News Logo
ABO

Palantir: Der allwissende Daten-Krake

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
12 min

Palantir ist das rätselhafteste US-Tech-Unternehmen – und eines der mächtigsten. FBI, CIA, aber auch Investmentbanker und Cyberkriminelle nutzen seine durch Künstliche Intelligenz gestützten Analyseprogramme. Der Datenschutz, so Kritiker, bliebe dabei oft auf der Strecke. Der Amtsantritt von Donald Trump beflügelt jetzt die Entwicklung des Konzerns. Von Christian Neuhold

Alex Karp trägt das Haar über der hohen Stirn gerne in bestem Albert-Einstein-Look – wild und lockig. Der 57-Jährige leitet ein Unternehmen, ohne das kein westlicher Geheimdienst und viele Polizeidienststellen mehr auskommen können. Seine Software sagt Terroranschläge voraus, bevor sie passieren, genauso wie Verbrechen oder die Entwicklung von Aktienkursen.

Für die einen ist Palantir das Einhorn aller Einhörner, also die aussichtsreichste Aktie an der US-Technologiebörse NASDAQ. Für Kritiker ist es das wahr gewordene Orwell’sche Horrorszenario der totalen Überwachung. Tatsache ist, dass kaum ein US-Technologieunternehmen so mächtig ist wie das 2003 von Alex Karp mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung des Investors Peter Thiel gegründeten Technologieunternehmens – und so geheimnisumwittert.

Goldene Zukunft für Big Data

Denn der Algorithmus, mit dessen Hilfe Palantir-Programme in die Zukunft blicken, ist mindestens so geheimnisumwittert wie die allwissenden Steine, die der Held Aragorn im Blockbuster „Herr der Ringe“ nach der Zukunft von Mittel­erde befragt. Nach diesen Steinen hat Karp übrigens sein Unternehmen benannt. Denn er verspricht seinen Kunden heute nichts weniger als die digitale Allwissenheit.

Größenwahn? Möglicherweise, aber verpackt in ausgefeilte, mit Künstlicher Intelligenz aufgepumpte Computerprogramme, die das Zeug dazu haben, unsere Welt grundlegend zu verändern. Damit passt Palantir perfekt zum neuen US-Präsidenten Donald Trump, der sein Amt ja mit dem festen Willen angetreten hat, eine neue Welt möglichst im Sinne ultralibertärer Technologiemilliardäre und anderer Superreicher umzukrempeln und die Führungsrolle der USA in der Welt mit allen Mitteln zu erhalten.

Eine erste Kostprobe dieser unheiligen Allianz ist die derzeit mit Hochdruck in den USA laufende Suche nach illegalen Einwanderern, die mit Polizei- und Militärgewalt in ihre Heimatländer abgeschoben werden sollen. Die Basis dazu liefern umfassende Datenanalysen, die auch mithilfe von Palantir-Programmen von Homeland Security, FBI und anderen US-Behörden durchgeführt werden.

Walter Unger, langjähriger Brigadier in der Cyberabwehrtruppe des österreichischen Bundesheers und heute dort als Berater tätig: „Die Programme von Palantir sind in der Lage, riesige Datenmengen von unterschiedlichen Datenbanken und in unterschiedlichen Dateiformaten in kürzester Zeit zu durchsuchen. Dabei werden in den USA etwa Daten unterschiedlichster Behörden, wie dem FBI, der CIA oder dem Pentagon, zusammengeführt. Sie werden nach Auffälligkeiten durchsucht. Treffer werden an die Exekutive weitergeleitet, deren Mitarbeiter die letzte Entscheidung treffen.“ Was im konkreten Fall eben den Abschiebebescheid bedeutet.

