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"Das Schlimmste sind die testosteronlastigen Sets, wo der Häuslschmäh rennt"

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David Schalko

©Lukas Beck
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Der österreichische Filmemacher David Schalko zeigt Kafka in einer Fernsehserie als Kunstfigur (24. und 25.3. im ORF) und spricht über Missstände in der Branche.

In einer sternenklaren Nacht scherzt ein junger Mann mit seinen Freunden über das Ausbleiben des Kometen. In verrauchten Salons erfreuen sich die jungen Herren der Gesellschaft von Damen, die sie für ihre Zuwendungen entlohnen. Die Rede ist von Franz Kafka (1883–1924). Der Autor verstörender Erzählungen wie "Die Verwandlung" sei keineswegs ein einsamer, zerrütteter Mensch gewesen, stellt der Filmemacher und Schriftsteller David Schalko, 51, im Gespräch mit News und in seiner Fernsehserie mit dem schlichten Titel "Kafka" klar. Zehn Jahre arbeitete Schalko mit dem Weltschriftsteller Daniel Kehlmann, der die Drehbücher verfasste, an der Verfilmung von Kafkas Leben. Das Ergebnis ist ein cineastisches Meisterwerk in sechs Teilen und brillanter Besetzung. Der Schweizer Joel Basmann ist Franz Kafka. Nicolas Ofczarek dessen Vater, Lars Eidinger tritt als Rainer Maria Rilke auf. Der ORF strahlt "Kafka" am 24. und 25. März aus. Zuvor traf News David Schalko zum Gespräch über Kafkas Einfluss auf die Weltliteratur, Antisemitismus und Branchenmissstände.

Gab es eine Art Initialzündung für Ihre Auseinandersetzung mit Kafka?
Wahrscheinlich bereits in der Schule. Wie bei uns allen, war da die Angst, bei der Schularbeit eine Kafka-Parabel interpretieren zu müssen. Mit 20 habe ich dann begonnen, Kafka ernsthaft zu lesen. Aber es ist ein sehr großer Unterschied, ob man ihn in einem erwachsenen Alter liest oder als junger Mensch. Das ist eigentlich das Gegenteil von Hesse, den man ideal mit 16 liest.

Auf Tiktok folgen Kafka Millionen? Warum hat Kafka auf Jugendliche heute so eine starke Wirkung?
Es wäre schön, wenn die Person Franz Kafka Hunderte Mil-ionen Follower hätte. Die Figur auf dieser Plattform aber hat mit dem Schriftsteller nichts zu tun. Das ist eine Manga-Figur, die Kafka heißt. Es stimmt aber, dass er der meistgelesene deutsche Schriftsteller ist. Das ist vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass Kafka Schulliteratur ist. Aber wie viele junge Menschen ihn tatsächlich lesen, weiß man nicht. Serien wie unsere sind auch dazu da, jungen Menschen Kafka wieder näherzubringen, den Zugang zu seinem Werk zu erleichtern und Klischees zu korrigieren. Denn viele Kafka-Klischees stimmen nicht. Zum Beispiel dass er ein einsamer, zerrütteter Mensch war, der nur alleine in seinem Zimmer saß und schrieb. Er war eigentlich sehr sozial und auch im Literaturbetrieb kein Unbekannter – im Gegenteil. Viele berühmte Schriftsteller haben ihn bewundert, wie Rainer Maria Rilke, Kurt Tucholsky, Franz Werfel. Auch die Versicherung, bei der er angestellt war, war nicht die Arbeitshölle, als die er sie selbst dargestellt hat. Das waren traumhafte Arbeitsverhältnisse. Er war umgeben von verhinderten Schriftstellern, die ihn bewunderten und ihm viel Zeit freigeschaufelt haben, damit er schreiben konnte. Er war auch gut in seinem Beruf und hat Karriere gemacht.

