Klein, aber oho! Malta ist gemessen an der Bevölkerung das kleinste Land der EU. Heuer feiert der Inselstaat sein 20-Jahr-Jubiläum der EU-Mitgliedschaft. In der Zeit hat sich ganz schön viel verändert.
Türkisblau, bebaut und europäisch
Lediglich an die 550.000 Einwohner:innen zählt Malta – in etwa so viele wie Graz und Linz zusammen. Seit 20 Jahren sind auch sie Bürger:innen der Europäischen Union. Malta, das ist ein Archipel im Herzen des Mittelmeers mit einer Größe von 316 Quadratkilometern, umgeben von türkisblauem Wasser. Hier scheint die Sonne, und das nicht zu wenig, sondern etwa 300 Tage im Jahr. Hier ist es auch Anfang November noch warm genug, dass die Menschen mit bunten Sommerkleidern, kurzen Hosen und Flip-Flops auf den Promenaden spazieren.
Das mediterrane Urlaubsdomizil, das ist Malta von außen. Im Inneren aber hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel getan, genauer: seit Mai 2004, als Malta im Zuge der großen EU-Erweiterung gemeinsam mit Ländern wie Lettland, Ungarn oder Zypern in die Europäische Union aufgenommen wurde.
Hohe EU-Zustimmung
„Everything ist better now“, sagt Roberta über ihr Land seit dem EU-Beitritt. Sie ist 74 Jahre alt und hat ihr ganzes Leben auf der maltesischen Insel Gozo gelebt. Die ehemalige Schneiderin ist jetzt in Pension und findet, dass sich Malta durch den EU-Beitritt deutlich verbessert hat. Roberta berichtet von den Straßen, die mit EU-Geld renoviert wurden, von den zahlreichen Produkten, die jetzt ins Land kommen und aus dem Land exportiert werden und sie freut sich über den Euro, der als Währung ihr Leben so viel einfacher gemacht habe. Von der maltesischen Lira auf andere Währungen wechseln zu müssen, hat insbesondere beim Import- und Export Handel oft behindert. Diese Umrechnung und die dazugehörigen Lasten sind weggefallen.
Auch Geneva, eine junge Malteserin, erzählt ähnlich Positives: „Hier hat sich alles extrem schnell entwickelt und das in sehr kurzer Zeit.“ Die 27-Jährige kann sich an ihr Land außerhalb der EU nicht mehr erinnern. Sie beschreibt sich als zuerst maltesisch und dann europäisch. „Ich liebe die Flexibilität, die ich als Europäerin habe. Ich könnte überall leben und arbeiten“, schwärmt sie.
Mit ihrer wohlwollenden EU-Einstellung bilden Roberta und Geneva keine Ausnahme. Die Zustimmungsraten zur EU sind auf der Insel überdurchschnittlich hoch: Bei einer Befragung der EU-Kommission im Frühjahr 2023 gaben 52 Prozent der Malteser:innen an, ein positives Bild von der EU zu haben. In anderen Mitgliedsstaaten liegen diese durchschnittlich bei nur 45 Prozent. Die EU genießt hier also im Allgemeinen ein positives Image. Dass mit Roberta Metsola eine Malteserin Präsidentin des EU-Parlaments ist, ist ein Fakt, auf den viele Gesprächspartner:innen in Malta verweisen – und das nicht ohne Stolz.
Maltas Wirtschaft ist stark
Die positive Einstellung zur EU lässt sich mit einem Blick auf die Wirtschaftsdaten Maltas auch gut nachvollziehen. Seit dem EU-Beitritt des Landes hat sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf fast verdreifacht und ist von auf USD 15.325 auf 44.140 angewachsen. Malta belegt mit seinem BIP pro Kopf inzwischen den zehnten Platz in der Europäischen Union. Der Inselstaat trägt 0,1 Prozent zum gesamten BIP der EU bei. Beachtlich für ein so kleines Land. Maltas Wohlstandsgewinn ist stark durch die Integration in den Binnenmarkt, Investitionen in Infrastruktur und den Tourismus begünstigt worden.
Vor allem Tourismus macht einen erheblichen Teil der großen Wirtschaftsleistung des kleinen Landes aus. Knapp drei Millionen Gäste verzeichnete der Inselstaat im letzten Jahr – ungefähr das Sechsfache der Einwohnerzahl. Laut der Tourismusbehörde Malta trägt die Branche bis zu 30 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Dazu gehören auch zahlreiche Arbeitsplätze und die vielen Bauprojekte, die sich aufgrund der Nachfrage nach Hotelanlagen und Apartments ergeben.
