Der Immobilienboom ist zu Ende. Makler:innen, Verkäufer:innen und Baufirmen bleiben auf ihren Angeboten sitzen, erstmals seit Jahren fallen die Preise. Trotzdem ist der Traum vom Eigenheim für viele Familien nicht mehr leistbar.
Als im Februar 2021 der dritte bundesweite Lockdown wegen der Coronapandemie zu Ende ging, zückte Lisa Holzer ihr Handy und scrollte auf der Suche nach einem neuen Ort zum Leben zum ersten Mal durch die Immobilienseiten. Mitte 20 war sie damals und arbeitete als angestellte Webdesignerin im Homeoffice. Ihren Arbeitsplatz, den Esstisch in der 70-Quadratmeter-Eigentumswohnung im zehnten Wiener Gemeindebezirk, teilte sie sich mit ihrem Lebensgefährten Matthias Stecher, einem Vertriebsmitarbeiter. Die beiden träumten von einem Häuschen im Grünen mit mehr Platz für den geplanten Nachwuchs. Etwas außerhalb von Wien durfte es sein, weil sie vermuteten, dass die Preise dort günstiger seien. Trotzdem sollte es noch nah genug an der Stadt sein, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren zu können, wenn der Ausnahmezustand beendet sein würde.
Die erste bezahlbare Neubauimmobilie fand das Wiener Paar erst von einem Jahr. Kein Haus, sondern eine Wohnung am Stadtrand. Immerhin 100 Quadratmeter mit kleinem Garten. 460.000 Euro hätte das Objekt kosten sollen. "Das wäre machbar gewesen, aber der Bauträger konnte uns nicht sagen, wie hoch die Betriebskosten sein würden, und wir hätten innerhalb von zwei Wochen kaufen müssen. Wer kann denn so planen?" Das Paar entschied sich dagegen und ist jetzt verunsichert, ob das die falsche Entscheidung war.
Besonders während der Coronavirus-Krise hat sich der Trend zum Eigenheim in Österreich noch einmal verstärkt. Gleichzeitig kletterten die Immobilienpreise für Eigentumswohnungen und Häuser steil nach oben, teils um zehn Prozent und mehr. Niedrige Zinsen und eine hohe Nachfrage - auch von Großanlegern - trieben die Kaufpreise trotz Pandemie in die Höhe. Ein Ende des Booms war lange Zeit nicht abzusehen. Aber das dürfte sich jetzt ändern.
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Trendwende auf dem Immobilienmarkt
Im 15. Wiener Gemeindebezirk wartet Maklerin Milla Mouhu vor einem Mehrfamilienhaus am Ende einer Sackgasse nahe der Mariahilfer Straße. Seit einem Jahr steht dort eine Wohnung im ersten Stock leer. Die Besitzer leben im Ausland und nutzten das Objekt zuvor als Zweitwohnsitz.
Im Februar 2022 beauftragten sie Milla Mouhu, die Wohnung zu verkaufen. Doch das ist schwieriger, als die Maklerin gedacht hatte. An diesem Februarmorgen schließt sie die Tür zur leeren Wohnung auf und flaniert durch die drei Zimmer, zwei Badezimmer und Wohnküche. Mit professioneller Maklerfreundlichkeit rattert sie die Eckdaten herunter: Baujahr 2014, 66 Quadratmeter Wohnfläche plus Kellerabteil und ein eigener kleiner Garten. Kaufpreis: 399.000 Euro.
Als Milla Mouhu die Wohnung vor einem Jahr zum ersten Mal auf den Immobilienseiten im Internet anbot, lag der Preis noch höher, bei 423.000 Euro, allerdings inklusive Garagenplatz. "Wir waren optimistisch, dass wir die Wohnung schnell verkaufen können, weil sich die Interessenten um Immobilien gerissen haben. Ich hatte zeitweise Kunden am Telefon, die etwas kaufen wollten, ohne das Objekt gesehen zu haben", sagt Milla Mouhu. "Das war verrückt." Der Konkurrenzdruck bei den Kaufinteressierten sei extrem hoch gewesen. Sie hätten sich teilweise gegenseitig überboten. Auch bei der Wohnung im 15. Bezirk habe es anfangs positiv ausgeschaut. Innerhalb kürzester Zeit gingen bei der Maklerin 15 Anfragen von Kaufinteressierten ein. Eine Familie aus Deutschland entschloss sich schließlich, zu kaufen. Milla Mouhu nahm die Wohnung aus den Immobilienportalen und bereitete alles für den Kauf vor. Doch im Sommer trat die Familie vom Vertrag zurück. Finanzierungsprobleme.