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Franz Kafka, verkörpert durch Joel Basman

 © ORF/Superfilm

Das kommt deutlich in der Serie vor.
Uns war sehr wichtig, darzustellen, wie aus dem realen Leben Kafkas Literatur entsteht und anhand von welchen Ereignissen. Dass das so möglich war, ist vor allem der dreibändigen Biografie von Reiner Stach zu verdanken, die in allem unsere Basis war.

In einem unserer Interviews haben Sie Kafka als zeitlos beschrieben. Manche Szenarien könnten auf die Gegenwart umgemünzt werden. Sein Roman "Der Prozess". Geht es zu weit, wenn man Parallelen von der Verhaftung des Josef K zu hiesigen Untersuchungsausschüssen zieht?
Viele nennen sein Werk prophetisch. Bilder, wie jenes vom "Prozess", wo ein Mann nicht weiß, warum er verhaftet wird. Jeder, der heute in Russland lebt, kennt dieses Gefühl. Aber die Szenarien, die Kafka entwirft, haben in jeder Zeit ihre Entsprechung. Auch das Gefühl, sich in ein Ungeziefer zu verwandeln und vor Scham das Zimmer nicht zu verlassen, ist ein allgegenwärtiges. Kafka war vielleicht der letzte Schriftsteller, der so etwas wie eine Privatmythologie aus seinem realen Leben erschaffen hat. Der Prozess beispielsweise entstand aus der Situation eines Privatprozesses, den ihm seine Langzeitverlobte Felice Bauer gemacht hat, weil er sie nicht heiraten wollte. Kafka hebt diese Geschichte mit Felice Bauer auf eine andere Ebene, die fast schon mythologischen Charakter hat und sich in die DNA unserer Kultur eingespeichert hat.

Sie gehen in der Serie ausführlich auf Kafkas Verhältnis zum Judentum ein. Konkret die Frage nach Assimilation oder Zionismus.
Er hatte ein gespaltenes Verhältnis zum Judentum und zum Zionismus. Es gibt den berühmten Satz von ihm: "Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe mit mir selbst kaum etwas gemeinsam". Gleichzeitig hat er aber zionistische Kongresse besucht und war auch durch Max Brod und Martin Buber im zionistischen Milieu involviert. Interessant ist die Rolle des jüdischen Theaters, das für das Archaische, das Ostslawische stand, mit dem die assimilierten Juden nichts zu tun haben wollten.

Wie Franz Kafkas Vater.
Ein Paradebeispiel für assimilierte Juden, die sich hochgearbeitet haben und dann mit diesen jüdischen Traditionen nichts mehr zu tun haben wollten. Kafkas Vater hat es verachtet, wenn in seinem Haus Jiddisch gesprochen wurde, weil das die Sprache des Shtetls war. Dieser Zwiespalt war ein Nährboden für den Antisemitismus im Nationalsozialismus, weil der Nationalsozialismus mit diesen ostjüdischen Klischeebildern für seine antisemitischen Plakate gearbeitet hat. Es gab also auch so etwas wie Antisemitismus innerhalb des Semitismus, der letztendlich eine Art Klassenkampf war, weil man seine eigenen sozialen Errungenschaften nicht gefährden wollte.

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Nicolas Ofczarek spielt in Schalkos Fernsehserie Franz Kafkas Vater