Kein Foto ohne Kran
Der Zauber Maltas liegt in seiner mediterranen Landschaft und dem glasklaren türkisblauen Wasser, dass die beigen Felsen umspült. Malta, das sind kleine helle Steinhäuser mit gelben oder roten Türen und Fensterläden. Das zumindest will Malta sein, oder war es mal.
Dieser Charme nämlich hat die Insel in den letzten Jahrzehnten nicht nur zu einem beliebten Urlaubsziel gemacht, sondern sie dadurch auch stark gewandelt. Inzwischen ist die Skyline Maltas durchzogen von den zahlreichen Hochhäusern, den Hotels mit Pool auf dem Dach und den Baukränen, die hier einfach überall zu sehen sind. Ein Urlaubsfoto ohne Baukran im Hintergrund ist auf Malta fast nicht möglich.
Roberta findet das schade, „Überall werden Hochhäuser gebaut und damit zerstören wir unsere schöne Insel“, beklagt sie sich. Ähnlich stört sich auch Geneva am Bauboom. „Es wird hier einfach zu viel gebaut, man sieht nur noch Kräne“, sagt sie. „Die Baubranche in Malta hat sehr viel angerichtet. Die Hochhäuser werden in Windeseile aufgezogen und sollen dann entweder noch mehr Hotels oder teure Apartments werden“, beklagt die Malteserin. Wie um ihren Punkt zu unterstreichen, wird während des Gesprächs der Baulärm zu laut. Die Terrasse ist umgeben von drei Baustellen, die Arbeiten sind mitten im Gange. Als Geneva lärmbedingt vorschlägt, reinzugehen, schwingt Frustration in ihrer Stimme mit.
„Stop destroying our town“
In Malta formiert sich Aktivismus gegen die Bauindustrie. Im Stadtteil Sliema hat sich eine Bürger:inneninitiative gegründet, die mit zahlreichen Transparenten auf die Stadtbildzerstörung aufmerksam machen will. „Stop destroying our Town“, liest sich in weißen Lettern auf rotem Untergrund. Eines der zahlreichen Transparente, die auffällig an der Promenade platziert werden.
Die rege Bautätigkeit auf der Insel verursacht neben einem beeinträchtigten Stadtbild, Lärm und Staub zudem noch Schäden an anderen Gebäuden. So ist vielen auf Malta der Tod von John Paul Sofia in Erinnerung geblieben, der in einer ungesicherten Baustelle starb, oder Miriam Pace, die in den Trümmern ihres Hauses starb, als es aufgrund von Bauarbeiten in der Nachbarschaft eingestürzt ist.
Facebook-Gruppen sind auf Malta nach wie vor sehr beliebt, um diesen Unmut auszudrücken. In diesen kommentieren viele Malteser:innen ihren Ärger mit den Baustellen. Anna Maria, von der Bürger:inneninitiative schreibt hier: „Ich verstehe, dass Arbeiten erledigt werden müssen, aber was mich ärgert, ist, wenn zwei oder drei Kräne in derselben Straße stehen und überall alles blockieren.“
Die Suche nach dem Gleichgewicht
Je schneller sich Malta entwickelt, desto größer werden die Spannungen zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und den Bedürfnissen der Bevölkerung. Bewohner:innen wie Roberta und Geneva fordern eine bessere Planung, die ihre Lebensqualität nicht ignoriert. Hier besteht auch die Gefahr, dass die Zustimmung zur EU und dem wirtschaftlichen Aufschwung den sie mit sich gebracht hat, umschlagen könnte.
Besonders vor dem Hintergrund der EU-Mitgliedschaft, wird es entscheidend sein, dass Tourismus und Baubranche ein Gleichgewicht finden, in dem der wirtschaftliche Erfolg als auch die Lebensqualität gewahrt bleibt. Maltas Bevölkerung ist bisweilen überzeugt vom europäischen Projekt. Damit sich diese Stimmung hält, muss Bauwirtschaft, Politik und die Europäische Union darauf achten, den wirtschaftlichen Aufschwung zu halten ohne dabei die hellbeige-türkisblaue Identität zu verlieren.
Diese Recherche entstand im Rahmen von #eurotours, als Projekt des Bundeskanzleramts mit Unterstützung der Österreichischen Medienakademie, finanziert aus Bundesmitteln.