Seit dem vergangenen Herbst ist die Wohnung wieder auf dem Mark. Auf Anraten der Maklerin haben die Besitzer den Kaufpreis reduziert. Trotzdem hat Milla Mouhu die Wohnung bisher nicht verkaufen können. Der Immobilienmarkt habe sich verändert, und das nicht nur in Wien, sagt die Immobilienexpertin. Trends, die noch vor wenigen Monaten unumkehrbar schienen, haben sich gedreht: das knappe Angebot an Immobilien und das große Interesse an ihnen, die niedrigen Zinsen und die hohen Preise. In der Branche, die bis vor einem Jahr noch vor Selbstbewusstsein strotzte, herrsche jetzt Unsicherheit. Nicht nur Milla Mouhu berichtet, dass aktuell immer mehr Wohnungen auf den Markt kommen, die zuvor jahrelang leer standen, weil die Besitzer jetzt davon ausgehen, dass die Preisspitzen erreicht sind. Viele Immobilien ließen sich nicht mehr wie von selbst verkaufen und Verkäufer müssten mit ihren Preisvorstellungen teilweise heruntergehen.
Nach Angaben des Immobiliendienstleistungsunternehmens Re/Max wird das Immobilienangebot österreichweit um fast acht Prozent steigen. Gleichzeitig rechnen die Experten damit, dass die Nachfrage nach Wohnobjekten um mehr als elf Prozent einbricht, und erstmals seit dem Jahr 2015 werden die Preise für Immobilien sinken. Über alle Bundesländer und Immobilientypen hinweg erwarten die Experten einen Rückgang um 6,8 Prozent.
+8 % Angebot
Nach Angaben von Re/Max wird das Immobilienangebot österreichweit um fast acht Prozent steigen
-11 % Nachfrage
Die Re/Max-Experten rechnen damit, dass die Nachfrage nach Wohnobjekten um mehr als elf Prozent einbricht
-6,8 % Preisrückgang
Über alle Bundesländer und alle Immobilientypen hinweg erwarten die Experten einen Preisrückgang um 6,8 Prozent
Im Luxussegment bleiben Preise stabil
Was bedeutet diese Wende auf dem Immobilienmarkt für Menschen wie Lisa Holzer und Matthias Stecher? Können sie sich bald ein Häuschen im Grünen leisten?
In Wien-Hernals steht Makler Thomas Wagner im Vorgarten eines Einfamilienhauses, das gerade kernsaniert wird. Baujahr 1984, Wohnfläche 230 Quadratmeter, inklusive Garten, Indoorpool und Blick über Wien. Bei diesem Objekt lag der Kaufpreis vor einem Jahr bei etwa 1,5 Millionen Euro. Im Februar 2022 erwarb ein Immobilieninvestor das Haus, mit dem Plan, es erst zu sanieren und anschließend teurer weiterzuverkaufen. Doch mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs stiegen auch die Preise für Baustoffe. Der neue Hausbesitzer habe um 40 Prozent mehr Geld für Holz und Stahl ausgeben müssen. Auch die voll funktionsfähige Gasheizung musste herausgerissen werden, um moderne Energiestandards zu erfüllen. "Die Anfragen der Kunden haben sich in den vergangenen Monaten verändert", sagt Thomas Wagner. Plötzlich seien alle zu Experten im Energiesparen mutiert, deshalb riet der Makler dem neuen Hausbesitzer zu einer Zentralheizung mit Wärmepumpe. Das allein seien Mehrkosten von 50.000 Euro gewesen.
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Sorge um steigende Zinsen
Tatsächlich können sich immer weniger Haushalte überhaupt einen Immobilienkredit leisten, bestätigt Andreas Ederer, Leiter des Bereichs Immobilienfinanzierung bei der Onlineplattform durchblicker.at. Der Auslöser für diese Situation seien vor allem die gestiegenen Zinsen. Andreas Ederer kann das mit Zahlen veranschaulichen: Das variable Zinsniveau lag im Februar 2022 bei 0,25 Prozent. Im heurigen Februar liegen die variablen Zinsen im günstigsten Fall bei drei Prozent. "Das ist eine enorme Steigerung", sagt der Finanzierungsexperte. Was das für eine Familie wie die von Lisa Holzer und Matthias Stecher konkret ausmachen würde, rechnet Andreas Ederer vor: Im vergangenen Februar mussten Käufer für ein Darlehen von 300.000 Euro bei einer Laufzeit von 30 Jahren, monatlich etwa 870 Euro Kreditrate an die Bank zurückzahlen. Steigen die Zinsen wie zuletzt, erhöht sich diese monatliche Belastung auf fast 1.280 Euro. Und spätestens im April soll die nächste Zinserhöhung kommen - auf 3,5 Prozent.
Stellt sich also die Frage, wer unter diesen Umständen überhaupt noch ein Haus kaufen kann. Oder wer kann noch eines bauen?