 © ORF/Superfilm

Gib es da Parallelen zum heute immer stärker werdenden Antisemitismus? Nach dem Anschlag der Hamas in Israel wurden sogar an Universitäten antisemitische Parolen hörbar.
Wir haben heute eine ganz andere Art von Antisemitismus. Damals gab es den Traum von einem Leben in Palästina und daraus entstand der Zionismus. Heute gibt es Israel, heute stellt der Antisemitismus, wenn er ganz weit geht, das Existenzrecht von Israel infrage. Bei diesem Diskurs ist soviel Dummheit im Spiel und der Schulterschluss mancher Linken mit dem repressiven Terrorregime erzeugt bei mir Verständnislosigkeit. Jene die sich da solidarisieren, wären vermutlich unter den Ersten, die von der Hamas hingerichtet würden. "Free Palestine" kann eigentlich nur heißen, dass man die Palästinenser auch von der Hamas befreit. Genauso wie man Israel aus den Fängen Netanjahus befreien muss, weil dieser das Übel auf israelischer Seite ist. Für die Siedler-Politik im Westjordanland ist definitiv Netanjahu verantwortlich. Man kann Israel auch kritisieren, ohne dass man das Existenzrecht von Israel infrage stellt – und diese Kritik ist kein Antisemitismus. Was ich schockierend fand, ist die Empathielosigkeit, mit der man die Attentate der Hamas aufgenommen hat, als würde es sich dabei da um einen Befreiungsschlag handeln. Es sind auch viele Zivilisten im Gaza-Streifen ums Leben gekommen, aber dieses triumphale Schänden gab es nicht. Die aktuelle Situation ist verzwickt, weil die falschen Leute am Ruder sind.

Soll man Israel von der Biennale in Venedig, vom Songcontest ausschließen?
Ich finde weder das richtig, noch, dass man palästinensischen Künstlern Preise verweigert.

Kommen wir zurück zu Kafka. Literaturwissenschafter warfen Max Brod, Kafkas engstem Vertrauten, vor, dass er dessen fragmentarische Romane nicht verbrannte, wie der es verlangt hatte, sondern veröffentlichte. Sie zeigen in der Serie den gealterten Brod, der sich für seine Tat rechtfertigen muss. Mir kommt diese Kritik der Literaturwissenschafter ziemlich verlogen vor, denn jeder weiß, ohne Brod wüssten wir heute nichts von Kafka.
Ich glaube, dass da Neid eine große Rolle auf die Sonderstellung von Max Brod gespielt hat, weil er Kafkas bester Freund war. Der britische Schriftsteller und Literaturwissenschafter Adam Thirlwell sagte zu Daniel Kehlmann, dass es die größte literaturkritische Leistung des 20. Jahrhunderts war, diesen Nachlass zu retten. Ich glaube, dass es auch unter Literaturkritikern Neid gibt. Bei Brod war es wegen der Sonderstellung, die er als bester Freund von Kafka eingenommen hat.

Täusche ich mich, wenn ich die Serie auch als Hommage an Max Brod sehe?
Gar nicht. Es handelt sich sogar um eine Art Ehrenrettung von Brod. Ein Thema in der ersten Folge ist sein altruistischer Akt, das Werk von Kafka über sein eigenes zu stellen und es vor der Vernichtung zu retten. Er hat auch einen Roman über Kafka geschrieben, wo seine Verehrung fast biblische Ausmaße annimmt. Trotzdem war er mit dem Vorwurf konfrontiert: Warum gibt es keinen Kafka ohne Brod? Und dass er Kafkas Tagebücher veröffentlicht und verändert hat. Man kann sagen, von einem Schriftsteller dieses Rangs zählt jedes Wort. Natürlich gibt es die Problematik, darf man in diesen Tagebüchern etwas streichen oder nicht? Aber es gibt auch die Tagebücher im Original. Man weiß, was verändert worden ist. Der Verdienst von Max Brod steht weit über dem, was man ihm vorwerfen kann. Im Grunde sind wir froh, dass es Kafkas Tagebücher gibt. Es ist das am besten dokumentierte Schriftstellerleben. Wir wissen, wo er jeden Tag war. Und es ist ein gewichtiges literarisches Werk.

Wie weit hat man überhaupt das Recht, das Privatleben eines Schriftstellers an die Öffentlichkeit zu bringen?
Das Recht auf Privatheit hat auf eine gewisse Art jeder Mensch, egal, ob es ein Schriftsteller ist oder ein Politiker. Es gibt einen Bereich, der mit der öffenlichen Person nichts zu tun hat. Und den gilt es für jeden zu schützen. Bei Kafka ist das aber ein bisschen widersprüchlich. Er hat einige Tagebücher Milena Jesenská (Übersetzerin und Vertraute, Anm.) gegeben und ihr auch gesagt, sie solle damit machen, was sie will.

