Ryanair-Chef Michael O’Leary spricht im Interview über seine Expansionspläne, unnötigen Luxus beim Fliegen und weshalb er niemals in den Weltraum fliegen wird
Der Kurzbesuch von Michael O’Leary in Wien passte perfekt zum Unternehmen: Fakten und Forderungen verkünden, kurz für Fotos pausieren, Fragen beantworten, ein paar Sprüche loslassen – keine Zeit für Schnickschnack, kein unnötiger Ballast. O’Leary ist eben Ryanair, er hat die Billigfluglinie zur Nummer eins in Europa gemacht mit seinem Fokus auf Kosten und Fliegen ohne Extras. Für die Fragen von News hat er sich aber dann doch Zeit genommen.
Ryanair hat in den letzten Jahren expandiert. Glauben Sie, dass es eine Grenze für das Wachstum einer Billigfluggesellschaft gibt?
Irgendwann gibt es eine natürliche Grenze. Unsere Wachstumsrate verlangsamt sich, je größer wir werden. Vor fünf Jahren sind wir mit rund 15 bis 20 Prozent pro Jahr gewachsen, jetzt sind es zehn Prozent. Wenn wir im Sommer 2027 neue Flugzeuge in Empfang nehmen, werden wir eine Fluggesellschaft mit 220 Millionen Passagieren sein, aber nur noch 10 bis 15 Millionen Passagiere hinzufügen, das Wachstum wird also auf vier bis fünf Prozent zurückgehen. Ich denke aber, dass es in Europa noch viel Wachstumspotenzial gibt. Erstens, weil es einige Volkswirtschaften gibt, insbesondere in Osteuropa, mit Staaten wie Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn, wo die Durchschnittseinkommen steigen und die Menschen einen kräftigeren Wunsch nach Reisen haben. Je reicher Europa wird, desto mehr Freizeit haben wir und es gibt mehr Arbeit im Homeoffice. Solange die Flugkosten niedrig bleiben, wird das Wachstum also weitergehen. Ein Teil unseres Wachstums wird von Wettbewerbern wie Lufthansa und Austrian Airlines kommen, die teurere Tarife haben.
Ist es eine existenzielle Bedrohung für Ryanair, wenn Boeing Flugzeuge nicht liefern kann?
Es wäre keine existenzielle Bedrohung, aber es würde unser Wachstum verlangsamen. Ich meine, Boeing hat uns diesen Sommer etwa 20 Flugzeuge zu wenig geliefert. Wir sollten 50 Flugzeuge erhalten, aber sie haben nur 30 geliefert. Das hat unser Wachstum gebremst. Ursprünglich hatten wir geplant, in diesem Jahr etwa 205 Millionen Passagiere zu befördern, es werden etwa 199 bis 200 Millionen sein. Nächstes Jahr hatten wir geplant, auf 225 Millionen zu wachsen, aber wegen der Lieferverzögerungen werden wir wahrscheinlich nur auf 215 Millionen kommen. Aber diese Verzögerungen sind sicherlich nicht existenziell.
Ist Ryanair ein Beispiel für ein Unternehmen, das erfolgreich sein kann, indem es sich an einige wenige Prinzipien hält?
Ich denke, die meisten erfolgreichen Unternehmen halten sich an ein paar wenige Prinzipien. Das beste Beispiel ist Coca-Cola. Sie stellen seit mehr als 100 Jahren kohlensäurehaltiges Wasser her. Solange man diszipliniert bleibt und die richtigen Leute dafür hat, um es umzusetzen, kann man erfolgreich sein. Aber es wird schwieriger, je älter ein Unternehmen wird – nächstes Jahr wird Ryanair 40 Jahre alt. Es wird herausfordernder, das Geschäftsmodell immer wieder neu zu erfinden. Zum Glück konkurrieren wir mit teuren Fluggesellschaften wie Lufthansa, Austrian Airlines und Air France. Wir müssen nicht brillant sein, wir müssen nur günstigere Preise haben.
Wir sollten die Vergangenheit nicht glorifizieren, aber Fliegen scheint vor zehn oder 20 Jahren viel angenehmer gewesen zu sein. Was meinen Sie?
