News.at: Frau Distelberger, Ihr Film behandelt das Sterben der Dörfer bzw. wie man dieses aufhalten kann. Wie kamen Sie auf das Thema?
Teresa Distelberger: Das Schöne am Dokumentarfilm machen ist, dass man Themen aufgreifen kann, die einfach so in der Luft liegen. Ich finde die Situation des ländlichen Raums und dessen Zukunftsperspektiven sind einfach wichtig zu diskutieren. Weil da hat sich enorm viel verändert und vielleicht betrachtet man diese Veränderungen und kann sie gar nicht so richtig einordnen.
Sie haben mit vielen Menschen in verschiedensten Dörfern gesprochen. Was ist für die Menschen in schrumpfenden Dörfern das größte Problem?
Ganz oft genannt wurde, dass wenn es kein Wirtshaus und kein Geschäft mehr gibt, der Treffpunkt, wo man sich zufällig begegnet, fehlt. Oder wenn es in dem Ort gerade darum ging, ob die Schule überleben kann, war das das Hauptthema. Je nachdem, was gerade an der Kippe stand.
Die (fehlende) öffentliche Anbindung war kein Thema?
Was ich aus meiner eigenen Erfahrung und aus den Gesprächen sagen kann, ist, dass die Leute am Land das als Gegebenheit sehen und gar nicht auf die Idee kommen, dass sie alles mit Öffis machen könnten, wie wir das in der Stadt gewohnt sind. Ich bin selbst am Land aufgewachsen und der genialste Tag meines Lebens war mein 16. Geburtstag, als ich ein Moped bekommen habe. Das bedeutete eine Freiheit, die es davor nicht gab.
Die Frage, wie man zu einem Arbeitsplatz pendeln kann, wie schnell oder gemütlich das geht, während man in einem kleineren Ort lebt, ist aber natürlich ein großes Thema.
In Ihrem Film wollten Sie Menschen versammeln, die wichtig sind, damit ein Dorf lebendig bleibt. Diese Menschen stellen verschiedene Ansätze vor. Welche Idee hat Sie am meisten überrascht?
Am überraschendsten war für mich die Erkenntnis, dass es nicht alleine darum gehen kann, Leute dort zu behalten, sondern dass es viel mehr die Frage ist, was junge Leute motiviert, wieder zurückzukommen. Was gab ihnen etwa in der Jugend das Gefühl, in dem Dorf habe ich Raum für Entfaltung, da gibt es eine gewisse Offenheit? Ich glaube, viele, die nicht mehr zurückkommen, tun das auch, weil sie das Gefühl haben, das ist ein bisschen verstaubt. Diese Offenheit ist aber notwendig, damit junge Leute zurück- bzw. auch neue Leute zuziehen können. Also neben der Verhinderung von Abwanderung ist es genauso wichtig, darüber zu sprechen, wie man einen Zuzug bewirken oder unterstützen kann.
Der Bergbauer im Film verrichtet, wie er selbst erzählt, schwere körperliche Arbeit, um Kulturlandschaft vor der Verwilderung zu bewahren. Warum muss diese eigentlich erhalten werden - und könnte man nicht einfach der Natur ihren Lauf lassen?
Momentan sind wir in einem globalisierten Wirtschaftssystem, wo es für uns total selbstverständlich ist, dass unsere Supermärkte gefüllt sind - auch mit Dingen, die von weit her transportiert werden. So lange das funktioniert, kann man leicht sagen: „Wozu brauchen wir diese Wiesen? Lassen wir doch den Wald wieder drüberwachsen.“
Aber in dem Moment, wo diese Transporte vielleicht nicht mehr selbstverständlich sein könnten (durch den Klimawandel etwa sind wir ja auch zum Umdenken aufgefordert) und es vielleicht sogar notwendig wird, sich mit Lebensmittel aus einem gewissen Umkreis zu versorgen, ist es sehr wohl relevant, ob in diesem Umkreis die Natur in einem Zustand ist, um etwas anzubauen oder Tiere zu halten. Sonst wird sich das vielleicht nicht mehr so ausgehen.
Spinnt man diesen Gedanken der letzten Frage weiter: Müssen ganze Dörfer überhaupt gerettet werden?
Ich denke, wir leben alle hier und wenn jemand in einem Ort lebt, geboren ist, bleiben möchte, finde ich, sollte dieser Mensch auch die Möglichkeit haben, seine Kinder dort groß zu ziehen, einen Brief aufzugeben oder Lebensmittel zu bekommen. Und dann ist es aus der Stadt heraus sehr arrogant zu sagen: Liebe Dorfbewohner, das ist mir egal, wir sperren euer Dorf jetzt zu. Das ist eine sehr zentralistische Perspektive.