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Der Schauspieler Joel Basmann als Franz Kafka, Nicolas Ofczarek, Lars Eidinger, Verena Altenberger, dazu Michael Maertens als Erzähler aus dem Off sind Teil der Glanzbesetzung

 © ORF/Superfilm

Wollte Kafka tatsächlich sein literarisches Werk vernichten?
Das ist nicht ganz eindeutig. Es hatte vielleicht mehr damit zu tun, dass er nicht wollte, dass unfertige Texte gedruckt werden. Das Verbrennen wäre sozusagen ein Schlusspunkt gewesen, aber auch vielleicht Teil seiner privaten Mythologie. Wir wissen es nicht. Es gibt viele Beispiele von wichtigen Romanen, die posthum veröffentlicht wurden wie "Die Legende vom Heiligen Trinker" von Joseph Roth oder "Meister und Margarita" von Michail Bulgakow.

Kafka ist bei Ihnen eher eine Kunstfigur. Dessen Vater Hermann wird von Nicolas Ofczarek sehr differenziert dargestellt. Nicht wie diese dämonische Figur, die man aus der Erzählung "Das Urteil" kennt. Ist das auch so ein falsches Klischee?
Niki hat den Vater sehr komplex dargestellt. Naheliegend wäre, ihn als tyrannischen Choleriker zu zeigen. Niki sagte zurecht, es gibt auch die Not des Vaters gegenüber dem Sohn. Man spürt auch, dass der Vater an den Sohn nicht herankommt und an ihm zerschellt. Es gab diesen Generationenvertrag, das heißt, man überträgt seine Geschäfte auf den Sohn. Kafka hat sich da aus dem Spiel genommen. Das hat der Vater überhaupt nicht verstanden. Da sind einfach zwei Welten aufeinandergeprallt.

Kafka erkrankte an der spanischen Grippe und an Tuberkulose. Wie kam es, dass Brod und Kafkas Gefährtinnen keine Angst hatten, sich anzustecken?
Das habe ich Reiner Stach, den Biografen, auch gefragt. Er meinte, das habe damals für die Leute keine so große Rolle gespielt. Man hatte ein anderes Verhältnis zu Viren und Bakterien als heute. Dieses antisep-ttische Verhalten gab es noch nicht. Und eine offene Tuberkulose war auch nicht immer gleich ansteckend.

Sie sagten mir einmal, Kafka wären die Huldigungen unangenehm gewesen. Sie vergleichen ihn mit Beckett. Hätte es eine Literatur wie von Samuel Beckett und anderer ohne Kafka gar nicht gegeben?
Wahrscheinlich nicht. Die beiden waren einander sehr ähnlich. Auch in der Statur, beide waren groß und hager. Sie waren bescheiden, wollten sich dem Betrieb und dessen Kommerzialität nicht unterwerfen. Beckett empfand den Nobelpreis als die größte Katastrophe, die ihm passiert ist. Es gibt viele Nachläufer von Kafka. Aber keinen wirklichen Vorläufer. Er war gewissermaßen ein Ursprung. Vor ihm hat es keinen wie ihn gegeben.

Kafkas Einfluss ist auch in Ihrem Roman "Was der Tag bringt" zu spüren. Gäbe es den Schriftsteller David Schalko ohne Kafka?
In diesem Roman sind sehr viele Kafka-Referenzen eingebaut. Das war natürlich auch Absicht. "Das Schloss", "Die Verwandlung", "Der Prozess" und vieles mehr kommt vor. Jetzt aber werde ich eine Zeitlang keinen Kafka mehr lesen. Aber ich kenne kaum einen Schriftsteller, auf den Kafka keinen Einfluss hatte.

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Verena Altenberger als Robert Musil

 © ORF/Superfilm

Drehen Sie schon den nächsten Film?
Ich bereite ein Projekt für die ARD vor.

Sind Sie und Ihre Filmfirma auch von den Quotenregelungen betroffen? Stimmt es, dass man keine Förderungen bekommt, wenn man nicht genug Frauen beschäftigt?
So simpel ist es nicht. Es gibt eine Förderquote, die darauf achtet, dass es paritätisch ausgeglichen ist. Das ist durchaus sinnvoll, weil das Filmgeschäft tatsächlich sehr männlich konnotiert ist. Durch die Quote versucht man, klassische Männerdomänen wie Kamera oder Komposition zu durchbrechen. Umgekehrt wäre das auch wünschenswert. Beispielsweise, dass es mehr Masken- und Kostümbildner gibt. Je mehr wir diese geschlechtlichen Konventionen aufbrechen, desto freier ist diese Gesellschaft. Auch atmosphärisch ändert das vieles. Es gibt ja nichts Schlimmeres als diese testosteronlastigen Sets, wo der Häuslschmäh rennt. Andererseits würde es Österreichs Filmlandschaft auch wieder guttun, nicht nur auf dieses Thema fixiert zu sein. Eines der Argumente war ja: Auch Frauen haben das Recht, mittelmäßige Filme zu machen. Vielleicht sollte man eher schauen, dass möglichst niemand mittelmäßige Filme macht.

Was sagen Sie zu der NDR-Doku über Übergriffe beim Film?
Es hat sich in den letzten Jahren sehr viel verändert. Es gibt Anlaufstellen für Betroffene, Intimacy-Coaches, es herrscht das Vieraugenprinzip. Das heißt, es liegt zum Glück nicht mehr alles in der Hand von Regisseuren. Was im Übrigen bestimmt auch manchmal eine große Belastung war, weil man oft mit Situationen konfrontiert war, die einen überforderten. Und damit wurde man alleingelassen. Beispielsweise eine heikle Nacktszene, die man mit jemandem umsetzt, der dahingehend traumatisiert ist. Dafür bin ich als Regisseur eigentlich nicht ausgebildet. Es ist gut, dass es solche Dokus gibt und dass offen darüber gesprochen wird. Allein diese Tatsache ermöglicht einen offenen Umgang und eine Atmosphäre, wo man nicht alles schweigend hinnehmen muss. Gleichzeitig muss man aufpassen, dass man nicht eine denunziatorische und paranoide Grundstimmung schafft, wo es reicht, mit einem Fingerzeig eine Existenz zu vernichten. Es ist zwar absolut richtig und wichtig, Namen zu nennen, aber es ist vor allem auch ein systemisches Problem, weil vieles mit Hierarchie und Geld zu tun hat. Wenn zum Beispiel ein Hauptdarsteller oder eine Hauptdarstellerin unter massiven Verdacht gerät, müsste eigentlich der Dreh abgebrochen werden, bis die Sache geklärt ist. Es kann sein, dass alles noch einmal gedreht werden muss, und dann stellt sich die Frage, wer haftet dafür? Wer bezahlt das? Das ist eine beinahe unlösbare Aufgabe. Aber genau darum geht es, denn das würde nachhaltig das System verändern. Solange ein Hauptdarsteller unentbehrlich ist, wird es dieses Machtgefälle geben. Hinzu kommen ja auch arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen. Denn auch ein Angeklagter hat Rechte. Das vergessen wir gerne, wenn wir voreilig canceln. Wir müssen aufpassen, dass wir ganz im Sinne Orwells nicht aus einem hehren Unterfangen den Nährboden für Faschismus schaffen. Aus der Grundhaltung der Gnadenlosigkeit entstehen schnell gnadenlose Systeme. Canceln ist wie soziales Exekutieren. In Amerika wurde früher die Tugend der zweiten Chance sehr hochgehalten. Jeder hat sich eine zweite Chance verdient. Das war eine der wichtigsten Säulen der Gesellschaft. Denn an der Veränderung einer einzelnen Person ist auch die Veränderung in der Gesellschaft zu erkennen.

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Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 11/2024.

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