Ich glaube, das ist grundlegend falsch. Früher war das Fliegen sicherlich luxuriöser, es war ein Erlebnis, besonders vor 30 oder 40 Jahren, mit Erster Klasse und weißen Handschuhen. Aber weniger als ein Prozent der Menschen konnte es sich leisten zu fliegen. Es war also ein sehr luxuriöses Erlebnis für weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Heute ist es ein weitaus weniger luxuriöses Erlebnis, aber die Flugkosten sind für vielleicht 90 Prozent der Bevölkerung erschwinglich. Was wir getan haben, ist das Fliegen zu demokratisieren. Wir haben es von einer Erfahrung wie auf einem transatlantischen Ozeandampfer zu etwas gemacht, das eher einer Bus- oder Bahnfahrt entspricht. Und ich glaube fest daran, dass der Binnenmarkt der EU eine der größten Errungenschaften der letzten 30 Jahre ist, insbesondere in Bezug auf die drastische Senkung der Flugkosten. Ich bin sehr stolz auf die Rolle, die Billigfluggesellschaften dabei gespielt haben. Wenn man sich Programme wie Erasmus ansieht, bei denen Studierende durch ganz Europa reisen, waren sie früher mit dem Interrail-Ticket unterwegs, heute fliegen sie mit Ryanair, weil es so erschwinglich ist. Zweifellos hat sich das Erlebnis des Fliegens für das eine Prozent verändert, aber für die anderen 99 Prozent ist es erheblich besser geworden. Vor 30 Jahren konnten wir uns in Irland kaum Flüge leisten, heute können wir fast überall in Europa hinfliegen.
Genießen Sie es selbst, zu fliegen?
Ich genieße das Fliegen, aber ich will vor allem von A nach B kommen. Ich mag die Freiheit, die das Fliegen mir gibt. Heute früh bin ich um 4.30 Uhr in Dublin aufgestanden, war um 7 Uhr im Flugzeug nach Wien, bin um 11 Uhr hier angekommen und werde heute Abend zum Abendessen in London sein, dort habe ich morgen eine Investorenkonferenz. Als ich in den 60er- und 70er-Jahren in Irland aufgewachsen bin, war der einzige Weg nach England die Fähre. Heute fliegen wir überall hin und das hat unser Leben dramatisch verändert. Auch meine vier Teenagerkinder fliegen ganz selbstverständlich durch Europa, das ist für sie völlig normal. Für mich ist es eine Revolution in unserer Lebenszeit und Europa ist dadurch viel besser geworden.
Ryanair in Österreich
Wachsen & Fordern
In Österreich bietet Ryanair Flüge von vier Flughäfen an und bedient 89 Routen. Im Winterflugplan kommen zwei wöchentliche Flüge von Linz nach London dazu, ab Wien wird Tirana angeflogen. Heuer will die irische Airline auf sieben Millionen Passagiere in Österreich kommen. Es wären mehr möglich, würde es nicht die laut Österreich-Chef Andreas Gruber „zu hohe“ Luftverkehrssteuer von zwölf Euro pro Passagier geben. So wie in Schweden sollte diese abgeschafft werden, fordert Ryanair. Die Steuer sei einer der Gründe, weshalb das Verkehrsaufkommen noch nicht das Niveau von vor der Covid-Pandemie erreicht habe, moniert Ryanair-Chef O’Leary. Auch die Kosten des Flughafens Wien wurden einmal mehr beklagt. Abgesehen davon wird das Unternehmen weiter wachsen – selbst wenn das Volumen derzeit stark, die Preise aber schwach sind und der Profit deshalb heuer weniger kräftig ausfallen dürfte.
In welcher Hinsicht besser?
Sehen wir uns nur den Fall des Kommunismus und der Berliner Mauer sowie den Beitritt von Ländern wie Tschechien und der Slowakei zur EU an. Ein Großteil davon wäre ohne den europaweiten Billigflugverkehr nicht möglich gewesen. Je mehr wir die Europäer zusammenbringen, desto mehr ist das eine Verteidigung gegen verrückte Politiker, die uns alle in den Krieg schicken wollen. Deshalb ist es so wichtig, dass Europa Putin in der Ukraine besiegt und wir sollten die Ukraine dabei unterstützen. Ich war voriges Jahr in Kiew. Wir haben mit der ukrainischen Regierung einen Wiederaufbauplan erarbeitet. Innerhalb von sechs Wochen nach Kriegsende und der Wiederöffnung des Luftraums werden wir 25 Strecken in die Ukraine aus Städten in ganz Europa eröffnen, von denen Wien eine sein wird. So etwas kann nur der Billigflugverkehr leisten.
Also sind Sie bereit, zurück in die Ukraine zu kommen, sobald Frieden herrscht?
Ja, wir werden wieder in die Ukraine fliegen, auch weil wir eine Rolle beim Wiederaufbau des Landes spielen wollen – aber auch, weil zwölf bis 14 Millionen Ukrainer über ganz Europa ver- streut wurden. Wir möchten Freunde und Familien wieder vereinen.
Zum Thema Klimawandel: Ryanair will mehr Flugzeuge einsetzen, die weniger Treibstoff benötigen. Aber können Klimaschutz und Billigflug gesellschaften jemals auf einen Nenner gebracht werden?
