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Wenn Konzerne ablenken: Wie Industrie mit ehrlichen Forschungsergebnissen die Wahrheit verzerrt

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4 min

©Pexels/Shvetsa

Großkonzerne finanzieren Studien, um von den Risiken ihrer Produkte abzulenken – mit korrekten, aber irreführenden Ergebnissen, wie eine aktuelle Analyse von zwei US-amerikanischen Wissenschaftlern zeigt.

Es klingt zuerst einmal paradox: Unternehmen fördern wissenschaftlich exzellente Forschung – nicht etwa, um Probleme zu lösen, sondern um davon abzulenken. Zwei Philosophen aus den USA legen nun offen, wie gezielte Studienfinanzierung durch Konzerne die öffentliche Wahrnehmung manipuliert, ohne ein einziges falsches Wort zu verlieren.

Die Philosophin Cailin O’Connor (University of California, Irvine) und ihr Kollege David Freeborn (Northeastern University) zeigen in ihrer jüngsten Studie, dass Großunternehmen Forschungsvorhaben nicht zufällig wählen. Die Ergebnisse der geförderten Arbeiten sind zwar korrekt und qualitativ hochwertig – aber dennoch irreführend. Der Trick: Statt Falschinformationen zu verbreiten, lenken die Studien die Aufmerksamkeit auf andere, sekundäre Ursachen. Das Hauptproblem bleibt im Schatten.

Coca-Cola: Bewegung statt Zucker

Ein prägnantes Beispiel liefert Coca-Cola. Der Getränkeriese finanzierte unter anderem das Global Energy Balance Network – eine Organisation, die die Rolle von körperlicher Aktivität im Kampf gegen Fettleibigkeit hervorhebt. Dass Zucker und schlechte Ernährung maßgebliche Faktoren für die globale Adipositas-Krise sind, tritt dabei in den Hintergrund. Die Botschaft: Wer übergewichtig ist, bewegt sich einfach zu wenig. Eine gefährliche Verkürzung, wie viele Gesundheitsexpert:innen kritisieren.

„Menschen glauben, dass Fehlinformationen immer falsch sein müssen“, erklärt Freeborn. „Aber es gibt wissenschaftlich fundierte Aussagen, die alle Standards guter Forschung erfüllen – und trotzdem in ihrer Wirkung täuschend sein können.“ Die Grenzen zwischen Information und Desinformation verschwimmen.

Tabak, Asbest und frühe Heirat

Auch die Tabakindustrie hat über Jahrzehnte hinweg diese Strategie perfektioniert. Anstatt den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrankheiten offen einzugestehen, investierten Zigarettenkonzerne in Studien zu alternativen Ursachen – von Luftverschmutzung über Asbest bis hin zu kuriosen Faktoren wie „frühe Heirat“. Das Ziel: Zweifel säen, Ursachen streuen – und Verantwortung abschütteln.

„Die Forschungsergebnisse erzeugen ein wissenschaftlich klingendes Echo konkurrierender Ursachen“, sagt O’Connor. Für Konsument:innen wird es dadurch immer schwieriger, richtige Gesundheitsentscheidungen zu treffen. Die Informationslage erscheint ausgewogen – ist aber systematisch verzerrt.

Gefahr für Politik und Gesellschaft

Solche Ablenkungsstrategien zeigen Wirkung, selbst bei gut informierten Menschen. Die Konzentration auf Nebenschauplätze verändert die öffentliche Debatte und kann politische Entscheidungen verzerren – etwa wenn Regulierungen verzögert oder verwässert werden.

Die Forscher:innen schlagen konkrete Gegenmaßnahmen vor:

  • Forschungsmittel aus Industriehand sollen künftig über ein Lotteriesystem vergeben werden, um Einflussnahme zu erschweren.

  • Unternehmen, die Studien fördern, sollen verpflichtet werden, gleichzeitig auf potenzielle Risiken ihrer Produkte hinzuweisen.

„Nur so“, schreiben O’Connor und Freeborn, „können wir sicherstellen, dass nicht finanzielle Interessen bestimmen, welche Wahrheiten in der Öffentlichkeit dominieren.“

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