen Babyboomer-Wählern, zu denen ich gehörte, die Atomkraft, die auch nie wissenschaftlich zu Ende diskutiert wurde, gefühlt contre coeur geht. Stattdessen wird lieber wortlos Atomstrom aus den Nachbarländern importiert, auf den Deutschland nicht verzichten kann. Die aktuelle Diskussion, die die "Letzte Generation" gerade in den Talkshows vorstellt, wirkt auf mich daher sehr verengt, teilweise verlogen und vor allem ziemlich dumm. Bevor man eine ganze Gesellschaft belehren und zur Transformation zwingen will, dürfte man gern ein paar mehr Koordinaten kennen. Deutsches Getümmel und deutscher Größenwahn sind Komponenten, die ich bei den Klimaaktivisten durchscheinen sehe. Ein Blick auf den Globus zeigt, wie klein Deutschland ist und wie aufgeblasen das Tempolimit von 100 dagegen ist.
Passend dazu: Wie man sich bei einem Atomunfall verhält
Sie rufen also zum Innehalten und zur Selbstkritik auf.
Ich bin für eine offene und kritische Diskussion über viel mehr Details. Über das Klima, alle Arten der Energiegewinnung und die Wirtschaft, die das alles bezahlen muss. Die Diskussion gehört vor allem in die etablierte Gesellschaft, die aus meiner Sicht den Klimabewegungen viel zu sehr nach dem Mund redet, was die Klimaaktivisten wiederum für bare Münze nehmen. Das ist ein wechselwirkender Prozess. Ursula von der Leyen hat schon vor drei Jahren den Klimanotstand ausgerufen, das Verfassungsgericht hat Klimaleitlinien festgesetzt, der Klimarat der Bundesregierung diktiert der Politik, wo es lang zu gehen hat. Klima ist eben aktuell ein Modethema und jeder möchte dabei vorne mitschwimmen. Die Klimaaktivisten sollten sich klarmachen, dass ihnen die Politiker, die Wirtschaftsleute, die Fachleute ja geradezu hinterherlaufen. Die "Letzte Generation" ist auch keine wirkliche Protestbewegung, solange das gesamte Polit- und Medienestablishment sie hätschelt, auch wenn sie vordergründig kritisiert werden. Ganz ähnlich war es auch 1968, als die Protestler wie Rudi Dutschke von der Straße in die großen ersten Talk- und Podiumsdiskussionsrunden eingeladen wurden und von etablierten Medien und öffentlichen Persönlichkeiten teils sogar finanziell unterstützt wurden. Ähnlich wie zum Beispiel der Climate Emergency Fund und ein paar Milliardäre wie Aileen Getty jetzt die Klimaaktivisten weltweit finanziell unterstützen. Ich sehe, dass die Wirtschaft und die Politik sich im Moment sehr bemühen, grün und klimafreundlich zu sein, schon allein, weil sie dem Zeitgeist hinterherrennen. Dabei hat man zugegeben den Eindruck, als wenn die Bundesregierung den sie beratenden Klimarat als politisch nützliches Instrument behandelt, aber selbst nicht überzeugt ist. Bei so einem Weltthema kann es jedoch nicht um Aktivismus gehen, sondern um nachhaltige Maßnahmen mit Weltwirkung.
Welcher Vorschlag ergibt sich daraus nach Ihren Recherchen als Extremismusforscherin?
Ich bin nicht für eine Verschärfung der Gesetze, weil ich glaube, dass die Gesetze ausreichend sind. Wir sollten uns mit den Klimaaktivisten, und damit meine ich mit allen jungen Leuten, die die Welt besser machen wollen, was ja von Grunde her großartig ist, auf Augenhöhe auseinandersetzen. Aber die älteren Erwachsenen sollten standhafter ihre Expertise einbringen. Die Klimaaktivisten müssen schon ein bisschen gestellt werden, was sie überhaupt wissen, und was sie sich konkret zur Rettung der Welt vorstellen. Wenn die Klimaaktivisten jetzt UNO-Generalsekretär Guterres zitieren, die Menschheit bewege sich auf einem Weg in die Klimahölle, merkt man, dass sie gar nicht mitbekommen haben, dass das ein demagogisches Momentum enthält und dass sich dieser weiße alte Mann, um es mal scherzhaft zu sagen, gern als die Spitze der Klimabewegung darstellen will. Nach meiner persönlichen Erfahrung sind die Klimaaktivisten diskussionsfähig, allerdings sind alle, die ich bisher gesehen oder kennengelernt habe, von einer maßlosen Überheblichkeit und agieren mit so einer Art unschuldigem Allwissen, das sie nicht haben. Die meisten berufen sich einfach auf den Klimarat und das ist schon das Ende der Diskussion. Sie wirken wie ein im Hintergrund geschultes und durchgestyltes Team, sehr klischeehaft und stereotyp.
In Ihrem Buch analysieren Sie an Hand neuer Fakten, unveröffentlichter Dokumente und dank vieler Gespräche mit Zeitzeugen die Entstehung der 68er-Rebellion, der RAF und beschreiben auch die Faszination, die Ihre Mutter Ulrike Meinhof als Ikone der Bewegung ausübte. Was war Ihre Intention?
Es geht um eine historische Einordnung des Paradigmenwechsels von 1968 in einer Bundesrepublik, wie sie damals war. Und um die Entstehungsgeschichte der RAF. Es geht mir vor allem darum, die 50 Jahre alte Nabelschau der Protestkultur in Deutschland, die die Geschichtsschreibung in die Irre geführt hat, wieder geradezurücken. Es sind seit 50 Jahren zumeist geistige Kinder der Protestkulturen, die als sogenannte Fachleute auftreten, ohne ihre eigenen Befangenheiten offenzulegen und zu diskutieren. Es gibt Protest-Forscher, die selbst früher im extremistischen Gedankengut verhaftet waren und Steine geworfen haben. Und es geht um die Ideologie der linken Protestkulturen, den Urvater des Kommunismus Karl Marx und den Völkermörder Mao Tse Tung. Die 68er-Rebellion orientierte sich ja an der mörderischen Kulturrevolution Mao Tse Tungs in China. Es ist damals ein Protestmovement im Westen entstanden, das sich bis heute fortwälzt. Seit 50 Jahren dreht sich die Protestspirale von damals eigentlich immer im selben linken, antikapitalistischen, urkommunistischen Zeitgeist in immer neuen Generationen, mit immer neuen Themen und das alles mitten im luxuriösen Kapitalismus. Es gibt immer neue "Rote Garden", wie die jungen Aktivisten in China hießen, die sich selbst ermächtigen, mit ihrem Geschrei auf der Straße außerparlamentarischen Protest machen zu dürfen, der leicht mal ins Undemokratische oder gar extrem Gewalttätige überschlägt, wie es zuletzt bei der Antifa 2017 in Hamburg auf dem G20-Gipfel oder bei den Protesten gegen die EZB in Frankfurt 2015 und massiven Gewaltausschreitungen der linksextremen Szene zum Beispiel in Leipzig der Fall war und ist. Die Klimaaktivisten können nicht so tun, als seien sie eben vom Himmel gefallen und hätten mit diesen alten, gefährlichen Protestpfaden nichts zu tun.
Das Interview erschien ursprünglich im News 47/2022.
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