Ja, ich glaube, der einzige Weg, wie die Luftfahrtindustrie gegen den Klimawandel kämpfen kann, ist der Weg der Billigfluggesellschaften. Was sind denn die größten Umweltsünder? Langstreckenflugzeuge machen 53 Prozent der CO2-Emissionen der europäischen Luftfahrt aus mit ihrer Business- und First-Class, mit großen Sitzen und viel Müll. Billigfluggesellschaften packen auf Kurzstreckenflügen die Flugzeuge voll und sind viel effizienter unterwegs. Wir haben weit weniger CO2 pro Passagier und Kilometer als Langstrecken-Airlines. Wir investieren in neue Flugzeuge, die 20 Prozent mehr Sitzplätze haben, aber 20 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen. Ich tue das, weil ich als Buchhalter weniger Treibstoff kaufen will, aber der Umstand, dass es auch die Emissionen stark reduziert, ist ein positiver Nebeneffekt. Man kann Wachstum im Luftfahrt- und Tourismusbereich haben, aber es muss mit neuer Luftfahrttechnologie geschehen. Was ich für falsch halte, sind diese absurden Luft- und Umweltsteuern, die nur die Regierungen reicher, aber das Reisen teurer machen und den Tourismus in Ländern wie Österreich schädigen, wo doch Tourismus hier eine der größten Branchen ist.
Das heißt, es wird niemals Langstreckenflüge von Ryanair geben.
Nie ist zu weit weg, um es endgültig zu sagen. Wir haben für das nächste Jahrzehnt kein Interesse daran, Langstreckenflüge durchzuführen. Wir haben auch keine Flugzeuge bestellt, die uns in den nächsten zehn Jahren dazu in die Lage versetzen würden. Aber wer weiß, was in zehn Jahren passieren wird? Ich werde dann im Ruhestand sein.
Sie fordern von der nächsten Regierung eine Abschaffung der Luftverkehrsabgabe. Ist es nicht eher realistisch, dass es im Gegensatz sogar mehr Steuern für die Luftfahrt industrie geben wird?
Nein, ich denke, ebenso wie für Grüne in den Regierungen dreht sich auch die Richtung bei Luftfahrtssteuern. Die großen Tourismuswirtschaften in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland haben schon erkannt, dass das nicht der richtige Weg ist. Wenn man auf einer italienischen Insel lebt, gibt es keine Alternative zum Fliegen – aber wir müssen auf eine nachhaltigere, umweltfreundlichere Art fliegen, mit Flugzeugen, die mehr Passagiere befördern, aber weniger Treibstoff verbrauchen.
Apropos Ruhestand: Sie haben Ryanair zur größten Fluggesellschaft in Europa gemacht. Gibt es noch einen anderen Wirtschaftsbereich, in dem Sie sich gerne versuchen würden?
Nein. Ryanair ist ja die größte Fluggesellschaft der Welt, wir liegen mit unseren derzeit 200 Millionen Passagieren Kopf an Kopf mit Southwest Airlines. Unser Ziel ist es, Ryanair in den nächsten acht Jahren auf 300 Millionen Passagiere zu bringen. Wir haben viel vor. Es gibt viele spannende Pläne mit Ryanair, daher habe ich keine Pläne, woanders hinzugehen.
Sie brauchen also keine zusätzliche Motivation, um jeden Tag aufzu stehen?
Die einzige Motivation, die ich brauche, wenn ich jeden Tag aufstehe, ist die Erkenntnis, dass ich vier Teenager-Kinder habe. Deshalb möchte ich so wenig Zeit wie möglich zu Hause verbringen und so viel Zeit wie möglich bei der Arbeit.
Der neueste Trend sind Millionäre im Weltraum. Wäre die Raumfahrt auch etwas für Sie oder bleiben Sie lieber am Boden?
Ich kann nicht verstehen, warum irgendjemand in den Weltraum möchte. Wozu? Ich meine, wir haben alle die Bilder gesehen. Es ist ein bisschen so, wie die armen Leute, die in einem U-Boot zum Titanic-Wrack gefahren sind. Warum? Es gibt nichts zu tun im Weltraum. Ich verbringe viel lieber irgendwo ein schönes Wochenende mit meiner Frau, zuletzt waren wir am Comer See. Was sollte ich im Weltraum tun? Aus dem Fenster auf die Erde und den Mond schauen? Das scheint mir eine komplette Verschwendung von Zeit und Ressourcen zu sein.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 40/2024 erschienen.
Zur Person
Michael O'Leary, 63
ist CEO von Ryanair. Der Ire hat das 1985 gegründete Unternehmen mit einem Fokus auf Kostensenkung und schrägem Marketing zur größten Fluggesellschaft in Europa gemacht.