Blurred image background

Der charismatische Alex Karp, 57, hat Palantir vor 22 Jahren gegründet, um per Datenanalyse Terroristen auf die Spur zu kommen. Heute kommen kein westlicher Geheimdienst und viele Militärs weltweit ohne seine Dienste aus. Karp hat in den USA Jura studiert und in Deutschland bei Habermas und Brede in Sozialpsychologie promoviert

 © picturedesk.com, AP, Thibault Camus

Meisterstück des Kapitalismus

Mit Palantir ist CEO Alex Karp und Investor Peter Thiel, beide übrigens mit deutschen Wurzeln, ein Meisterstück des digitalen Kapitalismus gelungen. Ende Jänner stand die Palantir-Aktie bei 75,44 US-Dollar (72,85 Euro), ein Plus von über 260 Prozent seit dem Börsengang im Jahr 2020. Der Börsenwert beträgt derzeit 165 Milliarden (!) Dollar, obwohl Meisterstück des Kapitalismus

Mit Palantir ist CEO Alex Karp und Investor Peter Thiel, beide übrigens mit deutschen Wurzeln, ein Meisterstück des digitalen Kapitalismus gelungen. Ende Jänner stand die Palantir-Aktie bei 75,44 US-Dollar (72,85 Euro), ein Plus von über 260 Prozent seit dem Börsengang im Jahr 2020. Der Börsenwert beträgt derzeit 165 Milliarden (!) Dollar, obwohl das Unternehmen mit derzeit 4.000 Mitarbeitern erst 2023 seinen ersten zarten Gewinn geschrieben hat. Zum Vergleich: Mercedes hat mit mehr als 160.000 Mitarbeitern trotz tiefer Krise im dritten Quartal 2024 noch ein Konzernergebnis von 1,7 Milliarden Euro eingefahren, wird an der Börse aber nur mit rund 60 Milliarden Euro bewertet.

Erst Ende Jänner 2025 haben die Experten des Finanzdienstleisters Wedbush ihr Kursziel für Palantir stark angehoben. Grund dafür ist das wachsende Vertrauen in die KI-Strategie des Unternehmens, das laut den Analysten das Potenzial hat, sich neben Tech-Giganten wie Oracle und Salesforce als führender KI-Player weltweit zu etablieren. Das aktuelle Kursziel von Wedbush für Palantir liegt bei 90 Dollar, ein Plus von 14 Prozent gegenüber dem heutigen Kurs. Wedbush-Analyst Dan Ives: „Derzeit glauben wir, dass die Trump-Administration zusätzlichen Rückenwind für Palantir bedeutet. Grundsätzlich befindet sich das Unternehmen in einer günstigen Position, um von einer regelrechten Flutwelle von Ausgaben der US-Regierung für Künstliche Intelligenz zu profitieren.“

Das hört Alex Karp, der laut Eigenaussage Winnetou und Old Shatterhand liebt und sich in einer Umlaufbahn wie Tesla- und X-Chef Elon Musk sieht, mit Freude. Denn er glaubt, dass sogar noch wesentlich mehr für sein Unternehmen drin ist. Der Grund: Elon Musk, mit dem er auch privat befreundet ist, startet gerade einen Job als Effizienzbeauftragter der Regierung Trump. Die Effizienz von Behörden kann durch den Einsatz der Palantir-Vorhersage-Software enorm gesteigert werden. Er habe da volles Vertrauen in den guten Elon, ließ Karp via Presseaussendung bereits mitteilen.

Die Macht der Daten löst Ängste aus

Palantir, das laut Karp als Antwort auf die Terrorangriffe auf das World Trade Center 2001 gegründet wurde, sieht sich als Retter im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus und das Verbrechen im Allgemeinen. Er wolle mit seiner Firma nur „Gutes“ bewirken, wie der 57-jährige Sohn eines Hippiepaares nicht müde wird zu betonen. Und weist dabei immer auf seine Vita hin. Immerhin habe er bei Jürgen Habermas und Karola Brede Vorlesungen zur Sozialpsychologie in Frankfurt gehört und auch dort promoviert, beides ja Vertreter einer linken Soziallehre. Sein Unternehmen sieht er als „Künstlerkolonie“, denn seine Programmierer und Mathematiker arbeiten auf der Grundlage von Ahnungen, ganz im Gegensatz zu klassischen Wissenschaftlern, die alles aus jeder Perspektive beleuchten.

Das US-Militär setzt Palantir-Software bei der Vorbereitung von Kampfhandlungen und direkt in der Schlacht ein, etwa in Afghanistan oder bei der Jagd auf Osama bin Laden. Darauf in einem seiner höchst raren Interviews angesprochen, antwortet Karp flapsig: „Unser Produkt wird zum Töten von Menschen verwendet.“ Wenn dann die Programme auch noch „Gotham“ oder „Metropolis“ heißen, sollte er sich über Kritik an seinem Unternehmen nicht wundern.