Ende Gelände beim Hausbau
Eine Rohbausiedlung in Ebergassing, Niederösterreich, etwa 20 Kilometer von der Wiener Stadtgrenze entfernt. Hier stapft die Baumeisterin Nicole Seitz über den Acker. An diesem Morgen herrscht Hochbetrieb. Handwerker tragen den Putz auf, Fenster werden eingesetzt. 63 Wohneinheiten in Form von Reihen-, Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften sind hier geplant. 47 davon wurden bereits gebaut und verkauft. Nicole Seitz arbeitet für das Unternehmen Etzi-Haus, das seit mehr als 30 Jahren auf den Bau von Ein-und Mehrfamilienhäusern in Österreich spezialisiert ist. "Wir haben von der Corona-Situation profitiert", sagt Seitz. Die Auftragsbücher 2021/2022 seien mehr als voll gewesen. Ein halbes Jahr nach dem ersten bundesweiten Lockdown im Jahr 2020 habe sie die ersten Häuser, die in Ebergassing entstehen sollten, in Onlineimmobilienportalen angeboten. "Danach standen hier die Leute Schlange wie im Supermarkt, damit sie noch ein Haus bekommen", sagt Seitz. Ihr Kollege habe im Stundentakt die Kaufverträge geschrieben.
Seit Mitte vergangenen Jahres habe sich die Lage gedreht. "Die Anfragen waren zwischenzeitlich um 80 Prozent eingebrochen", sagt Seitz. Die Gründe dafür seien vielseitig. Denn neben gestiegenen Zinsen, Baukosten, Energie-und Grundstückspreisen wurde auch das System der Zwischenfinanzierung geändert.
So planten auch Lisa Holzer und Matthias Stecher noch vor einem Jahr, ihre Wiener Eigentumswohnung zu verkaufen, um ihren Wohntraum am Land zu finanzieren. Weil das Paar die Wohnung aber erst verkauft hätte, wenn es umgezogen wäre, hätte es diese Zeit mit einer Zwischenfinanzierung stemmen müssen. Das war bis vergangenen Sommer möglich, aber die Richtlinien haben sich geändert. Jetzt kann die Jungfamilie erst eine neue Immobilie erwerben, wenn das Geld aus dem Verkauf der Eigentumswohnung auf dem Konto gelandet ist. "Das ist praktisch unmöglich. Wo sollen wir denn in der Zwischenzeit wohnen?", fragt Matthias Stecher. Dieses Problem haben die Kunden von Baumeisterin Nicole Seitz nicht, wenn sie bereits im Jahr 2021 ein Haus gekauft haben. "Aber die meisten von ihnen entschieden sich für eine Finanzierung mit variablen Zinsen. Denen fällt das jetzt auf den Kopf", sagt Seitz. Eine Familie in Ebergassing sei bereits vom Kaufvertrag zurückgetreten, weil sie sich die Kreditraten nicht mehr leisten konnte. Die 16 verbleibenden Wohneinheiten, die erst im kommenden Herbst in Ebergassing gebaut werden, kosten mittlerweile rund 100.000 Euro mehr als die gleichen Häuser vor zwei Jahren. Der Verkauf laufe bisher eher schleppend. "Unsere Klientel hat sich verändert. Wirkliche Jungfamilien können sich das Hausbauen nicht mehr leisten", sagt die Baumeisterin.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Düstere Zeiten also für Durchschnittsverdiener ohne viel Eigenkapital. Gegen hohe Zinsen und hohe Kosten hilft naturgemäß mehr eigenes Geld. Von der jetzigen Situation profitieren vor allem Menschen, die sehr gut verdienen und Geld sparen konnten oder geerbt haben. "Die werden jetzt zu guten Preisen kaufen können, weil sie weniger Konkurrenz haben", sagt Makler Wagner. Seine Kollegin Milla Mouhu sieht das ähnlich, rät aber Familien, wie der von Lisa Holzer und Matthias Stecher, den Markt genau zu beobachten: "Teilweise kann man Wohnungen und kleine Häuser nicht nur zu einem günstigeren Preis bekommen, sondern jetzt kann man auch versuchen, zu handeln", sagt Milla Mouhu. Das sei vor einem Jahr noch undenkbar gewesen.
Der Finanzierungsexperte von durchblicker.at, Andreas Ederer, rät zudem, auf einen fix verzinsten Kredit umzusteigen, die Zinsen dafür seien zuletzt wieder leicht gesunken. "Banken und Bausparkassen trifft der Rückgang im Neukundengeschäft aktuell besonders stark", sagt Ederer. Als Reaktion darauf würden einige Institute attraktive Konditionen anbieten. Deshalb sollten Konsumenten mehrere Angebote einholen und vergleichen. Auch die strengen Richtlinien bei der Zwischenfinanzierung sollen ab April wieder ein wenig gelockert werden, das wurde erst vergangene Woche bekannt.
Lisa Holzer und Matthias Stecher sind mittlerweile Eltern geworden. Sie leben noch immer in ihrer Eigentumswohnung und haben den Traum vom Haus im Grünen schon fast aufgegeben. "Wir müssen Abstriche bei der Suche machen, alles andere ist unrealistisch", sagt Stecher. "Aber vielleicht haben wir in Zukunft ein bisschen Glück."
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 08/2023 erschienen.
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