Mit meinem Film will ich dem Stadtpublikum auch ein Bild geben, um Verständnis zu schaffen für die aktuellen Probleme am Land.
Gibt es dieses Verständnis nicht?
Die Frage, ob man Dörfer nicht einfach aussterben lassen sollte, wird mir in der Stadt durchaus öfter gestellt. Und das ist auch das Gefühl, was am Land manchmal ankommt. Also dass „die in der Stadt“ eben ganz viel entscheiden. Und wenn ein Dorf immer weniger Einwohner hat, hat es in der Demokratie ja auch tatsächlich immer weniger gewichtige Stimmen. Deshalb braucht es eine Klarheit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, dass das eine Einheit ist, Stadt und Land. Dass man für das Ganze denken muss.
Das spielt ja auch ein wenig in die gängigen Klischees Stadtmensch vs. Landmensch („arrogante Städter“ vs. „Landeier“) hinein. Wie sehr sind diese eigentlich noch immer verbreitet?
Wenn man nach Klischees sucht, findet man sie. Und wenn man danach sucht, findet man auch das Gegenteil. Ich glaube, dass viele weder das eine noch das andere sind, sondern phasenweise dies und phasenweise das.
Wichtig für das gegenseitige Verständnis ist; Zu sehen, was das Positive an einer Stadt ist, wo sich das Land vielleicht was abschauen kann. Oft wohl diese gewisse Offenheit, dass jeder Mensch so sein kann, wie er ist und mehr Vielfalt willkommen geheißen wird und gleichzeitig umgekehrt. In der Stadt sehnen sich aber auch viele Menschen nach den positiven Aspekten des Dorfes, wie der Überschaubarkeit. Deshalb entstehen ja immer mehr Grätzel, also so eine Art kleine Dörfer in der Stadt.
Städter stellen sich das Leben am Land oft durchaus sehr schön, sehr idyllisch vor und erwägen einen Umzug aufs Dorf. Lässt sich diese romantische Vorstellung mit der Realität vereinen?
Ich glaube, ein wichtiger Faktor ist, ob das Dorf, in dem jemand zuzieht eine gewisse Neugierde für diese Leute hat und eine gewisse Offenheit oder ob die „Zuagroasten“ - ein starker Terminus, den es ja immer noch gibt - eher „schräg beäugt“ werden.
Ich denke, dass in Dörfern, in denen ein Bewusstsein entstanden ist, dass dort nicht mehr genug Menschen geboren werden, eine ganz andere Dankbarkeit und Offenheit besteht, weil sie sehen, dass das Leben für den Ort wohl nur weitergeht, wenn auch andere Leute dazu kommen.
Eine Protagonistin, Theresa Steininger, die mit ihrem Unternehmen "Wohnwagon" in die
Abwanderungsgemeinde Gutenstein gezogen ist, hat mir erzählt, dass dort Neuankömmlinge auch selber einen Schritt aufs Dorf zugegangen sind. Und der Bürgermeister besteht darauf dass jeder, der neu ins Dorf zieht, bei den Festspielen einmal an der Bar ausschenkt, weil er sagt, dass sei einfach die beste Integration.
Was glauben Sie: Kann die Rettung der Dörfer gelingen?
(überlegt lange)... Ich glaube, dass es von all jenen abhängt, denen Dörfer am Herzen liegen. Die Dörfer, wo besonders viele Menschen eine Herzensverbindung dazu haben, werden ganz sicher gerettet werden. Aber manche Dörfer, wo sich niemand findet, der in die Zukunft denkt, könnten es auch nicht schaffen.
Zur Person: Teresa Distelberger wurde 1981 geboren und wuchs in der niederösterreichischen Kleinstadt
Herzogenburg auf. Neben Kurz- und Dokumentarfilmen realisiert sie Performances und
Installationen, in denen sie sich u.a. mit ländlichen Traditionen, urbanen und globalen Lebenswelten,
Gedenkkultur sowie einer vielschichtigen Interpretation des kontroversen Heimatbegriffs beschäftigt.
2017 kam der Film „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ in die Kinos, den sie gemeinsam mit Niko Mayr,
Gabi Schweiger und Nicole Scherg realisierte "Rettet das Dorf" ist Distelbergers erster Langdokumentarfilm, den sie als alleinige Regisseurin verantwortet.