Zivile Aufgaben und geheime Infos

Palantir kann eben ganz zivile Aufgaben lösen, etwa für eine Firma vorherzusehen, was sie wann einkaufen muss, um optimal zu produzieren. Darauf vertrauen bereits heute Konzerne wie Airbus, BMW und Ferrari. Oder sie kann unerhört Geheimes, etwa vorauszusagen, wo sich demnächst Hamas- oder Hisbollah-Führer aufhalten werden. Daten, die Israels Verteidigungsministerium auch im aktuellen Nahostkonflikt nutzt. Oder die Ukraine, die mithilfe von Palantir-Software den Angriff auf die russischen Truppen in der Region Kursk präzise planen konnte.

In Deutschland sorgt Palantir bereits für Aufregung. Die Polizeibehörde in Hessen setzt das Programm Gotham unter dem weniger belastenden Namen Hessendata zur Verbrecherjagd ein. Durchaus mit Erfolg, denn dank Palantir konnte ein Kinderporno-Ring in Bergisch Gladbach aufgedeckt werden. Doch für den Einsatz der Software in einer Art digitaler Rasterfahndung zur Bekämpfung des islamistischen Terrors und der organisierten Kriminalität wurde das hessische Innenministerium von Datenschützern mit dem „Big Brother“-Award bedacht, da diese darin einen weiteren großen Schritt in Richtung Kontroll- und Überwachungsstaat gesehen haben. In Nordrhein-Westfalen und Bayern wurden eigens die Polizeiaufgabengesetze geändert, um Palantir verwenden zu dürfen, denn ursprünglich hätte das gegen den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Bürger verstoßen. Denn auf die Dienste der Datenanalysten aus Denver wollte man denn doch nicht verzichten.

Blurred image background

Der umstrittene Hightech-Investor Peter Thiel ist ein Jugendfreund von Alex Karp und hat den Beginn von Palantir finanziert. Sein Investment hat sich inzwischen mehr als zweihundertfacht

 © picturedesk.com, Jens Schwarz, laif

Österreich verzichtet

Neben dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Privatsphäre gibt es aber noch ein nicht zu unterschätzendes Problem. Wie alle US-amerikanischen Softwarekonzerne unterliegt Palantir dem „Patriot Act“. Walter Unger: „Das bedeutet, dass die Betreiber im Ernstfall sämtliche ihrer Daten an US-Behörden weitergeben müssen, auch sensible Daten jener Firmen und Institutionen, für die Palantir im Ausland arbeitet. Das war neben den Kosten ein weiterer Grund, warum Österreich auf den Einsatz dieser Produkte verzichtet hat.“ Was übrigens nicht einfach war, denn es gibt keine passende Software aus Österreich, die derartige Aufgaben erfüllen kann.

Fokus auf zivile Nutzung

Was als Kampf gegen den Terrorismus begonnen hat, hat sich längst zu einem Kampf um den Konsumenten gewandelt. Alex Karp hat heute vorwiegend private Unternehmen als Kunden im Fokus, denn dort lässt sich mit Datenanalyse und Big Data ungleich mehr verdienen als mit Behörden und dem Militär. Seit einem Jahr veranstaltet Palantir eigene Bootcamps, in denen Karps Verkäufer potenziellen Firmenkunden unter Zugriff auf deren interne Datenbanken innerhalb von zehn Stunden Lösungen auf Basis der Palantir-Algorithmen entwickeln. 2024 stieg die Zahl der Unternehmenskunden dadurch um 44 Prozent.

Gut möglich, dass hinter dem Kauf der Daunenjacke oder des neuen Bestsellers im Onlineshop längst eine Palantir-Software steht, die jeden Einzelnen von uns für bestimmte Warengruppen als optimale Zielgruppe ausgekundschaftet hat. Was wieder mehr nach „Mordor“ klingt, um bei Tolkien zu bleiben.

Blurred image background

An der NASDAQ gilt die Palantir-Aktie als einer der großen Hoffnungsträger

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/25 erschienen.

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER