Rund 1,3 Millionen Menschen arbeiten in Teilzeit. Für den Staat bedeutet das, dass die Finanzierung des Sozialsystems schwieriger wird, die Wirtschaft klagt über Arbeitskräftemangel. Die Mehrheit sagt: Die Kürzung von Leistungen wird das Problem nicht lösen
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So schnell konnte Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher gar nicht zurückrudern - der Ärger, den er sich mit dem Thema Leistungskürzungen für Teilzeitarbeitende eingehandelt hat, ist nachhaltig. Dabei war es nur ein Satz, den er sich Mitte Februar in einem Interview mit dem Kurier erlaubt hatte: "Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen." Vom grünen Regierungspartner bis zur Opposition hagelte es Kritik und tags darauf schränkte der Minister bereits ein: Frauen mit Betreuungspflichten seien nicht gemeint gewesen. Dennoch: 85 Prozent der Österreicher haben den Kocher-Sager mitbekommen. Ein ungewöhnlich hoher Wert, wie Christina Matzka von "Triple M Matzka Markt- und Meinungsforschung" meint. "Es ist erstaunlich, wie sehr Kochers Vorstoß bei der Bevölkerung einschlägt, obwohl er lange keine weiterführende Erklärung abgegeben hat."
Die Ablehnung für eine vage formulierte Kürzung von Sozialleistungen ist breit. Sogar innerhalb der ÖVP-Wählerschaft - Kocher gehört dem schwarzen Regierungsteam an - ist mehr als die Hälfte gegen Einschnitte für Teilzeitbeschäftigte, am stärksten ist die Ablehung bei SPÖ- und Grün- Wählerinnen und -Wählern.
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Junge arbeiten eher vollzeit
Am ehesten kann Kocher bei den Unter-30-Jährigen punkten. Matzka führt das darauf zurück, dass in dieser Altersgruppe mehr Menschen Vollzeit arbeiten, weil sie noch keine Betreuungspflichten haben. Gleichzeitig findet sich aber unter den Argumenten, warum es Nachteile für Teilzeit geben sollte, zu sechs Prozent die Erklärung, junge Menschen würden ja gar nicht mehr voll arbeiten wollen. Und noch ein Detail zur Freiwilligkeit von Teilzeitarbeit: Ingesamt 51 Prozent der befragten Teilzeitkräfte sagen, sie könnten wegen Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen nicht Vollzeit arbeiten. Darunter kein einziger Mann. Matzka: "Wir sehen aus den Daten sehr deutlich: Unfreiwillige Teilzeitarbeit wegen Betreuungspflichen ist immer noch eindeutig weiblich."
85 Prozent der Befragten haben die Aussage von Arbeitsminister Martin Kocher über die Kürzung von Sozialleistungen für Teilzeitbeschäftigte wahrgenommen.
Die Debatte um die Teilzeitarbeit geht weiter
Kochers Vorstoß mag von der Sorge um die weitere Finanzierbarkeit des Sozialsystems getragen gewesen sein. Eingebracht hat sie ihm jedenfalls auch parteiintern schärfere Rügen. Seither rückt er nun also aus, um seine Position zu erklären, lässt aber weiterhin offen, welche Sozialleistung er bei seiner Aussage überhaupt gemeint hatte. "Ich habe jetzt nicht sofort die Lösung parat", erklärte er etwa in der ZiB2 im Gespräch mit Martin Thür und mahnte eine faktenbasierte Debatte ein. Ihm gehe es, so Kocher, darum, Vollzeitarbeit attraktiver zu machen und "Hindernisse", die es für Frauen gibt, zu beseitigen - etwa durch den Ausbau der Kinderbetreuung, ein Thema, das vor allem von der ÖVP über die Jahre verzögert wurde. AMS-Chef Johannes Kopf zeigte tags darauf, wie man eine solche Debatte faktenbasiert angehen kann: Er wies darauf hin, dass die Geringfügigkeitsgrenze von 500 Euro überdacht werden muss, will man Teilzeitarbeit eindämmen. Und er plädierte für eine flächendeckende Gratis-Kinderbetreuung.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 09/2023 erschienen.